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© picture alliance / R. Goldmann | Ralph Goldmann

Engagement als Grundlage der Demokratie,Räume für das spielerische Verstehen von Demokratie It's democracy, stupid!

Es steht derzeit nicht so wahnsinnig gut um unsere Demokratie. Der aktuelle Thüringenmonitor 2022 beispielsweise zeigt, dass weniger als die Hälfte der Thüringer*innen (48 Prozent) mit der Praxis der Demokratie zufrieden sind. 60 Prozent können als »populistisch eingestellt« bezeichnet werden. Die AfD, die vom Verfassungsschutz in Teilen als rechtsextrem eingestuft wird, kommt in Sachsen, Brandenburg und Thüringen laut neuesten Umfragen auf rund 26 Prozent. Sie wäre damit bei den Landtagswahlen, die im nächsten Jahr stattfinden, stärkste Fraktion. Gleichzeitig berichtet etwa die Opferberatung in Niedersachsen von einem deutlichen Anstieg rechtsextremer Gewalt im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr.

Die Weltlage – Angriffskrieg gegen die Ukraine, Klimakatastrophe, Energiekrise – macht es auch nicht unbedingt einfacher, das doch manchmal recht mühsame Konzept »Demokratie« für alle überzeugend und gewinnbringend zu bewerben. Denn ja, eines kann man in Anlehnung an Karl Valentin gleich vorneweg sagen: Demokratie ist schön, macht aber viel Arbeit.

Dieser Arbeit widmet sich neben vielen anderen auch der Verein Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland seit über zwei Jahrzehnten mit Leidenschaft, Energie und immer wieder neuen, frischen Ideen. Gegründet als Reaktion auf die enorm zunehmenden rassistischen Angriffe um die Jahrtausendwende liegt der Schwerpunkt heute auf Demokratiestärkung, Aktivierung der Zivilgesellschaft, Bekämpfung von Rechtsextremismus und politischer Bildung. In unterschiedlichen Projekten, in Zusammenarbeit mit Netzwerken, durch Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit und durch eine hohe pädagogische Professionalität erreicht der Verein vielfältige Zielgruppen – immer mit dem Anliegen, für die Demokratie zu begeistern und zu aktivieren.

Aber was genau verstehen wir eigentlich unter Demokratie? Idealtypisch gibt es Demokratie auf drei Ebenen: Als Herrschaftsform beschreibt sie die politische Ordnung mit ihren verfassungsrechtlichen Grundlagen, Gesetzen und Institutionen. Als Gesellschaftsform meint sie die demokratischen Zusammenhänge zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Recht mit Zivilgesellschaft, Interessenvertretungen und medialen Öffentlichkeiten. Und als Lebensform bezeichnet sie die Lebenswelten und die Gestaltungen sozialer Beziehungen im Alltag, mit Familien, Gemeinden, Nachbarschaften, Schulen und in der Freizeit.

Eigene Wirkmächtigkeit zu spüren und Handlungsoptionen selbst zu erkennen sind wichtige, wunderbare Erfahrungen.

Für Gesicht Zeigen! ist Demokratie als Gesellschaftsform und Lebensform ein in alle Lebensbereiche hineinwirkendes Konzept. Diese Grundhaltung leitet alle Aktivitäten. Das Ziel in der Arbeit ist stets, den Menschen die Demokratie in kleinen, aber bedeutsamen Ausschnitten erfahrbar und erlebbar zu machen und sie so zu motivieren, sich selbst zu engagieren und für eine offene Gesellschaft einzutreten. Eigene Wirkmächtigkeit zu spüren und Handlungsoptionen selbst zu erkennen sind wichtige, wunderbare Erfahrungen. Sie stärken das Selbstwertgefühl, das Vertrauen und – letztendlich – den Willen mitzumachen.

