Die Erfolge der AfD geben auch deshalb Anlass zur Sorge, weil inzwischen zwei Landesverbände vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft werden, andere werden unter demselben Verdacht beobachtet. Und dennoch besteht die reale Gefahr, dass die Partei mittelfristig derart hohe Wahlergebnisse einfährt, dass eine Regierung kaum mehr ohne sie zu bilden sein wird. In Thüringen beispielsweise würden je nach Konstellation rund 40 Prozent der abgegebenen Stimmen ausreichen, um eine absolute Mehrheit zu erreichen. Umfragen sahen die Partei zeitweise bereits bei gut einem Drittel der Stimmen.
Auch in den Nachbarländern sind rechtsradikale Parteien längst im Aufwind, zuweilen sogar an Regierungen beteiligt. Liberale und Menschenrechte garantierende Systeme sind international unter Druck, weniger als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt überhaupt noch in einer Demokratie.
In Deutschland mögen sich solche Entwicklungen nicht zuletzt vielleicht aufgrund der besonderen Geschichte zeitverzögert abspielen, aber sie sind real. Einst war die AfD als Partei der Euroskeptiker gestartet. Dass man der Ablösung der D-Mark durch eine europäische Gemeinschaftswährung skeptisch gegenüberstehen kann, ist eine legitime Haltung im politisch-demokratischen Diskurs. Erst im Laufe der Zeit entwickelte sie sich zunehmend auch zum Sammelbecken von Menschen, die rechtsnationale und rechtsextremistische Positionen vertreten. Es ist offensichtlich gelungen, in einer großen Bevölkerungsgruppe anschlussfähig zu werden, denn es gibt den Wunsch einer stärker werdenden Minderheit nach radikalen und vermeintlich einfachen Lösungen für Probleme in einer politisch komplexen Welt.
So sprechen die Autorinnen und Autoren der aktuellen repräsentativen »Mitte-Studie« der FES von einer »Rückbesinnung auf das Nationale« und »distanzierten Einstellungen gegenüber der Demokratie«. Festgestellt wurde, dass acht Prozent der Menschen in Deutschland ein rechtsextremes Weltbild teilen. Zusätzlich wurden 20 Prozent in einem »Graubereich« verortet, in dem rechtsextreme Positionen zumindest als normal empfunden werden. Sechs Prozent befürworten sogar »eine Diktatur mit einer einzigen starken Partei und einem Führer für Deutschland«. In all diesen Bereichen sind das Höchstwerte im Vergleich mit entsprechenden Umfragen in den Vorjahren.
»Es sind vor allem ökonomische und soziale Aspekte, die die Menschen umtreiben.«
Wie aber kommen solche Stimmungsäußerungen zustande, die sich womöglich bald in Wahlerfolgen für Populisten und Extremisten niederschlagen können? Hilfreich ist es, die Erkenntnisse der »Mitte-Studie« mit der jährlichen Bestandsaufnahme über »Die Ängste der Deutschen« zu verbinden. Es sind vor allem ökonomische und soziale Aspekte, die die Menschen umtreiben. Fast zwei Drittel der Befragten fürchten sich vor steigenden Lebenshaltungskosten. Knapp dahinter stehen die Sorgen um bezahlbares Wohnen sowie vor Steuererhöhungen und Leistungskürzungen. Auf dem vierten Platz, bei 56 Prozent mit nur graduellem Abstand zu den anderen Nennungen, folgt die »Überforderung des Staates durch Geflüchtete«. Der Klimawandel steht mit 47 Prozent erst auf Platz zehn.
Diffuse Bedrohungsahnungen
Es gibt also eine starke soziale Verunsicherung in der bundesdeutschen Gesellschaft. Aus Forschungen zur internationalen Politik kennen wir den Begriff der »vitalen Interessen«, der sich abgrenzt von anderen, weniger stark zu beachtenden Wünschen. In weiten Teilen der Bevölkerung gibt es die Befürchtung, in Krisenzeiten den eigenen Lebensstandard nicht mehr halten zu können. Es sind diffuse Ahnungen der Bedrohung, die auch in der »Mitte-Studie« erfasst wurden. So wird von »gefühlten Krisenerfahrungen und damit verbundenen Entsicherungen« berichtet, die verbunden mit der wahrgenommenen »mangelnden politischen Selbstwirksamkeit« eine vitale bedrohliche Mischung ergeben.
