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Chinas Projekt Neue Seidenstraße Impulsgeber für inklusives Wachstum?

2013 gab Chinas Präsident Xi Jinping bekannt, dass sein Land in Zusammenarbeit mit anderen Ländern einen »Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtel« und eine »Maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts« plane. Ziel sei es, die Entwicklung voranzutreiben und die Zusammenarbeit der betreffenden Länder zu stärken. Seit ihrer Einführung wurde die Belt and Road Initiative (BRI) viel diskutiert, auf politischer, gesellschaftlicher und akademischer Ebene. Trotz der Skepsis einiger westlicher Länder hat sich die Initiative schnell entwickelt. Innerhalb der letzten sechs Jahre hat die BRI durch die Umsetzung konkreter und umfangreicher Projekte Gestalt angenommen. Bis jetzt kooperieren mehr als 120 Länder und 20 internationale Organisationen mit China und sind auf verschiedenen Ebenen Teil der Initiative geworden. Fast alle EU-Staaten sind in unterschiedlichen BRI-Kooperationen involviert. Momentan sind 18 EU-Länder Teil der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (AIIB), von denen 14 sogar Gründungsmitglieder sind. Frankreich, Deutschland und Großbritannien stellen drei der fünf Vizepräsidenten der AIIB und üben so deutlichen Einfluss, sowohl auf die Bank selbst, als auch auf andere Projekte der BRI aus. Duisburg ist die erste europäische Stadt, die durch die neue Seidenstraßen-Eisenbahnstrecke mit China verbunden ist; bis Ende 2018 verband die chinesisch-europäische Eisenbahn bereits 198 Städte in 16 Ländern in Asien und Europa.

Währenddessen gibt es aktuell zwei große Herausforderungen für die globale Wirtschaft: das verlangsamte Wirtschaftswachstum und die gestiegene wirtschaftliche Ungleichheit. Inklusives Wachstum wird daher von Staaten rund um den Globus als wichtige Entwicklungsstrategie erkannt. Auf dem G20-Gipfel in Hamburg wurde 2017 die Notwendigkeit eines »starken, nachhaltigen, ausgeglichenen und inklusiven Wachstums« auf Seite eins des Kommuniqués gesetzt. Aber kann die BRI als Impulsgeber für ebendieses inklusive Wachstum dienen? Kann sie am Rande stehenden Entwicklungsstaaten helfen, ein vollintegrierter Bestandteil des Systems der Weltwirtschaft zu werden? Auf welche Weise können die EU und China kooperieren, um diese Ziele zu erreichen?

Auch abseits der BRI ist die Nachfrage nach inklusivem Wachstum hoch. Gerade durch die Herausforderungen der Globalisierung: die Ungleichheit bei der wirtschaftlichen Entwicklung und Digitalisierung zwischen reichen Industriestaaten und armen Entwicklungsländern. Die ausgedehnten Flächen Eurasiens, von Kaxgar im äußersten Westen Chinas über das kasachische Alma-Ata (heute: Almaty) bis hin nach Teheran und Konstantinopel (dem heutigen Istanbul), waren jahrhundertelang Orte des Handels und der Investitionen von Europa und China. Später wurde die Region jedoch durch Kriege stark mitgenommen und heutzutage finden sich dort einige der ärmsten Länder der Welt, von der Globalisierung abgeschnitten und an den Rand gedrängt. Einer der größten Entwicklungshindernisse in dieser Region ist die schlechte Infrastruktur. Laut Schätzungen der Asiatischen Entwicklungsbank müssen viele verschiedene Infrastrukturprojekte in asiatischen Ländern umgesetzt werden, darunter im Bereich der Energieversorgung, des Transportwesens, der Telekommunikation, Trinkwasserversorgung und Sanitäranlagen. Die instabile Energie- und Telekommunikationsversorgung und die hohen Transportkosten sind Beispiele für die aktuelle Lage. Die öffentlichen Gelder für die nötigen Investitionen reichen aber nicht aus. Gleichzeitig zögern private Investoren aufgrund hoher Risiken, Geld in dieser Region zu investieren.

