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Warum eine genderorientierte Außenpolitik notwendig ist Kein Luxusgut

Man kann wohl kaum ermessen, mit wieviel Geschick es der UN-Beauftragten für Libyen, Stephanie Williams, gelungen ist, die rivalisierenden Lager im Bürgerkrieg zwischen Tripolis und Tobruk zu einem Kompromiss zu bewegen. Warum gelang ihr, was vielen ihrer Kollegen nach der Berliner Libyen-Konferenz bis dato versagt geblieben war? Sind Frauen an Friedensverhandlungen beteiligt, verlaufen diese häufig pragmatischer und erzielen raschere, vor allem langfristigere Erfolge.

Es offenbart sich ein klarer Trend: Sobald »echte«, schier unlösbare Probleme auftauchen, sobald wir uns gesellschaftlich einer übergeordneten Bedrohung ausgesetzt fühlen, wir Krisen ins Antlitz schauen und Unsicherheiten zunehmen, sind die Nehmerqualitäten von Frauen besonders gefordert. Gleichwohl zeigt sich dabei so mancher Widerspruch, denn zugleich finden in Konfliktlagen – wie etwa aktuell während der Corona-Pandemie – Gleichstellungsfragen weitaus weniger Aufmerksamkeit. So wird gerne der Eindruck erweckt, die Gleichberechtigung der Geschlechter sei ausschließlich »Schönwetter-Phasen« vorbehalten. Häufig artikulieren die an Entscheidungsprozessen Beteiligten nur klammheimlich ihr Unbehagen; sie müssen taff sein, strapazierfähig, zugleich emphatisch, humorvoll und unverwüstlich, selbst dann, wenn das von ihnen klug vorgetragene Argument, das ohne jegliche Reaktion blieb, kurze Zeit später von einem männlichen Kollegen wiederholt, dann aber frenetisch gefeiert wird.

Zu solchen Erfahrungen schweigen Frauen in Verhandlungs- und Entscheidungsprozessen zumeist. Die Autorinnenschaft zu reklamieren würde ihnen ohnehin nur die Schmähung einbringen, nicht durchsetzungsfähig genug zu sein. Wenn bereits erreichte Ziele der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern revidiert werden, verfallen wir augenscheinlich in altbekannte Muster und setzen aus Verunsicherung offensichtlich auf Rollenklischees, die wir längst auf dem Müllhaufen der Geschichte glaubten. Auch die politische Entscheidungsfindung und der öffentliche Diskurs werden in der Krise von subtilen geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen dominiert, schlimmer noch: Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie blenden weibliche Perspektiven und Bedürfnisse oft gänzlich aus. Der Cis-Mann gilt immer noch als Maßstab und Norm, orientiert sich an bekannten Mustern, macht Politik für seinesgleichen und verstärkt somit den Gender-Gap auf antiquierte Weise.

Hier wird ein strukturelles Problem erkennbar, da sich die Weltordnung seit Jahrhunderten – wenn nicht Jahrtausenden – an den Bedürfnissen von weißen, einflussreichen Männern orientiert. Ob innen- oder außenpolitisch, ob finanz- oder gesundheitspolitisch, Konflikt- und Krisengebiete betreffend, Entscheidungen werden von Männern für Männer getroffen. Frauen spielen zumeist nur eine marginale Rolle, sind hoffnungslos unterrepräsentiert. Zu manifest greift die Sozialisation von Geburt an in das Bewusstsein eines jeden Menschen, prägt Glaubenssätze, Beziehungen und letztlich ganze Gesellschaften. Dabei gerät in Vergessenheit, dass es sich auch bei Frauenrechten um emanzipatorische Menschenrechte handelt, die aber offensichtlich stets erneut errungen werden müssen.

Nach Angaben der Vereinten Nationen lag der Anteil von Frauen bei Friedensverhandlungen im Zeitraum von 1992 bis 2011 bei lediglich 9 % – fast eine quantité négligeable könnte frau meinen. Auch im Auswärtigen Dienst sind Frauen nach wie vor unterrepräsentiert, was nicht nur unter Paritätsgesichtspunkten problematisch ist: Selbstverständlich sind Frauen keineswegs die besseren Menschen – ohne weibliche Repräsentation und Genderkompetenzen allerdings würden die Interessen und Bedürfnisse von rund der Hälfte der Weltbevölkerung fast gänzlich außer Acht gelassen.

