Nein, denn jede öffentliche Auseinandersetzung mit der AfD wird von ihr missbraucht für politische Propaganda.
Ich habe Skrupel, wenn ich diese Sätze schreibe. Denn all mein Denken um Demokratie, Öffentlichkeit und Aufklärung kreist um die Vorstellung, dass zum gemeinsamen Leben und Entscheiden das gemeinsame Gespräch auf Augenhöhe gehört. Es ist wichtig, Menschen und ihre Meinungen zu hören, Positionen gegeneinander abzuwägen und einen Kompromiss zu schmieden, in dem sich möglichst viele wiederfinden.
In einem guten Gespräch geht man aufeinander ein, hört zu, versucht die Position des anderen zu verstehen, bevor man mit einer eigenen Aussage reagiert. Am Ende wird sich in einem vernünftigen, wahrhaftigen Gespräch auch das bessere Argument durchsetzen. Das ist eine entscheidende Säule liberaler Demokratien.
»In der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie zählt nicht das bessere Argument.«
Genau an dieser Stelle setzt allerdings eine gewaltige Fehlannahme ein. Der digitale Strukturwandel der Öffentlichkeit hat neue Kommunikationsarenen geschaffen, in denen andere Regeln gelten. In der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie zählt nicht das bessere Argument. Die Algorithmen der sozialen Netzwerke belohnen die griffigste Parole, die drastischste Zuspitzung und die gewaltigste Emotion. Und die AfD nutzt diese Mechanismen. So wird die inhaltliche Debatte mit ihr zur Staffage, um die eigenen Narrative zu verbreiten.
Wut und Hass als Stilmittel
Egal ob Talkshow, Rededuell der Spitzenkandidaten oder Bundestagsdebatte – jeder Versuch einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der AfD wird genutzt als Bühne für einen Social-Media-Auftritt, der es in sich hat. Mit hohem Ressourcenaufwand und mit einer gewissen Skrupellosigkeit werden die Auftritte der AfD-Politiker so zusammengeschnitten und inszeniert, dass sie perfekt die Punchline der jeweiligen Plattformen und Vorfeld-Medien der AfD bedienen. Und diese gelingt mit Wut, Hass, Ärger, Verzerrung und Verächtlichmachung.
»Permamenter Wahlkampf statt Suche nach Lösungen.«
Wer tatsächlich das jeweilige Ereignis verfolgt hat, kann sich über den Zusammenschnitt durch die Medienprofis der AfD nur wundern. Man hat oft das Gefühl, auf einer ganz anderen Veranstaltung gewesen zu sein. Denn mit dem tatsächlichen Verlauf des Gesprächs oder gar mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung hat der Video-Schnipsel auf den Kanälen der AfD kaum mehr etwas zu tun. Ob es wirklich so war, das spielt keine Rolle. Entscheidend ist die Reichweite. Starke Emotionen erhöhen die Aufmerksamkeit und werden gezielt genutzt, um die Interaktion mit den Videos der AfD zu erhöhen.
Nicht die inhaltliche Auseinandersetzung steht im Vordergrund, sondern die ständige politische Kampagne. Permanenter Wahlkampf statt Suche nach Lösungen. Die Botschaften dabei sind simpel: Die Lage ist verheerend, denn davon leben die Populisten. Das Abendland ist kurz vor dem Untergang, alle anderen politischen Akteure sind eine weltfremde Elite: Sie sind unaufrichtig, korrupt, unfähig (»Dieses Land wird von Idioten regiert.« Alice Weidel) oder unwillig (»Denn sie hassen dieses Land«, auch Alice Weidel), die Krise zu lösen.
Die einzelnen Stilmittel entsprechen dabei der klassischen politischen Propaganda. Es wird Angst erzeugt vor einer vermeintlichen Bedrohung, die anderen werden diffamiert, weil sie diese Bedrohung nicht angehen, es kommt zur Verächtlichmachung seriöser Quellen, Fakten werden aus dem Zusammenhang gerissen und bis zur Unkenntlichkeit verdreht, bis sie der Etablierung alternativer Erzählungen dienen.
