Das Silicon Valley gilt als Wiege digitaler Technologien und Inbegriff einer Start-up-Kultur. Es ist für Viele eine Keimzelle technischer Innovationen, die nach und nach die Welt erobern und diese bereits verändert haben. Gerade Start-ups als wichtige Impulsgeber der heutigen digitalisierten Wirtschaft leben von einer innovativen Idee. Aber auch aus der Perspektive von Großkonzernen sowie kleinen und mittelständischen Unternehmen sind Innovationen die Grundlage für unternehmerischen Erfolg. In sich stetig wandelnden, digitalen Arbeitswelten können nur innovative Betriebe langfristig erfolgreich sein. Aber viele deutsche Unternehmerinnen und Unternehmer schauen immer wieder in diesen Schmelztiegel der Kreativität, um zu lernen, wie man zu Hause noch erfolgreicher werden kann.
Die immer größer werdenden Start-ups dort haben hingegen häufig ihre ganz eigenen Probleme. Ein vormals kleines Unternehmen beim Wachsen zu begleiten, ist schwer. Gerade Start-ups, die häufig ganz auf den Gründergeist und die Persönlichkeit ihrer Initiatoren ausgerichtet waren, bekommen oft Schwierigkeiten, wenn auf einmal ein ganzes Team oder gar Hunderte von Mitarbeitern gemanagt werden müssen. Mehr Entscheidungen werden notwendig. Absprachen können nicht mehr in gemeinsamer Diskussion getroffen werden, sondern werden von Einzelnen definiert und von diesen in die Kommunikationslinie weitergegeben. Auf einmal gibt es Hierarchieebenen, wo vorher nie welche waren. Die schöne Agilität, die große Unabhängigkeit der Beschäftigten, ihre Selbstständigkeit und komplette Eigenverantwortung gehen flöten. Der Anfangsspirit, in dem alle ihre Meinung sagen konnten und kreativ gemeinsam nach Lösungen gesucht wurde, ist dahin. Die schicken Start-ups drohen langsam, träge und irgendwie gewöhnlich zu werden.
Was diese Unternehmen bräuchten, um innovativ und originell zu bleiben, sind Mitarbeiter, die weiterhin querdenken. Eine eigene Arbeitseinheit, die keiner Linie unterliegt und die frei und kreativ Entwicklungsprozesse und Arbeitsstrukturen überwachen könnte – ohne sich um Hierarchieebenen und Aufstiegschancen scheren zu müssen. Was diese Unternehmen bräuchten, wären: Betriebsräte.
Wenn Unternehmen größer werden, werden sie oft träge. Je mehr Hierarchieebenen eingezogen werden, desto schlechter ist es möglich, spontan Ideen oder gar Kritik an der zuständigen Stelle anzubringen. Aus der Organisations- und Unternehmensforschung wissen wir auch: Egal wie offen Feedback eingefordert wird – in der Realität werden Mitarbeiter, die sich mit Vorschlägen zu weit aus dem Fenster lehnen, eben doch eher bestraft als befördert. Zu unbequem, lästig.
Frei, kreativ, unabhängig
Betriebsräte hingegen sind in der Lage, frei, kreativ und unabhängig innerhalb ihres Betriebs zu agieren. Sie unterliegen keiner direkten Linienführung und sind durch das Betriebsverfassungsgesetz vor Repressalien wie Kündigung aufgrund von unliebsamen Vorschlägen geschützt. Betriebsräte sind es gewohnt, auch außerhalb der Linienführung zu denken und Altbekanntes infrage zu stellen. Oft sind sie es, die aufgrund ihrer Position mit kreativen Vorschlägen Unternehmen eine neue Richtung geben können. Das hat auch mit der Komplexität ihrer Arbeitsbereiche zu tun. Neben »klassischen« Aufgabenfeldern werden Betriebsräte mit immer mehr Aspekten einer Organisation konfrontiert. Die Rolle eines Betriebsrats reicht vom Konfliktmanagement über Kommunikation bis zum wirtschaftlichen Krisenmanagement. Sie kennen den Kostendruck, den die Konzernspitze an den Standort weitergibt aus den Meetings mit dem Management, die Unzufriedenheit der Entwicklungsabteilung, die Vorschläge des Vertriebs sowie die großen und kleinen Sorgen der Beschäftigten aus ihren täglichen Sprechstunden im Betriebsratsbüro.
