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© Grober Klotz

Donald Trump und der politische Grobianismus »Ich bin Eure Stimme«

Nachdem das Impeachment-Verfahren verpufft ist, ist eine zweite Amtszeit des US-Präsidenten Donald Trump wahrscheinlicher geworden. Das ist erstaunlich bei einem Mann, über den der Journalist Michael Wolff schon 2018 wie in einem Rückblick schrieb: »Trump las nicht. (…) Aber er las nicht nur nicht, er hörte auch nicht zu. (…) Der in Trumps Weißem Haus vorherrschende Grundgedanke lautete: Sachverstand, diese linke Tugend, wird überschätzt.«

Nach Feuer und Zorn hat Wolff mit Unter Beschuss einen zweiten Band zu Trumps Präsidentschaft vorgelegt, der zusammen mit Bob Woodwards Furcht und dem von Philip Rucker und Carol Leonnig verfassten Band Trump gegen die Demokratie einen beachtlichen Bücherstapel ergibt. Einen notorischen Nichtleser freilich rührt das ebenso wenig wie Bérengère Viennots schmaler Band über Die Sprache des Donald Trump. Der Originaltitel des Buches von Rucker und Leonnig verwirrt: A Very Stable Genius. Donald J. Trump’s Testing of America. Das Problem solcher an sich imponierenden journalistischen Leistungen lässt sich an einer Rezension in der Zeit ablesen, in der es anerkennend heißt: »Es entlarvt sachlich dessen Regierungsstil.« Es wäre jedoch stark übertrieben, Donald Trump der subtilen politischen Verstellungskunst überführen zu wollen. Vielmehr schreibt die Rezensentin Rieke Havertz zu Recht: »Es gibt (…) eigentlich nichts mehr, was einen nach drei Jahren Trump noch überraschen könnte.« Ein Mann, der es fertigbringt in einem Interview 41-mal dass Word »great« und 25-mal das Verb »win« unterzubringen, wie die französische Übersetzerin Bérengère Viennot nachgezählt hat, lässt selbst den klügsten und unermüdlichsten Entlarvern wenig übrig.

Statt als Skandalchroniken, als die besonders die Bücher von Wolff hervorstechen, sollte man die Darstellungen der Präsidentschaft Trumps als Quellen zum Verständnis eines politischen Grobianismus betrachten, der auch außerhalb der USA und selbst in alten Demokratien wie Großbritannien um sich greift. Mit dem britischen Premierminister Boris Johnson verbindet Trump nicht nur der Hang zum gewagten Hairstyling, sondern auch ein mitunter betont ruppiges Auftreten. Nun muss ein gewisser Hang zum Brachialen nicht notwendig in plumpe Rohheit ausarten. Winston Churchill war ein nobelpreisgeschmückter Schriftsteller und Inkarnation des John Bull. Und während Johnson seinen wirren Blick und seine wilde Mähne als Rollenspiel an der Grenze zur Selbstparodie kultiviert, kennt sein amerikanisches Gegenstück keine Grenzen: »Trump hat sein Versprechen, als menschliche Handgranate Washington zu schleifen und neu aufzubauen, teilweise erfüllt«, schreiben Rucker und Leonnig 2020 im Rückblick: »Er hat den regulierenden Staat geschwächt, die Grenzkontrollen verschärft und die Bundesgerichte umgestaltet (…)«.

Hatte Wolff 2018 in Feuer und Zorn noch die Zündung jener bildlichen Handgranate und deren Folgen beschrieben, so konstatierte er ein Jahr später in Unter Beschuss die Bildung einer Abwehrlinie: »Den launischen Wutausbrüchen des Präsidenten sind inzwischen durch zunehmend organisierte und systematische institutionelle Verfahrensweisen gewisse Grenzen gesetzt.« Gleichwohl gilt Woodwards Einschätzung, die USA seien zur »Geisel der Worte und Taten eines emotional überreizten, sprunghaften und unberechenbaren politischen Führers« geworden, wobei man in Hinblick auf das Verhalten seiner Republikaner beim Impeachment-Verfahren auch von Nibelungentreue sprechen könnte.