Und wie genau geht das – Demokratiestärkung? Nun, beispielsweise mit dem neuen »Mobilen Demokratielabor« für Schulen: In diesem Modellprojekt entwickelt der Verein zahlreiche Materialien, Tools und Methoden, um einen Raum für spielerisches Verstehen von Demokratie in der Schule zu ermöglichen. Manchmal ist der Raum künstlerisch inszeniert – ein großer Paravent mit dem Bild eines paradiesischen Gartens eröffnet Freiräume für Ideen, Visionen und Gestaltung. Manchmal ist der Raum einfach der Schulhof – ein soziales Tummelfeld mit Gruppendynamiken, wo Verantwortung eingeübt werden kann.

Schulische Mitbestimmung kann mit dem Planspiel Schulkonferenz geprobt werden. Vorher kann schon mal im Scheinwerferlicht auf der Aufklappbühne die Rede als Klassensprecher*in einstudiert werden. Im Hörspiel Intergalactic tauchen Jugendliche ein in eine perfekte Welt, allerdings fremdbestimmt und ohne eigenen Willen – will man das? Themen wie Meinungsbildung, sozialer Zusammenhalt, Mobbing, Gremienarbeit, Wahlen, Diversität oder Rechte und Privilegien können mit den zahlreichen und sehr vielfältigen Materialien in unterschiedlichen Fächern behandelt werden.

Schule ist der ideale Trainingsort für Demokratie, denn sie bietet viele konkrete und unmittelbare Handlungsmöglichkeiten. Die Schüler*innen können hier im Kleinen etwas bewirken, Entscheidungen treffen, Erfahrungen machen und sich darüber austauschen. Gesicht Zeigen! ist dabei der Impulsgeber und leistet mit dem Mobilen Demokratielabor einen Beitrag zu langfristigen und nachhaltigen Veränderungen hin zu einer demokratischen Schulkultur.

Bei alldem sind Langfristigkeit und Nachhaltigkeit die erhofften Rahmenbedingungen (oder Wunschvorstellungen?), die die Demokratiearbeit in der Zivilgesellschaft seit Langem umtreiben. Aus zweierlei Gründen: Zum einen herrscht leider immer noch die weit verbreitete Auffassung vor, dass beispielsweise bei menschenfeindlichen Vorfällen in Schulen – Hakenkreuzschmierereien, homofeindlichen Übergriffen, antisemitischer Propaganda – ein engagierter Einsatztrupp vorbeikommt und das Problem mit einem flotten Workshop löst. Also das Verständnis von Demokratiearbeit als Feuerwehreinsatz. Das klappt nie. Wirklich: Nie. Es braucht Vertrauen, Zeit, Empathie, Professionalität und eine nachhaltige (!) Strategie, solche undemokratischen Einstellungen zu bearbeiten.

Noch besser, man sorgt vorher durch gute pädagogische Konzepte, Menschenrechtserziehung und politische Bildung langfristig dafür, dass undemokratische Einstellungen im Herzen und in den Köpfen von Jugendlichen keinen Platz finden. Das gilt für die Schule genauso wie etwa für die Arbeit in Kommunen, das Engagement gegen Reichsbürger, für Strategien gegen Hass im Netz, für Opferberatung oder Mobile Beratung, für Konzepte gegen Verschwörungsideologien oder Antifeminismus.

Rückenstärkung aus der Politik

Zum anderen können Organisationen wie Gesicht Zeigen! nur dann genau diese notwendigen Bedingungen zur erfolgreichen Demokratiestärkung erfüllen, wenn sie auch unter diesen Bedingungen arbeiten dürfen. Notwendig ist konkret endlich eine verlässliche Rückenstärkung aus der Politik in Form von sicherer Finanzierung und langfristiger Modelle zur Stärkung der Zivilgesellschaft.

