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Medienregulierung und -förderung im digitalen Zeitalter Kein Grund in Ohnmacht zu fallen

Es ist erstaunlich, wie häufig man als Medienreguliererin gefragt wird, ob man sich nicht ohnmächtig fühle angesichts der Fülle an Herausforderungen im Internet. Die Bekämpfung von Desinformation und die Durchsetzung des Jugendmedienschutzes seien doch ein uferloses Unterfangen, zudem hinkten Gesetzgeber und Regulierer stets hinter. Interessanterweise werden die 14 Landesmedienanstalten in Deutschland regelmäßig entweder als zahnloser und ehedem hinkender Tiger oder wahlweise als Wahrheitsministerium und Zensurbehörde wahrgenommen. Mit diesen beiden Zuschreibungen sind die diametralen Frontlinien gezeichnet und der anklagende Ton gesetzt.

Die bisweilen empfundene Ohnmacht ist verständlich und nachvollziehbar, sie ist aber in ihrer Omnipräsenz nicht nur gefährlich, weil sie einem Sich-dem-Schicksal-Ergeben gleichkommt. Zudem ist sie auch unnötig. Wir sind wirkmächtiger und damit auch resilienter, als bisweilen angenommen wird. Der Ursprung dieser eher fatalistischen Selbstbeobachtung liegt nicht zuletzt in der Lautstärke einiger, insbesondere digital geführter Debatten.

Emotionsgetrieben hecheln wir mit Blick auf Twitter-Timelines, Boulevard-Schlagzeilen und Clickbait-Logik durch gesellschaftspolitische Diskussionen, die eher einen ruhigen Atem und wachen Blick erfordern. Die Politik erklärt die Zeitenwende zum Modus Operandi unserer Gegenwart, Emotionen prägen das Weltgeschehen und somit auch die Nachrichtenlage. Der Versuch des kriegerischen Unterjochens einer Nation, besorgniserregende Klimakatastrophen und epidemischer Notstand versetzen uns in einen Zustand ständiger Alarmbereitschaft.

Diese Atemlosigkeit trifft auf ein überbordenes Informationsangebot, deren Anbieter:innen um unsere Aufmerksamkeit feilschen. Als Rezipient:in ist man non-stop gefragt, so poppen Push-News auf dem Handy-Display auf, im TikTok-Feed geht es bewegt her, auf Twitter eher statisch dafür aber lautstark. Zunehmend informieren wir uns über diese digitalen Plattformen – sowohl was die Nachrichtenlage anbelangt als auch auf der Suche nach wissenschaftlichen Quellen.

Starten wir mit einigen Erkenntnissen aus der Medienforschung, die uns eher besorgen werden – also mit der Problembeschreibung. Im Anschluss und mit Blick nach vorn zu den Lösungsansätzen.

Online begegnen wir Desinformation nahezu zwangsläufig. Aufrüttelnd ist das Ergebnis einer Recherche von NEWSGUARD in diesem Jahr, die – mit dem Einverständnis der Erziehungsberechtigten – für neunjährige Kinder TikTok-Accounts anlegten, unter Umgehung der AGB. In neun von zehn Fällen waren die Kinder nach nur 35 Minuten mit Desinformationen zur Coronapandemie konfrontiert.

In einer breit angelegten Studie der Stiftung Neue Verantwortung wurde die Informations- und Nachrichtenkompetenz von Internetnutzer:innen genauer untersucht. 41 Prozent der Befragten erkannten eine Falschinformation auf Facebook trotz des Faktencheck-Hinweises nicht, bei einer nicht gekennzeichneten Falschinformation waren es sogar 57 Prozent. Selbst bei einem Hinweis der Plattformen, dass es sich bei einem Post um Falschinformation handele, sind sich also vier von zehn Nutzer:innen der Konfrontation mit Desinformation nicht bewusst.

Auch auf der Suche nach wissenschaftlichen Evidenzen und Fakten begegnen wir desinformierenden Inhalten. In einer sowohl quantitativ als auch qualitativ angelegten Studie hat die Agentur für Meinungsforschung pollytix das Nutzungsverhalten von YouTube-Nutzer:innen bei wissenschaftlichen Themen untersucht – im Kern ging es um den Eisbären und die Frage, ob er durch den Klimawandel bedroht sei. Damit wenigstens hier kein Zweifel aufkommt: Ja, ist er.