»Der gesellschaftliche Diskurs ist vergiftet.«
Es gehört zum Konzept des politischen Populismus (der allzu oft die notwendige Vorstufe von manifestem Radikalismus und Extremismus ist), an solche Gefühle zu appellieren. Die AfD hat sich diese Lesart mit zuweilen markigen Sprüchen zu eigen gemacht. Zug um Zug gab und gibt es öffentliche Äußerungen, mit denen ausgetestet wird, wie weit man (nach rechtsaußen) gehen kann. Vor allem in Reden des innerhalb der AfD einflussreichen thüringischen Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke lässt sich diese Strategie beobachten – bis hin zu offen rechtsextremen Positionen. Während einige solchen Positionen begeistert zujubeln, werden sie von anderen im beschriebenen »Graubereich« geteilt oder zumindest nicht (mehr) rundweg abgelehnt. In der breiten Bevölkerung hat sich eine Art Empörungsmüdigkeit in Sachen AfD und Extremismus entwickelt – was genau das Ziel derjenigen war, die den Diskurs nach rechts verschieben wollten.
Hinzu kommt, dass der gesellschaftliche Diskurs auf vielfältige Weise vergiftet worden ist. Die Öffentlichkeit unterliegt einem neuerlichen Strukturwandel, dessen Folgen noch nicht ansatzweise absehbar sind. Feindseligkeit und Vertrauensverlust gegenüber Wissenschaft und Journalismus gehen einher mit einer Skepsis oder Ablehnung staatlicher Institutionen. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass auf Demonstrationen nicht nur Medienschaffende beschimpft und körperlich angegriffen werden, sondern auch Polizei und Rettungskräfte.
Hass und Hetze sind daneben vor allem in sozialen Netzwerken allgegenwärtig. Instrumentalisierte Halbinformationen ringen genauso um Aufmerksamkeit wie »alternative Fakten«, unbeabsichtigte Falschdarstellungen und gezielte Desinformation. Es gehört zum Repertoire von Verfassungsfeinden, solche Denk- und Argumentationsweisen strategisch zu befeuern und so die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Das Ziel dahinter ist, den Boden zu bereiten für extreme Positionen, um daraus folgend den Ruf nach einer »starken Hand« abzuleiten – man kann auch zugespitzt von der Sehnsucht nach einem allmächtigen »Führer« sprechen. Die partielle Zuneigung zu diktatorischen Systemen, die in der »Mitte-Studie« diagnostiziert wurde, zeigt, wie erfolgreich diese Vorgehensweise in Deutschland bereits ist.
Das Gefühl der Sicherheit ist verschwunden
Der AfD gelingt es, solche Stimmungen gezielt in Stimmen umzumünzen. Die subjektiv empfundene und in manchen Fällen auch objektiv nachweisbare Entsicherung großer Teile der Bevölkerung ist deshalb ein Aspekt, der von den etablierten und demokratischen Kräften verstärkt wahr- und ernstgenommen werden muss. Dagegen steht der Trend, Engagierte als »Gutmenschen« abzuwerten und lächerlich zu machen. Verschwörungserzählungen haben Hochkonjunktur und dienen letztlich nur dem Zweck, das demokratische System zu beschädigen – um es letztlich abzuschaffen.
»Es geht darum, Interessen gegeneinander auszuspielen.«
Wichtig ist, solche Gedankengänge nicht als Verschwörungsideologie zu bezeichnen. Es geht ganz offensichtlich nicht darum, konkrete politische Lösungen für vorhandene Herausforderungen und Probleme auf reflektierter Grundlage anzubieten. Es geht vielmehr darum, Interessen gegeneinander auszuspielen und einen Glauben an vermeintliche Verschwörungen zu generieren. Ausgrenzung ist eines der wesentlichen Mittel dieser Vorgehensweise. Diese Ausgrenzung äußert sich bei der AfD auch in einer latenten Fremdenfeindlichkeit und Herabstufung anderer Minderheiten. Die Fokussierung auf nationale Interessen ist bei genauer Betrachtung der komplexen Zusammenhänge eine sehr grundsätzliche Gefahr: sowohl für die Rolle Deutschlands als führende Exportnation als auch für die Wahrnehmung bei Fachkräften oder Touristinnen und Touristen aus dem Ausland. All diese Aspekte rühren letztlich existenziell an der wirtschaftlichen und sozialen Basis unseres Landes.
Solche Art der Reflexion ist in der AfD-Anhängerschaft kaum verbreitet. So wurde eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) kaum wahrgenommen. Sie hat nämlich herausgefunden, dass ausgerechnet die Wählerinnen und Wähler dieser Partei wirtschaftlich besonders unter einer möglichen Umsetzung ihrer Wahlziele leiden würden.
Ein Patentrezept für die Eindämmung dieser politischen Tendenzen gibt es nicht. Gleichwohl beinhaltet die »Mitte-Studie« sinnvolle Ansatzpunkte: Politische Bildung sollte nicht mehr hauptsächlich in befristeten Projekten, sondern zielgerichteter und dauerhafter stattfinden. Kurzfristig wird sich die öffentliche Stimmung kaum verändern lassen. Es muss aber in der sich aktuell immer weiter zuspitzenden demokratischen Identitätskrise daran gearbeitet werden, den Sinn von Engagement, Ernsthaftigkeit der Debatten und demokratischer Fundierung nachhaltig zu fördern.
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