Wer dies bereits angesichts neuer erfrischender feministischer Debatten und Aktionen – etwa die »We should all be feminists«-T-Shirts von Dior – als Normalzustand wahrnahm, kann nicht umhin, gerade während der Corona-Krise für alle politischen Ebenen und Handlungsfelder schlichtweg mehr feministische Fürsprache zu reklamieren – ganz unabhängig vom Geschlecht. Positiv zu bewerten ist daher die Akzentsetzung von Außenminister Heiko Maas auf die Themen Frauen, Frieden, Sicherheit; angesichts des subtilen Sexismus in außenpolitischen Gremien und Organisationen ist es ohnehin ein Novum, dass ein Außenminister in dieser Frage seinen engagierten Amtskolleginnen so vehement beipflichtet. Vor allem auch deshalb, weil es dabei um pikante Themen wie den Schutz vor sexualisierter Kriegsgewalt, das weibliche Selbstbestimmungsrecht nach Vergewaltigungen als Kriegswaffe oder um die Eindämmung von Klitorisbeschneidungen geht.

Der Blick auf das aktuelle Zeitgeschehen verrät jedoch rasch, dass den Forderungen der vor gut 20 Jahren verabschiedeten UN-Resolution 1325 (»Frauen – Frieden – Sicherheit«) noch viele pragmatische Entscheidungen und Taten folgen müssen. Vor allem die noch zu erwartenden Konsequenzen der Corona-Krise muss die deutsche und europäische Außenpolitik noch viel stärker in den Fokus rücken. Der im Herbst 2020 von der Bundesregierung vorgelegte Dritte Nationale Aktionsplan könnte einen weiteren wichtigen Schritt zur Erreichung einer gerechteren Außenpolitik darstellen. So werden weltweit unter dem Deckmantel der Corona-Pandemie Grundrechte beschnitten und Demokratien auf eine harte Probe gestellt.

Betroffen sind dabei vor allem Frauen und Mädchen. Ob verschärfte Gesetze zu Schwangerschaftsabbrüchen oder häuslicher Gewalt – meist berühren die Entwicklungen die Unversehrtheit und das Recht auf den weiblichen Körper. Unser Nachbarland Polen gilt hier als trauriges Beispiel. Zwar trieb die Verabschiedung des Anti-Abtreibungsgesetzes viele Demonstranten und Demonstrantinnen auf die Straße, doch weiterhin bleiben als einzige Auswege für Betroffene, zumindest vorübergehend, illegale und oft lebensgefährliche Schwangerschaftsabbrüche oder die Flucht in Nachbarstaaten – eine Möglichkeit, die durch Reiseverbote als wichtiges Instrument zur Pandemiebekämpfung allerdings auch versperrt wird. In Belarus wiederum wurden die von Frauen angeführten Proteste gegen den Despoten Alexander Lukaschenko brutal niedergeschlagen, Mütter von ihren Kindern getrennt und inhaftiert, als Terroristinnen und angebliche Corona-Leugnerinnen an den Pranger gestellt. Würde das Regime Frauen ernst nehmen, müsste es mehr an einer Umarmungsstrategie statt an massiver Unterdrückung interessiert sein.

Allerdings zeigt der Blick ins Inland, dass die Corona-Zeiten auch in Deutschland zu einem Alarmglockenkonzert führen müssten, denn auch uns droht ein genderpolitisches Abseits. Es grüßt das Patriachat und belehrt alle, die den Kampf für Geschlechtergleichheit bereits gewonnen glaubten, eines Besseren. Anstatt die Bedürfnisse und die Entlastung von Frauen bei der Sorgearbeit, durch Doppelbelastung mit Kinderbetreuung und Homeschooling oder bei häuslicher Gewalt zu berücksichtigen, erscheinen viele politische Maßnahmen gegen die Eindämmung des Virus geradezu genderblind. Kaum anders zu erwarten, wenn die Entscheidungsgremien deutlich männlich dominiert sind.

Kommt es zur Reprivatisierung von Aufgaben der Sorgearbeit oder wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erneut zur Privatsache, dann werden Frauen nicht nur als politische Akteurinnen unsichtbar gemacht, es zeigt sich auch ihr Ressourcenmangel: finanziell, weil sie sich beruflich zurückziehen müssen; sozial, weil das Homeoffice mit ABC-Schülerin und Kleinkind auf dem Schoß isoliert; und zeitlich, weil die private Verantwortung viele Stunden und so manche Nacht in Anspruch nimmt.

Der Blick auf die aktuelle Realität von Frauen wird schon deshalb verstellt, weil Frauen Opfer des »Silencing« zu werden drohen. Hier schließt sich der Kreis: Frauen laufen durch mangelnde Partizipation an politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen, wirtschaftliche Abhängigkeit und eklatant fehlende Ressourcen Gefahr, in eine Abwärtsspirale zu geraten, die ihre Stimme zum Flüsterton macht. Um diesem gefährlichen Prozess entgegenzuwirken und einen Backlash als Folge der Corona-Pandemie abzumildern, sind radikale politische Entscheidungen unabdingbar.

