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Konstruktive Integrationspolitik für geflüchtete Frauen »Ich würde so gerne Deutsch lernen, aber ich muss immer an meine Kinder denken …«

Die Situation von geflüchteten Menschen in Deutschland ist oft schwierig. Der Alltag ist geprägt von Verständigungsproblemen, der Auseinandersetzung mit bürokratischen Regelungen und Formularen, sowie den Herausforderungen, sich in kürzester Zeit in einem vollkommen unbekannten, sozialen Umfeld zurechtzufinden. Das gilt sowohl für die Geflüchteten selber, als auch für jene, die helfen wollen oder beruflich in der Unterstützung engagiert sind.

Verstärkt durch den Bürgerkrieg in Syrien stieg die Anzahl der Geflüchteten in Deutschland in den Jahren 2015/2016 deutlich an. Dadurch wurden politische Debatten ausgelöst, die bis heute anhalten und Ab- und Ausgrenzungsmechanismen in Gang gesetzt haben. Diese Rahmenbedingungen stehen einer konstruktiven Integrationspolitik diametral entgegen.

Für geflüchtete Frauen erscheint die Lage auf vielen verschiedenen Ebenen noch um einige Grade komplizierter als für Männer. Exemplarisch dafür steht das Zitat im Titel: Es stammt von Faizah, einer aus Syrien geflüchteten 35-jährigen Frau, die seit einem halben Jahr in einer Gemeinschaftsunterkunft in Berlin lebt. Für sie ist die objektive Situation verhältnismäßig geklärt, aber emotionale Zustände und Blockaden hindern sie daran, sich vollkommen auf die veränderte Lebenslage einzulassen. Sie hatte sich mit ihrem Mann auf die Flucht über das Mittelmeer begeben und die Kinder bei Verwandten in Syrien zurückgelassen. Die Organisation der Familienzusammenführung gestaltet sich jetzt langwieriger als gedacht und die Sorge um die Kinder bestimmt ihre Gedanken, obwohl sie gern die deutschen Vokabeln lernen würde, die ihr im Alltag helfen könnten.

Die folgenden Aussagen beziehen sich in erster Linie auf Ergebnisse, die im direkten Kontakt mit geflüchteten Frauen im Rahmen von zwei Berliner Studien entstanden sind (»Charité für geflüchtete Frauen: Women for Women« seit 2015 und »Study on Female Refugees« aus dem Jahr 2016). In Gesprächskreisen, Einzelbefragungen und Gruppendiskussionen entstanden Situationsanalysen, die helfen können, wirksame Unterstützungsmaßnahmen auch für die geflüchteten Frauen zu entwickeln.

Nach der Ankunft in Deutschland müssen die familiären Verhältnisse – oft geprägt von Zerrissenheit, Trennung oder Trauer um verstorbene Familienmitglieder – neu geordnet werden. Auf der einen Seite werden Ehemänner oder Familienväter als Hauptansprechpartner von den Jobcentern identifiziert, über sie werden die Leistungsbezüge definiert und sie haben häufig die Kontovollmacht. Andererseits sollen auch die Frauen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen und sich auf diese Weise integrieren, obwohl das in deren Lebensentwurf vielleicht in dieser Weise gar nicht vorgesehen war.

Zudem sehen sich die Frauen häufig auch Diskriminierungen ausgesetzt. Zum Teil, weil sie ein Kopftuch tragen, zum Teil auch, gerade weil sie kein Kopftuch tragen.

In dieser Gemengelage stehen die geflüchteten Frauen oft vor schier unlösbaren Aufgaben. Einerseits sehen sie ihre Kinder, die sich neugierig und wissensdurstig den neuen Umständen gegenüber öffnen und sich schnell den geänderten Verhältnissen anpassen können – allein schon durch den Spracherwerb in Kita oder Schule. Andererseits sehen sie sich verpflichtet, die tradierten Werte zu pflegen und sich entsprechend zu verhalten.

Integration – Annäherung an einen Begriff

Auf der politischen Ebene wird häufig von »Integration« als Zielbestimmung der Aufnahme von Geflüchteten gesprochen. Unklar ist dabei oft, was damit eigentlich gemeint ist. Das Spektrum reicht von einer vollkommenen Anpassung in das hiesige Gesellschaftssystem bis hin zu einer stillschweigenden Duldung anderer Kulturformen, solange die wirtschaftliche Unabhängigkeit gewährleistet ist.

