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© picture alliance / imageBROKER | Jochen Tack

Über falsch verstandene Freiheit und die Diskreditierung des Staates Irgendwann ist auch mal gut

Eine der am häufigsten gebrauchten rhetorischen Keulen ist die Brandmarkung als »Verbotspolitik«! Verstanden als ein Vorwurf, verbirgt sich dahinter die Vorstellung, der Staat habe nicht das Recht, den Bürgerinnen und Bürgern »etwas zu verbieten«. Dabei geht es nicht um irgendwelche Verbote. Es geht um Einschränkungen des individuellen Konsumverhaltens. Und es geht dabei sowohl um Verbot als auch um Verzicht.

In den meisten Fällen handelt es sich um Vorschläge, mit denen auf die Herausforderungen des Klimawandels reagiert werden soll. Die Verbots- und Verzichtsideen gründen dabei auf der Überzeugung, dass ein Beibehalten unserer tradierten Produktions- und Konsummuster nicht mehr zukunftsfähig ist. Wenn sich jedoch die Mehrzahl der deutschen Politiker*innen in den letzten Jahren in einer Frage einig waren, dann in der Ablehnung von »Verbotspolitik« als einem legitimen staatlichen Steuerungsinstrument. Klimawandel hin oder her.

Staatliche Verbote des eigenen Konsumverhaltens sind für viele schlicht unzumutbar. Weder will man sich den Konsum von Billig-Discounter-Nackensteaks madig machen lassen, noch will man sich vorschreiben lassen, welche Antriebsart das eigene Auto besitzt, wie oft man Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff macht oder ob man zum Heizen einen Feinstaub schleudernden Holzofen benutzt. Interessant an der deutschen Debatte ist, dass man selten das Für und Wider der geplanten Maßnahmen diskutiert, sondern Verbote einfach von vornherein ablehnt. Und zwar deswegen, weil es Verbote sind.

Erstaunlich ist dabei auch, dass es nicht nur die potenziellen Konsument*innen sind, die sich gegen eine Verbotspolitik aussprechen. Es sind und waren gleichzeitig auch häufig die Politiker*innen selbst, die den Wähler*innen deutlich signalisieren wollten, was sie von ihnen erwartet werden kann: alles, nur keine Verbote und keinen Verzicht.

Wenn also die Bürger*innen der Meinung sind, autonom und ungestört eigene Konsumentscheidungen fällen zu können, unterstützt die Politik gleichzeitig die Vorstellung, das ein solcher Anspruch legitim ist. Neben dem Credo, dass ein Staat seine Bürger*innen nicht zu bevormunden habe, ihnen also nicht vorschreiben sollte, was sie zu tun und zu lassen hätten, wird auch das Trumpfargument der Freiheit immer wieder angeführt. Verbote und Verzichtsvorstellungen grenzen individuelle Freiheitsrechte ein. Wenn individuelle Freiheit aber das höchste Gut ist, wird Verbotspolitik noch einmal auf ganz besondere Art und Weise delegitimiert.

Niemand mag gerne Verbote und niemand möchte, dass der Staat ständig vorgibt, was man darf oder nicht darf. Die generelle und oft hysterische Ablehnung von Verboten und Verzichtsideen als staatliche Steuerungsinstrumente fußt jedoch auf einem nicht mehr zeitgemäßen Politik- und Gesellschaftsbild. Es ist die Idee der Konsumentensouveränität. Damit ist nicht einfach gemeint, dass die Kundschaft das Marktangebot bestimmt. Sondern hinter der Vorstellung von Konsumsouvenität versteckt sich eine zutiefst undemokratische Vorstellung sozialer Organisation.

Diese Souverämität wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts bewusst als ein Gegenmodell zu einer Gesellschaft entworfen, in der damals erstmalig das allgemeine Wahlrecht galt. Während von nun ab nämlich eine Mehrheitsentscheidung bedeuten konnte, demokratisch gezwungen zu werden, etwas zu tun, was man eigentlich nicht möchte, und während sich vielleicht politische Mehrheiten bildeten, deren Ziele man nicht teilte, muss sich die individuelle Konsumentscheidung nach niemandem richten.

Während die Demokratie womöglich Anpassungen verlangt, verspricht der Markt grenzenlose Freiheit. Neoliberale Denker gehen seitdem sogar bis zu der Behauptung, dass jede Banknote einen Wahlzettel darstellt. Im Gegensatz zur Demokratie mit ihren langen Fristen sei dies ein Wahlzettel mit jederzeit widerrufbarem Mandat.

Konsumentensouveränität postuliert nicht nur, dass es für das Funktionieren von Märkten und damit von Gesellschaften am vorteilhaftesten sei, wenn das Individuum selbst und ungestört und vor allem ohne staatlichen Einfluss entscheiden könne, was es konsumiert. Sie baut auch auf einem Bild auf, das im Staat einen Gegner sieht, dessen Aktivitäten vor allem eins tun: die freie Konsumentscheidung der oder des Einzelnen zu stören.

Egoismus statt Verantwortungsgefühl

Außerdem wird ein Vorteil der Konsumentensouveränität darin gesehen, dass das konsumierende Individuum seine Auswahlentscheidung gegenüber niemandem rechtfertigen muss – außer gegenüber sich selbst. Die Freiheit am Markt bedeutet aber auch, frei von Verantwortung zu sein. Die Konsumentensouveränität feiert den Egoismus. Er ist ihr Held. Er bleibt es auch, obwohl schon lange klar ist, dass egoistisches Konsumverhalten massiv Umwelt und Ressourcen zerstört.

