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Die anhaltenden Defizite bei der politischen Teilhabe von Frauen in den Parteien Immer noch nicht gleichwertig

Auch nach den jüngsten Landtagswahlen bleiben die Spitzenpositionen der Länder, oft das Sprungbrett für weiterführende Karrieren in der Bundespolitik, vorrangig in männlicher Hand: Zwar konnte Anke Rehlinger im Saarland einen überraschenden Sieg erringen, doch von den 16 Ländern werden weiterhin zwölf von einem Mann geführt. Sowohl in Schleswig-Holstein als auch in Nordrhein-Westfalen bot sich das gewohnte Bild von zwei männlichen Rivalen, von SPD und CDU, von einem ähnlichen Typus: sachlich, zurückhaltend, freundlich. Zur Schau getragenes Macho-Gehabe scheint beim männlichen Führungspersonal der Berliner Republik aus der Mode gekommen zu sein. Zudem wird das Bild ergänzt durch die jeweilige Spitzenkandidatin der Grünen, in NRW sogar in der Rolle der »Königsmacherin«.

Können wir also in Deutschland in Anbetracht eines gleichfalls nüchtern-moderierenden und zurückhaltend auftretenden Kanzlers, der in vielem seiner Vorgängerin ähnelt, oder eines paritätisch besetzten Kabinetts mit einer Außen-, Innen- und Verteidigungsministerin alles in allem doch zufrieden sein mit dem Erreichten? Leider nein. Ohne die Erfolge – die auch erst über Jahre und Jahrzehnte erstritten und erkämpft werden mussten – schmälern zu wollen, ist festzuhalten, dass wir von einer »Kultur der Gleichberechtigung« in Parteien und Parlamenten noch weit entfernt sind.

Das zeigen schon die reinen Zahlen: 2021 ist der Anteil der Parlamentarierinnen im Bundestag zwar um ein paar Prozentpunkte auf 35,4 Prozent gestiegen, aber das ist ein Fortschritt im Schneckentempo. Geringer fällt der Anteil in den Landesparlamenten und in den Gemeinden und Kommunen aus. So sind in den Landesparlamenten im Durchschnitt lediglich 32 Prozent der Parlamentarier Frauen; In den kommunalen Vertretungen liegt der Anteil sogar nur bei durchschnittlich 27 Prozent. Noch schlechter sieht es bei den Führungspositionen aus: Nur jedes zehnte Rathaus wird von einer Bürgermeisterin geführt.

Vor allem gibt es bei den Parteien, als den zentralen Akteuren des politischen Systems, Handlungsbedarf. So reichen die Anteile der weiblichen Mitglieder von knapp 18 Prozent bei der AfD, die das eine Ende des Spektrums markiert, bis zu Bündnis 90 / Die Grünen mit 41 Prozent am anderen Ende. Die CSU kommt auf 21,3 die FDP auf 21,6 und die CDU auf 26,5 Prozent. Im Mittelfeld liegen die SPD mit 32,8 sowie die Linke mit 36,4 Prozent.

Die anhaltende Unterrepräsentanz von Frauen in den Parteien und politischen Führungspositionen sind jedoch nur die eine Facette. Jüngst haben die Fälle von sexueller Belästigung und Machtmissbrauch beim hessischen Landesverband der Linken großes Aufsehen erregt. Dass nicht nur die Linke, sondern das gesamte Parteienspektrum hiervon betroffen ist, zeigt die repräsentative Studie »Parteikulturen und die politische Teilhabe von Frauen«, die von der EAF Berlin in Zusammenarbeit mit dem Institut für Demoskopie Allensbach letzten Herbst veröffentlicht wurde. Sie macht deutlich, wie wichtig es für die Parteien sein wird, die verschiedenen Spielarten sexistischer Verhaltensweisen wahrzunehmen und zu überwinden.

Sexismus bezeichnet zunächst die Herabwürdigung einer Person allein aufgrund des Geschlechts und kann sich in strukturellen und institutionellen Formen, in symbolisch-kulturellen Diskursen (Sprache, Bilder, mediale Darstellungen) und in individuellen Einstellungen und Verhaltensweisen äußern. Zunehmend findet auch der Begriff des Alltagssexismus Verwendung. Er umschreibt ein Bündel an Verhaltensweisen, die oft als scheinbar harmlos oder »nett gemeint« daherkommen. Es sind kleinere und größere Grenzüberschreitungen, die in der Summe jedoch ein Klima erzeugen, in dem die betroffenen Personen den Eindruck gewinnen (müssen), nicht als voll- und gleichwertige Mitglieder anerkannt und einbezogen zu sein. Sexuelle Belästigung stellt in diesem Spektrum nur eine besonders deutliche beziehungsweise sichtbare Ausprägung von Sexismus dar. Im Folgenden seien zentrale Ergebnisse der Studie in aller Kürze vorgestellt:

