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Entwicklung und Stagnation in Afrika Im Zeitalter neuer Kriege

In den letzten Jahren hat sich in Afrika eine enorme Dynamik entfaltet, von der hierzulande vor allem die negativen Aspekte wahrgenommen werden. Der »Ausgang aus der langen Nacht«, den der Kameruner Achille Mbembe in seinem Versuch über ein entkolonisiertes Afrika verheißt, ist noch nicht geglückt, doch so dunkel ist die Nacht keineswegs überall, wie der Journalist Alex Perry (In Afrika) sie beschreibt. Nur von der Romantik dieser »Wiege der Menschheit« wird dabei wenig übrig bleiben, ahnt Paul Theroux, der sich in einem Buch vom »Königreich des Lichts« verabschiedet.

Angesichts einer destruktiven Dynamik spricht Mbembe von einer neuen »Generation von Kriegen«, die drei Merkmale aufwiesen. Erstens zielten sie »in der Hauptsache eher auf die Zivilbevölkerung als auf bewaffnete gegnerische Formationen«. Infolge der Wirtschaftskrise, die mit der Dekolonisierung einherging, hätten viele reguläre Soldaten keinen Sold ausgezahlt bekommen und seien schließlich zu organisierten Plünderungen und Schutzgelderpressungen übergegangen. Neu und spontan ist das nicht. Es erinnert an die Landsknechte der frühen Neuzeit und wurde stets auch politisch organisiert. In Simbabwe wurden weiße Farmer systematisch von Männern vertrieben, die sich selbst als Soldaten bezeichneten; »aber in Wirklichkeit waren sie Landlose aus den übervölkerten Dörfern«, schreibt Theroux. Herbeigerufen hatte sie Präsident Robert Mugabe, dessen Vorgehen an die sowjetische Praxis erinnert, Arme aus den Dörfern und Lumpenproletariat auf Kulaken und Bürgerliche zu hetzen. Ähnlich waren dann auch die Folgen. Perry schreibt: »Als das dritte Jahrzehnt seiner Präsidentschaft begann, hatten wachsende Korruption, Diebstahl und Missmanagement, gefolgt von einer gewaltsamen Enteignung der im Besitz von Weißen befindlichen Farmen, dazu geführt, dass die Wirtschaft in einer Hyperinflation zusammenbrach, was eine massenhafte Auswanderung von mehr als einer Million Simbabwern auslöste, darunter viele besonders wohlhabende und gebildete Bürger.«

Mit den weißen Farmern verschwand auch die ökonomische Kompetenz, denn selbst wenn eine Rückgabe von »Junkerland in Bauernhand« in Simbabwe agrartechnisch gelungen wäre, so wären damit die logistischen Vermarktungsprobleme noch nicht gelöst gewesen, denn das kolonialistische Erfolgsmodell beruhte auf dem Export von Rohstoffen. Das sei so geblieben, schreibt Perry, der Mugabe auch deshalb kritisiert, weil er ein »Lieblingsargument der Rassisten« geliefert habe: »Die Afrikaner könnten nicht mit Freiheit umgehen. Sie hätten es verpatzt, als sie sie erlangt hätten.«

Das sei »simplifizierend und ignorierte die Rolle westlicher Unternehmen und Regierungen, die weiterhin die Rohstoffe Afrikas ausbeuteten und den neuen Herrschern des Kontinents halfen, Milliarden an gestohlenen US-Dollar auf Schweizer Bankkonten zu schleusen«, urteilt Perry. Später wird er die Tragik der afrikanischen Freiheitskämpfe an einem ungleichen Paar beschreiben: Hier Winnie Mandela als Racheengel – dort Nelson Mandela, der die Verstrickung von Unrecht und Rache auflösen wollte. Zunächst aber schreibt er: »Wofür die Freiheitskämpfer im Namen des Volkes gekämpft hatten, das nahmen sie dem Volk nach ihrem Sieg. Als Lohn für die Befreiung des Landes stahlen sie gleich das ganze Land.«