Zu den irritierenden Wirkungen der Begeisterung für Konsumentensouveränität gehört deshalb, dass man jahrzehntelang die Vorbehalte von Umwelt- und Naturschützern bezüglich bestimmter konsumtiver Praktiken ins Lächerliche zog und sich fast mit stolzem Trotz darüber lustig machte. Vor allem, wenn es um die Forderung ging, für Konsumverhalten Rechenschaft abzulegen und sich einer Verantwortung zu stellen. Politiker*innen, die voller Inbrunst beteuern, Konsumentensouveränität zu achten und niemals Verbote und Verzicht predigen, signalisieren unmissverständlich: Es mag zwar sein, dass es einen Klimawandel gibt. Aber das bedeute noch lange nicht, dass tradierte Konsummuster auf den Prüfstand gestellt werden müssten.

Es ist erstaunlich, wie stark dieses Idealbild des Konsumentensouveräns in den Köpfen vieler Menschen verankert ist. Zumindest bei denen, die sich heftig gegen Verbotspolitik und Verzicht wehren. Und erstaunlich daran ist auch, wie ausgeprägt gleichzeitig das Bild eines Staates ist, der als Gegner wahrgenommen wird, als ein Bremsklotz, als ein Hindernis. Wer eine solche negative Vorstellung vom Staat hat, kann es sich nicht als zumutbar vorstellen, dass der Staat individuelles Verhalten zu regulieren versucht.

Aber ist es nicht Tatsache, dass wir in punkto Nachhaltigkeitstransformation schon zu viel Zeit verloren haben? Dass wir in praktisch allen Bereichen unser Verhalten möglichst schnell anpassen und verändern müssen? Und scheint der Souverän Konsument überhaupt in der Lage, alleine, autonom und ungestört die für eine nachhaltige Entwicklung notwendigen Entscheidungen zu fällen, um das eigene Konsumverhalten anzupassen?

Ist also für eine Transformation zu mehr Nachhaltigkeit nicht auch unbedingt ein neues Bild von Staat und Gesellschaft notwendig? Wer will allen Ernstes weiter an der Idee festhalten, dass ungebremster individueller Konsum ein unantastbares Freiheitsrecht ist? Wer will weiterhin eine Gesellschaft propagieren, in der man stolz darauf ist, keine Rechenschaft für seine Konsumentscheidung abzulegen? Und will man weiterhin an einem Bild vom Staat festhalten, der lediglich ein ungeliebter Gegner ist?

Wir sollten statt dessen wieder ein Bewusstsein dafür entwickeln, wer der wirkliche Souverän ist – nicht der Konsumentensouverän, sondern die Gesamtheit der Bürger*innen, die den Staat demokratisch steuern. Kann es da wirklich nicht einen Konsens darüber geben, dass jede*r das Konsumverhalten anpassen muss? Kann es nicht möglich sein, einem demokratischen Staat zuzubilligen, dass es aufgrund der Notwendigkeiten der Transformation nötig sein kann, Verbote auszusprechen und Verzichtspläne aufzulegen? Sind Verbote wirklich eine so große Zumutung? Hier mehr Demokratie zu akzeptieren, wäre wirklich eine Zeitenwende. Eine, die nach Jahrzehnten der neoliberalen Schwächung demokratischer Ideen und Prozesse diese endlich wieder stärkt – und dabei deutliche transformative Signale sendet. Dabei spielt auch die Moral eine entscheidende Rolle. Ein Argument gegen Verbot und Verzicht lautet schließlich häufig, dass diejenigen, die für eine Veränderung der individuellen Konsummuster eintreten, ihren moralischen Zeigefinger erheben.

Auch das wird als Zumutung empfunden. Aber was kann in einer Demokratie falsch daran sein, offen darüber zu diskutieren, welches Verhalten richtig und welches falsch ist? Wie sonst kann man die Bedürfnisse zukünftiger Generationen berücksichtigen oder die negativen Effekte unseres Konsums auf Menschen und die Umwelt in entfernten Weltregionen in Betracht ziehen, wenn wir nicht offen beklagen dürfen, dass ein bestimmtes Konsumverhalten zwar die individuelle Souveränität schützt, aber ansonsten hauptsächlich Schaden anrichtet?

In der Demokratie kann es keinen ernstzunehmenden Widerstand gegen Moraldebatten geben, weil diese Debatten in den demokratischen politischen Meinungsbildungsprozess eingebettet sind. Damit sind auch Widerstand und konträre Meinungen erlaubt. Für den Fall, dass daraus Verbote und Verzichtspläne resultieren, ist die Zustimmung einer Mehrheit notwendig.

Die Hauptschwierigkeit jedoch ist der ideelle Stellenwert eines Freiheitsbegriffs, der sich lediglich auf die konsumtive Freiheit bezieht. Der die Identität einer Person daran festmacht, ob in freier Entscheidung und ohne staatliche Einschränkungen konsumiert wird. Erst wenn wir hingegen in der Einschränkung eine andere, zukunftsfähigere und gerechtere Freiheit erkennen, kann Transformation gelingen. Freiheit ist dann die Übernahme von Verantwortung – zur Rettung unserer eigenen Lebensgrundlage und in Rücksichtnahme auf andere.

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