Kommunalpolitik? Kann ja jeder. Mit ihren Entscheidungen vor Ort, in Städten, Gemeinden oder Landkreisen lebt die Kommunalpolitik von der Vielfalt der Mandatsträger – idealerweise einem Querschnitt der Bevölkerung, welcher sich im besten Falle auch in den Gremien oder auf den Bürgermeisterstühlen wiederfindet. Seit 18 Jahren darf ich als 1. Bürgermeister, vorher als Gemeinderat und seit zwei Perioden auch im Kreistag, in meinem unmittelbaren Lebensumfeld Politik gestalten.
2001 startete die SPD-Kommunalakademie, Franz Müntefering war damals Generalsekretär, die SPD mit Gerhard Schröder in der Regierung und Parteischule und Parteivorstand hoben das Projekt Kommunalakademie aus der Taufe. Walter Kolbow, mein damaliger Bundestagsabgeordneter und Staatssekretär im Verteidigungsministerium, sagte, die Bürgermeister seien »die echten Helden, wir Abgeordnete können nach München oder Berlin abhauen«, die Bürgermeister aber seien »immer vor Ort« und stünden »direkt im Feuer«.
Ziel der Akademie war es, jungen Politikern auf der kommunalen Ebene – oder solchen, die es demnächst werden sollten und wollten – das nötige Rüstzeug mit auf den Weg zu geben. Nicht nur Fachliches, also: Wie lese ich einen Haushalt, was ist eine Geschossflächenzahl und andere Geheimnisse. Nein, vielmehr ging es auch um Selbstorganisation, um Führung, um den Umgang mit schwierigen Situationen, um Gremienarbeit – egal ob als »Führungskraft Bürgermeister« oder als Mandatsträger. Obwohl ich schon auf sechs Jahre Erfahrung aus Gemeinderats- und Fraktionssprecherarbeit zurückgreifen konnte, ist die Bürgermeisteraufgabe dann doch etwas ganz anderes. Rückblickend kann ich sagen, dass die Kommunalakademie der SPD wohl das Beste war, was mir zur Vorbereitung auf diese neue Aufgabe passieren konnte: Netzwerken, im geschützten Raum mit gleichgesinnten Mitstreitern lernen, die zwar aus dem »gleichen Stall«, aber aus ganz unterschiedlichen Ecken Deutschlands kamen, Planspiele durchführen, intensives Coaching und Kameratraining erleben oder in wenigen Sekunden wichtige Statements abgeben. Wichtig war auch die Vorbereitung auf den tagtäglichen Umgang mit Stress und Anfeindungen – ein Rüstzeug, das man gerade heute sehr gut gebrauchen kann.
Wie so oft gehen nach solchen Seminaren oder Fortbildungen die meisten Teilnehmer oftmals für immer auseinander und sehen sich nur selten wieder. Die Möglichkeit, sich mit einigen von ihnen wieder bei kommunalen Terminen zu treffen oder gemeinsame Aufbauseminare zu besuchen, schafft immer wieder die Gelegenheit für ein Update oder den inhaltlichen Austausch. Es wäre illusorisch zu glauben, dass mit allen Teilnehmern eines Kurses der Kontakt dauerhaft bestehen bliebe. Für mich persönlich sind es vielleicht fünf oder sechs, mit denen ich weiterhin den Kontakt halte. Interessanterweise sind das gerade die Kollegen, mit denen man nach Seminarende manchmal bis in die Morgenstunden politisiert und die großen und kleinen Probleme der Welt zu lösen versucht hat, um danach mit wenig Schlaf neu durchzustarten. Networking ganz ohne Social Media.
Als Bürgermeister leite ich seit damals eine Verwaltung mit Bauhof, Reinigungspersonal, Schule, Kindergärten, Hausmeister, Schwimmbad etc., da braucht man die Kraft zum Führen, muss viele Dinge schnell aufnehmen und am besten auch umgehend eine Entscheidung treffen. Die Mitarbeiter- und die Bürgerschaft erwarten Entscheidungen, möglichst in ihrem Sinne. Oder zumindest, dass die Entscheidungsprozesse in Gang gesetzt werden. Gerade den Aufwand in Personalfragen habe ich anfangs deutlich unterschätzt. Ging es in den ersten Jahren eher um den üblichen tariflichen Personalkram oder um Probleme im Miteinander, sind die letzten Jahre eher von Fluktuation und Fachkräftemangel geprägt und die Zusammensetzung von arbeitsfähigen Teams fordert einen viel mehr als früher. Führung bedeutet im Personalbereich Offenheit, Fairness, Gerechtigkeit, manchmal auch Härte und zunehmend Personalentwicklung. Führung findet immer im Wechselspiel und in Zusammenarbeit mit anderen statt. Man führt doppelt – in der Politik als Bürgermeister durch das Setzen von Themen und politische Entscheidungen, andererseits aber auch als Chef der Verwaltung. Und Politik spielt sich im Austausch und in der Auseinandersetzung mit dem Bürger ab. Die Kommunalakademie hat mir beigebracht für erreichbare Ziele zu sorgen, die Rahmenbedingungen abzuklären (Finanzierung, organisatorische Abwicklung), mich selbst und andere zu organisieren, zu delegieren, zu koordinieren und natürlich auch zu entscheiden. Nur wer den Mut hat, Entscheidungen zu treffen – unabhängig davon, ob man immer richtig liegt –, ist tatsächlich auch eine Führungskraft oder in der Lage zu führen. In einem letzten Schritt gehören natürlich auch die Kontrolle und die Selbstreflexion dazu. Es kann ja durchaus vorkommen, dass man mit einer Einschätzung oder einer Entscheidung falsch gelegen hat. Wer hilft einem dabei, den Kurs zu korrigieren, wenn es nicht gut oder in die falsche Richtung läuft; wer holt einen bei Bedarf »auch mal runter«, wenn man Gefahr läuft, die Bodenhaftung zu verlieren?