»Der politische Raum wird in eine Kampfarena umgebaut.«
Die Vorstellung, dass man darauf mit einem sachorientierten Dialog reagieren könne, läuft an der Diskursstrategie der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten vorbei. Die Annahme, dass man die politischen Unternehmer, die sich dieser Techniken bedienen, inhaltlich stellen könne, spielt ihnen in die Hände. Es geht ihnen nicht um politische Lösungen oder eine sachorientierte Debatte. Es geht nicht um die Bewältigung politischer Herausforderungen, sondern darum, den politischen Raum in eine ständige Kampfarena umzubauen.
»Ihr kämpft in einem Krieg.« Mit diesen martialischen Worten hat der ehemalige Oppositionsführer der US-Republikaner Newth Gingrich 1978 eine Gruppe junger Republikaner darauf eingeschworen, mit den etablierten Regeln der Politik zu brechen. Politik ist nach diesem Verständnis Kriegführung, wie es Steven Levitsky und Daniel Ziblatt in ihrem Buch zum Sterben der US-amerikanischen Demokratie eindringlich beschrieben haben. Grundpfeiler liberaler Demokratien wie gegenseitiger Respekt, eigene Mäßigung und die Akzeptanz gemeinsamer Spielregeln wurden damit systematisch abgeräumt.
Der abgewählte US-amerikanische Präsident Donald Trump hat es weit gebracht mit der Ummünzung des politischen Wettbewerbs in einen Kampf, bei dem jedes Mittel recht ist. Sein Wahlerfolg 2016 war von genau dieser Strategie geprägt. Die Washington Post hat allein für seine vierjährige Amtszeit sage und schreibe 30.573 falsche oder irreführende Aussagen gezählt. Ständig ging es darum, den politischen Mitbewerber zu diskreditieren. Während der Coronapandemie waren es 150 Falschaussagen pro Tag. Im Wahlkampf Clinton–Trump wirkte die demokratische Kandidatin fast hilflos mit ihrem Versuch, Trump immer wieder mit Sachargumenten zu stellen und Lösungen vorzuschlagen. So redlich sie sich auch mühte, wieder zur Sache zurückzukommen, am Ende lag die Aufmerksamkeit bei Trump.
Flood the zone with shit
Dabei geht es nicht allein darum, den politischen Wettbewerber zu diskreditieren oder andere Positionen populär zu machen. Die Strategie rechtspopulistischer und rechtsextremer Meinungsmacher geht weiter: »Flood the zone with shit.« Steve Bannon, einer der Vordenker des Trumpismus, der auch in der neuen Rechten in Deutschland seine Fanboys gefunden hat, brachte es auf den Punkt. Es werden so viele Falschnachrichten, Halbwahrheiten und Behauptungen in die Welt geblasen, bis jedes Vertrauen in den öffentlichen Diskurs zusammenbricht. Dann erscheinen auch belegte Fakten nur noch als eine beliebige Deutung der Welt und die eigene politische Propaganda muss sich nicht mehr an den Fakten messen lassen. Auf dieser Grundlage ist keine inhaltliche Auseinandersetzung mehr möglich.
Belegte Fakten erscheinen nur noch als beliebige Deutung der Welt.
Wenn man angesichts all dessen die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD meidet, stärkt sie das dann nicht in ihrer Opfer-Erzählung? Wird sie dann nicht ausgegrenzt und kann umso mehr, behaupten, Opfer der Medien oder anderer Parteien sein. Nein, denn die Ausgrenzung von einem sach- und ergebnisorientierten Austausch wird ja durch die Kommunikationsstrategie der AfD und deren Inhalte selbst vorgenommen. Und das Opfer-Narrativ wird von der AfD ehedem bespielt, egal wie viel Sendezeit und Aufmerksamkeit ihr zuteilwird. Für all die Medien, Akteure in der Zivilgesellschaft und die politischen Kräfte, die an einem ernsthaften, wahrhaftigen, sachorientierten Austausch interessiert sind, gilt es Kurs zu halten, öffentliche Arenen nicht der AfD zu überlassen und sich nicht auf deren gefährliches Spiel einzulassen.
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