Große Infrastrukturprojekte wie die BRI haben das Potenzial das inklusive Wachstum in den bis heute kaum integrierten eurasischen Gebieten voranzutreiben. Ein Hauptaugenmerk der BRI liegt auf dem Abbau von grenzüberschreitenden, sich über Tausende von Kilometern erstreckenden Handels- und Verkehrsbarrieren, die das eurasische Hinterland durchziehen. Dies soll vor allem durch Investitionen in eine neue Transportinfrastruktur erfolgen. Eine gute Infrastruktur hat auf unterschiedliche Art und Weise positive Effekte auf die wirtschaftliche Entwicklung und die regionale Integration von Staaten. Beispielsweise würde eine neue transnationale Verkehrsinfrastruktur den Transport schneller und billiger machen. Das wiederum würde neue Industrien anlocken, die neue Arbeitsplätze schaffen, einen Dienstleistungssektor entstehen lassen und sowohl die Haushaltseinkommen als auch das Steueraufkommen erhöhen. Durch den erhöhten Lebensstandard und die umfassendere Versorgung mit öffentlichen Gütern würde die Produktivität steigen. Transnationale Infrastrukturprojekte senken außerdem die Kosten für Handel, Reisen und Kommunikation. Es kommt zu grenzüberschreitenden Transaktionen, die transnationaler Koordination und Regulation bedürfen. Dieser erhöhte Bedarf wiederum treibt die Politik dazu, transnational zu agieren und mit anderen Staaten zu koordinieren. Letztendlich wird dadurch die regionale Integration gestärkt, die zudem die Attraktivität der Gegend für weitere Investitionen aus dem Ausland erhöht.

Des Weiteren stellt eine grenzüberschreitende Infrastruktur ein transnationales öffentliches Gut dar. Die Investoren müssen zwar die Kosten und Risiken der Baumaßnahmen tragen, aber sie sind nicht die alleinigen Nutzer der neuen Infrastruktur. Solche transnationalen öffentlichen Güter leiden oft an der Investitionsträgheit der kollaborierenden Staaten. Tatsächlich sind alle Staaten unabhängig, der Erfolg eines solchen Projekts ist stark von der freiwilligen Zusammenarbeit dieser Länder abhängig. Wenn ein Land davon ausgeht, dass andere Länder bereit sind, ihren Teil beizutragen, ist der Anreiz hoch, auch selbst die Initiative zu ergreifen. Falls ein Land aber davon überzeugt ist, dass andere Länder nur als Trittbrettfahrer auf das Projekt aufspringen wollen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, ebenfalls eine Trittbrettfahrermentalität zu entwickeln. Daher ist es sehr wichtig, dass einige Staaten eine führende Rolle übernehmen. Ohne Frage übernimmt China derzeit diese Führungsrolle, wenn es um transnationale Infrastrukturmaßnahmen auf dem eurasischen Kontinent geht. Hierbei hat China sogar neue Finanzinstitutionen initiiert: Die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank und den Seidenstraßen-Fonds. So kann die BRI die Länder der Region beim Ausbau weiterer transnationaler öffentlicher Güter wie Energieversorgung, Transportwesen und Telekommunikation unterstützen. Nachdem China die BRI vorgestellt hatte, haben andere Länder tatsächlich auch damit begonnen, regionale Infrastrukturprojekte zu fördern. Japan kündigte eine »Partnership for Quality Infrastructure« an, die USA belebten ihren eigenen »New Silk Road«-Plan wieder, Russland plant eine transarktische Verbindung und die EU startete ein eigenes Programm zur besseren Anbindung Europas an Asien. Auch wenn einige dieser Projekte mit der BRI in Konkurrenz stehen, wird durch diese Entwicklungen die Trittbrettfahrermentalität in der Region in absehbarer Zukunft wohl immer weiter zurückgehen. Das wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Infrastrukturverbesserung und inklusiven Wachstums.

