Ja, denn Arbeitszeitverkürzung bei Lohnausgleich ist selbstverständlich Teil der Verhandlungen um gute Arbeitsbedingungen, und gerade in Anbetracht aktueller Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt kann Arbeitszeitverkürzung eine sinnvolle Antwort sein.
Die Senkung der Arbeitszeiten – bei Lohnausgleich – war schon immer ein wichtiges gewerkschaftliches Interesse. Legendär wurde der Slogan »Samstags gehört Vati mir«, mit dem sich der DGB für die Fünf-Tage-Woche einsetzte.
Historisch zeigt sich: Die Arbeitszeit wurde zwar weniger, die Produktivität ist aber gestiegen, der Wohlstand wurde vermehrt. Volkswirtschaft und Unternehmen profitierten auch, weil die bei vollem Lohnausgleich gewonnene Freizeit von den Beschäftigten für den Konsum genutzt wurde.
Arbeitszeiten, die zum Leben passen
In Zeiten des veränderten Arbeitsmarktes und des demografischen Wandels wird heute wieder über eine mögliche Arbeitszeitreduzierung diskutiert. In aller Munde ist derzeit die Vier-Tage-Woche, die von den einen als Zukunftsvision gepriesen wird, während andere sie als Ausdruck sinkender Arbeitsmoral kritisieren und den Niedergang der deutschen Wirtschaft befürchten.
Aus Sicht der Gewerkschaften darf die Diskussion nicht auf ein Modell verengt werden. Die Vier-Tage-Woche kann eines von vielen sinnvollen Gestaltungsinstrumenten der Arbeitszeit sein. Akzeptanz kann sie ohnehin nur da finden, wo sie mit Arbeitszeitverkürzung und Lohnausgleich einhergeht.
Was wir brauchen, sind moderne Arbeitszeitmodelle, die zum Leben passen. Aus Sicht der Gewerkschaften geht es darum, den Beschäftigten mehr Gestaltungsspielraum zu ermöglichen.
Beschäftigte in Deutschland arbeiten nicht zu wenig
Die Wünsche der Beschäftigten nach mehr Zeitsouveränität am Arbeitsplatz und besserer Vereinbarkeit sind groß. Eine Arbeitszeitreduzierung mit Lohnverzicht können und wollen sich viele nicht leisten, und sie wäre schlecht für die Staatseinnahmen und die Sozialversicherung.
Die Beschäftigten in Deutschland arbeiten viel und mit hoher, stetig wachsender Produktivität. Es werden sehr viele Überstunden gemacht, ein erheblicher Teil davon unbezahlt. Die Menschen arbeiten tatsächlich viel mehr, als auf dem Papier steht. Dass die durchschnittlichen Arbeitsstunden der Erwerbstätigen niedriger sind als früher, liegt auch daran, dass viele Frauen, die es früher gar nicht waren, heute in Teilzeit erwerbstätig sind.
Längere Arbeitszeiten sind das falsche Signal.
Gegenteilige Forderungen nach längeren Arbeitszeiten und mehr Überstunden gehen vollkommen an der Realität vorbei: Zum einen zeigen uns viele Daten, dass es sich nur wenige zutrauen, bis zur Rente durchzuhalten. Steigende Zahlen bei der Erwerbsminderungsrente belegen, dass viele Beschäftigte bereits jetzt hoch belastet sind. Das gilt es anzuerkennen und zu lindern. Wir müssen die Arbeitswelt so gestalten, dass die Menschen gesund bleiben und bis zum Renteneintritt durchhalten können.
Zum anderen haben wir in Deutschland brachliegende Arbeits- und Fachkräftepotenziale: Da gibt es etwa die vielen Frauen, die unfreiwillig in Teilzeit sind, weil die Kita- und Pflegeinfrastruktur im Argen liegt und die Arbeitszeiten zu unflexibel sind, oder die vielen jungen Menschen ohne Berufsabschluss – bei denen wir einen neuen Höchststand erreicht haben –, denen wir eine Chance geben müssen.
Wer Fachkräfte will, muss auch attraktive Arbeitszeiten bieten
Fachkräfte können nur durch bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen gewonnen und gehalten werden. Selbst eher arbeitgebernahe Ökonomen erkennen, dass höhere Löhne in vielen Bereichen helfen würden, Fachkräfte zu gewinnen. Das gilt aber auch für attraktivere Arbeitszeitmodelle. Arbeitszeitreduzierung kann auch ein Instrument sein, um erfahrene Beschäftigte länger im Unternehmen zu halten.
Zugleich zeigt ein Blick auf Daten der Arbeitsagentur: Es besteht kein allgemeiner Fach- oder Arbeitskräftemangel. Fach- und Arbeitskräfte fehlen derzeit auch und gerade in einigen Branchen, die für niedrige Entgelte und schlechte Arbeitsbedingungen bekannt sind.
Es ist eine Herausforderung, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Wie sich das aber konkret auswirkt, hängt von der Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens ab, das durch Produktivitätssteigerungen, Ausschöpfung inländischer Potenziale und Einwanderung beeinflusst wird. Das ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Jetzt einseitig nach Arbeitszeitverlängerung zu rufen, verkennt die Komplexität des demografischen Wandels.
Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen als Gestaltungsinstrumente
Wie eine moderne Arbeitszeitgestaltung im Detail aussehen kann, muss in den Branchen und Betrieben geregelt werden, per Tarifvertrag sowie durch Betriebs- und Dienstvereinbarungen. Arbeitszeitverkürzungen müssen auf diese Weise abgesichert werden. Hierfür gibt es viele gute Beispiele, auf denen man aufbauen kann.
In mehreren Tarifverträgen haben sich DGB-Gewerkschaften bereits mit den Arbeitgebern auf Modelle verständigt, bei denen Beschäftigte zwischen »mehr Geld« oder »weniger Arbeitszeit« wählen können. Laut einer aktuellen IAB-Umfrage entscheiden sich dabei drei von fünf für die Arbeitszeitreduzierung.
»Arbeitszeitverkürzung und mehr Zeitsouveränität sind keine Gefahr für Wertschöpfung und Wohlstand.«
Arbeitszeitverkürzung und mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten sind grundsätzlich möglich und sinnvoll. Sie sind keine Gefahr für Wertschöpfung und Wohlstand, sondern eine Chance – wenn sie gut und mit Beteiligung der Beschäftigten und ihrer Vertretungen gestaltet werden. Im Kern ist das Ringen um die Arbeitszeit eine Frage der Verteilung von Produktivitätszuwächsen. Zusätzlich gilt, dass Arbeitszeitverkürzungen zu mehr Produktivität führen können. Das zeigen erste Modellversuche in Deutschland und im europäischen Ausland. Arbeitszeitverkürzungen mit Lohnausgleich machen Arbeitsplätze attraktiver. Unternehmen können damit auf berechtigte Ansprüche der Beschäftigten reagieren und erfahrene Beschäftigte länger im Betrieb halten. Gewerkschaften und Betriebs- und Personalräte sind bereit, mit den Arbeitgebern moderne und attraktive Arbeitszeitmodelle im Sinne der Beschäftigten zu gestalten.
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