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100 Jahre Politik, 40 Jahre Arbeit Karriere auf Kosten der Gleichstellung?

Seit genau 100 Jahren können Frauen ihren politischen Willen ausdrücken, an demokratischen Wahlen teilnehmen und eine eigenständige Wahlentscheidung treffen. Dies war und ist ein wichtiger Schritt zur Gleichstellung von Frau und Mann. Eine eigenständige Entscheidung darüber, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, wurde Frauen jedoch gesetzlich erst 1977 zugestanden. Bis dahin konnten Ehemänner ihren Frauen verbieten, eine Arbeitsstelle anzutreten oder gegebenenfalls einfach über ihren Kopf hinweg kündigen. Das bedeutet nicht, dass Frauen nicht am Arbeitsmarkt teilgenommen hätten – viele Familien konnten es sich schon damals nicht leisten, nur von einem Einkommen abhängig zu sein. Es bedeutet aber, dass die Entscheidungshoheit darüber, ob eine Frau arbeitete und natürlich auch wo, alleine ihrem Ehemann oblag. Die politische Partizipation der Frau ist somit in Deutschland (zumindest formal) 100 Jahre alt – die ökonomische jedoch gerade einmal 40. Kein Wunder, dass Männer sich dieses Privileg bis tief in die 70er Jahre sicherten, wird doch vor allem die ökonomische Gleichstellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt entschieden.

Von Gleichstellung weit entfernt

Aber auch heute ist Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt noch lange nicht erreicht – von einer echten »Karriere« ist bei Frauen noch längst nicht in allen Fällen einer beruflichen Tätigkeit zu sprechen. Noch immer sind nur 71 % aller Frauen überhaupt berufstätig, und wenn sie es sind meist in Teilzeit, Minijobs oder anderen Niedriglohnbereichen. Noch immer verdienen Frauen durchschnittlich 21 % weniger als Männer. Neben der vertikalen Segregation des Arbeitsmarktes (Frauen sind deutlich seltener in Führungspositionen zu finden als Männer) spielt dabei die horizontale Segregation eine wichtige Rolle. Frauen arbeiten häufiger in schlecht bezahlten Branchen wie im Dienstleistungsbereich oder in der Pflege. Hier hat sich, trotz der Intention mit wohlmeinenden Sonntagsreden in der Politik die Arbeits- und finanziellen Bedingungen verbessern zu wollen, für die Beschäftigten bisher wenig getan. Auch auf der obersten Führungsebene deutscher Unternehmen bleiben Männer weiter unter sich: Frauenanteile in Führungspositionen großer Unternehmen steigen trotz Quote kaum. Seit 2013 stagniert die Frauenquote im Management bei 21 %, nachdem sie zwischen 2006 und 2012 kontinuierlich von 14,4 % auf 20,3 % gestiegen war.

Frauen sind auf dem Arbeitsmarkt überall dort zu finden, wo es wenig Geld, wenige Aufstiegsmöglichkeiten, wenig Sicherheit und wenig Ansehen gibt. Politisch werden dabei widersprüchliche Anreize gesetzt. Während einerseits zum Beispiel das Unterhaltsrecht seit seiner Reform von 2008 davon ausgeht, dass Frauen spätestens nach dem dritten Geburtstag der Kinder für den eigenen Lebensunterhalt mittels Erwerbsarbeit selbst aufkommen, spricht das Steuerrecht noch eine ganz andere Sprache. Das Ehegattensplitting, auf dessen Abschaffung die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF) und mittlerweile auch die SPD seit Jahren drängen, belohnt möglichst große Unterschiede zwischen dem Einkommen der Ehepartner. Indem das Einkommen beider Partner gemeinsam veranlagt wird, können Steuern gespart werden. Dieser Splittingvorteil lohnt sich jedoch nur, wenn ein besonders großer Einkommensunterschied besteht. Dies legt die Rolle der Frauen als Hausfrau oder höchstens Zuverdienerin fest, ein höheres eigenes Einkommen lohnt sich fast kaum.

