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Zur Geschichte des Historikerverbands und der Goethe-Gesellschaft Im Banne der Macht

Anders als die Naturwissenschaften sind die Geistes- und Sozialwissenschaften, sofern sie Massenfächer sind, fast immer auch in aktuelle politische und gesellschaftliche Debatten involviert. Treten ihre Verbände oder einzelne Vertreter mit kritischen Beiträgen an die Öffentlichkeit, kann ihnen eine Aufmerksamkeit zuteilwerden, die sich manchmal zu Kontroversen grundsätzlicher Art entwickelt. So erging es kürzlich den Historikern. Auf dem Deutschen Historikertag im vergangenen September in Münster wurde mit großer Mehrheit eine »Resolution zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie« beschlossen, die eine dezidierte Stellungnahme gegen rechten Populismus und »nationalistische Alleingänge« enthielt. Sie fand ein zwiespältiges Echo; mehrfach wurde gefragt, ob ein wissenschaftlicher Verband als unstrittig hinstellen könne, was in der Gesellschaft höchst umstritten sei.

Die deutschen Historiker haben sich auf ihren Verbandstagen immer wieder politisch positioniert. Dass es dabei nicht durchweg harmonisch zuging, zeigt die bei Wallstein erschienene Studie Die versammelte Zunft, in der fünf Historiker aus Berlin, Münster und Amsterdam – Matthias Berg, Olaf Blaschke, Martin Sabrow, Jens Thiel und Krijn Thijs – den deutschen Historikerverband und seine Historikertage von 1893 bis 2000 als historisches Thema unter die Lupe nehmen. Es ist eine außerordentlich materialreiche, höchst informative Untersuchung, die erstaunlicherweise in dieser Breite erst jetzt vorliegt, obwohl doch gerade Historikern die Geschichte der eigenen Zunft wie ein Spiegel der jüngsten Geschichte erscheinen muss.

Wissenschaftsgeschichte als Zeitgeschichte

Der erste Historikertag 1893 in München war eher zufällig von einer Handvoll Historiker vorbereitet worden. Diese Zusammenkunft weckte Appetit, und so folgten bis zum Ersten Weltkrieg zwölf weitere Treffen, darunter drei in Österreich. Inhaltlich standen sie häufig im Zeichen der grundsätzlichen Kontroverse zwischen den Historikern Karl Lamprecht und Georg von Below, die Geschichte vor allem als Kulturgeschichte oder als allgemeine politische Geschichte verstanden wissen wollten, wobei Below letztlich den »Sieg« davontrug.

Erst 1924 fand wieder ein Treffen statt, dann alle zwei Jahre bis 1932, wobei steigende Teilnehmerzahlen und eine wachsende Zahl zeitgeschichtlicher Themen zusammenfielen, voran die durch den Versailler Vertrag zum Dauerthema gewordene Kriegsschuldfrage und – bedingt durch neue Grenzen und Staaten im Osten – die Osteuropaforschung, mit der sich der junge Königsberger Historiker Hans Rothfels eingehend befasste.

1933, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, versuchte der Verband unter seinem agilen Vorsitzenden Karl Brandi mit einigem Erfolg, eine gewisse Eigenständigkeit zu bewahren. Aber nach 1937 sank er neben zwei direkt vom NS-Regime gegründeten Historikerverbänden fast zur Bedeutungslosigkeit herab. Nur ein Historikertag konnte 1937 in Erfurt noch stattfinden, der in dem mutigen Auftritt Hermann Heimpels und seiner Kritik am verbreitetenen (nationalsozialistischen) Bild eines »germanisch-heidnischen Mittelalters« gipfelte.

Die Geschichte des Historikerverbands und der Historikertage in der Bundesrepublik (der erste nach dem Zweiten Weltkrieg fand 1949 in München statt) ist eine spannende Wissenschaftsgeschichte vor zeitgeschichtlichem Hintergrund. Anfang der 50er Jahre reisten noch Historiker aus der DDR an; 1958 kam es in Trier zum Bruch, als mehreren DDR-Teilnehmern das Wort verweigert wurde, woraufhin sie unter Protest abreisten. Berlin erlebte 1964 die Kontroverse um Fritz Fischers Buch Griff nach der Weltmacht, worin die These, die europäischen Mächte seien in den Ersten Weltkrieg gleichsam »hineingeschlittert«, infrage gestellt und Deutschland als treibende Kraft bei der Entstehung dieses Krieges dargestellt worden war. 1978 in Hamburg forderte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt die Historiker auf, endlich auch populärwissenschaftliche Bücher zu schreiben, um eine breitere Leserschaft für die Historie zu gewinnen. Erst 1998 kam auf dem stürmischen Historikertag in Frankfurt die Verstrickung vieler Historiker in das NS-Regime zur Sprache, allen voran der früheren Verbandsvorsitzenden Theodor Schieder, Werner Conze und Karl Dietrich Erdmann. Es war eine überfällige Psychohygiene, deren spätes Auftreten bezeichnend für die Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik war. Seit 2016 ist mit der Mediävistin Eva Schlotheuber erstmals eine Frau Verbandsvorsitzende.

