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Kann Wachstum ökologisch nachhaltig sein?

Erinnern Sie sich noch an das Ozonloch? Oder an den sauren Regen oder – die Älteren vielleicht – an die zu Tode verschmutzten Flüsse unseres Landes? All dies waren zu ihrer Zeit gravierende Umweltprobleme, die zu Recht beunruhigten. Mithilfe von Regulierungen, finanziellen Anreizen sowie öffentlichen und privaten Investitionen bekam man die Probleme weitgehend in den Griff. Vor diesem Hintergrund wirkt das manchmal geäußerte Urteil, man habe seit den ersten Veröffentlichungen des Club of Rome im Jahr 1972 in der Umweltpolitik kaum etwas erreicht, mindestens etwas harsch.

Das mag daran liegen, dass sich manche Autorinnen und Autoren oftmals auf einen speziellen Aspekt der Umweltpolitik konzentrieren, den Zusammenhang zwischen ökonomischem Wachstum und nachhaltiger Produktion. Sie sehen hier einen unauflöslichen Gegensatz und kommen dann angesichts der trotz vielfacher Krisen immer wieder kräftigen Wachstumszahlen zu ihrem negativen Urteil. Vertieft wird dies zumeist mit Verweisen auf die qualitativen Probleme der Wachstumsmessung, die Gegenreaktionen gegen Umweltmaßnahmen durch globalen Handel mit umweltschädlichen Gütern und die mangelhafte Internalisierung externer Effekte. Aus alledem leitet sich die Forderung nach einem Verzicht auf Wachstumsziele ab.

Das grundlegende Problem einer solchen Argumentation besteht darin, dass die Prämisse vom unauflöslichen Gegensatz zwischen ökonomischem Wachstum und nachhaltiger Produktion falsch ist. Der Fehler beruht auf einem Missverständnis des ökonomischen Wachstumsbegriffs selbst. Er wird mit einem Wachstumsbegriff verwechselt, der Wachstum als ein immer Mehr vom Gleichen versteht, was ökologisch durchaus problematisch wäre. Das aber ist kein ökonomisches Verständnis vom Wachstum.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP), das zu Recht als Ausgangspunkt mancher Kritik genommen wird, erfasst zunächst nur die Zahlungsströme, die durch die Wertschöpfung im Inland entstehen. Das ist der Wert aller Güter und Dienstleistungen und deren Zunahme, die in einem Jahr innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft erwirtschaftet werden. Werte sind das Produkt aus Mengen und Preisen. Es geht also um Werte und damit nicht zwangsläufig um Mengen. Richtig ist, dass die Werte des BIP nichts oder nur wenig über die mit ihnen verbundene Lebensqualität oder Verteilungsgerechtigkeit aussagen. Dazu braucht man andere Indikatoren, die aber seit Längerem in Fülle zur Verfügung stehen.

Hier soll es ausschließlich um das zentrale Argument gehen, um den Zusammenhang zwischen ökonomischem Wachstum und Nachhaltigkeit. Wenn ökonomisches Wachstum auf der Zunahme von Werten beruht, können die Mengen zunehmen, müssen es aber nicht. Vor allen Dingen müssen es nicht immer die gleichen Gütermengen sein, die diese Werte erzeugen. Das lässt sich am Beispiel der Energiewende aufzeigen.

Wenn man die Braunkohleproduktion aus Umweltgründen einstellt, erlöschen logischerweise die Zahlungsströme mit diesem Sektor. Es entstehen somit keine Werte mehr in diesem Bereich. Passiert sonst nichts, schrumpft die Wirtschaft. Soweit bestätigt sich also der negative Zusammenhang zwischen Wachstum und Nachhaltigkeit. Doch es passiert ja etwas in unserer Volkswirtschaft: der politisch gewollte Umstieg auf erneuerbare Energien. Schließlich wollen Unternehmen wie Haushalte auch in Zukunft produzieren oder auf einem hohen Lebensstandard konsumieren. Dazu benötigen sie Energie. Mit dem Aufbau der Produktion erneuerbarer Energien entstehen aber neue Zahlungsströme und eine neue Wertschöpfung. Diese werden genauso als Wachstum gemessen wie zuvor die Produktion des Braunkohlestroms. Die erzeugten Gütermengen haben somit einen völlig anderen Charakter.

Schrumpfen einzelner Bereiche nicht ausgeschlossen

Muss dieses Wachstum nun geringer ausfallen als das zu Braunkohlezeiten? Mit hoher Wahrscheinlichkeit fällt es sogar deutlich höher aus. Der Umstieg auf eine nachhaltige Produktion erfordert eine erheblich höhere Stromproduktion als bisher. Sollten die Strompreise, was angesichts des hohen Bedarfs zu erwarten ist, steigen oder auch nur in geringerem Umfang fallen als die erforderlichen Strommengen zunehmen, erhöht sich der Wert der Stromerzeugung. Damit ergibt sich sogar ein positiver Wachstumsimpuls durch den energiepolitischen Umstieg. Das ist das Gegenteil von dem, was in Postwachstumsargumenten postuliert wird. Es ist eben möglich, zugleich umweltgerecht zu produzieren und trotzdem im ökonomischen Sinne zu wachsen. Das schließt das Schrumpfen einzelner Bereiche nicht aus, gesamtwirtschaftlich kann dies jedoch durch Wachstum an anderer Stelle ausgeglichen werden.

Das ist eine gute Nachricht. Denn hätten die Kritiker*innen Recht, stünde unsere Gesellschaft vor massiven Konflikten mit ungewissem Ausgang. Es ist höchst zweifelhaft, ob eine schrumpfende Wirtschaft, die definitorisch mit schrumpfenden Einkommen einhergeht, in der Lage ist, den ökologisch notwendigen Umstieg zu bewältigen. Wahrscheinlicher ist, dass sie sich in Verteilungskämpfen verlieren wird.

Das obige Beispiel, das sich durch andere ergänzen ließe, zeigt vielmehr, dass Kritik an Wachstumszielen nicht der entscheidende Beitrag zu einer tragfähigen Umweltpolitik sein kann. Von zentraler Bedeutung ist hingegen der politische Wille, Produktion und Konsumtion nachhaltig zu verändern. Dazu gehören entsprechende Regulierungen, materielle Anreize und eine massive Ausweitung öffentlicher wie privater Investitionen. Das zu erreichen, erfordert gewaltige finanzielle und politische Anstrengungen. Sich darum zu bemühen, ist wesentlich lohnender als Verzicht zu predigen.

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