Bereits im April 2020 machte UN-Generalsekretär António Guterres in seiner Erklärung zur Lage der Frauen im Zuge der COVID-19-Pandemie deutlich, dass die Krise nicht zur Vertiefung von Ungleichheiten führen dürfe und forderte die Regierungen dringend dazu auf, Frauen und Mädchen in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen zum Wiederaufbau nach COVID-19 zu stellen – weise Hinweise, die nicht ohne Nachhall bleiben dürfen.

Auch das schwedische Modell einer gendersensiblen Außenpolitik könnte uns als Vorbild dienen: Nach einem im Jahre 2018 in Schweden veröffentlichten Handbuch müssen bei der Analyse eines Konflikts stets die Perspektiven beider Geschlechter berücksichtigt werden – und sich jegliches außenpolitische Handeln an den drei definierten »R« orientieren: Rechte, Repräsentation und Ressourcen. Ein wirksamer Ansatz im Kampf gegen die wachsende Ungleichheit? Die Logik: Sind Rechte und Pflichten bei Frauen und Männern in Bildung, Arbeit und Privatheit gleich verteilt, habe dies automatisch positive Auswirkungen auf die Gleichberechtigung in Parlamenten und anderen Gremien – und mehr noch – auf die Vergabe von Geldern. In Schweden nennt sich dies »feministische Außenpolitik«. Im sozialdemokratischen Diskurs orientieren wir uns hingegen am Begriff der »genderorientierten Außenpolitik«, da weniger polarisierend, und, ganz im Sinne des Gender-Mainstreaming, die Belange aller Geschlechter einbeziehend, zumal auch Männer und Jungen Opfer sexistischer Gewalt und patriarchaler Diskriminierung werden können. Ohne Frage, die Begriffsdefinition ist auch ein Kompromiss, da die Bezeichnung »Feminismus« in weiten Bevölkerungsteilen, unabhängig vom Geschlecht, entweder abgelehnt oder als Angriff auf die eigene Identität gewertet wird. Um breite Akzeptanz gewinnen zu können, gilt es daher, sprachliche Inklusion zu betreiben.

Inklusion ist auch die Essenz unserer Definition einer genderorientierten Außenpolitik. So hat es einen durchaus faden, wenn nicht provokativen Beigeschmack, wenn immer wieder – wie etwa auch in der Zweiten Menschenrechtsweltkonferenz in Wien 1993 – daran erinnert werden muss, dass es sich auch bei Frauenrechten um Menschenrechte handelt. Die genderorientierte Außenpolitik will aber genau jene Selbstverständlichkeit erreichen, sodass es nicht mehr einer expliziten Erwähnung bedarf, sondern zum integrativen und selbstverständlichen Bestandteil allen (außen-)politischen Handelns wird. Ziel ist eine Gesellschaft, in der Rechte, Ressourcen und Macht fair verteilt sind, denn die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ist eines der größten Hindernisse für Frieden und eine nachhaltige Entwicklung, ökonomische Prosperität und die Reduktion von Armut weltweit, was durch die Corona-Pandemie weiter verstärkt wird. Weder kann der Kampf gegen Hunger, noch der um gerechtere Produktionsweisen und ein nachhaltigeres Konsumverhalten von den geschlechtsspezifischen Lebenssituationen der Menschen losgelöst werden, noch dürfen beim Schutz der Menschenwürde geschlechtsspezifische Nachteile oder Diskriminierungen hingenommen werden.

Mein über zwei Jahre mit diversen Frauenorganisationen, dem Auswärtigen Amt und der SPD-Bundestagsfraktion erarbeiteter Entschließungsantrag zur »Gleichstellungsorientierten Außenpolitik« scheiterte letztlich am Konservatismus der Union – eine bittere Bilanz! Geplant war dieses Anliegen als »Geburtstagsgeschenk« zum 20-jährigen Bestehen der UN-Resolution 1325. Trotz enger Zusammenarbeit mit einigen weiblichen CDU-Abgeordneten schlich sich in letzter Sekunde, als alles bereits in trockenen Tüchern schien, ein diskriminierender Lebensschützer-Passus in den Text ein, der zwar die Beratung von Frauen nach sexualisierter Gewalt vorsah, allerdings nur mit der Maßgabe des »Schutzes des ungeborenen Lebens«. Selbsternannten Lebensschützern das Wort zu reden ist nicht Sache der deutschen Sozialdemokratie, die eine solche rote Linie im Interesse von Frauen niemals überschreiten mag; der gemeinsame Antrag wurde somit auf der Zielgeraden zum Politikum.

Das Scheitern wird uns allerdings nicht davon abhalten, weiterzukämpfen. Und so bleibt es wohl Aufgabe wachsamer Kämpfer und Kämpferinnen für Frauenrechte, den durch die Pandemie forcierten Rückschritten in Gleichstellungsfragen Einhalt zu gebieten. Gut, wenn sie dann viele feministische Parlamentarier und Ministerinnen an ihrer Seite wissen!

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