Aus zahlreichen Gesprächen mit geflüchteten Frauen im Rahmen der zwei unterschiedlichen Studien der Berliner Charité wird jedoch deutlich, dass vor einer wie auch immer gearteten Integration die Erlangung von eigenständiger Entscheidungsfähigkeit steht. Es bedarf eines Zeitraums des Ankommens, des Orientierens in der neuen, ungewohnten Lebenslage und der Schaffung von Sicherheiten – insbesondere für die mitgebrachten Kinder. Erst dann können qualifizierte Entscheidungen getroffen werden, wie die Frauen ihr Leben weiter gestalten möchten. In den beiden bereits erwähnten Untersuchungen wird deutlich, dass zwei zentrale Ursachen einer kurzfristigen Integration in das neue gesellschaftliche Umfeld insbesondere den geflüchteten Frauen im Weg stehen:

Erstens: Ausgeprägte Geschlechtsrollenstereotype – sowohl in der Herkunfts- als auch der aufnehmenden Gesellschaft – verhindern eine individuelle Betrachtung der höchst unterschiedlichen Bedürfnislagen und die Entwicklung entsprechender Maßnahmen.

Zweitens: Eine gravierende Unterschätzung der Besonderheiten von Fluchterfahrungen, den damit verbundenen Erlebnissen von Krieg und Gewalt sowie den daraus resultierenden Traumatisierungen blockieren einen angemessenen Umgang mit den Betroffenen und erzeugen Erwartungshaltungen hinsichtlich der Integrationsfähigkeit, die zwangsläufig zu Enttäuschungen und Frustrationen bei den Helfenden führen.

Unter diesen Vorgaben leiden Frauen anders als Männer und bedürfen daher auch anderer Maßnahmen, um Integration zu ermöglichen.

Dies zu berücksichtigen wird jedoch umso wichtiger, als der Anteil geflüchteter Frauen steigt. Betrug dieser 2017 noch 35 %, lag er Anfang 2018 schon bei 41 % (Bericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, April 2018). Allein in Berlin sind ca. 10.000 weibliche Geflüchtete registriert (inoffizielle Angabe des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten, Berlin 2018).

Quantitative Untersuchungen geben vornehmlich Durchschnittswerte an. Eine wesentliche Erkenntnis der Studien vor Ort besteht allerdings darin, dass es »die geflüchtete Frau« als statistischen Mittelwert nicht gibt. Abhängig von Herkunftsland, Familienstand und sozialem Status stellen sich Bildungsgrad und Berufserfahrung höchst unterschiedlich dar. Dennoch lassen sich einige Aussagen treffen, die für die meisten geflüchteten Frauen von Relevanz sind.

Kinderbetreuung, gesundheitliche Versorgung, Spracherwerb

Im Mittelpunkt des Interesses der Frauen stehen die Kinder. Über 80 % der Frauen in den Gesprächskreisen für geflüchtete Frauen in Berlin hatten mindestens ein Kind. Die Verantwortung für die Kinder ist einerseits schwer zu vereinbaren mit eigenen Bildungs-, Ausbildungs- oder Integrationsmaßnahmen, aber andererseits auch ein großes Motivationspotenzial. Eine gut geregelte Kinderbetreuung ist daher die Grundlage sowohl für den Spracherwerb der nachfolgenden Generation als auch der Teilnahme der Frauen an Integrationsmaßnahmen. Damit die Angebote für Spracherwerb, berufliche Orientierung oder gesundheitliche Versorgung die Frauen auch erreichen können, bedarf es außerdem der aufsuchenden Beratung, denn die Mobilität ist häufig aufgrund der Familienverantwortung stark eingeschränkt.

Das Angebot der gesundheitlichen Versorgung für die Frauen ist weitgehend ausreichend, aber die Kommunikation im Behandlungssetting ist häufig eingeschränkt, insbesondere wenn die ärztliche Betreuung durch einen Mann erfolgt. Präventionsmaßnahmen, ebenso wie Psycho- und Physiotherapie werden im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht immer finanziert und wären doch sehr hilfreich, um gravierende Spätfolgen oder die Verstetigung nicht erkannter Erkrankungen sowie die generationenübergreifende Weitergabe von Traumatisierungen zu vermeiden.

