Nein, denn in Zeiten zunehmend flexibler Arbeitsmärkte und wachsender Teilzeitarbeit erscheint eine Debatte über diese Frage aus der Zeit gefallen. In einer freien Gesellschaft ist die Entscheidung darüber, wie lange man arbeitet und wie viele Stunden oder Tage der Freizeit gewidmet sind, eine Privatangelegenheit. Menschen haben sehr unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse, entsprechend vielfältig sind die Arbeitszeiten. Gleichzeitig leben wir in einer Gesellschaft, in der die Bevölkerung altert und in der absehbar ist, dass die Erwerbsbevölkerung in den kommenden Jahren schrumpfen wird. Auch deshalb wirken Forderungen nach kürzerer Arbeitszeit abwegig.
Sinkende individuelle Arbeitszeit
Schon heute klagen viele Unternehmen über einen Mangel an Arbeitskräften, obwohl die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland derzeit noch so hoch ist wie nie zuvor. Das erklärt sich dadurch, dass die Zahl der Beschäftigten zwar hoch ist, die durchschnittliche individuelle Arbeitszeit aber kontinuierlich sinkt. Bei Vollzeitbeschäftigten lag die jährliche Arbeitszeit im Jahr 2001 bei rund 1.650 Stunden. Heute liegt sie unter 1.600 Stunden. Der größere Effekt ergibt sich allerdings dadurch, dass immer mehr Menschen in Teilzeit arbeiten. Angesichts dieser Fachkräfteknappheit erscheint eine weitere Verkürzung von Arbeitszeiten kontraproduktiv.
Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist es nicht per se gut oder schlecht, länger zu arbeiten. Bei steigendem Wohlstand auch mehr Freizeit haben zu wollen, ist nachvollziehbar. Eine Entscheidung für kürzere Arbeitszeiten, beispielsweise vier statt fünf Arbeitstage, hat allerdings Konsequenzen: Bei einem gegebenen Stundenlohn sinkt das Einkommen um 20 Prozent. Wer weniger arbeitet, muss dann auf Konsum verzichten. Nun wird Arbeitszeitverkürzung oft mit Forderungen nach höheren Stundenlöhnen verbunden. Das funktioniert jedoch nicht, wenn die Produktivität, also die Wertschöpfung pro Arbeitstag, unverändert bleibt. Nun kann es durchaus sein, dass Menschen in bestimmten Berufen an vier Arbeitstagen mehr als 80 Prozent dessen leisten, was sie sonst an fünf Arbeitstagen tun. Aber dass sie genau so viel wie an fünf Tagen schaffen, dürfte die Ausnahme sein. Deshalb ist die Forderung nach vollem Lohnausgleich bei kürzeren Arbeitszeiten illusorisch. Zumindest auf sonst durch Produktivitätsfortschritt erreichbare Zuwächse wird man verzichten müssen.
»Die Forderung nach vollem Lohnausgleich bei kürzeren Arbeitszeiten ist illusorisch.«
Wenn bei Vollzeitstellen die Arbeitszeit sinkt, beispielsweise durch tarifvertragliche Vereinbarungen, heißt das nicht zwingend, dass das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen in gleichem Umfang fällt. Beispielsweise ist es denkbar, dass in Haushalten mit Kindern die Erwerbsarbeit neu verteilt wird. Die Arbeitszeitverkürzung bei einem Elternteil kann zu höherer Arbeitszeit des anderen Elternteils führen. Dass Letzteres die Arbeitszeitverkürzung des anderen ganz kompensiert, ist allerdings nicht zu erwarten.
Gesamtwirtschaftliche Folgen
Wenn die Arbeitszeit sinkt, schrumpft also die gesamtwirtschaftliche Produktion. Wenn der dadurch erzielte Zuwachs an Freizeit von den Erwerbstätigen höher geschätzt wird als der damit verbundene Einkommensverlust, dann ist die Arbeitszeitverkürzung für den Erwerbstätigen ein ökonomischer Gewinn. Allerdings ist zu bedenken, dass der Einkommensverlust nicht nur diejenigen betrifft, die arbeiten. In einer Welt mit Steuern und Abgaben und einem ausgebauten Sozialstaat bedeuten sinkende Einkommen, dass das Aufkommen an Steuern und Sozialabgaben fällt. Wenn zum Beispiel die Rentenversicherungsbeiträge bei einer Umstellung von fünf auf vier Arbeitstage um 20 Prozent sinken, müssen die Renten um den gleichen Betrag gekürzt werden. Was bei Renten vielleicht noch denkbar ist, ist bei Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung kaum umsetzbar.
Nun wird oft gefordert, die Finanzierung des Sozialstaats stärker auf allgemeine Steuereinnahmen zu stützen. Das geschieht allerdings schon in erheblichem Umfang – rund ein Viertel des Bundeshaushalts fließt allein als Zuschuss in die Rentenversicherung. Hinzu kommt, dass die Arbeitseinkommen nun einmal gut zwei Drittel der gesamtwirtschaftlich erzielten Einkommen ausmachen. Dass sie den Löwenanteil der Finanzierung der öffentlichen Haushalte leisten, ist unvermeidlich. Die Alterung der Bevölkerung bringt es mit sich, dass die Ausgaben der Sozialversicherungen nicht sinken, sondern eher steigen. Aus dieser Perspektive sind kürzere Arbeitszeiten, weil sie zu sinkenden Beitragseinnahmen führen, höchst problematisch. Dabei ist zu bedenken, dass Arbeitszeitverkürzung nicht nur Finanzierungsdefizite nach sich ziehen würde.
Wenn immer mehr Menschen auf Gesundheitsleistungen oder Pflege angewiesen sind, werden mehr Arbeitskräfte im Gesundheits- und Pflegesektor gebraucht.
Diesen Finanzierungsdefiziten entspricht auf der realwirtschaftlichen Seite ein drohender Versorgungsmangel. Wenn immer mehr Menschen auf Gesundheitsleistungen oder Pflege angewiesen sind, werden entsprechend mehr Arbeitskräfte im Gesundheits- und Pflegesektor gebraucht. Kürzere Arbeitszeiten bedeuten aber, dass weniger Arbeitskräfte verfügbar sind. Natürlich ist es denkbar, anderen Sektoren der Volkswirtschaft Beschäftigte zu entziehen, aber auch dort werden Kräfte fehlen. Am Ende werden die Sektoren sich durchsetzen, welche die höchsten Löhne und die besten Arbeitsbedingungen bieten können. Ob die Gesundheits- und Pflegebranche in diesem Wettbewerb mithalten kann, ist fraglich.
All dies ändert nichts daran, dass die Frage, wie viele Stunden und Tage Menschen in der Woche arbeiten, in erster Linie eine private Entscheidung ist, die individuell sehr unterschiedlich getroffen wird. Falls Menschen sich trotz intensiveren Wettbewerbs um Arbeitskräfte entscheiden, kürzer zu arbeiten und entsprechend auf Einkommen zu verzichten, kann man das nur hinnehmen. Wenn Tarifpartner oder Regierungen aber aktiv darauf hinwirken, dass Arbeitszeiten weiter sinken, ist das der falsche Weg. Die vor allem im Kontext des demografischen Wandels ohnehin drohenden Versorgungs- und Finanzierungsprobleme werden dadurch verschärft.
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