Natur. Einsamkeit, Glück. Mein Leben in der Wildnis Lapplands; Für sich sein: Ein Atlas der Einsamkeiten; Die positive Einsamkeit: Die Kraft des Alleinseins; Einsamkeit. Die Entdeckung eines Lebensgefühls. All diese Buchtitel suggerieren: Einsamkeit habe auch positive Seiten, man könne zu sich selbst finden, Achtsamkeit oder wunderbare Naturerlebnisse erfahren. Allerdings wird hier, wie so häufig im deutschen Sprachgebrauch, Einsamkeit mit Alleinsein verwechselt. Dabei gibt es einen gewaltiger Unterschied.
Wahrscheinlich kennen die meisten das Gefühl: Ich muss mal Alleinsein. Gerade wenn man kleine Kinder oder im Job mit vielen Menschen zu tun hat und einem abends die Ohren klingeln. Alleinsein kann guttun, Kreativität fördern, beruhigen und ein selbstgewählter Zustand sein.
Einsamkeit hingegen ist immer eine negative Empfindung und keine Entscheidung. Es ist ein Gefühl, das aus der Diskrepanz zwischen gewünschten und tatsächlichen sozialen Beziehungen entsteht. Dabei kommt es weniger auf die Anzahl der sozialen Beziehungen, sondern vielmehr auf die Qualität an. Einsamkeit ist ein Mangel an bedeutenden sozialen Beziehungen. Wir brauchen diese Beziehungen aber dringend; Menschen, die uns nahestehen. Das kann eine Partnerin oder ein Partner sein, Freundschaften oder die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft oder Gruppe. Wir müssen das Gefühl haben dazu zu gehören, Personen zu haben, denen wir uns anvertrauen können.
Warum Einsamkeit alle angeht?
Wie sich Einsamkeit anfühlt, haben viele in der Coronapandemie erlebt. Für viele war das eine schmerzhafte, aber vorübergehende Erfahrung. Einige haben allerdings den Weg aus der Einsamkeit nicht gefunden, manche waren schon vorher betroffen, wiederum andere sind erst später in die Einsamkeit gerutscht. Jede und jeder Zehnte in Deutschland fühlt sich regelmäßig einsam. Während der Coronapandemie 2020 waren es sogar jede und jeder Vierte. Mit deren Ende nahm auch die Einsamkeitsbelastung der Deutschen wieder ab. Anders als es manche Zeitungsüberschriften suggerieren, kann bei Weitem nicht von einer Pandemie der Einsamkeit gesprochen werden. Und trotzdem müssen wir gesamtgesellschaftlich und politisch aktiv gegen Einsamkeit handeln. Denn: Sie hat schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen. Laut Untersuchungen ist sie so schädlich wie der Konsum von 15 Zigaretten am Tag, Alkoholmissbrauch oder starkes Übergewicht mit einem BMI von über 35.
»Die einsame Person kann in einen Teufelskreis geraten, aus dem sie ohne Hilfe nur sehr schwer wieder herauskommt.«
Einsamkeit kann gravierende psychische und physische Folgen haben und sich negativ auf den allgemeinen Gesundheitszustand des Einzelnen auswirken. Die Zusammenhänge und Folgen sind dabei vielfältig und können sich wechselseitig bedingen. Wer einsam ist, kann krank werden und wer krank ist, kann dadurch einsam werden. Einsamkeit ist ein großer Stressfaktor. Sie kann sich negativ auf den Schlaf auswirken und zu Herz-Kreislauferkrankungen und einem erhöhten Blutdruck führen. Gleichzeitig verhalten sich Vereinsamte häufiger gesundheitsschädigend indem sie rauchen oder sich selten bewegen. Auch die Sterblichkeit ist erhöht. Einsamkeit kann auch Depressionen auslösen oder verschlechtern und Depressionen können Menschen sozial isolieren und vereinsamen lassen. Auch mit Angststörungen, Schlafproblemen und Suizidalität gibt es Wechselbeziehungen. Diese können zu einem Aufschaukeln der Probleme führen. Die einsame Person kann in einen Teufelskreis geraten, aus dem sie ohne Hilfe nur sehr schwer wieder herauskommt.
