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© picture alliance/dpa | Hauke-Christian Dittrich

Junge Menschen in der Provinz – es gibt sie! Nachschlag

Das digitale Zeitalter ist längst angebrochen, doch hierzulande wurde der Schuss lange nicht gehört. Dann kam 2020 Corona und plötzlich ging alles verhältnismäßig schnell: Zoomen im Homeoffice, digitale Testnachweise, Registrierung mit der Luca-App, zuletzt der digitale Impfnachweis – in Rekordzeit wurden diese Dinge für Jung und Alt zur Selbstverständlichkeit.

Auch die Politik hat die Chance inzwischen endlich erkannt, steht jetzt aber unter Druck. Schlagzeilen über Gesundheitsämter, deren Faxgeräte bei derartigen Datenmengen den Geist aufgaben, überraschten niemanden mehr. Sie sorgten vielmehr für Kopfschütteln und unterstrichen, was seit Langem bekannt ist: Es besteht Nachholbedarf. Dass jeder vierte Erstwähler bei der Bundestagswahl aus Frust das Kreuz bei der FDP machte, kann ja kein Zufall sein. Dieser »Wake-Up-Call« zeigt doch nur, dass der doch etwas schwammige Fortschrittsbegriff, den sich die neue Koalition verpasst hat, erst noch mit Inhalten gefüllt werden muss.

Der Ampelkoalition ist bewusst: Fortschritt wird vorwiegend digital und dadurch auch eher dezentral stattfinden. Die traditionelle Funktion der Stadt wäre somit ein Stück weit überholt, ist doch heute eher eine stabile Internetverbindung das neue Tor zur Welt. Und das weckt Tagträume. Raus aus der stickigen, teuren, lauten Stadt. Keine Pakete mehr für den ganzen Wohnblock annehmen. Vorbei sind die Tage, an denen man sich als inoffizieller Mitarbeiter der Stasi fühlte, weil man durch die dünnen Decken und Wände jeden Schritt und jedes Wort der Nachbarn hörte. Unfreiwillig versteht sich. Stattdessen könnte ein alter Bauernhof die Alternative sein. Die gute Stube als Office, Laptop auf dem großen Kieferholztisch und vor der Tür ein bunter Garten mit Permakultur. Weit und breit kein Mensch in Sicht. Entspanntes Arbeiten kann so viel Spaß machen.

Selbst Michel Houellebecq, der Antimodernist schlechthin, äußerte die Hoffnung, dass die verkommene Provence durch das Internet eine Revitalisierung erleben könnte. Historisch betrachtet fungierten Städte als Zentrum des Kulturbetriebs sowie als Treffpunkt für Waren- und Ideenaustausch. Heutzutage aber, wo doch zunehmend der Bildschirm zum Treffpunkt wird, verliert da das Urbane nicht jegliche Daseinsberechtigung?

Städte wie San Francisco und New York, die für hohe Mieten bekannt und mit sogenannten »Techies« (am Laptop Arbeitende) gut gefüllt sind, verzeichneten im letzten Jahr tatsächlich erhebliche Preiseinbrüche auf dem Immobilienmarkt. Die Emigration aus den kleinen, aber dennoch kostspieligen Stadtwohnungen hinaus in die größeren, mit Garten bestückten Heime der Vororte, die mittlerweile »Zoom-Towns« genannt werden, war der Grund dafür.

Hierzulande wird die Provinz medial noch eher auf eine Art betrachtet, als handelte es sich um eine ferne Galaxie. »Was Stadtmenschen wissen sollten, bevor sie aufs Land ziehen«, heißt es da beispielsweise in einem Artikel, oder: »Habt Mut, zieht raus aufs Land!« Das schürt eher Zweifel als Aufbruchstimmung.

Die Politik reitet aber (aus gutem Grund) auf diesem Ross: Ihr muss es nämlich gelingen, den Wohnungsmangel der Innenstädte mit dem Leerstand in den Dörfern in Einklang zu bringen. So rief das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz die »Initiative Stadt.Land.Digital« ins Leben, die Kommunen bei der Entwicklung von Strategien in Richtung »Smart Region« unterstützen soll. Querfeldein fördern Stiftungen die »Digitalisierung auf dem Land« und sprechen dabei von »postdigitalen Bildungskonzepten in ländlichen Regionen«. Pionierprojekte, wie die Smart-City Wittenberge oder das Gründerland Bayern werden mit Stolz über die eigene Innovationsfähigkeit und Technologieaffinität hochgehalten. Zwischen den Zeilen soll das heißen: Was Berlin kann, können Aalen und Heidenheim auch.

In die falsche Richtung

Bei diesem allzu überschwänglichen Enthusiasmus muss sich aber doch auch irgendwo ein Haken finden lassen. Es fällt schon auf, dass hier die Politik einmal nicht verspätet zu reagieren scheint, sondern vorauseilt. Doch hören sich nicht die vielen Lockrufe irgendwie allzu künstlich erzeugt an? Von oben gefördert, von unten aber nicht verlangt? Man möchte meinen, die Zielgruppe »junge Leute« wurde bei den Planungen nicht einmal gefragt. Die Demografie spricht nämlich eine klare Sprache: Städte werden kontinuierlich jünger, das Land stetig älter. Die politisch ersehnte Umkehrung jahrzehntelanger Landflucht junger Leute erscheint also ein wenig hilflos. Denn sicher ist: Die Stadt wird für Jüngere noch lange attraktiv bleiben.

