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Ein Dramaturg fragt: Hat Philipp Ruch doch recht? Die Glosse

Die Aktion »Sucht nach uns«, mit der Philipp Ruch und das »Zentrum für politische Schönheit« (ZPS) Anfang Dezember 2019 eine Gedenkstele angeblich mit Asche (von den Nazis ermordeter Juden) ins Berliner Regierungsviertel stellten, ist in ihrem antifaschistischen Furor weit über jedes denkbare Ziel hinausgeschossen (oder – wie man’s nimmt – dahinter zurückgeblieben). Dazu ist eigentlich alles gesagt – ergäbe sich mit den Vorgängen in Thüringen nicht eine bemerkenswerte Perspektive.

Die Kontextualisierung der Aktion, die ihren Gegenwartsbezug herstellen soll, hebt darauf ab, dass die Stele an jenem Ort aufgestellt worden sei, wo »der Konservatismus die deutsche Demokratie in die Hände von Mördern legte«, gegenüber dem Reichstag, nach dessen Brand im Februar 1933 das Parlament im Gebäude der Kroll-Oper tagte. Dort erinnere bis heute nichts daran, heißt es in dem Erklärvideo des ZPS mit raunender Stimme zu getragener Musik, dass hier die Politik ihren Ausgang nahm, die zu Weltkrieg und Massenmord führte.

Eine völlig verquere, verquaste und zynische Aktion, darüber waren sich die Kommentatoren schnell einig: Das ZPS gräbt Asche von ermordeten Juden aus, um damit – gleichsam mit der Aura des Originals – den Angriff auf »die Konservativen« zu beglaubigen, die es sich 1933 – um noch das harmloseste zu sagen – zutrauten, mit den Nazis zu paktieren, um die Linke von der Regierungsmacht fernzuhalten und das Vaterland vor dem Bolschewismus zu retten. Die aber de facto Hitler salonfähig und seine Kanzlerschaft am 30. Januar 1933 möglich machten. Mit den bekannten Folgen.

Doch die Ereignisse in Thüringen – die Wahl eines FDP-Politikers zum Ministerpräsidenten durch eine Mehrheit von CDU, FDP und AfD – lassen dann doch aufhorchen. Ausgerechnet Thüringen! Wo doch schon in den letzten Jahren der Weimarer Republik jener erste politische »Dammbruch« vollzogen wurde – die erste Regierungsbeteiligung der Nazis an einer »bürgerlichen« Regierung aus Landbund, Wirtschaftspartei, Deutscher Volkspartei und Deutschnationaler Volkspartei. Einer Regierung, die von Januar 1930 bis April 1931 zwar für nur gut ein Jahr im Amt war und dann durch ein von der DVP eingebrachtes Misstrauensvotum gestürzt wurde – wegen der vielfältigen »Beleidigungen und Verleumdungen« der Nazis, wie Wikipedia weiß. Also nicht etwa wegen des ersten Ermächtigungsgesetzes (29. März 1930), das Grundlage für ein erstes »Aufräumen« des Innen- und Volksbildungsministers Wilhelm Frick (NSDAP) war, vielfältiger Maßnahmen der Presse- und Kunstzensur oder der Berufung eines Rasseforschers auf eine Professur für Sozialanthropologie an der Universität Jena – praktische Blaupause also für das, was dann ab Februar 1933 im Reich geschehen sollte.

Hat Philipp Ruch also vielleicht doch recht? Nein, hat er nicht! So wahr es bleibt, dass politische Kräfte des deutschen Konservatismus, die sich in der Weimarer Republik zur Verhinderung linker Regierungen mit den Faschisten verbündeten und sich um Republik, Demokratie und Rechtstaatlichkeit nicht scherten, so unnütz, zynisch und absurd bleibt es, die Asche der Ermordeten zur Verstärkung einer Kampfparole zu instrumentalisieren.

PS: Insofern könnte es so schön gewesen sein, wenn es denn wahr wäre, was Thüringens Kurzzeit-Ministerpräsident von der FDP im Wahlkampf über sich plakatieren ließ: »Endlich eine Glatze, die in Geschichte aufgepasst« habe. Da sind ja wohl doch erhebliche Zweifel angebracht.

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