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Zwischenruf: Die SPD und ihre Freidenker

Dass sich die SPD zurzeit schwertut, die Menschen für sich und ihre Politik zu begeistern, ist bekannt. Umso seltsamer mutet es an, was der Parteivorstand in seiner unergründlichen Weisheit meint tun zu müssen, um in dieser Lage das Profil der SPD zu schärfen. Er verbietet einer Gruppe von säkularen, d. h. konfessionell nicht gebundenen Parteimitgliedern, sich bei öffentlichen Auftritten – zum Beispiel im Internet – als »Sozialdemokraten« zu bezeichnen. So steht es in einem Brief, den der Generalsekretär Lars Klingbeil Ende März an Gerhard Lein, Mitglied der Hamburger Bürgerschaft und Sprecher der Gruppe, geschrieben hat.

Es gibt jeweils einen Arbeitskreis der Christen und einen der Muslime in der SPD, es gibt einen Arbeitskreis von Sozialdemokraten jüdischen Glaubens. Aber einen Arbeitskreis von Humanisten und Konfessionslosen darf es nicht geben? Ein gutes Drittel der Deutschen gehört keiner Konfession an, darunter besonders viele in den neuen Bundesländern, wo demnächst wichtige Wahlen stattfinden. Die Sozialdemokraten unter ihnen könnten sich auf den bekennenden Freidenker und Atheisten August Bebel berufen, den eigentlichen Gründervater der Partei. Sie könnten sich sogar auf die evangelische Theologin Dorothee Sölle berufen, die einmal gesagt hat, sie sei »A-Theistin«, weil sie nicht an einen Gott glaube, der in den Lauf der Welt lenkend eingreife; das müssten die Menschen schon selber machen.

Ich selbst gehöre keiner Konfession an, aber ich bin weder areligiös noch antireligiös. Ich bin mit Pfarrern und Theologen beider christlichen Kirchen befreundet. Ich bin überzeugt, dass die großen Weltreligionen wichtige und richtige Fragen stellen. Nur ihre Antworten überzeugen mich meistens nicht. Vor allem bin ich skeptisch gegenüber vielen kirchlichen Dogmen, halte es für nicht vereinbar mit Demokratie und Zivilität, wenn jemand im öffentlichen Meinungsstreit auf geoffenbarte Gewissheiten pocht, und bin erschüttert darüber, wie in der katholischen Kirche mit Frauen und dem Thema Sexualität umgegangen wird.

Aber ich bin mir auch der Grenzen der Rationalität bewusst, insbesondere, wenn es um die Grundfragen der menschlichen Existenz geht. Ich neige der Ansicht des amerikanischen Philosophen Charles Taylor zu, dass die meisten Atheisten nicht areligiös und schon mal gar keine Feinde der Religion seien. Viele von ihnen sind nach meiner Überzeugung eher Skeptiker, die es sich aus Menschenfreundlichkeit verbieten, andere und sich selbst mit angeblichen Gewissheiten zu überwältigen.

Ich wünschte mir meine Partei etwas gelassener und souveräner im Umgang mit religiösen Fragen. Der demokratische Sozialismus hat viele Wurzeln, die christliche Ethik gehört dazu und der Humanismus und die Aufklärung. Und natürlich auch der Marxismus. Soll das heute etwa nicht mehr gelten? Bezüglich der sogenannten »letzten Dinge« tappen wir doch mehr oder weniger alle im Dunkeln. Das mag der eine oder andere vor anderen und vor sich selbst verheimlichen. Ich meine aber, wir sollten es mit einem Schuss Humor ertragen, zum Beispiel mit dem folgenden Vierzeiler im Geiste des Göttinger Aufklärers Georg Christoph Lichtenberg:

Überall auf der Welt reden gläubige Christen

Nur mit Abscheu über die Atheisten

Ich aber kann mein Glück kaum fassen

Dass Gott mich hat Atheist werden lassen

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