Den Menschen Orientierung und Halt zu geben, ist die vielleicht wichtigste Aufgabe in der politischen Arbeit. Die Prozesse verändern sich, werden komplexer, unübersichtlicher. Wenn man seinen eigenen Standpunkt nicht kennt, kann man auch für andere Menschen kein Leuchtturm, kein Orientierungspunkt sein. Um führen zu können, braucht man Kenntnisse, Training, Einsichten, eine innere Haltung zum Thema Führung und natürlich auch Werte und ethische Normen. Nicht umsonst ist der Begriff »Führung« eher negativ besetzt, gerade in den Diskussionen über Teilhabe an Prozessen, an Mitbestimmung und Mitgestaltung. Natürlich ist Fachwissen die Grundvoraussetzung für eine Führungsaufgabe, dazu verhilft einem unter anderem die Kommunalakademie. Viel wichtiger ist allerdings die Persönlichkeitsentwicklung, die Entfaltung des »Führungspotenzials«, das in einem steckt. Auch wenn ich ein Freund von Bürgerwerkstätten, Partizipation und Beteiligungsmodellen bin – die Erfahrung lehrt, dass ohne Führung und ohne Richtungsvorgabe auch die besten Ideen nicht zur Umsetzung kommen. Im Zentrum von Politikmanagement steht die Realisierung greifbarer Resultate, damit die Bürger unmittelbar die Ergebnisse ihres politischen Engagements erfahren. Voraussetzung ist dabei die Selbstorganisation von Arbeit und Person; die Unterscheidung von wichtig und dringend, etwas ruhen zu lassen und beiseite zu räumen oder zu delegieren. All dies hat mir die Kommunalakademie beigebracht. Auch die Fokussierung auf das Wesentliche. Dazu gehört auch, die guten Dinge, das was gut läuft, der Bürgerschaft zu präsentieren oder zu »verkaufen« oder für Akzeptanz zu werben. Politikverdrossenheit kommt sicher zu einem Teil auch daher, dass viele gute Maßnahmen vor Ort nur von wenigen Menschen, die womöglich direkt davon profitieren, auch tatsächlich wahrgenommen werden. Die Mehrheit bekommt davon nichts mit, wundert sich ob der Tatenlosigkeit im Rathaus oder von Bürgermeister und Rat.
Mit der Zeit kommen im Mandat die Ämter und Funktionen. Was in der ersten Wahlperiode noch »relativ« geschmeidig beginnt, wächst sich in den Jahren danach zu einer Flut von Aufgaben, Gremienarbeit und Terminen aus. Einen leider schon verstorbenen Bürgermeisterkollegen und Kreisrat höre ich noch heute sagen: »Wart’ mal ab Junge, bis du im Kreistag bist, in Zweckverbänden und bei den ganzen Vereinen«. Wenn man in der Kommunalpolitik nicht lernt mit Stress umzugehen, sich nicht die richtigen Werkzeuge und Methoden aneignet, geht man schnell unter, macht unverzeihliche Fehler oder betreibt Raubbau an seiner Gesundheit, seiner Familie oder seinem Freundeskreis. Bürgermeister werden nicht (nur) für die Anzahl an Wochenarbeitsstunden vergütet, sondern für Führung, für Ideen, für das Anschieben von Projekten. Darüber hinaus sind Mandate in der Politik immer Mandate auf Zeit. Es gab ein Leben vorher und es muss ein Leben danach geben. Insofern ist Management, Organisationstalent und das Einschlagen der richtigen Wege, bis hin zur Personalauswahl, lebensnotwendig.
Die Kommunalakademie der SPD brachte und bringt Qualität in die Politik. Seit dem Gründungsjahr 2001, als ich im Kurs »Süd 1« gewissermaßen als Versuchskaninchen dabei war. Es hat sich rückblickend mehr als gelohnt. Wer sich mit dem Gedanken trägt, für ein Mandat zu kandidieren oder Neueinsteiger im Amt ist, dem empfehle ich nachdrücklich, sofern er die Möglichkeit dazu hat, eine solche Qualifizierung zu durchlaufen. Das Rüstzeug, das man dort erhält, hilft sicher im Alltag weiter.
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