Betrachtet man die medial fetischisierte Stadt/Land-Dichotomie näher, kommt hauptsächlich eine traditionelle Haltung zum Vorschein: die städtische Überheblichkeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass die breite Berichterstattung über die »Sensation Land« aus Stadtredaktionen kommt, ist nicht gering. Allein der Ton vieler Reportagen, in denen Hauptstadtjournalist/innen die weite Reise auf sich nehmen, um zu versuchen Dorfbewohner/innen zu verstehen, erinnert an die Sprache einer Expeditionsdokumentation über die Savanne. Die naturbelassene, indigene und romantische Provinz wird zu etwas Exotischem stilisiert. Die intellektuelle, technologische Stadt hingegen bleibt das Zentrum der Zivilisation. Historisch ist das auch nachvollziehbar. Doch bildet gerade die Dezentralisierung den entscheidenden Mehrwert der Digitalisierung. Und trotzdem hinkt die Erstere der Letzteren hinterher.

Mit erzieherischem Ton wird dann aus den gläsernen Bürotürmen der Großstädte über Strategien des Exports urbaner Ideen diskutiert. Als wären Landbewohner/innen nicht imstande, ihre eigenen Anliegen und Ziele zu formulieren. Als kämen sie selbstständig nicht auf innovative Ideen oder an solche heran. Angesichts der demokratischen Zugangsmöglichkeiten des World Wide Webs ein offensichtlicher Widerspruch.

Diejenigen, die den »mutigen« Schritt des Umzugs wagen, werden als Pioniere und Abenteurer beklatscht. Ihre Zivilisationsmission: der provinziellen Perspektivlosigkeit mit frischem Stadtwind ein Ende zu bereiten. Die öffentlich-rechtlichen Sender stürzen sich regelrecht auf diese Projekte. Ein Exkurs durch die Mediatheken lässt schnell erkennen, dass es ein bis zum Überdruss wiederholtes Thema ist. Und dabei doch immer dieselbe Geschichte: Der Stadt entflohen, Hof, alternative Lebensentwürfe, nachhaltige Arbeit am Laptop, für Kunden in der Stadt. Die Protagonisten sind dabei wunschlos zufrieden, haben sie doch das Beste aus beiden Welten. Da drängt sich allerdings zwangsläufig die Frage auf, welchen aufwertenden Beitrag ein Yuppie (Young Urban Professional) für eine Kommune auf dem Land überhaupt zu bieten hat.

In der Blase der städtischen Selbstverliebtheit wird nämlich gerne vergessen, dass es trotz stattfindender Landflucht auch Junge gibt, die der Großstadt fernbleiben, weil sie sie schlicht nicht wollen oder nötig haben. Zugegeben: Es handelt sich um eine Minderheit, aber Tendenz steigend. Warum ausgerechnet sie in der medialen Berichterstattung selten zu Wort kommen, bleibt unklar. Sie werden nicht einmal gefragt. Ein Dialog? Findet nicht statt. Ihre Sichtweise, Probleme, Sorgen, Visionen werden überhört. Die Diskussion über (!) das Land wird zum größten Teil in der Stadt geführt.

Der politische Wille fehlt

Die Politik machte sich dabei mitverantwortlich, insofern sie die Realität dieser Menschen über die letzten 30 Jahre hinweg bewusst ignorierte. Der Blick blieb stets auf der demografischen Tendenz Richtung Stadt fokussiert. Vielleicht bestand mancherorts gar die Hoffnung, man könne das Land langsam austrocknen lassen, obwohl davon doch letzten Endes niemand profitieren kann. Jedenfalls finden sich junge Menschen in der Provinz nun in einer Realität wieder, in der häufig weder die Hausärztin noch der Supermarkt in weniger als 30 Minuten Autofahrt zu erreichen sind.

Dass man sich vor diesem Hintergrund einigermaßen abgehängt fühlen kann, ist nachvollziehbar. Dabei sind doch gerade junge Dorfbewohner/innen, die trotz des stetigen Abbaus von Infrastruktur ambitioniert Initiative ergreifen, die einzige Chance gegen das Aussterben jeglichen Lebens – im literarischen wie wörtlichen Sinn – außerhalb der Städte.

Die Politik müsste nun, um den Status quo tatsächlich zu revidieren, mutige Schritte gehen. Das wäre sie der Landbevölkerung ohnehin schuldig. Konkret bräuchte es für die ländlichen Regionen einen (längst überfälligen) Zukunftsplan der großen Linien. Die üblichen Lücken mit kleinen finanziellen Wundpflastern abzudecken, wird langfristig nicht genügen. Vielmehr wird eine funktionierende Infrastruktur, die beispielsweise die oft beklagte Abhängigkeit vom Pkw ablösen könnte, dringend benötigt. Für dessen Umsetzung ist in erster Linie aber der Wille fundamental, in diesen Plan zu investieren. Ohne Investitionen wird sich nichts entfalten können und wo nichts wächst, bleiben Menschen in der Regel nicht.

Der Ausbau einer flächendeckenden schnellen Internetverbindung wäre dabei nicht ein Ziel, sondern nur der Anfang – aber ein notwendiger: Gelingt der großflächige Ausbau der digitalen Infrastruktur, würde dies bahnbrechendes Potenzial entfalten. Für junge Menschen auf dem Land würde sie neue Perspektiven und Arbeitsmöglichkeiten eröffnen, die für sie selbst in der Stadt nicht vorhanden sind – und darauf kommt es an.

Was nämlich nicht gelingen kann, ist eine Verlegung des Bestehenden in den Städten – mit Glasfaserkabeln – in die Provinz. Eine Kopie bleibt eine Kopie. In Deutschland ist die Zeit jedenfalls reif, um die regionalen Stärken wiederzuentdecken und gezielt zu fördern, sodass ein Umzug aus der Stadt in die Provinz, womöglich junger Leute, die in der Stadt aufgewachsen sind, nicht gerechtfertigt werden muss, sondern nachvollzogen werden kann.

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