Betriebsräte arbeiten als demokratisch gewählte Vertreter der Beschäftigten mit der Geschäftsführung und anderen Standorten in Gremien zusammen und gewährleisten so demokratische Partizipation der Belegschaft an Entscheidungen. Sie können mitentscheiden, wie die Beschäftigten und welche von ihnen in Diskussionsprozesse einbezogen werden oder gebündelt die Position der Belegschaft weitertragen. Sie vertreten dabei nicht nur ihre individuellen Interessen, sondern sind für das Wohl aller Beschäftigten verantwortlich und können dafür (z. B. in Wahlen) zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht im Amt, ebenso wie ihr erweiterter Kündigungsschutz unterscheiden sie von nicht gewählten, sondern ernannten Beschäftigten, die die Geschäftsführung nach eigenem Gutdünken in Entscheidungs- oder Entwicklungsprozesse einbezieht. Es ist ihre Aufgabe, Kompromisse herbeizuführen und dabei auch die Bedürfnisse von Minderheiten zu berücksichtigen. Betriebsräte haben also die Funktion, die Position der Beschäftigten einzubringen sowie deren Beteiligung der Beschäftigten bei relevanten Entscheidungen zu garantieren. So sorgen sie dafür, dass Innovationen entstehen und Unternehmen zum Erfolg geführt werden.
In ihrer täglichen Arbeit mit Beschäftigten schaffen Betriebsräte des Weiteren Akzeptanz für Veränderungen – ohne die keine Innovationen entstehen können. Es macht einen Unterschied, ob Betriebsräte voller Überzeugung für Veränderungsprozesse einstehen und vor ihren Kolleg/innen für Veränderungen werben oder selbst von ihnen überrollt worden sind. Damit dies geschieht, ist es wichtig, Betriebsräte frühzeitig in Veränderungsprozesse einzubeziehen und diese mit der Arbeitnehmervertretung gemeinsam zu gestalten. Dies mag auf den ersten Blick umständlich erscheinen, spart jedoch am Ende häufig Zeit und Geld, wenn Arbeitgeber und Beschäftigte gemeinsam an einem Strang ziehen. Auch lassen sich durch das Einbeziehen der Beschäftigten, derjenigen, die z. B. die veränderten Arbeitsabläufe am Ende ausführen sollen, Fehler frühzeitig erkennen und beheben. Eine positive Einstellung des Betriebsrats zu Veränderungen nimmt diesen ihren Schrecken und lässt Arbeitnehmer/innen geplante Innovationen auch umsetzen. Nur so kommen die wichtigsten Ressourcen von Unternehmen zum Zug: Wissen und Können der Beschäftigten.
Für Beschäftigte ist es wichtig, sich im Arbeitsalltag nicht der Willkür ihrer Vorgesetzten ausgesetzt zu fühlen. Die Wahrnehmung von Gerechtigkeit am Arbeitsplatz führt zu höherer Produktivität und Leistungsfähigkeit sowie einem besseren Miteinander – den besten Voraussetzungen für Innovationen. Für das Herstellen von Gerechtigkeit sorgen Betriebsräte. Gibt es eine Arbeitnehmervertretung, können Vorgesetzte nicht einfach nach eigenem Gutdünken entscheiden, wer z. B. im Homeoffice arbeiten darf und wer nicht. Stattdessen handeln die demokratisch gewählten Repräsentant/innen des Unternehmens Betriebsvereinbarungen aus, die klare Regeln festlegen. Oft sind es erst Betriebsräte, die auf eine einheitliche Regelung dringen, wo vorher von Vorgesetztem zu Vorgesetztem völlig unterschiedliche Spielregeln galten. Betriebsräte sorgen für Verfahrensgerechtigkeit und sichern somit die Gleichbehandlung der Beschäftigten.