Nach dem Eklat von Trier wurde noch im selben Jahr in der DDR eine eigene Historikergesellschaft gegründet; Martin Sabrow hat dieses Kapitel geschrieben, das einem Trauerspiel gleicht, zeigt es doch die Unterwerfung der Wissenschaft gegenüber der sozialistischen Staatsideologie. Bis zur Wende 1989 sank die Historikergesellschaft der DDR zum bloßen Propagandainstrument der SED herab. Der Unabhängige Historikerverband (UHV), der sich nach der Wende mit großem politischen Anspruch gegründet hatte, ging schon bald im (westlichen) Historikerverband auf.

Das Buch der fünf Historiker ist keine Geschichte des Fachs, sondern eine streng durchgehaltene Verbandsgeschichte. Vereinzelt ist bemängelt worden, wichtige Themen wie Alltagsgeschichte, Frauengeschichte oder oral history würden nur am Rande gestreift. Aber es ist ein Vorteil des Buches, dass die Reaktionen der Historiker – darunter viele große Namen der deutschen Geschichtsschreibung im 20. Jahrhundert – auf die wechselnden Zeitumstände unmittelbar deutlich werden.

Bereit zum Teufelspakt

Stärker noch als die Geschichtswissenschaft hat sich die Germanistik nach 1933 dem NS-Regime angedient. Beispielhaft steht dafür die in Weimar ansässige Goethe-Gesellschaft. Sie wurde im Jahr 1885 von der Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar-Eisenach mit dem Ziel der Forschung und Pflege der »mit dem Namen Goethe verknüpften Literatur« gegründet. Die Goethe-Gesellschaft avancierte zur maßgeblichen Instanz in Sachen Goethe, war entsprechend rasch politischen Stürmen ausgesetzt, mischte aber auch selbst kräftig mit.

Das konservative Weimarer Milieu nach 1918 begünstigte die Tendenz, in Goethe weniger den Weltbürger als den nationalen Heros zu sehen. Diese Sichtweise setzte sich nach 1933 fast kontinuierlich fort. Der amerikanische Germanist W. Daniel Wilson, Professor an der University of London, hat die Geschichte der Gesellschaft in der NS-Zeit akribisch nachgezeichnet und kam zu dem deprimierenden Fazit, dass sie nur allzu bereit war, einen »faustischen Pakt« zu schließen: Im Bestreben, ihre zentrale Stellung zu bewahren, unterwarfen sich die Verantwortlichen eilfertig dem Regime, schlossen bis 1938 ihre jüdischen Mitglieder aus, stellten die Verbandszeitschrift in den Dienst der NS-Propaganda und unterstützten tatkräftig die Versuche, den unterworfenen Völkern Europas Goethes »Weltgeltung« aufzudrängen.

Die Verantwortlichen der Goethe-Gesellschaft waren ihr langjähriger Präsident, der auch international renommierte Germanist Julius Petersen, der Direktor des Goethe-Museums Hans Wahl und der Verleger des Leipziger Insel Verlags Anton Kippenberg. Dem Weiterbestehen der Gesellschaft, schreibt Wilson, räumten sie »absoluten Vorrang vor der Menschenwürde und den Menschenrechten bedrängter Einzelpersonen ein«. Petersens Rede auf der Hauptversammlung 1934, gipfelnd in der Behauptung, gerade Goethe und Schiller seien »Vorläufer eines idealen Nationalsozialismus«, stellte einen Tiefpunkt in der Biografie Petersens dar. Ihre Lügen und Halbwahrheiten, so Wilsons lakonischer Befund, widerlegten die weitverbreitete Meinung, profunde Goethe-Kenntnisse brächten »unweigerlich« bessere Menschen hervor.

Nach Kriegsende biederte sich Hans Wahl den Sowjets an und vermochte neuerlich zu reüssieren, indem er versicherte, von den Zuständen im nahen Buchenwald nichts gewusst zu haben. Bis lange nach der Wende residierte die Goethe-Gesellschaft in der Hans-Wahl-Straße 4; erst vor wenigen Jahren wurde nach hitzigen Debatten in Stadt und Bürgerschaft der Name geändert.

Beide Bücher zeigen, wie sehr gerade die Geisteswissenschaften in Diktaturen dem Zugriff der politischen Macht ausgesetzt sind. Wer die Deutungshoheit in Wissenschaft und Kultur anstrebt, verfügt dann auch über die Mittel, sie notfalls brutal gegen alle Widerstände durchzusetzen.

Matthias Berg/Olaf Blaschke/Martin Sabrow/Jens Thiel/Krijn Thijs: Die versammelte Zunft. Historikerverband und Historikertage in Deutschland 1893–2000. Wallstein, Göttingen 2018, 839 S., 39,90 €. – W. Daniel Wilson: Der Faustische Pakt. Goethe und die Goethe-Gesellschaft im Dritten Reich. dtv, München 2018, 368 S., 28 €.

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