Kommunikations- und Diskussionskultur. Die genannte Studie zeigt die Facetten der verbalen und nonverbalen Methoden auf, mit denen die Wortmeldungen und Äußerungen von Frauen weniger ernst genommen, zur Seite geschoben oder herabgesetzt werden, beispielsweise, wenn Männer notorisch aufs Handy starren, wenn Frauen am Rednerpult sprechen. Es sind offene und subtile Formen einer diskursiven Machtausübung, die zu verstehen geben, wer buchstäblich das Sagen hat. Vor allem jüngere Frauen oder Frauen ohne gefestigte Machtposition sind davon betroffen. Selbstredend findet dies nicht immer und überall statt. Je klarer die Regeln und je professioneller der Umgang, desto weniger ist es der Fall. Dennoch sieht die Hälfte der befragten Politikerinnen Defizite in der Diskussionskultur und gibt an, dass die Wahrnehmung von Politik als Männerdomäne Frauen stark abschrecke. Dies sehen immerhin auch 35 Prozent der Männer so.

Sexuelle Belästigung. Dass auch in der Politik Frauen sexueller Belästigung ausgesetzt sind, war angesichts der Medienberichterstattung zu erwarten ‒ nicht aber, wie stark das Phänomen verbreitet ist. Rund 40 Prozent der befragten Politikerinnen gab an, sexuelle Belästigung im Sinne unerwünschter und unangemessener Bemerkungen, Blicke oder Berührungen erlebt zu haben. Zwei Drittel der Politikerinnen unter 45 Jahren wurden laut unserer Studie schon sexuell belästigt, davon sieben Prozent häufiger und 22 Prozent ab und zu.

Zudem wird vereinzelt darüber berichtet, dass von Frauen im Gegenzug zu Förderung und Unterstützung sexuelle Gefälligkeiten erwartet wurden.

Männer, die solche Grenzüberschreitungen begehen, demonstrieren damit, dass Frauen in ihren Augen einen untergeordneten Status haben. Und sie testen auf diese Weise mehr oder minder bewusst aus, wie weit sie gehen können, wie weit die betroffenen Frauen es erdulden beziehungsweise erdulden müssen, weil es scheinbar »in Ordnung« ist und diejenigen, die sich wehren, als »Spielverderberinnen« gelten.

Parteienklima: Gerüchte und Diskreditierung. Ein wenig thematisiertes Phänomen, das aber das parteiinterne Klima in vielfacher Hinsicht beeinträchtigt und vergiftet, sind Gerüchte, die mehr oder minder offen gestreut werden, um die betreffende Person zu diskreditieren. Zwar sind mehrheitlich Männer (42 Prozent) von Gerüchten betroffen, doch bei Frauen (29 Prozent) sind diese in der Regel sexualisiert. Gerade weil dieses Phänomen schwer fassbar ist, entfaltet es negatives Potenzial. Vor allem gegenüber jüngeren Frauen entsteht so ein Gespinst aus Vermutungen, das ihre Leistungen und Fähigkeiten abwertet und ihre Erfolge unter den Vorbehalt stellt, sie hätten diese vor allem aufgrund männlicher »Protektion« erreicht.

Angriffe in den sozialen Netzwerken. Auch die Angriffe, Beleidigungen und Drohungen gegenüber Politikerinnen in den sozialen Netzwerken sind massiv, vor allem auf Landes- und Bundesebene, wo 77 beziehungsweise 98 Prozent diese Erfahrung bereits gemacht haben. Frauen erleben dies stärker als Männer in sexualisierter Form. Erneut sind vor allem jüngere Frauen betroffen, überdurchschnittlich häufig auch Politikerinnen mit Migrationsbiografie. Frauen fühlen sich davon auch deutlich stärker belastet als Männer (41 gegenüber 26 Prozent).

