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© picture alliance/dpa | Christophe Gateau

Über die Verlockungen des Autoritären und die Realität von Scheinriesen Kann Demokratie Klimaschutz?

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Seit sich Demokratien als Staatsformen entwickelt haben, gibt es das Nachdenken über die Krise der Demokratie. Ständig scheint der demokratische Prozess irgendwie gestört und Reform dringend geboten. Eine der ersten Beschreibung der Demokratie in Amerika (1835) von Alexis de Tocqueville ist von Warnungen über die »Tyrannei der Mehrheit« durchzogen. 140 Jahre später beschreibt der politikwissenschaftliche Kassenschlager The Crisis of Democracy von Michel Crozier, Samual P. Huntington und Joji Watanuki den Niedergang politischer Parteien und den Vertrauensverlust in die Regierungen. Heute ist die Krisenliteratur zur Demokratie kaum mehr zu überschauen.

Die Krisenanalyse gehört zum festen Repertoire demokratisch verfasster Staaten und ihrer Öffentlichkeiten. Aktuell erleben wir einen neuen Krisendiskurs. Die Demokratie, so wie wir sie kennen, kann keinen Klimaschutz. Zumindest nicht ausreichend. Das, was ökologisch dringend notwendig und wissenschaftlich recht eindeutig skizziert wird, setzen demokratisch gewählte Regierungen viel zu langsam um, wenn überhaupt – so die Deutung.

Statt endlich die großen Hebel umzulegen, um die Erhitzung des Planeten zu verlangsamen, verzetteln sich die Demokratien im Klein-Klein. Statt großer Würfe die Frage, ob über 80-Jährige vom Heizungstausch verschont bleiben. Der Frust und die Enttäuschung darüber bricht sich jeden Tag Bahn auf den Straßen der Republik in Form von Sekundenkleber.

Kann man sich angesichts all der vergangenen Krisenbefunde zur Demokratie nicht einfach mit einer Portion Gelassenheit zurücklehnen? Schließlich hat sich die Demokratie in den vergangenen 200 Jahren weltweit beständig ausgebreitet. Zwar kam es dabei auch immer wieder zu Rückschlägen, sodass Demokratieforscher von einer wellenförmigen Ausbreitung der Demokratie sprechen. Aber: Trotz aller Kritik an der Demokratie hat sich die demokratische Praxis immer weiter durchsetzen können. Also frei nach dem britischen Motto: Keep calm and carry on. Das mit dem Klima und der Demokratie, das kriegen wir schon hin.

Weit gefehlt, denn der immer spürbarere Klimawandel hat eine andere Qualität, als die bis dato in den Krisendiskursen gewälzten Herausforderungen: Das mögliche Ende der menschlichen Lebensgrundlagen auf diesem Planeten erfordert rasches und entschlossenes Handeln. Schnelle Entscheidungen und deren konsequente Umsetzung sind gefragt.

Demokratie braucht Zeit

An dieser Stelle wird die Sollbruchstelle zwischen Klimaschutz und Demokratie deutlich. Demokratie braucht Zeit. Geduldiges Zuhören und Verhandeln von unterschiedlichen Interessen, Abwägen von Argumenten, Kompromisse finden, möglichst viele mitnehmen - das ist die Geschäftsgrundlage der Demokratie. Im Hauruck funktioniert sie nicht. Wie soll das mit dem Handlungsdruck der Klimakrise zusammengehen?

Schlimmer noch: Demokratische Entscheidungen sind vor allem auf das Hier und Jetzt bezogen. Die Menschen, die hier leben, entscheiden überwiegend gegenwartsbezogen. Die Interessen anderer Menschen in anderen Teilen der Welt oder die Interessen künftiger Generationen stehen in einem System, dass die derzeitigen Interessen der vor Ort lebenden Bürger in Wahlen abbildet, nicht im Vordergrund.

Ist da der Blick auf autoritäre Lösungen nicht verlockend? Brauchen wir nicht einen Öko-Autoritarismus, der endlich eine konsequente Klimapolitik umsetzt? Ist nicht China das Land mit den größten Kapazitäten bei erneuerbaren Energien? Und kommen nicht von dort fast alle Solarmodule? Wäre es nicht schön, Stromtrassen ohne zeitaufwändige Bürgerbeteiligung verlegen zu können oder einfach per Dekret einen Windpark aus dem Boden zu stampfen?