Den Befragten wurden zwei Wissenschaftsvideos auf YouTube zur Bewertung präsentiert. In dem einen Video werden zwar Quellen genannt, die Quellenlage zum Thema wird jedoch verzerrt dargestellt, Grafiken und Statistiken werden verkürzt interpretiert, Meinung und Information sind nicht klar getrennt. Die Kernbotschaft dieses Videos ist, dass Eisbären keinesfalls existenziell vom Klimawandel bedroht seien. Das andere Video stellte ausgewogen und sachlich die Quellenlage und verschiedene Positionen zum Thema Solar-Geoengineering dar und unterschied explizit zwischen Meinung und Information.

Professionelle Suggestion von Objektivität

Die Studie zeigt, dass es leicht ist, Glaubwürdigkeit vorzutäuschen. So reicht die schiere Anzahl von Quellen für die meisten Befragten, um Seriosität auszustrahlen. Nur ein Bruchteil der Nutzenden zieht in Betracht, die Quellen kritisch zu hinterfragen. Die von YouTube selbst angebotenen Hinweise unter den Videos werden zumeist nicht wahrgenommen oder nicht richtig interpretiert. Content-Anbieter:innen können sich diese Mechanismen leicht zunutze machen und gezielt den Anschein wissenschaftlicher Authentizität erwecken. In solchen Fällen haben wir es mit professioneller Suggestion von Objektivität zu tun.

Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass diese suggerierte Faktizität wirkt. So hat sich rund ein Drittel der Befragten durch das Negativbeispiel von seiner ursprünglichen Meinung abbringen lassen und zweifelt nach Anschauen des Videos daran, ob Eisbären wirklich vom Aussterben bedroht sind. Vor dem Anschauen des Videos waren sie noch dieser Meinung, danach zweifelten sie.

Diese Ergebnisse sind zunächst einmal nicht nur wenig erfreulich, sie sind vielmehr besorgniserregend. Was macht die Medienaufsicht nun mit diesen Ergebnissen? Was kann denjenigen entgegengesetzt werden, die unseren inneren »Vertrauenskompass« mit ihren Tricks, die ein Zerrbild der Wirklichkeit erzeugen, auf einen völlig neuen Kurs lenken wollen? Wie können wir Nutzende schützen oder neudeutsch »enablen«?

Die zunehmende Reichweite von Desinformation, ihre Verbreitungsgeschwindigkeit und die Raffinesse ihrer technischen Aufbereitung haben das Potenzial, den demokratischen Diskurs und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden. Daher ist die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen längst zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe geworden. Und natürlich ist das auch unsere Aufgabe – die Aufgabe einer Medienaufsicht, die vor allem dem Schutz der demokratischen Medienordnung verpflichtet ist.

Überprüfung des journalistischen Handwerks

Kommen wir also zur Medienaufsicht. Die Medienanstalten sind zuständig für journalistisch-redaktionelle Onlinemedien und die dortige Einhaltung der sogenannten journalistischen Sorgfaltspflichten. Journalistische Sorgfaltspflichten – das klingt zunächst hochtrabend. Tatsächlich geht es aber um journalistische Selbstverständlichkeiten. Wer regelmäßig im Netz Nachrichten oder politische Informationen publiziert, muss sich an journalistische Standards halten. Das ist für TV, Radio und Presse längst gesetzlich festgelegt. Seit 2020 gilt dies auch für Online-Medien, die journalistisch-redaktionell sowie geschäftsmäßig arbeiten und nicht dem Presserat oder einer anderen Selbstkontrolleinrichtung unterliegen. Wie genau setzen die Landesmedienanstalten ihre neue Aufgabe nun um? Wie können die immerhin 14 Anstalten die Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflichten von unzähligen Internetangeboten gewährleisten?

Die Antwort ist nicht so ungewöhnlich oder aufregend, wie man vielleicht vermuten könnte: Wir machen das, was wir immer machen, lediglich auf neuem Terrain: Wir beobachten das »Programm«, wir führen Schwerpunktanalysen durch und reagieren auf Beschwerden. Wir agieren so wie auch im Jugendschutz oder bei der Werbeaufsicht.

Wie sind diese Pflichten zur Sorgfalt nun zu verstehen? Welchen Maßstab legt die Medienregulierung hier an? Zunächst einmal gilt, dass sich die Landesmedienanstalten weder als Wahrheitspolizist:innen noch als Geschmacksdompteur:innen verstehen. Unser gesetzlicher Auftrag ist nicht, die Wahrheit der Veröffentlichungen zu überprüfen, sondern das publizistische Handwerk. Weder müssen journalistisch-redaktionelle Angebote ausgewogen sein, noch untersuchen wir, ob die Darstellungen inhaltlich richtig oder falsch sind.

