Es ist nicht so einfach mit der neuen deutschen Außenpolitik. Wie soll Annalena Baerbock etwa für Feminismus in einem Land wie Saudi-Arabien werben, wo Frauen gesetzlich dazu verpflichtet sind, ihrem Ehemann zu gehorchen? Als die deutsche Außenministerin im Mai nach Dschidda reiste und ihrem Amtskollegen ein persönlich signiertes Exemplar ihrer feministischen Leitlinien überreichte, lächelte der zwar nett. Den Frauenrechtlerinnen in saudischen Gefängnissen aber nützte das wenig.
Noch schwieriger wurde es, als es bei ihren Gesprächen in Dschidda dann um den Jemen ging. In den feministischen Leitlinien, die Baerbock mitgebracht hatte, heißt es eigentlich klipp und klar: »Ziel ist, künftig alle Projektmittel des Auswärtigen Amtes so einzusetzen, dass sie dem Anspruch gleichen Ressourcenzugangs und -nutzens von Frauen und Männern genügen.« Doch im Kriegsland Jemen haben Frauen nicht den gleichen Zugang zu Hilfen wie Männer. In den von den Huthis kontrollierten Gebieten dürfen sie nicht einmal allein auf die Straße. Soll Deutschland also lieber keine Nahrungsmittel liefern?
»Wir arbeiten stark da dran, dass der Zugang für alle in allen Regionen möglich ist, gerade auch für Kinder und Frauen«, sagte Baerbock vage. Dabei sollen doch 85 Prozent aller Projektmittel des Auswärtigen Amtes »gendersensibel«, acht Prozent sogar »gendertransformativ« ausgegeben werden, wie es im akademischen Jargon des Handbüchleins heißt. »Gendersensibel«, das bedeutet ohne Frauen zu diskriminieren und unter Berücksichtigung ihrer speziellen Belange, »gendertransformativ« meint Projekte, die Frauen ganz aktiv stärken.
Humanitäre Hilfe als Druckmittel?
Das moralische Dilemma stellt sich auch in Afghanistan, wo seit dem überstürzten Abzug der westlichen Militärmächte wieder die Taliban das Sagen haben und Frauen immer weiter entrechten. Sogar für bei den Vereinten Nationen beschäftigte Afghaninnen gilt inzwischen ein Arbeitsverbot. Die deutsche Außenministerin drohte den Taliban deshalb mit einem Stopp humanitärer Hilfe. »Wo Frauen nicht mehr arbeiten dürfen, können auch deutsche Hilfsgüter nicht mehr ankommen«, sagte sie. Aber kann man humanitäre Hilfe als Druckmittel nutzen? Von den Vereinten Nationen kam prompt eine dringende Mahnung: Ohne Hilfe aus dem Ausland würden Frauen und Kinder in Afghanistan sterben. Kein Zweifel: Die hehren Absichten der deutschen Außenministerin wären hungernden Müttern wohl ziemlich egal.
Auch iranische Frauenrechtlerinnen schauen skeptisch auf Baerbocks feministische Außenpolitik. Die berühmte Exil-Aktivistin Masih Alinejad etwa ist bitter enttäuscht, wie lang die deutsche Ministerin brauchte, um die feministische Revolte in Iran überhaupt wahrzunehmen. Hätte die Außenministerin es also lassen sollen? Hätte sie lieber keine feministische Außenpolitik verkünden sollen, wenn die Widersprüche doch so offensichtlich sind?
»Wo Männer Gesetze schrieben und Politik machten, blieben die Belange von Frauen immer ein blinder Fleck.«
Eigentlich war die feministische Außenpolitik gar kein Lieblingsprojekt von Baerbock. Es waren jüngere Kolleginnen, die den Begriff im Herbst 2021 in den Koalitionsvertrag hineinverhandelten. »Gemeinsam mit unseren Partnern wollen wir im Sinne einer Feminist Foreign Policy Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen weltweit stärken und gesellschaftliche Diversität fördern«, heißt es da. Auf die englische Formulierung bestand die FDP – damit das kleine Wort »feministisch« bloß niemanden erschreckte.
