Das Thema Ungleichheit ist ein Dauerbrenner. Es muss in jeder Zeit neu gedacht werden. Auch wenn die Bedingungen des 19. Jahrhunderts, wie sie prominent von Karl Marx und anderen formuliert wurden, heute durch neue gesellschaftliche Herausforderungen ersetzt werden, bleibt doch Ungleichheit nach wie vor und ist für Betroffene oft genug bitter und diskriminierend. Zwei Titel erörtern Ungleichheiten direkt aus ihren Bedingungen und in ihren gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen.
Drei australische Wissenschaftler:innen – Lisa Adkins und Martijn Konings von der Universität Sydney und Melinda Cooper von der Australian National University Canberra – fragen nach den Ursachen von Ungleichheit in den »anglokapitalistischen Ländern«. Sie sehen nicht mehr unterschiedliche Einkommen als Ursache von Klassenunterschieden, sondern die ungleiche Verteilung von Vermögenswerten (»Assets«): »Das Schlüsselelement, das Ungleichheit prägt, ist inzwischen nicht mehr die Arbeitsbeziehung, sondern ob jemand in der Lage ist, Assets zu erwerben, deren Wertzuwachs die Preis- und Lohnentwicklung übertrifft«. Vermögenswerte – das sind für sie in erster Linie Immobilien in den großen Städten, deren Wertzuwachs von Jahr zu Jahr steigt und, wie die Finanzkrise von 2008/09 gezeigt habe, auch durch schwere Krisen nicht zu bremsen ist.
Das gegenwärtige Wirtschaftssystem werde von der Logik der Vermögenswerte beherrscht, mit gravierenden Folgen zumal für die jüngere Generation. Da die Löhne mit der Vermögensentwicklung, schreiben sie, nicht Schritt halten, werde es immer schwerer, reale Vermögenswerte zu erwerben, zur Spekulation werde man geradezu gezwungen. Die Autoren entwerfen ein ziemlich düsteres Bild von der Zukunft der jungen Generation: »Für zahlreiche junge Erwachsene rückt die Unabhängigkeit in weite Ferne, weil es in der Asset-Ökonomie kaum machbar erscheint, sich auf eigene Beine zu stellen, weil steigende Immobilien- und Mietpreise sowie prekäre Arbeitseinkommen entsprechende Pläne durchkreuzen.«
Vorwürfe an Staat und Notenbanken
Die Analyse der australischen Wissenschaftler:innen mündet in Vorwürfen an Staat und Notenbanken. Die nach der Finanzkrise von 2008/09 zu beobachtende Lockerung der Geldpolitik sei letztlich nicht der Allgemeinheit zugutegekommen, sondern habe zuallererst zu einer Erhöhung der Werte von Kapitalanlagen »auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung« geführt. Schon früher einmal habe die Wall Street, als der damalige US-Präsident Jimmy Carter ein Programm zur Entlastung der mittleren und unteren Einkommen starten wollte, eine erfolgreiche Gegeninitiative gestartet und dessen Initiative regelrecht unterlaufen. Vollends dunkel ist der Ausblick der australischen Forscher:innen: »Solange die institutionellen Parameter nicht grundlegend neu konfiguriert werden, sorgt die Asset-Ökonomie weiterhin für eine Polarisierung mit sozialen Reaktionen, welche die Herstellung politischer Legitimation und den sozialen Zusammenhalt gefährden«.
Die Logik der Vermögenswerte beherrscht das gegenwärtige Wirtschaftssystem auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung.
Zumal für eine jüngere Generation, die sich erst eine Existenz aufbauen will, ist es frustrierend zu sehen, wie die Differenz zwischen Vermögens- und Verdiensteinkommen immer weiterwächst. Glücklich, wer auf elterliche Hilfe zurückgreifen kann; das Buch zitiert – etwas ironisch – den australischen Journalisten Chris Kohler, der von der »Bank of Mum and Dad« gesprochen hat. Der Neoliberalismus, so die drei Wissenschaftler, ist in unseren Tagen an seine Grenzen gekommen.
Sehr viel persönlicher geht die Unternehmensberaterin Natalya Nepomnyashcha das Thema an. Die 1989 in Kiew geborene, in Bayern in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsene Autorin erzählt zunächst von sich, wie sie nach unterschiedlichen Tätigkeiten und mit vielen Enttäuschungen einen Aufstieg geschafft hat, der ihr heute, so schreibt sie, »ein Leben im Wohlstand« erlaubt. Im Jahr 2016 hat sie nebenberuflich das »Netzwerk Chancen« gegründet, ein Förderprogramm, dass vor allem jungen Menschen einen sozialen Aufstieg ermöglichen soll.
Ein Großteil der Menschen in unserem Land wird benachteiligt.
Auch hier eine bittere Feststellung: 80 Prozent der CEOs der 100 größten deutschen Unternehmen stammen aus einem Segment, das lediglich 3,5 Prozent der Bevölkerung umfasst, ein Prozentsatz, der seit Jahrzehnten gleichgeblieben ist. Ihre Anklage: »Wir leben in einem Land, das einen Großteil der Menschen benachteiligt, indem es ihnen nicht nur Bildung, sondern auch Karrieremöglichkeiten systematisch vorenthält.« Am Beispiel von neun Frauen und Männern zwischen 20 und 40 Jahren erzählt sie deren Lebenslauf, nennt Erfolge, Rückschläge und heutige Stellung, nicht zuletzt deren mentale Disposition. Durchweg entstammen sie einfachen Verhältnissen, zumal bei einem Migrationshintergrund.
Schule stellt die Weichen
Fast immer ist bei der ersten Weichenstellung die Schule entscheidend, ob man auf verständnisvolle und anregende Lehrer trifft oder Gleichgültigkeit und Ablehnung erlebt. Auch hier das Fazit der Autorin: Reine Wissensreproduktion ist veraltet; »viel wichtiger sind Kompetenzen wie kritisches Denken, Kreativität und Reflexivität, Kompetenzen, die auch an Gymnasien kaum entwickelt werden.« Dass das möglich ist, erlebt die Autorin an der Neuköllner Rütli-Schule, wo aus einem sozialen Brennpunkt dank des Engagements von Lehrern und Schulverwaltung ein Vorzeigeprojekt sozialen Lernens geworden ist.
Benachteiligung und Diskriminierung gehen für die Autorin oft zusammen. Das ist für sie Klassismus, ein in Deutschland »wenig bis gar nicht bekannter Begriff«. »Es ist die weitestgehend unsichtbare Diskriminierung eines weitgehend unsichtbaren Diskriminierungsmerkmals«, subtile Codes, etwa indem man sich durch ungeschicktes Auftreten, durch Sprache oder Kleidung verrät; »sozialer Aufstieg wird dadurch fast unmöglich«.
Ungleichheit, so zitiert das Buch den Bildungsforscher Wilhelm Heitmeyer, zerstört Gesellschaften. Am Ende sprudelt es geradezu über von Verbesserungsvorschlägen: ein Gleichbehandlungsgesetz, ein neues Bildungssystem bei Schule und Berufsbildung, angepasste Recruiting-Strategien und Unternehmenswerte weg von elitären Standpunkten.
Lisa Adkins/Melinda Cooper/Martijn Konings: Die Asset-Ökonomie. Eigentum und die neue Logik der Ungleichheit. Aus dem Englischen von Enrico Heinemann. Hamburger Edition, Hamburg 2024, 150 S., 15 €.
Natalya Nepomnyascha mit Naomi Ryland: Wir von unten. Wie soziale Herkunft über Karrierechancen entscheidet. Ullstein, Berlin 2024, 272 S., 19,99 €.
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