Der britische Wissenschaftler und Klimaaktivist James Lovelock hat davon gesprochen, dass man die Demokratie für eine Zeit auf Pause (»on hold«) setzen müsse, um dem Klimawandel wirklich etwas entgegenzusetzen. Andere sprechen von einem Cockpitism. Gemeint ist damit, dass die Klimapolitik der Regie-

rungen wie der Kurs eines Flugzeugs vom Cockpit aus bestimmt werden müsste. Mithilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse und präziser Angaben der Bordinstrumente wird die effizienteste Route geflogen.

Mit dem Klimaschutz und den Möglichkeiten autoritärer Strukturen ist es allerdings wie mit Tur Tur bei Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer: Es handelt sich um einen Scheinriesen. Aus der Ferne betrachtet mag es so sein, dass autoritäre Strukturen rascher Entscheidungen zum Klimaschutz herbeiführen und umsetzen können. In der realen Praxis ist davon nichts zu sehen.

Die vergleichende politikwissenschaftliche Forschung hat in den vergangenen Jahren gut herausgearbeitet, dass die vermeintliche Umsetzungsstärke autoritärer Regime im Klimaschutz nicht gegeben ist. Es zeigt sich sogar ein auf den ersten Blick paradoxer Befund. Demokratische Staaten haben eine wesentlich bessere Leistungsbilanz als autoritäre Staaten. Und noch mehr: Je demokratischer die Staaten sind, desto leistungsstärker sind sie im Bereich Klimaschutz. Die skandinavischen Staaten, die als hoch entwickelte Demokratien gelten, können als Musterbeispiele herangezogen werden.

»Freie Gesellschaften leisten substanziellere Beiträge zum Klimaschutz.«

Mehr Demokratie gleich mehr Klimaschutz? Das ist kein zwingender, aber ein naheliegender Zusammenhang, trotz all der oben genannten Schwächen demokratischer Regime. Mindestens drei Zusammenhänge legen nahe, dass eine freie Gesellschaft substanziellere Beiträge leisten kann, als irgendeine Form von Öko-Autoritarismus.

Erstens gibt es in Demokratien freie Forschung und freie Debatten darüber. Die tatsächlichen Verhältnisse können untersucht und thematisiert werden. Das ermöglicht Herrschaftskritik, das Transparentmachen von Lobbyinteressen und die Entwicklung von Alternativen zu den bisher verfolgten Politikansätzen.

Zweitens ist damit etwas möglich, was in autoritären Strukturen so gut wie nie gelingt: einen eingeschlagenen Weg zu korrigieren, Eliten auszutauschen, Gegenpositionen in der öffentlichen Debatte und im politischen Wettbewerb zuzulassen und Entscheidungen rückgängig zu machen. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist ein Beispiel par excellence. Wenn es gelingen soll, unsere Art des Lebens, Arbeitens und Wirtschaftens klimaverträglich umzubauen, werden wir davon jede Menge brauchen.

Drittens schließlich sichern Demokratien eine möglichst breite gesellschaftliche Zustimmung und verankern damit einen politischen Wandel hin zu mehr Klimaschutz in der Gesellschaft. Gerade ein so tiefgreifendes Projekt wie die sozialökologische Transformation, die das Leben jedes Menschen verändern wird, kann nicht als autoritär verordneter Wandel von oben gelingen, sondern muss möglichst breit getragen werden.

Transparenz und Beteiligung

Ende gut, alles gut? Können wir uns jetzt, nachdem zumindest die relative Leistungsfähigkeit von Demokratien bestätigt wurde, endlich zurücklehnen und darauf hoffen, dass das schon irgendwie wird? Leider nein. Denn so richtig es ist, dass Demokratien Klimawandel besser bewältigen können, so richtig ist auch, dass es dabei weit mehr braucht, als wir bisher gesehen haben.

Neben einzelnen Reformschritten in einzelnen Politikfelder wird darüber zu reden sein, wie wir bessere demokratische Verfahren entwickeln können, um die große Transformation zu gestalten. In Ergänzung zur repräsentativen Demokratie haben sich deliberative Verfahren in den vergangenen Jahren als leistungsfähig erwiesen.

BürgerInnenräte haben in Teilbereichen bemerkenswert progressive Forderungen entwickelt. Sie haben dabei oft Handlungsempfehlungen entwickelt, die dem Ernst der Lage gerecht werden, ohne zu spalten. Unterschiedliche und mitunter widerstreitende Interessen wurden besprochen, in einem transparenten Prozess ausgehandelt und in Handlungsvorschläge übersetzt. Beispiele aus Irland, Frankreich und zunehmend auch aus Deutschland zeigen, dass die öffentliche Akzeptanz so ausgehandelter Politiken steigt.

Gute Klimapolitik setzt also auch gute Demokratiepolitik voraus. Mehr Klimaschutz wird nicht mit weniger, sondern nur mit mehr Demokratie gelingen.

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