Spätestens beim Eintritt in die Rente wird der Geschlechterunterschied eklatant: Der sogenannte Gender Pension Gap betrug 2017 ganze 42 % für Westdeutschland und immerhin 23 % für Ostdeutschland. Den Grund für diesen großen Unterschied sieht das DIW in schlecht bezahlten Berufen, in denen Frauen tätig sind: Sie gelangen seltener in Führungspositionen und arbeiten häufiger in Teilzeit. Hinzu komme aber noch, dass Frauen wesentlich häufiger als Männer ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen, um sich um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige zu kümmern. Infolgedessen übertrifft der Gender Pension Gap den geschlechtlichen Lohnunterschied von 21 % deutlich.

Vereinbarkeit ist immer noch ein »Frauenproblem«

Der die Gesellschaft maßgeblich verändernde digitale Wandel bringt zumindest die Hoffnung auf eine leichtere Vereinbarkeit von Familie und Beruf – und damit Karriere- oder zumindest Partizipationschancen auf dem Arbeitsmarkt für Frauen. Homeoffice, mobiles Arbeiten und eine geringere Anwesenheitskultur sollen es ermöglichen, Arbeit und Familie besser unter einen Hut zu bringen. Die Möglichkeit, früher von der Arbeit nach Hause gehen zu können, um Zeit mit der Familie zu verbringen und sich später am Abend noch einmal an den Schreibtisch zu setzen, ist sicherlich für viele eine Entlastung im Alltag. Dabei muss jedoch darauf geachtet werden, dass sich diese Regelungen gerade für Frauen nicht als nachteilig erweisen und schlussendlich noch mehr Arbeit bedeuten, wenn sich die Frau abends – nach Hausaufgabenbetreuung, Wäsche und Abendbrot machen – nochmal an den Computer begeben sollte, während der Mann seinen wohlverdienten Feierabend genießt.

Denn, auch wenn es sich zunehmend wandelt, bleibt in vielen Familien Vereinbarkeit weitestgehend ein »Frauenproblem«. Gerade wenn das erste Kind kommt, retraditionalisieren sich viele Partnerschaften – der Mann ist für die Erwerbsarbeit und die Frau für die Reproduktionsarbeit zuständig. Es gibt Schätzungen, laut denen im Durchschnitt 80 % der Frauen und nur ein Drittel aller Männer täglich Hausarbeit verrichten. Und: Selbst wenn beide Partner arbeiten, bleibt nach vielen Studien dennoch ein großer Teil der Hausarbeit an den Frauen hängen.

Echte Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt werden wir letztlich jedoch nur erreichen, wenn eine entsprechende Gleichstellung im Haushalt und bei Erziehungs- und Sorgearbeiten erfolgt. Dafür bedarf es politischer Maßnahmen für entsprechende Erleichterungen, von alleine wird dies kaum gesehen. Denn: Letztlich geht es im Kampf um Gleichstellung um Verteilungsfragen. Die Verteilung von Macht und Ressourcen, denn diese bedeuten (Entscheidungs-)Freiheit und Selbstständigkeit.

Dabei sind Macht und Ressourcen eben endlich. Einen Vorstandsposten, den eine Frau innehat, kann ein Mann nicht mehr bekommen; in der Zeit, die eine Frau bei der Arbeit verbringt, kann sie nicht seine Kinder erziehen oder seine Hemden bügeln. Damit Frauen also einen gerechten Anteil an Macht und Ressourcen bekommen (50 %), müssen Männer etwas von ihrer Macht und ihren Ressourcen abgeben – was ihre Eigenständigkeit und Entscheidungsfreiheit einschränkt. Im Gegenzug würden sie etwas von der Macht und den Ressourcen der Frauen abbekommen, nur sind diese nicht so üppig – und, wenn einige Männer mal ehrlich sind, vielleicht auch nicht so beliebt wie beispielsweise Zeit mit den Kindern zu verbringen, den Haushalt zu schmeißen oder Sorge- und Pflegearbeit zu leisten.