Die Vermittlung zwischen dem Hilfesystem und den Frauen sollte insbesondere in der Zeit kurz nach der Ankunft durch möglichst muttersprachliche Dolmetscherinnen erfolgen. Für die Frauen ist es von Bedeutung, dass die Sprachvermittlung ebenfalls durch Frauen erfolgt, denen sie eher vertrauen als männlichen Kollegen. Darüber hinaus ist es notwendig, auch bei den Anbietenden von Beratungs- und Betreuungsleistungen ein gutes Erwartungsmanagement sicherzustellen.

Die Berufserfahrungen der Frauen beschränken sich meist auf eine informelle Ausübung haushaltsnaher bzw. ungelernter Tätigkeiten. Daher erscheint es notwendig, differenzierte Qualifikationsanalysen zur Erfassung dieser informellen Kompetenzen durchzuführen. Dabei sind für einige Frauen lediglich sogenannte Anpassungslehrgänge erforderlich, um einen Einstieg in den hiesigen Arbeitsmarkt zu finden. Für andere empfiehlt es sich, eine Ausbildung anzufangen, um sich langsam und grundlegend mit den Arbeitsverhältnissen vertraut zu machen.

Diesen Notwendigkeiten steht allerdings, so die Einschätzung vieler Initiativen und Einrichtungen zur Unterstützung geflüchteter Frauen in Berlin, die derzeitige allgemeine Situation entgegen: »Die öffentliche Aufmerksamkeit für geflüchtete Frauen ist auf negativem Niveau eingefroren!« So lautet der Zwischenstand im Jahresbericht 2017 des Projektes »Charité für geflüchtete Frauen«.

Was die Politik tun muss

Aus den bisherigen Erfahrungen lassen sich folgende Aufforderungen an die Politik formulieren: Nachdem die Frauen die Gemeinschaftsunterkünfte verlassen haben, darf der Kontakt zum Hilfenetzwerk nicht abreißen. Bereits aus den Erfahrungen mit der Generation der sogenannten Gastarbeiter/innen in den 70er Jahren wurde deutlich, dass insbesondere die Frauen, die eben nicht an den Integrationsmaßnahmen oder Sprachkursen teilnehmen konnten, dazu tendieren, sich in der vertrauten kulturellen und sprachlichen Gemeinschaft zu bewegen und wenig Kontakt zum neuen gesellschaftlichen Umfeld haben. Dies führt langfristig nicht nur zu Konflikten mit der nachfolgenden Generation, sondern auch zu der eigenen Isolation und zu Konflikten für die Kinder im Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Kulturen.

  • Für viele Frauen ist das vordringlichste Problem im Moment die Suche nach einer Wohnung oder einem Kitaplatz, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ist für sie zweitrangig. Es ist also relevant, zunächst die Grundbedürfnisse der Frauen zu berücksichtigen, ihnen stabile Perspektiven zu bieten, bevor der Anspruch auf Selbstständigkeit und Selbstversorgung formuliert wird.
  • Eine inhaltliche Verknüpfung und Verbindung der einzelnen Projekte für geflüchtete Frauen ist notwendig! Die übergreifenden Kooperationen zum Beispiel zwischen den in Berlin oft bezirklich organisierten Hilfenetzwerken müssen landesweit gefördert werden, damit möglicherweise schon gewachsene Strukturen der Unterstützung nicht durch behördliche Umzugsmaßnahmen auseinandergerissen werden.

Abschließend kann als Ergebnis der Charité-Studien zudem festgestellt werden: Die geflüchteten Frauen wünschen sich vor allem Kontakt und Austausch. Auch und besonders mit den Menschen in der neuen Umgebung. Dies wäre das beste Gegenmittel gegen die aktuelle Verschärfung des Tons in der Debatte um Asylsuchende in Deutschland und Europa. Sich der aktuellen Abschottungspolitik entgegenzustellen könnte also auch heißen, diesen Kontakt und Austausch ganz praktisch zu leben.

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