Die gesundheitlichen Folgen von Einsamkeit führen zu erheblichen Kosten für das Gesundheitssystem, zumal einsame Menschen deutlich häufiger zum Arzt gehen, insbesondere zu den Hausärztinnen und Hausärzten. Vereinsamte ziehen sich zudem stärker aus dem Sozialleben zurück und nehmen weniger am gesellschaftlichen Leben teil. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie wählen gehen, ist deutlich geringer.
Schaut man sich an wer anfällig für Einsamkeit ist und wie selektiv Wahlen bereits heute sind, kann dies dazu führen, dass Wahlen noch weniger repräsentativ werden. Das hat gravierende Folgen für die Demokratie. Menschen, die einsam sind, können weniger Vertrauen in staatliche Institutionen haben und sind empfänglicher für Verschwörungstheorien.
Wer ist besonders betroffen?
Grundsätzlich kann Einsamkeit jede und jeden treffen. Dies hat nicht zuletzt die Pandemie gezeigt. Das Risiko zu vereinsamen, ist aber sehr unterschiedlich ausgeprägt. Bei Einsamkeit ist ein u-förmiger Verlauf über die Lebensspanne festzustellen: Jüngere und ältere Menschen sind häufiger betroffen als mittlere Jahrgänge. Frauen weisen eine höhere Einsamkeitsbelastung auf als Männer. Durch die Coronapandemie wurde dieser Effekt noch verstärkt. Verschiedene Studien zeigen, dass soziodemografische Merkmale die Einsamkeitswahrscheinlichkeit beeinflussen.
»Die Faktoren Armut, geringere Bildung und Migration fördern am stärksten die Wahrscheinlichkeit von Einsamkeit.«
Am stärksten fördern die Faktoren Armut, geringere Bildung und Migration die Wahrscheinlichkeit von Einsamkeit. Menschen mit niedrigem Einkommen haben in NRW eine etwa 3,5-mal so hohe Wahrscheinlichkeit zu vereinsamen als Menschen in der höchsten Einkommensstufe. Die deutschlandweiten Zahlen unterscheiden sich nur geringfügig. Neben dem Einkommen bietet bereits Erwerbstätigkeit einen gewissen Schutz gegen Einsamkeit. Dies erklärt sich unter anderem durch die Sozialkontakte am Arbeitsplatz und die Einbindung in Strukturen. Menschen ohne beziehungsweise mit einem niedrigen Bildungsabschluss haben eine doppelt so große Wahrscheinlichkeit zu vereinsamen wie Personen mit einem akademischen Abschluss.
Der dritte deutliche Zusammenhang besteht zwischen Einsamkeit und direkter Migrationserfahrung, sprich wenn die Person selbst immigriert ist. Menschen mit direkter Migrationserfahrung weisen eine 2,5-mal so hohe Einsamkeitswahrscheinlichkeit auf als Menschen ohne Migrationserfahrung.
Das Einsamkeitsbarometer 2024 fasst zusammen: Armut, Care-Arbeit und Migration hängen eng mit starken Einsamkeitsbelastungen zusammen. Dass es einen Zusammenhang von sozialstrukturellen und sozialen Faktoren mit Einsamkeit gibt, zeigt sich auch beim Blick auf weitere Personengruppen, die besonders betroffen sind: Alleinerziehende, Menschen in Pflegeeinrichtungen, Kinder aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status, Menschen mit psychischen Erkrankungen, pflegende Angehörige, die lange Zeit und/oder schwierige Pflegetätigkeiten übernehmen, Menschen mit Behinderung, besonders alte Menschen, Erwerbslose sowie Menschen mit psychischen Erkrankungen. Die Wahrscheinlichkeit von Einsamkeit betroffen zu sein, hängt sehr eng von sozialen und sozialstrukturellen Faktoren ab. Einsamkeit ist kein Versagen eines Einzelnen, sondern oft strukturell bedingt.
Wie Einsamkeit bekämpft werden kann
Einsamkeit hat in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit erfahren. Durch Kontaktbeschränkungen und Lockdowns in der Pandemie haben viele Menschen erlebt, wie sich Einsamkeit anfühlt. Auch in der Politik wurde das Thema aufgegriffen: Eine Enquete-Kommission bearbeitete das Thema im Landtag NRW, im Bund entwarf die Ampelregierung eine Einsamkeitsstrategie und Rheinland-Pfalz hat einen Einsamkeitsbeauftragten, um nur einige Beispiele zu nennen.