»Verbindliche Demokratiearbeit ist kein nice to have, sondern ein must have.«

Verbindliche Demokratiearbeit ist in unserer durch multiple Krisen verunsicherten und erschütterten Gesellschaft kein nice to have, sondern ein must have. Wenn wir unsere Demokratie schützen, erhalten und eventuell ja auch verbessern, wenn wir mutige, kluge und kritische Demokrat*innen bilden und wenn wir menschenverachtende Ideologien frühzeitig bekämpfen wollen, dann müssen wir diese Arbeit flächendeckend sichern und fördern. Das sollte uns die Demokratie – in den oben geschilderten drei Bereichen als Herrschaftsform, Gesellschaftsform und Lebensform – doch wert sein.

Die Bundesregierung hat sich in der laufenden Legislaturperiode einiges vorgenommen, um die Demokratie zu stärken (was eigentlich in einer Demokratie nicht besonders erwähnenswert sein sollte, es aber trotzdem ist. Man überlege nur mal, was Diktaturen so alles tun, um ihre Herrschaftsform zu sichern...). Das Programm »Demokratie leben!« des Bundesfamilienministeriums unterstützt durch Projektförderungen viele Aktivitäten im Bund, in den Ländern und Kommunen.

In der Bundesregierung wird eine gemeinsame, ressortübergreifende Strategie gegen Rechtsextremismus erarbeitet, die die neuen Herausforderungen einer fragiler werdenden Demokratie, die fortscheitende Spaltung der Gesellschaft und die Gefahren der Digitalisierung mitberücksichtigt.

Und nun soll – nach vielen Anläufen und langjähriger politischer Lobbyarbeit – sogar endlich ein Demokratiefördergesetz verabschiedet werden. Damit sind viele Hoffnungen verbunden, da eine gesetzliche Grundlage für die Demokratiearbeit vor Ort geschaffen wird. Wie genau das Gesetz ausgestaltet wird, ob die Ideen und Forderungen der Zivilgesellschaft nicht nur gehört (danke dafür!), sondern auch entsprechend umgesetzt werden, wird sich zeigen. Der Prozess läuft noch. Angekommen zu sein scheint in der Politik zumindest die Notwendigkeit, sich nicht nur mit Sofortprogrammen oder Ad-Hoc-Aktionen gelingender Demokratiearbeit zu widmen. Willkommen in der Realität!

Zum Ende hin vielleicht noch eine kleine Vision. Wäre es nicht ziemlich cool, Demokratieengagement zu einer sympathischen, selbstbewussten Selbstverständlichkeit zu entwickeln? Wenn wir den – weltweit betrachtet doch ziemlich privilegierten – Status als Bürger*innen einer Demokratie mehr wertschätzten, ihn ein wenig mehr highlighteten und gleichzeitig die Verantwortung für unsere Demokratie auf alle Schultern verteilten und dadurch tatsächlich »vergesellschaften« würden?

Warum tun wir nicht auch alle etwas für die Ausgestaltung und den Erhalt der Demokratie?

Wir profitieren schließlich alle von demokratischen Verhältnissen – warum tun wir nicht auch alle etwas für ihre Ausgestaltung und ihren Erhalt? Zum Beispiel an einem für alle verpflichtenden (!) »Einsatztag für die Demokratie«. Ob als Wahlhelfer*in (kann man in Berlin sogar öfter machen), als Vorleser*in in der Kita, als Übersetzungshelfer*in in der Flüchtlingsunterkunft oder bei der Essensausgabe der Tafeln – alle müssen mitmachen, egal, ob Manager*in, Schüler*in oder Polizist*in.

Vielleicht kämen sich dadurch alle ein bisschen näher und lernten andere Menschen in anderen Zusammenhängen kennen. Das kann nie schaden und ist ein ur-demokratisches Prinzip. Der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft könnte man zumindest an einem Tag im Jahr gemeinsame Begegnung, Austausch und Dialog entgegensetzen. Und vielleicht spüren dann doch wieder mehr Menschen die Umkehrung des oben zitierten Spruchs und machen die gute Erfahrung: Demokratie macht Arbeit – ist aber auch schön!

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