Innovationsmotor und Konstante
Auch lässt sich in modernen Betrieben ein interessanter Trend beobachten: Arbeitnehmervertreter/innen sind häufig die einzige Konstante in ständig wechselnden Vorständen, Geschäftsführungen und Aufsichtsräten. Während sich Vertreter/innen der Arbeitgeberseite durch ihre Arbeit entweder für höhere Weihen qualifizieren oder bei schlechter Performance ausgetauscht werden, rekrutieren sich Betriebsräte aus dem Kreis der Arbeitnehmer/innen, die zum Teil bereits über Jahre oder Jahrzehnte am Standort beschäftigt sind. Sie sind es, die ihre Produkte oder Dienstleistungen in allen Einzelheiten kennen, wandelnde Märkte begleiten und Kundenanforderungen vorausahnen können. Das reine Beurteilen, Verhandeln und Ausbessern von Vorschlägen oder Entwürfen der Arbeitgeberseite ist dabei längst nicht mehr ihre einzige Aufgabe. Arbeitnehmervertreter/innen sind häufig bereits frühzeitig in die Entwicklung und Begleitung von Veränderungen eingebunden und gestalten diese maßgeblich mit. Betriebsräte übernehmen somit sowohl soziale als auch wirtschaftliche Verantwortung für die Beschäftigten eines Unternehmens und sind ein wichtiger Stabilisator von Betrieben, um diese langfristig erfolgreich zu machen.
Für innovative Start-ups ist die Vielfalt in der Belegschaft längst zumindest formal ein Muss, aber auch deutsche Unternehmen haben heute vielfältigere Arbeitnehmerschaften als jemals zuvor. Megatrends wie Globalisierung, Feminisierung und der demografische Wandel führen zu kulturell, geschlechtlich und altersgemischten Belegschaften. Dennoch wird Vielfalt als Treiber für Innovationen von Vielen weiterhin unterschätzt. Das Schlagwort Diversität finden viele Arbeitgeber zwar gut, eine konkrete Strategie in dieser Richtung gibt es hingegen nur selten. Ganz anders bei Betriebsräten: Sie betreiben Diversity-Management bereits seit Jahrzehnten, auch wenn es bei ihnen meist ganz anders bezeichnet wird. Nach § 80 des Betriebsverfassungsgesetzes sind Gleichbehandlung der Geschlechter, Integration und Inklusion originäre Aufgaben eines Betriebsrats. Mit Vereinbarungen zu betrieblichem Eingliederungsmanagement schaffen sie die Möglichkeit, kranken Beschäftigten ihren Arbeitsplatz zu sichern, sorgen für Genderdiversität in Aufsichtsräten, agieren als »Integrationslotsen« für Kolleg/innen mit Migrationshintergrund. Betriebsräte schaffen seit Langem, was sich viele Unternehmen erst mühsam erarbeiten müssen.
Betriebsräte fördern also eine innovative Unternehmenskultur, denn sie organisieren Partizipation der Beschäftigten und Akzeptanz von Veränderungen. Sie sorgen für Gerechtigkeit im Betrieb, übernehmen wirtschaftliche und soziale Verantwortung, sind Diversity-Manager und Kreative in einem. Gute Geschäftsführungen wünschen sich gute Betriebsräte, denn sie wissen: Um im digitalen Zeitalter Schritt zu halten, sind Betriebsräte nicht das Problem, sondern die Lösung. Das müsste den Managern im Silicon Valley nur noch mal jemand sagen.
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