»Bereits kleine private Bemühungen um das direkte Umfeld und den gesellschaftlichen Zusammenhalt können einen Unterschied machen.«
Die »Nextdoor Kind Challenge« zeigt, dass bereits kleine private Bemühungen um das direkte Umfeld und den gesellschaftlichen Zusammenhalt einen Unterschied machen können. Unter anderem in den USA und Australien gab es Nachbarschaften, die sich an dieser Aufgabe beteiligt haben. Ziel war es durch einfache Aktionen den sozialen Zusammenhalt in der Nachbarschaft zu verbessern und Einsamkeit zu reduzieren. Maßnahmen waren beispielsweise gemeinsames Einkaufen, jemanden bei einer Bewerbung zu helfen oder zum Arzt zu fahren, aber auch der Plausch über den Gartenzaun oder gemeinsame Aufräumaktionen in der Gegend. Dies führte dazu, dass sich die Einsamkeitsbelastung reduzierte und soziale Beziehungen entstanden und verfestigt wurden. Aber über individuelle Ansätze hinaus muss die Politik tätig werden.
Angesichts der starken Zusammenhänge mit sozialstrukturellen und sozialen Faktoren wie Armut, Bildung und Migration braucht es vor allem strukturelle Änderungen im Kampf gegen Armut, für mehr Bildungsgerechtigkeit und mehr Anstrengungen im Bereich Integration.
Um Einsamkeit besser zu begegnen, ist Prävention maßgeblich. Dafür ist es von immenser Bedeutung die soziale Teilhabe zu stärken und zu ermöglichen, etwa durch eine bessere Unterstützung Alleinerziehender, der konsequenten Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes, der Stärkung von Schulsozialarbeit und der Familienzentren sowie durch Maßnahmen gegen Schulabbrüche.
Gesellschaftliche Teilhabe wie die aktive Vereinsmitgliedschaft, das Singen im Chor oder die Partizipation in einer Partei oder Bürgerinitiative sind ein wichtiger Schutz gegen Einsamkeit ebenso wie starke soziale Beziehungen in der Familie, im Freundeskreis oder in der Nachbarschaft. Wichtig ist auch eine verfügbare und niedrigschwellig zu erreichende Infrastruktur vor Ort. Wir brauchen Begegnungsorte wie den Bolzplatz, das Schwimmbad, die kleine Postfiliale oder den Marktplatz.
Um Menschen, die bereits vereinsamt sind, zu erreichen, müssen sogenannte Brückenangebote ausgebaut werden, die bereits vereinsamte Menschen niedrigschwellig an soziale Kontakte heranführen. Silbernetz e. V. etwa bietet eine Telefonhotline für vertrauliche Gespräche oder die Vermittlung von persönlichen regelmäßigen Telefonaten an und ist zudem ein Mittler an weitere Angebote der Altenhilfe. Denn allein den Weg aus der Einsamkeit zu finden, ist nahezu unmöglich.
Deshalb ist es auch immens wichtig über die Angebote zu informieren und diese besser zu vernetzen. Klassische Ansprechpersonen wie Hausärztinnen und Hausärzte müssen für das Thema sensibilisiert und über die Angebote informiert werden. Dazu bietet sich eine »Landkarte« der Angebote an, wie sie bereits zum Teil erprobt wird.
»Einsamkeitsbelastungen können durch die Aktivierung von Sozialkontakten und Angeboten verringert werden.«
Angebote müssen zudem für alle Betroffenen vorhanden sein. Bisher wenden sie sich vielfach ausschließlich an Ältere. Und auch Menschen, die bisher aus dem Netz wohlfahrtsstaatlicher Angebote herausfallen wie junge Erwachsene, die mit 18 Jahren aus einer Wohngruppe ausziehen, müssen Angebote vorfinden. Auch Änderungen im Gesundheitswesen sind wichtig. Welche positiven Auswirkungen aufsuchende soziale Arbeit auf Einsamkeit haben kann, zeigt das Beispiel des Projekts GemeindeschwesterPlus aus Rheinland-Pfalz. Viele Menschen geben an, sich aus Einsamkeit an das Projekt gewandt zu haben. Einsamkeitsbelastungen können durch die Aktivierung von Sozialkontakten und Angeboten verringert werden. Gesundheitspolitisch sind aber auch mehr Therapieplätze und der Aufbau von sozialpsychiatrischen Zentren wichtig, um Einsamkeit einzudämmen.
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