Vielmehr geht es um die Art und Weise der journalistischen Arbeit. Wurden Herkunft und Quellen geprüft, Tatsachen nicht aus dem Zusammenhang gerissen, Umfragen auf ihre repräsentative Natur kontrolliert? Im Kern geht es bei der Prüfung um Transparenz für die Nutzer:innen. Haben die Nutzer:innen eine Chance zu erkennen, um was für ein Angebot, was für einen Inhalt es sich handelt und vor welchem Hintergrund die Nachricht entstand?

Der Gesetzgeber hat aus unserer Sicht mit dieser neuen gesetzlichen Vorschrift besonnen auf fraglos zu beobachtende Entwicklungen im Bereich der Online-Publizität reagiert. Diejenigen, die regelmäßig journalistisch-redaktionell Nachrichten und politische Informationen verbreiten und dergestalt öffentlich meinungsbildend wirken, sollten ihr publizistisches Handwerk verstehen. Und aufseiten der Medienkonsumierenden muss es die Chance geben, erkennen zu können wie gearbeitet wurde.

Medienkompetenz beginnt im Kindesalter

Doch Regulierung ist nur die eine Seite der Medaille, die andere ist Förderung oder eben das »Enablen«. Wir alle – jung bis alt, mit jeglichem Bildungsabschluss – müssen selbstbestimmt Medien rezipieren und Online partizipieren können. Wir brauchen Chancengleichheit bei der Informations- und Nachrichtenkompetenz, sie muss Kern unseres Demokratieverständnisses sein. Ohne selbstbestimmte Mediennutzung kein demokratischer, kritischer Mediendiskurs – und die Medien (im weitesten Sinne) sind nun mal Austragungsorte unserer gesellschaftspolitischen Debatten.

Aber wie stellen wir die Weichen für eine selbstbestimmte Mediennutzung? Am besten bereits im Kindesalter: Dafür ist ein wirksames Zusammenspiel aus elterlicher Erziehung, schulischer Bildung und fachkompetenter Beratung notwendig, das den Kindern und Jugendlichen den Weg zu mehr Selbstbestimmung und kritischem Denken ermöglichen soll.

Medienkompetenz-Projekte wie »Journalismus macht Schule« zeigen Kindern und Jugendlichen, wie Journalismus funktioniert und was ihn ausmacht. Journalist:innen von regionalen und überregionalen Medien gehen an Schulen und treten mit den Schüler:innen in den Dialog. Sie sprechen zu aktuellen Themen wie Fake News und erklären, wieso die Medien eine wichtige Säule der Demokratie sind. Ein Projekt, das Journalismus nah und erlebbar für die Jüngsten in unserer Gesellschaft macht und ein Stück Verantwortung mitträgt.

Im Kampf gegen Desinformationen müssen zentrale Elemente wie das Vertrauen in den Journalismus, das Bewusstsein für die Wirkungsformen von Desinformation sowie selbstbestimmte Mediennutzung als Ganzes gedacht werden – von uns allen. Zusammen bilden sie die Grundpfeiler demokratischer Resilienz in Zeiten von Falschmeldungen, Deep Fakes und Verschwörungserzählungen.

Das Ineinandergreifen von Regulierung und Förderung unserer Informations- und Nachrichtenkompetenz ist damit Voraussetzung einer freiheitlichen Medienordnung. Sie schützt und verteidigt unsere demokratischen Grundwerte und erlaubt jedem und jeder Einzelnen, die innere Kompassnadel zu stabilisieren und den Kurs zu halten.

Kommentare (1)

  • sc
    sc
    am 24.10.2023
    Eine Übersicht über Faktenchecker und kooperierende Netzwerke von Recherchezentren, die Falschmeldungen überprüfen: https://sensiblochamaeleon.blogspot.com/2023/09/faktenchecks-wahrheitssuche-peer-review.html - Die automatisierte Qualitätsbewertung durch Information Retrieval-Systeme der Suchmaschinen kommt der Schnelligkeit, Viralität und psychologischen Wirksamkeit von Fakenews und Verschwörungstheorien kaum hinterher. Es wird erforscht, ob und wie KI's Informationen auf Wahrheitsgehalt prüfen können. Das funktioniert aber noch nicht im großen Stil und sollte aus informationsethischer Perspektive begutachtet werden.

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