Lukrativer Drogentransit

Dies entspricht der zweiten Kategorie »neuer Kriege«, bei der es laut Mbembe »vorrangig um die Kontrolle von Ressourcen« gehe, »deren Gewinnmodalitäten und Vermarktungsformen wiederum für mörderische Konflikte und Ausplünderungspraktiken sorgen«. Dass dies auch diskret und gesittet vonstattengehen kann, zumal wenn es nicht um einheimische Güter geht, zeigt wiederum Perry am Beispiel des Leiters der nationalen Kriminalpolizei und obersten Drogenbekämpfers Guinea-Bissaus. João Biague scheint ein engagierter, durchaus wohlwollender Polizist gewesen zu sein, dessen Erfolglosigkeit ihm niemand vorwerfen konnte: »Das größte Problem«, so schreibt Perry »für Joãos Arbeit lag wahrscheinlich in der Tatsache, dass er als Staatsbeamter für den größten Kokainschmuggler Guinea-Bissaus, General Indjai arbeitete«. Der hatte sich als Armeechef an die Macht geputscht und war damit zum Profiteur eines Prozesses geworden, der um 2004 begonnen hatte, als den lateinamerikanischen Drogenkartellen klar geworden war, »dass es auf halbem Wege nach Europa, innerhalb der Reichweite kleiner Flugzeuge und Fischerboote, eine Reihe äußerst korrupter afrikanischer Länder gab, die in Hinblick auf Gesetze, Staat, Luftwaffe oder Marine kaum Hindernisse in den Weg legten«.

Die »Gewinnmodalitäten und Vermarktungsformen« der internationalen Kriminalität wirken hier indirekt, indem sie die Rechtsordnung eines Landes und dessen Ökonomie aushöhlen, weil dessen Führungsschicht genug am Drogenhandel verdient, um auf die Entwicklung der heimischen Wirtschaft gar nicht angewiesen zu sein. Die Camouflage solcher »Drogenstaaten« funktioniert, solange der Schmuggel funktioniert und das Volk bei der Stange gehalten wird. »Alle Mauern waren mit einem schwarzen Pilzbelag und grünem Moos überzogen«, beschreibt Perry seine Ankunft in so einem Kulissenstaat. Das Leben scheint sich ins Stadtzentrum zurückgezogen zu haben, in eine »Handvoll Cafés und Restaurants, in denen Eiswasser und vino verde serviert wurden«. Hier könnten jederzeit die Gestalten aus Denis Johnsons Spionageroman Die lachenden Ungeheuer ihre dubiosen Geschäfte fortsetzen: »Wir müssen keine Wurzeln schlagen«, heißt es dort am Ende: »Vielleicht ziehen wir umher, Uganda mochten wir beide.« Entfernungen spielen für sie keine Rolle – anders als für jene somalischen Hungerflüchtlinge, von denen Perry berichtet, die 240 Kilometer nach Mogadischu seien vielen zum Todesmarsch und für die Überlebenden zur Ohnmachtserfahrung geworden.

Maskulinität und Militarismus

So nennt Mbembe auch noch eine dritte Kategorie neuer Kriege, deren Rechtfertigung sich nicht mehr auf die Emanzipations- und Revolutionsprojekte der frühen Dekolonisierungszeit beriefen, sondern, »das utilitaristisch Imaginäre der Moderne mit den Überresten autochthoner Vorstellungen vom Leben verknüpfen: Hexerei, Reichtum und Kannibalismus, Krankheit und Wahnsinn«.

Mbembe spricht in diesem Zusammenhang von der »Entstehung einer militaristischen Kultur« und einer »Ethik der Maskulinität«, die dem »gewaltsamen Ausdruck von Männlichkeit einen hohen Stellenwert einräumt«. Dies könnte die Affinität zum militanten Islamismus erklären helfen. So steht der Name der Terrorgruppe Boko Haram für die Parole »Westliche Bildung ist Sünde« und damit für den gewaltsamen Aufstand der Modernisierungsverlierer gegen die Übernahme kolonialistischer Kultur im Zeichen der Dekolonisierung.

Man kann dies freilich auch als Aufstand gegen die Etablierung westlich orientierter Bildungs- und Herrschaftseliten in Afrika interpretieren, die an der Sorbonne, in Oxford und Harvard studiert und entsprechende Kontakte zu den Eliten des Westens geknüpft haben. Dazu kommen die verheerenden Wirkungen, die Milliarden an westlichen Entwicklungshilfegeldern und Spenden vor Ort entfaltet haben: »Weil die Lebensmittelhilfe kostenlos verteilt wurde, zerstörte sie den Markt für die kommerzielle Landwirtschaft Afrikas, da kein Anreiz für den Anbau von Nahrungsmitteln mehr bestand«, erläutert Perry am Beispiel Äthiopiens, und legt auch nahe, die schiere Größe der westlichen »Hilfsbranche« sei für eine »Institutionalisierung der Notsituation« verantwortlich. Auch Paul Theroux zeigt sich überzeugt, dass »die meiste Hilfe schädlich ist«.