Freilich unterschlägt das Bild von der Geisel, was Rucker und Leonnig als Prolog ihrer Darstellung zitieren: »I alone can fix it« – »Ich allein kann es richten«, waren zwar die Worte, mit denen Trump am 21. Juli 2016 in Cleveland die Wahl zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten angenommen hatte: »Ich bin eure Stimme. (…) Niemand kennt das System besser als ich, deshalb kann nur ich allein es in Ordnung bringen.« Mag Trump auch mit seiner Familie und seinen Vertrauten wie ein Usurpator ins Weiße Haus eingefallen sein, was besonders Wolffs Bücher plastisch schildern, so ist er zum Kandidaten wie zum Präsidenten doch gewählt worden.

Leider sind alle Darstellungen so auf die Präsidentschaft Trumps konzentriert, dass man kaum etwas über dessen Vorleben und Entwicklung erfährt. Aus den einschlägigen Quellen geht immerhin hervor, dass der Millionärssohn schon von Kindheit an auf Durchsetzungskraft und Erfolg gedrillt worden war, so dass man seine Karriere als narzisstischer Dealmaker als echten Erziehungserfolg werten kann. Und insofern ist seine Selbsteinschätzung als »Genius« gar nicht so abwegig. Donald J. Trump ist der Genius des amerikanischen Kapitalismus, ein Geist, von dem viele seiner Wähler noch immer so besessen sind wie er von sich selbst. Warum aber hat sich ein Land, das sich so gerne als Hort der Freiheit, der Weltoffenheit, gar als melting pot der Völker und Glaubensrichtungen feiert, einen solchen Grobian auserkoren?

Rucker und Leonnig liefern dazu ein Stimmungsbild: »Zig Millionen von Amerikanern waren wütend, sie fühlten sich von den Bürokraten in Washington vergessen, von liberalen Eliten verhöhnt und von einer Weltwirtschaft gedemütigt, die sie samt ihrer Qualifikationen überholt und ihre Kinder dazu bestimmt hatte, die erste Generation von Amerikanern zu sein, der es schlechter gehen würde als den eigenen Eltern.« Millionen von Amerikanern hatten erlebt, wie Zechen und Fabriken geschlossen wurden, wie der lokale Einzelhandel verschwand und durch Großmärkte auf der grünen Wiese ersetzt wurde, in denen ehemalige Arbeiter zu Bagatelllöhnen Billigwaren aus Asien verkauften. Sie fühlten sich als Verlierer der Globalisierung, die zudem auch noch auf eigene Kosten den Weltpolizisten spielen sollten.

In einer Schlüsselszene seines Buchs Furcht beschreibt Bob Woodward, wie der Chef des Nationalen Wirtschaftsrates Gary Cohn einen Brief vom Präsidentenschreibtisch klaut, in dem Trump das Freihandelsabkommen KORUS mit Südkorea aufkündigt. Hintergrund war die »Wut Trumps darüber, dass die USA gegenüber Südkorea ein Handelsdefizit von jährlich 18 Milliarden Dollar hatten und 3,5 Milliarden Dollar jährlich für den Unterhalt ihrer dort stationierten Truppen ausgaben«. Dazu sollten in den kommenden Jahren noch etwa zehn Milliarden für den Aufbau eines Raketenabwehrsystems kommen, was Trump zu den Worten veranlasst habe: »Scheiß drauf, ziehen Sie es ab und bauen Sie es in Portland auf!« Auslöser solch aggressiver Ablehnung ist das Gefühl, nicht nur zu kurz gekommen zu sein, sondern auch noch andere unterstützen zu sollen. Ob Minderheitenschutz, Gesundheitsfürsorge, Umweltschutz, Steuern, internationale Abkommen und überstaatliche Gemeinschaften – wer den Eindruck hat, nicht zu haben oder zu bekommen, was ihm zusteht, wird all dies als weitere Zumutung empfinden.

Der politische Grobianismus kann hier gleich doppelt punkten: Ein »Auf sie mit Gebrüll« dient nicht nur dem spontanen Affektabbau, sondern fegt auch alle komplexeren Erklärungsansätze hinweg, die zeigen, dass es sich auf längere Sicht lohnen kann, auch für andere zu sorgen. Der Grobianismus aber zerlegt den komplexen und auf Dauer konzipierten Gesellschaftsvertrag in eine Reihe ad hoc getroffener Deals. Die setzen freilich eine Position der Stärke voraus und es gibt Instanzen, die nicht mit sich handeln lassen. Zum Beispiel Naturgewalten.