Die BRI birgt große Chancen für die Zusammenarbeit zwischen der EU und China, schürt aber gleichzeitig Bedenken. Auch wenn beide Seiten für die jeweils andere die wichtigsten Handelspartner sind, stehen dem wirtschaftlichen Austausch immer noch viele Barrieren im Weg: Restriktionen, Beschränkungen, Ein- und Ausfuhrverbote. Europäische Investoren sehen sich oft nicht auf Augenhöhe mit den chinesischen Mitbewerbern, Chinesen beschweren sich dagegen über Restriktionen, die uneingeschränkte Investitionen in Europa unterbinden. Diese Hürden sind einerseits das Ergebnis wirtschaftlicher Interessen. Hinzu kommt die Differenz zwischen den beiden politischen Systemen. Für Europa stellt China, aufgrund der ungewöhnlichen Verquickung aus globalem Kapitalismus und Kommunistischer Partei einen schwierigen Global Player dar. China nennt sein Modell selbst »Sozialismus mit chinesischer Prägung«, während man im Westen teilweise von »totalitärem Kapitalismus« spricht. Die Europäer erkennen häufig, dass Chinas politisch-wirtschaftliches System sich nicht mit den Grundprinzipien der EU vereinbaren lässt. Im Gegenzug versteht China die EU-Restriktionen als ein vorurteilbeladenes Überbleibsel der westlichen Hegemonialgeschichte der letzten Jahrhunderte. Die traditionelle Art der Zusammenarbeit in China ist sehr flexibel. Europäern fehlt es hier aber an Transparenz, weil oft keine klare Gesetzgebung vorhanden ist. Über einen langen Zeitraum, und teilweise auch heute noch, wird die Zusammenarbeit in China durch informelle Institutionen und Netzwerke organisiert. Die unterschiedlichen Mechanismen sind kein Zufall. Ihr liegt ein essenzieller Unterschied in der Wahrnehmung der Welt zugrunde: China sieht die Welt als einen dialektischen und flexiblen Ort, in dem auch Widersprüche existieren können; im Einklang mit Yin und Yang.

Trotz der Differenzen sollten Europa und China offen miteinander kooperieren, um gemeinsam globale Herausforderungen anzugehen. Niemals zuvor waren die Länder der Welt so stark miteinander verbunden und so abhängig voneinander. Heutzutage sollte die Diversität einer Welt, in der keine zwei Länder dem genau gleichen System und Mechanismus folgen, positiv angenommen werden. Die Welt ist aufgrund ihrer unterschiedlichen Geschichten, Kulturen und Gesellschaften bunt. Wir sollten stets versuchen, auch andere Perspektiven einzunehmen, Zugeständnisse machen und offen für die Interessen anderer sein.

Noch vor einem halben Jahrhundert war China eines der isoliertesten Länder der Welt. Seit Deng Xiaoping vor 40 Jahren die Reform einleitete, hat das Land viele Institutionen umstrukturiert, um der internationalen Gesetzgebung zu entsprechen, hat sich selbst verändert, um von der Welt akzeptiert zu werden. Das China des 21. Jahrhunderts besteht aus einer dynamisch-modernen Wirtschaft und einer weltoffenen Gesellschaft mit einer gut ausgebildeten urbanen Mittelklasse. Der politische Prozess in China ist außerdem weitaus diverser als es viele westliche Länder glauben. Viele Chinesen wollen ein politisches System, das rechenschaftspflichtiger und adressfähiger ist und rechtsstaatlichen Regeln unterliegt. Durch seine steigende Bedeutung in der Weltwirtschaft hat China keine andere Wahl als mit internationalen Partnern zusammenzuarbeiten, trotz diverser Differenzen. Die BRI ist ein Vorschlag in diese Richtung; ambitioniert und mit dem Anspruch, eine Plattform für diversifizierte Kooperation zu bilden. Europa sollte herausfinden, wie man den größten Nutzen aus dieser Gelegenheit ziehen kann. Der beste Weg, die eigenen Interessen zu verfolgen, sind Kommunikation und Engagement für die Initiative, um dort europäische Werte wie Nachhaltigkeit, Transparenz und faire Wettbewerbsbedingungen einzubringen.

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