Während Perrys skeptische Darstellung im Original mit A New Africa Breaks Free untertitelt ist, hat der 1941 in den USA geborene Theroux sein Buch Ein letztes Mal in Afrika als Abschied verfasst. Als »romantischer Voyeur« hat er noch einmal den Kontinent bereist, wo er in jungen Jahren als Lehrer gearbeitet hatte. Bei aller Leidensbereitschaft, was die Fahrt über harte Pisten angeht, zeigt er auch, dass der klassische travel writer mit Journalisten wie Perry, die gut vernetzt sind und mächtige Medienhäuser hinter sich haben, nicht mehr konkurrieren kann. Sein Besuch in einer Lodge, wo man für ein paar Tausend Dollar pro Tag auf Elefanten reiten kann, zeigt, dass der Blick des Reiseschriftstellers in seinem Fall zwar respektloser, aber kaum mehr privilegierter ist als der des Luxustouristen.

So beginnt er sein Buch mit einer Szene, die ein »zeitloses Volk« in einem zeitlosen Afrika heraufbeschwört. Mit einer Gruppe von Ju/’hoansi, von Buschleuten, geht er durch das Boesmanland im äußersten Norden Namibias und verfolgt, wie eine junge Frau eine Wurzel ausgräbt und verteilt. Ihr Gesicht habe etwas Elfenhaftes und auch etwas Außerirdisches an sich gehabt. Die Szene habe ihn glücklich gemacht, so wie eine Heimkehr in eine Welt ohne Fortschritt und Entwicklung, in der friedliche Menschen ohne Neid und Gier im Einklang mit der Natur lebten. Viel Land mit wenig Menschen. Erst etliche Kapitel später greift er die Szene noch einmal auf, um zu enthüllen, dass es sich um eine Inszenierung handelte – »eine Parodie, eine Maskerade mit historischen Kostümen«. Was bleibt, sei ein »schöner Gedanke« an eine Welt, die anders hätte werden können. Stattdessen ist sie nur älter geworden und der Autor mit ihr. Es ist eine Welt voller Townships, die sich um funktionierende Städte herum ansiedeln und diese strangulieren: »Kaum war eine Lösung gefunden, wurde eine neue Lösung gebraucht. Es war das afrikanische Dilemma.«

Optimistischer ist ein Gewährsmann Perrys, der mit dessen Geld ein Familientreffen im westkenianischen Kogelo finanziert hat. Rund 50 Menschen sind zusammengekommen, um in den Nachrichten zu verfolgen, wie sein Halbbruder Barack Obama zum US-Präsidenten gewählt wird. Wenn Jor’Obama nicht in Kogelo als Dorfoberhaupt amtiert, arbeitet er in Washington als Steuerberater. Während Mbembe von »zirkulierenden Welten« spricht, nähmen die Obamas eine »dreidimensionale Perspektive« ein: »Die ganze Menschheit sei miteinander verbunden. Es gebe in der Welt zwar unterschiedliche Niveaus der materiellen oder politischen Entwicklung oder im Bereich der Bildung, aber über die Menschen bestehe dennoch eine Verbindung«, zitiert Perry sie und verweist auf die wenig bekannte Tatsache, dass es in Afrika acht Raumfahrtprogramme gebe.

Geistige Beweglichkeit sei entscheidend für ein Verständnis des neuen Afrika, führt er aus – »gleichsam eine gesteigerte, von Raum und Zeit befreite Phantasie«. Das wirkt nun freilich etwas außerirdisch, und zwar auf durchaus unheimliche Weise. Es ist nämlich jener grenzenlose Fortschrittsglaube, von dem man in Europa aus guten Gründen gerade Abschied nimmt. »Es ist«, so zitiert Perry Desmond Tutu, »als wären wir Amerikaner geworden«.

Denis Johnson: Die lachenden Ungeheuer. Rowohlt, Reinbeck bei Hamburg 2017, 272 S., 22,95 €. – Achille Mbembe: Ausgang aus der langen Nacht – Versuch über ein entkolonisiertes Afrika. Suhrkamp, Berlin 2016, 300 S., 28 €. – Alex Perry: In Afrika: Reise in die Zukunft. S. Fischer, Frankfurt am Main 2016, 544 S., 24,99 €. – Paul Theroux: Ein letztes Mal in Afrika. Hoffmann & Campe, Hamburg 2017, 416 S., 26 €.

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