Die schlimmsten Feinde des Grobianismus sind Experten und Expertinnen, die auch nicht mit sich handeln lassen. Washington war voll davon. Und Trump soll bei vielen von ihnen auf taube Ohren gestoßen sein, als er verkündete: »Unsere Politiker haben dem Volk die Mittel zum Lebensunterhalt und zur Versorgung ihrer Familien weggenommen (...), weil sie unsere Jobs, unseren Reichtum und unsere Fabriken nach Mexiko und Übersee verlagert haben«. Schließlich aber, so Woodward, habe Trump in Peter Navarro einen Akademiker aufgetan, »der den freien Handel ebenso hasste wie er«. Der beschrieb seine Rolle dann mit Worten, die der Ökonomie als Wissenschaft endlich eine unabweisbare Daseinsberechtigung verliehen: »Meine Aufgabe als echter Wirtschaftsfachmann besteht darin, möglichst die analytischen Grundlagen zur Verfügung zu stellen, die seine Intuition untermauern. Und seine Intuition ist in diesen Dingen immer richtig.«

Ob Trump einmal als Genie der gefühlten Wahrheit in die Annalen der Wirtschaftswissenschaft eingehen wird, lässt sich der vorliegenden Literatur nicht entnehmen. Jenseits aller Selbstironie stellt Navarro sich selbst und der trumpschen Politik ein verheerendes Zeugnis aus. Geht es doch um nichts Geringeres als die Anpassung der Wirklichkeit an die Intuitionen eines Mannes, der die »Geringschätzung für empirische Tatsachen«, um nicht gleich von Lüge zu sprechen, zum Prinzip seiner politischen Karriere gemacht hat.

Ein eindrucksvolles Beispiel liefert Woodward in einer Szene, in der Trump es schon als republikanischer Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. So streitet er anfänglich vehement ab, dass 80 % seiner Parteispenden an die Demokraten gegangen seien. Als man ihm vorhält, dass es dafür Belege gebe, staunt Trump zunächst »Bauklötze«, wie es heißt, liefert dann aber eine Erklärung, die man einem erfahrenem Baulöwen leider wohl glauben muss: »›Das muss ich machen‹, sagte Trump. ›Da regieren doch überall diese Scheißdemokraten. Man will Hotels bauen, also muss man die schmieren. Die sind doch zu mir gekommen.‹«

Wenn Amerika auf seinen Präsidenten schaue, glaube es, in einen Zerrspiegel zu sehen, schreibt Viennot: »In Wahrheit reflektiert dieser Spiegel jedoch eine Wirklichkeit, die es lange verdrängt hat und nun als plötzlichen Schlag ins Gesicht empfindet.« Auch Dinge in einem Zerrspiegel können einem näher sein, als es scheint.

Philip Rucker/Carol Leonnig: Trump gegen die Demokratie – »A Very Stable Genius«. S. Fischer, Frankfurt/M. 2020, 560 S., 22 €. – Bérengère Viennot: Die Sprache des Donald Trump. Aufbau, Berlin 2019, 154 S., 18 €. – Bob Woodward: Furcht. Trump im Weißen Haus. Rowohlt, Hamburg 2018, 544 S., 22,95 €. – Michael Wolff: Unter Beschuss. Trumps Kampf im Weißen Haus. Rowohlt, Hamburg 2019, 480 S., 22 €. – Michael Wolff: Feuer und Zorn. Im Weißen Haus von Donald Trump. Rowohlt, Hamburg 2018, 480 S., 19,95 €.

Kommentare (1)

  • Wolfgang W. Schroeter
    Wolfgang W. Schroeter
    am 11.04.2020
    Statt eines Kommentars ein kleiner Hinweis: Eine vertiefende Analyse des (nicht nur politischen) Grobianismus findet sich in der 2019 veröffentlichten Studie "Vulgarité et Modernité" von Bertrand Buffon, erschienen bei Gallimard. Nicht zufällig beginnt die Einleitung mit Hinweisen auf die Herren Trump und Berlusconi.

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