Friedrich Merz konnte das jedoch nicht täuschen. Der Oppositionschef machte sich im Bundestag schon früh über Baerbocks feministische Außenpolitik lustig. Diesen Quatsch könne die Regierung ja gern machen, so sagte er sinngemäß, aber bitte nicht mit dem Geld für die Bundeswehr. Als Baerbock sagte, es breche ihr das Herz, wenn Frauenrechte so gegen Militärausgaben ausgespielt würden, machte der Oppositionschef ein betroffenes Gesicht und führte seine Hände ironisch zum Herzen – offensichtlich nicht auf das gefasst, was folgte. Baerbock sprach von den vergewaltigten Müttern in Srebrenica (während des Bosnienkriegs in den 90er Jahren), deren Leid damals niemanden interessierte, weil sexuelle Gewalt noch nicht als Kriegsverbrechen anerkannt war. Wo Männer Gesetze schrieben und Politik machten, blieben die Belange von Frauen eben immer ein blinder Fleck.
Je stärker Baerbock für die feministische Außenpolitik angegriffen wurde, desto mehr wurde sie zu ihrer. Vieles, was sich in den zehn Leitlinien findet, klingt wie aus einem Gender-Studies-Seminar. Hinter den englischen Fachausdrücken und sperrigen Formulierungen steckt aber gar nicht so viel Neues: Das Auswärtige Amt will sich für die Rechte von Frauen auf aller Welt stark machen, sie mit Hilfen und Geldern unterstützen und sie an Verhandlungen beteiligen.
»Das machen wir doch schon immer so«, schimpfte ein erfahrener Diplomat, angesprochen auf Baerbocks Leitlinien. Da die Deutschen sich traditionell militärisch zurückhielten, verfolgten sie umso eifriger humanitäre Projekte – und nähmen dabei natürlich stets marginalisierte Gruppen in den Blick. Ein anderer nannte die Leitlinien gleich »Kokolores«. Doch manchmal braucht es eben offizielles Papier, um Selbstverständlichkeiten im Bewusstsein zu verankern. Das Gute an Baerbocks feministischen Zielen ist ja: Jetzt, wo sie festgeschrieben sind, kann man die Ministerin an ihnen messen. Und ihre Umsetzung einfordern. Baerbock jedenfalls stellt sich der Kritik. Immer wieder trifft sie sich mit iranischen Aktivistinnen und hört genau zu.
Akzeptanz und Respekt – Fehlanzeige
Und manchmal sind es auch die kleinen Sachen, die einen Unterschied machen. Baerbock erzählt gerne von den Momenten, in denen reine Männerdelegationen in die weiblichen Gesichter der deutschen Delegation blickten. Dann falle ihnen plötzlich auf, dass in ihrer die Frauen fehlten. Aus einer solchen Verlegenheit heraus bekam Baerbock einmal folgenden Spruch zu hören: »Schön, dass Sie für die Schönheit hier im Raum gesorgt haben.« Ihre Entgegnung: »Und zum Glück auch für ein bisschen Intelligenz.«
Baerbock ist es gewöhnt, dass ihr die Kompetenz abgesprochen wird. Vor allem von älteren, männlichen Philosophen. Peter Sloterdijk etwa befand einst, Baerbock hätte lieber Schülersprecherin bleiben sollen. Richard David Precht griff das Wort erst kürzlich wieder auf und erklärte, unter normalen Umständen hätte Baerbock nicht einmal ein Praktikum im Auswärtigen Amt bekommen. Die Männer erklären die Ministerin zum Mädchen – und merken nicht, wie präpubertär sie selbst dabei wirken.
Auch Diplomatinnen kennen das Gefühl, sich für ihre Position rechtfertigen zu müssen. In den deutschen Auslandsvertretungen ist der Normalfall weiter der männliche Botschafter, dessen Gattin zu Charity-Veranstaltungen lädt – auch wenn sie eigentlich Informatikerin ist. Von Charity-Gatten hat man dagegen noch nicht viel gehört. Nur 27 Prozent der deutschen Botschaften werden von Frauen geleitet. Das will Baerbock ändern. Mit Schulungen, einer Sonderbotschafterin für Feminismus und der Möglichkeit, auch ohne Rotation Karriere machen zu können. Bei gleicher Eignung eines Bewerbers und einer Bewerberin werde der Frau fortan der Vorzug gegeben, heißt es im Auswärtigen Amt.
