Ja, denn eine Flucht vor der Debatte ist keine Option.
Sicher, Krisenzeiten befördern selten die Bereitschaft zu Selbstkritik. Offenkundig können sich Teile des progressiven Lagers selbst ein knappes Jahrzehnt nach Trump und Brexit-Schock keinen wirklichen Reim darauf machen, warum sich Mehrheiten von ihnen abwenden. Wobei: Einen Reim macht man sich schon. Doch leider allzu häufig den falschen.
Auch die nun hier aufgeworfene Frage zum Umgang mit der AfD spiegelt ja letztlich die Überzeugung, westliche Demokratien hätten es beim Höhenflug der Rechten ausschließlich mit einer Art kontextlosem irrationalen Naturereignis zu tun. Mit einem Aberglauben, dem nicht mit Argumenten, sondern eher mit Exorzismen zu begegnen ist. Ja. Entrüstung ist verständlich. Doch komplexeren Realitäten wird sie nicht gerecht und sie stellt eine merkwürdige Abkehr dar vom Vertrauen in die deliberative Demokratie. Ist es nicht befremdlich, dass ein politisches Milieu, das einst Ursachenforschung selbst bezogen auf die RAF anmahnte, nun jede Befassung mit AfD-Positionen als Dammbruch verurteilt? Wo bleibt der Glaube an die Kraft der eigenen, besseren, Argumente?
Entrüstung wird den komplexeren Realitäten nicht gerecht.
Sicher: Indiskutable Positionen gehören nicht normalisiert und Abstrusitäten dürfen durch Aufmerksamkeit nicht noch aufgewertet werden. Nicht jede Sorge ist legitim. Und die Möglichkeiten der inhaltlichen Befassung sollten nicht überschätzt werden. Eine Abrakadabra-Bekehrung von rechten Agitatoren durch die Kraft der Logik dürfte ein Wunschtraum bleiben. Doch ist die Politik damit ans Ende ihrer Möglichkeiten gelangt?
Muster rechter Mobilisierung
Die Meinungsforschung in westlichen Demokratien belegt recht eindeutige Muster der rechten Mobilisierung. Migration, Unbehagen mit einer als übergriffig wahrgenommenen Transformation und, ja, die auch progressiv befeuerten Kulturkämpfe: Das sind die Hauptzutaten der toxischen Mixtur, die fortschrittlichen Parteien ihre traditionellen Wählerschichten abspenstig macht. Und in diesen Fragen müssen die Patentrezepte von rechtsaußen entzaubert werden.
Der Versuch aber, nun ganze Diskussionskomplexe zu umgehen, weil diese angeblich das Geschäft der Populisten erledigen, muss sich dabei als wirkungslos erweisen. Denn die Themenvermeidung wird von rechtsaußen mittlerweile geradezu als Dienstleistung betrachtet. Die Fragen verschwinden ja nicht von der Agenda, sondern werden lediglich einem Gegner überlassen, der sich zu allem Überfluss noch nicht einmal einer Debatte stellen muss, sondern einen Freifahrtschein erhält. So betrachtet wird die Haltung zur Selbstbeschädigung.
Angesichts dieser Lage ist es höchste Zeit, den Zielkonflikt zwischen Notwendigkeiten und Umsetzungsmöglichkeiten neu auszuloten, wo nötig Kurskorrekturen anzugehen und rechtsaußen durch bessere Problemlösungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Stattdessen aber setzen Teile des progressiven Lagers lieber auf ins Autoritäre driftende Diskurskontrolle und auf eine immer schrillere – und historisch verharmlosende – Beschwörung des Antifaschismus.
»Punktuelle Entkoppelung progressiver Eliten von gesellschaftlichen Mehrheiten.«
Gewiss muss Rechtsextremismus bekämpft werden. Doch nüchtern betrachtet belegt die Meinungsforschung derzeit nicht so sehr die breite Radikalisierung westlicher Mittelschichten, sondern eher eine punktuelle Entkoppelung progressiver Eliten von gesellschaftlichen Mehrheiten. In einer solchen Konstellation aber droht sich der »Kampf gegen rechts« in einen Kampf gegen politische Responsivität zu verwandeln. Faktisch könnte die progressiv ausgerufene Levée en Masse daher nicht so sehr der rechten Revolte den Weg an die Macht verstellen, sondern eher dem progressiven Lager den Weg zurück in eine mehrheitsfähige Politik.
Denn was wäre die Alternative? Wenn die Auseinandersetzung mit politischen Wettbewerbern zur Unmöglichkeit erklärt wird, schwinden die Optionen. Ist es dann tatsächlich Zeit für den bewaffneten Widerstand, wie einzelne Stimmen derzeit in Frankreich ernsthaft erörtern?
Bislang scheint juristische Mobilisierung das Mittel der Wahl. US-Bundesstaaten versuchen, Trump vom Stimmzettel zu streichen. In Frankreich wehrt sich Marine Le Pen gegen Versuche, ihre Präsidentschaftskandidatur juristisch zu verhindern und Berlin diskutiert ein AfD-Verbot.
Die umstrittene Verbotsfrage
Ja: Volksverhetzung ist ein Fall für den Staatsanwalt. Doch der Rechtsweg ist kein Ersatz für Politik. Jede juristische Antwort verstärkt bekanntlich nur den von rechtsaußen gepflegten Opferstatus. Zudem aber ist auch strategisch zu fragen, was Verbote bewirken. Schließlich bleibt kein politisches System dauerhaft stabil, wenn ein Drittel des Elektorats nicht mehr abgebildet wird. Wobei ein Drittel noch vorsichtig geschätzt ist. Denn warum bei Trump, Le Pen und der AfD stoppen? Stehen in Berlin nicht auch das Bündnis Sahra Wagenknecht, die Freien Wähler und die WerteUnion für eine andere Republik? Sind auch sie für die Debatte verloren oder gar Kandidaten für ein Parteiverbot?
Ganz zu schweigen von den internationalen Herausforderungen. Gilt für die italienische Ministerpräsidentin oder für einen zurückgekehrten Donald Trump ebenso: Eine Diskussion erübrigt sich?
Nein: Eine Auseinandersetzung ist alternativlos. Dabei aber dürfen Sorgen nicht mit Klagen über falsches Bewusstsein beantwortet werden, sondern mit besserer Politik.
»Der Rechtsweg ist kein Ersatz für Politik, eine Auseinandersetzung ist alternativlos.«
Die Botschaft aus Wahlen und Umfragen lautet: Wenn das progressive Lager den Wunsch nach Kurskorrekturen nicht bewerkstelligt, wird der Souverän Kräfte mit der Umsetzung beauftragen, die diesen Auftrag erfüllen – dann allerdings mit schlimmen Kollateralschäden.
Und weil diese Tatsache in Wirklichkeit eine Selbstverständlichkeit darstellt, ist eine inhaltliche Befassung mit rechtsaußen ja ehrlicherweise bereits in vollem Gange: Nicht nur in Deutschland. Migrationsabkommen, Korrekturen in der Klimapolitik und ein Kurs der Vernunft in der Ukraine: Jeder konkrete Lösungsansatz ist ein Baustein, der dem toxischen Mix von rechtsaußen eine Antwort entgegenstellt. Eine Flucht vor der Debatte aber leistet hierzu keinen Beitrag.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!