Höherer Erwartungsdruck. Zwei Drittel der befragten Politikerinnen sehen sich unter einem anderen und höheren Erwartungsdruck, was ihre Leistung, ihre äußere Erscheinung sowie ihr Privat- und Familienleben betrifft. Sie befinden sich deutlich stärker als Männer, die sowohl zahlenmäßig als auch kulturell weiterhin dominieren, auf einer Gratwanderung zwischen Anpassung und »Auflehnung«, zwischen dem Mitspielen und dem Bestreben, die Spielregeln zu ändern, und dies meist aus einer weniger machtvollen Position heraus. Männer können sich unbefangener und mit größerer Selbstverständlichkeit in der Politik bewegen, während Frauen mehr Energie aufbringen müssen, ihren Platz zu finden und zu behaupten, und zum Teil sich widersprechende Erwartungen – zum Beispiel durchsetzungsstark und zugleich ausgleichend und zurückhaltend zu sein – ausbalancieren müssen.

Herausforderung Netzwerkkultur. Besondere Herausforderungen zeigen sich beim Thema Netzwerke. Frauen haben gegenüber früheren Zeiten deutlich aufgeholt, doch wie die Ergebnisse der Studie nahelegen, sind die informellen Netzwerke von Männern belastbarer und erfolgreicher: Weil Politiker zum Beispiel ihre Kontakte noch aus Zeiten der Jugendorganisationen kontinuierlich pflegen und Erfahrungen miteinander sammeln können, entwickeln sich ihre Netzwerke organisch.

Viele Frauen haben oftmals andere politische Biografien mit mehr Pausen, Quer- und Wiedereinstiegen, die für die politische Karriere problematisch sind. Frauen fühlen sich zudem erst nach und nach angespornt, strategische Personalplanung zu entwickeln, beispielsweise für ihre Nachfolge in einem Mandat. Schließlich haben Männer über lange Zeit eingeübt, mit dem Spannungsverhältnis von Konkurrenz und Loyalität untereinander umzugehen und »strategische Arrangements« zu entwickeln.

Stand der Chancengleichheit: der Gendergap. In vielen Fragen unserer Studie gleichen sich die Einschätzungen von Frauen und Männern. Doch bemerkenswert ist, wie stark sie voneinander abweichen, wenn es um die Erwartungen an Frauen und Männern und den Stand der Chancengleichheit in ihren jeweiligen Parteien geht. Bei allen Unterschieden zwischen den Parteien schätzen Politiker die Situation generell positiver ein und sehen Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern deutlich stärker als bereits erreicht an. Nur 13 Prozent der Politiker denken, dass Männer aktuell bessere Chancen haben, bei den Politikerinnen sind es dagegen 45 Prozent. 30 Prozent der Männer glauben, Frauen hätten bessere Chancen, davon gehen aber nur vier Prozent der Frauen aus. Eine entscheidende Voraussetzung für kulturelle Veränderung ist daher, die unterschiedlichen Erfahrungen und ungleichen Ausgangslagen zwischen den Geschlechtern überhaupt anzuerkennen und sich ihrer Ursachen und Erscheinungsformen stärker bewusst zu werden.

Der Handlungsdruck wächst

Die Parteien agieren nicht außerhalb gesellschaftlicher Entwicklungen, ganz im Gegenteil. Sie sind auf den Rückhalt bei ihren Mitgliedern und die Akzeptanz der Bevölkerung respektive der Wähler*innen angewiesen. Der Erwartungs- und Handlungsdruck auf die Parteien wächst. Selbstverständlich starten die Parteien von einem je unterschiedlichen Ausgangsniveau und verfolgen konzeptionell-programmatisch unterschiedliche Ansätze. Doch in grundlegenden Fragen stehen sie vor vergleichbaren Herausforderungen. Selbst Parteien mit Quotenregelungen erfahren, dass ein umfänglicher Kulturwandel nicht automatisch erfolgt, wenn der Anteil von Frauen steigt.

Es liegt auf der Hand, dass dieser Prozess nicht allein von Frauen bewerkstelligt werden kann, sondern auch der Männer und vor allem des Führungspersonals in den Parteien bedarf. Die Dysfunktionalitäten der parteipolitischen Praxis zuungunsten von Frauen müssen stärker als gemeinsame Probleme wahrgenommen werden; auch, weil sie der Vielfalt und Pluralität in der Gesellschaft entgegenstehen.

All diese Kritikpunkte haben eine ausgeprägte gleichstellungspolitische, aber auch demokratiepolitische Komponente, insofern Veränderungen der politischen Praxis, die die Partizipation von Frauen nachhaltig befördern, auch der Beteiligung weiterer, bisher unterrepräsentierter Gruppen zugutekäme. Die Attraktivität des parteipolitischen Engagements würde erhöht und damit ein Beitrag geleistet, die repräsentative Demokratie zukunftsfester zu machen.

(Die Studie »Parteikulturen und die politische Teilhabe von Frauen« ist abrufbar auf: www.eaf-berlin.de)

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