Manche fürchten schon, dass Männer nun diskriminiert würden. Kristina Lunz, Aktivistin vom Zentrum für feministische Außenpolitik, hat da wenig Mitleid. Sie sagt: »Bislang gab es in der 152-jährigen Geschichte des Auswärtigen Amtes eine implizite Männerquote.« Die Wege der ersten Diplomatinnen war steinig. Bis in die 40er und 50er Jahre hinein wurde ihnen die diplomatische Laufbahn verwehrt, noch bis in die 70er Jahre mussten sie ihre Karriere bei der Heirat aufgeben. Frauen seien anfällig für »Eifer, Mitgefühl und Intuition«, hatte der britische Diplomat Sir Harold Nicolson einst gewarnt: »gefährliche Eigenschaften in internationalen Angelegenheiten«.
»Hier der rationale Mann, da die gefühlige Frau.«
Fast ein bisschen ähnlich klang es, als Jürgen Habermas, schon wieder ein Philosoph, im Frühjahr 2022 die Ukrainepolitik der Außenministerin kritisierte. Den zögerlichen Kanzler lobte Habermas dafür, dass er »die sachlich umfassend informierte Abwägung« verantworte. Die Außenministerin dagegen beargwöhnte er für ihr »Mitgefühl und den Impuls zu helfen«, ihre »spontane« Identifikation mit »dem ungestüm moralisierenden Drängen« der ukrainischen Führung. Hier der rationale Mann, da die gefühlige Frau.
Diese Frau mit Gefühlen ist es, die die Zeitenwende des Kanzlers mit Leben füllt. Während Scholz seine vorsichtige bis zögerliche Ukrainepolitik verteidigte, sprach die Außenministerin von den ukrainischen Frauen und Kindern, denen sie auf ihren Reisen begegnet war. Schon im Wahlkampf hatte sie für das Ende von Nord Stream und eine harte Haltung gegenüber Putin geworben, während Scholz sie im Brustton eiserner Gewissheit belehrte: »Getanzt wird mit denjenigen, die im Saal sind.« Später, nach dem Überfall auf die Ukraine, revidierte sie schnell ihr Nein zu Waffenlieferungen und zeigte sich ehrlich schockiert, während der Kanzler behauptete, er habe alles genauso kommen sehen.
Auch gegenüber China spricht Baerbock deutlich, sehr zum Ärger der Kanzlers. Als Scholz im Herbst 2022 nach Peking aufbrach, rief die Außenministerin ihm hinterher, er solle bitte nicht die Menschenrechte vergessen. Auch bei ihrem eigenen Besuch in China sparte sie nicht mit Kritik, warf den Chinesen vor, zu wenig zu tun, um den russischen Angriffskrieg zu stoppen. Für Baerbock geht es darum, die richtigen Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Mit Nettigkeit erreicht man eben nicht viel bei Diktatoren. Das hat sie von Putin gelernt.
»Wertebasiert« nennt Baerbock ihre Außenpolitik. Die selbsternannten »Realpolitiker« lächeln darüber. Sie halten es für ehrlicher und zielführender, sich für die eigenen Interessen einzusetzen. Baerbock aber stellt Werte gar nicht über Interessen: Sie ist überzeugt, dass die Verteidigung unserer Werte in unserem ureigensten Interesse liege. Anders als einige Theoretikerinnen bedeutet feministische Außenpolitik für sie auch nicht Pazifismus. Waffenlieferungen und Schutz von Frauen seien vielmehr zwei Seiten einer Medaille, erklärte sie bei der Vorstellung ihrer Leitlinien im März. »Realfeminismus« nennt sie das ganz kokett: ein bisschen Idealismus, ein bisschen Pragmatismus.
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