Weder Studien zu besseren Unternehmensergebnissen bei gendergemischten Vorständen, noch freiwillige Selbstverpflichtungen haben es bisher geschafft, Aufsichtsräte und Vorstände zu diversifizieren. Und auch die Reduktion von Arbeitszeit zugunsten von Familien- und Sorgezeit gelingt Männern ohne Anreize von außen bisher kaum.

Politische Initiativen notwendig

Politisch sind in den letzten Jahren verschiedene Vorschläge diskutiert worden, um die Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt vorantreiben zu können. Der gesellschaftliche Widerhall auf diese Vorschläge war unterschiedlich und zu wenige haben ihren Weg in konkrete Maßnahmen oder gar in den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD gefunden. Dabei sind konkrete politische Schritte notwendig, um Frauen auf dem Arbeitsmarkt eine echte Chance zu ermöglichen – und ihnen damit Selbstentfaltung und ökonomische Unabhängigkeit zu erlauben.

Neben den offensichtlichen Maßnahmen wie eine verbindliche (!) Frauenquote in Führungspositionen und der Abschaffung des Ehegattensplittings sind Maßnahmen notwendig, die zu einer gerechteren Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit führen.

Mit der von der SPD vorgeschlagenen Familienarbeitszeit sollen junge Familien gefördert werden. Wenn beide Elternteile ihre Arbeitszeit vollzeitnah reduzieren (z. B. auf 26 bis 32 Stunden) soll der Lohnausfall mit einer bestimmten Summe entschädigt werden. Eine phasenbezogene Arbeitszeitreduzierung soll gerade in der »Rushhour des Lebens«, zwischen Mitte 20 und Ende 30, in der sich für viele Menschen Kindererziehung, Pflege der Eltern und Karriereanschub drängen, eine Entlastung bringen. Da diese Maßnahme daran geknüpft ist, dass beide Elternteile gleichermaßen vollzeitnah arbeiten und so Zeit für die Familie schaffen, kann dies so zu einer Angleichung der Arbeitslast in der Familie führen. Dass das Bedürfnis nach Unterstützung mittels Arbeitszeitreduzierung bei Pflege- und Sorgearbeit für viele Beschäftigte groß ist, hat auch der jüngst abgeschlossene Tarifvertrag der IG Metall gezeigt. Arbeitnehmer/innen soll es möglich sein, aufgrund von Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen zeitlich begrenzt Arbeitszeit zu reduzieren und dafür in den unteren Lohngruppen einen finanziellen Ausgleich zu bekommen.

Die paritätische Aufteilung der Elternzeit, um vom vollen Elterngeld profitieren zu können, ist ebenso ein guter Schritt, um zu mehr Gleichheit bei der Aufteilung von Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit zu erlangen. Ebenso eine verpflichtende Auszeit für Väter, die es ihnen ermöglicht, die ersten Wochen zu Hause bei ihrem Kind zu sein. Da bei einem Bestehen auf diesem Recht – die allein auf dem Papier existierende Möglichkeit, sich als junger Vater Zeit für sein Kind nehmen zu können – mit massiven Diskriminierungen und Verschlechterungen in der Karriere zu rechnen ist, würde durch eine Verpflichtung entgegengewirkt werden. Diese Maßnahme scheint des Weiteren eine gute Möglichkeit, die weiterhin bestehende Diskriminierung von Frauen als potenzielle Mütter zu begegnen. Jeder Mann wird damit zum potenziellen Vater und erhält somit das gleiche »Ausfallrisiko«, das Arbeitgeber Frauen gerne vorhalten.

Karrierechancen für Frauen in Unternehmen beinhalten und bedingen Karrieren von Männern in der Familie. Der Satz aus dem Grundsatzprogramm der SPD »Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden« gilt auch und vielleicht sogar besonders für den Arbeitsmarkt.

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