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Plädoyer für die aktive Mitgestaltung unserer Zukunft KI in der Kunst

Die Digitalisierung stellt unsere Gesellschaft in nahezu allen Bereichen vor grundlegende Veränderungen und große Herausforderungen – das gilt für Wissenschaft und Forschung, Wirtschaft und Politik ebenso wie für Kunst und Kultur.

Eine treibende Kraft hinter diesen disruptiven Anpassungen ist nicht zuletzt Künstliche Intelligenz (KI). Sie macht den kulturellen Wandel, in dem wir uns als Gesellschaft befinden, mit einem Mal augenscheinlich, und zwar nicht nur, weil sie die Transformation der Lebenswelten verstärkt, sondern auch, weil sie ganz eigene Akzente setzt.

Große Chance für die Kultur

Spätestens mit der Veröffentlichung von ChatGPT seitens des US-amerikanischen Unternehmens Open AI im November 2022 ist bei den meisten angekommen, dass wir diese Veränderungen nicht aufhalten können – auch nicht im Bereich der Kunst und Kreativität, wenngleich sie lange als letzte Bastion des – um es mit Friedrich Nietzsche zu sagen – Menschlichen, Allzumenschlichen galt. Damit nicht weiterhin zutrifft, was Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, vor zwei Jahren etwas überspitzt formulierte, nämlich dass die »Kultur die Relevanz und transformative Kraft der Digitalisierung bisher in unverantwortlicher Weise verschlafen hat«, sollten wir uns noch stärker bewusst machen, dass Wissenschaftler:innen, Künstler:innen sowie Kreativ- und Kulturschaffende durch den Umgang und die Beschäftigung mit neuesten Technologien wie KI die Möglichkeit haben, unsere Zukunft aktiv mitzugestalten – für den Kulturbereich eine große Chance.

Anwendungen wie ChatGPT, Dall-E und Midjourney haben KI zwar in kürzester Zeit vom Nerd-Thema zum Stammtischgespräch gemacht; gleichzeitig haben sie aber auch die mit ihnen verbundenen Ängste und Vorurteile verstärkt. Die einen sorgen sich (1.) um den Verlust von Arbeitsplätzen, die anderen befürchten (2.), dass der Einsatz von KI in kreativen Pro­zessen zum Verlust von Authentizität und Originalität führen könnte. Auch Fragen betreffend Ethik und Bias sowie damit zusammenhängende Aspekte wie Fairness, Urheberrecht oder Kontrollverlust stehen (3.) im Raum. Einerseits handelt es sich dabei mitunter um die klassische Reaktion auf Neues, die sich seit der industriellen Revolution – wie der Historiker Andreas Rödder aufgezeigt hat – zuverlässig wiederholt hat. Das berühmteste Beispiel ist die Ablösung der Kutsche durch die Eisenbahn und die Ängste der Zeitgenoss:innen vor den Auswirkungen des neuen, »irren« Reisetempos (35 – 50 km/h). Andererseits muss man diese Ängste und Sorgen aber auch ernst nehmen und einen Weg finden, mit ihnen umzugehen.

Plädoyer für den Fortschritt

Die Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz vertritt in ihrem Essay Die stille Revolution die These, dass »die Digitalisierung unsere Gesellschaft in ähnlichem Maße verändert wie die Industrialisierung«: Vergleichbar mit den Maschinen, die im Zuge des 19. Jahrhunderts unser Verständnis von Arbeit revolutioniert hätten, würden Algorithmen heute unser Wissen reorganisieren und dadurch unsere Vorstellung davon verändern, was es heißt, zu denken. Analog zu heute also, wo KI sich anschickt, die geistigen Fähigkeiten des Menschen zu ersetzen – seine Geisteskraft – , wurden vom Ende des 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend die körperlichen Fähigkeiten des Menschen durch Maschinenkraft ersetzt. Auch damals reagierten nicht wenige Kulturschaffende mit Skepsis, warnten vor Veränderungen oder äußerten gar Ängste. Es gab aber auch diejenigen, die optimistisch reagierten, neueste Technologien umarmten, mit ihnen experimentierten oder sie als Werkzeug für ihre Zwecke einzusetzen wussten. 

Genau für eine solche positivistische Einstellung zu den Transformationspro­zessen, die ohnehin nicht mehr aufzuhalten sind, möchte ich mich stark machen und im Folgenden den oben genannten drei Ängsten entgegentreten. (1.) Der Verlust von Arbeitsplätzen: Schon heute übernehmen Algorithmen auch im Kultur- und Kreativbereich Aufgaben, die bislang von Menschen ausgeführt wurden: Medien benutzen KI schon seit Längerem, um bestimmte Formen ihrer Berichterstattung zu automatisieren; aus Argentinien ist ein Fall bekannt, in dem eine KI-generierte Stimme einen Synchronsprecher ersetzte, und in China verlieren gegenwärtig zahlreiche Illustratoren in der Computerspielbranche ihre Arbeit, weil KI ihre Dienste übernimmt.

KI kann auch im Kultur- und Kreativbereich dazu beitragen, Ressourcen freizusetzen.

Der Einsatz von KI muss allerdings nicht zwangsläufig zu einem vollständigen Verlust von Arbeitsplätzen führen. Vielmehr müssen wir uns auf eine Veränderung der Tätigkeiten und den Bedarf an neuen Fähigkeiten und Kompetenzen einstellen. KI kann auch im Kultur- und Kreativbereich dazu beitragen, Prozesse effizienter zu gestalten und damit Ressourcen freizusetzen, die für kreativere, strategischere, ja: »eigentlichere« Aufgaben genutzt werden können. So kann KI bei der Sammlung, Organisation und Kuratierung von Inhalten unterstützen, indem sie große Mengen an Daten analysiert und relevante Trends oder spannende Aspekte identifiziert. Ferner können Kulturerlebnisse durch automatisierte Übersetzungen, durch KI-Technologien ermöglichte personalisierte Ansprachen, maßgeschneiderte Besucher:innenerlebnisse oder andere barrierefreie Formate inklusiver gestaltet und für ein breiteres Publikum zugänglich gemacht werden. KI kann der Gesellschaft also dabei helfen, kulturelle Angebote an akute gesellschaftliche Bedarfe anzupassen und somit drängenden Fragen unserer Zeit entgegenzutreten. Hinzu kommt, dass durch den Einsatz von KI zwangsläufig auch neue Arbeitsfelder entstehen, die neue Skillsets voraussetzen.

(2.) Der Verlust von menschlicher Kreativität und Originalität: Der große Hype um ChatGPT sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass all jene KI-Systeme, die uns aktuell auch im Kulturkontext begegnen, allenfalls einzelne und vordefinierte Aufgaben übernehmen können – und zwar auf Grundlage der ihnen zur Verfügung stehenden Daten. Selbst unter Expert:innen ist umstritten, ob eine universell einsetzbare, der menschlichen Intelligenz ebenbürtige KI jemals realisiert werden kann.

Inspiration für neue Ideen

Die Integration von KI in den kulturellen Schaffensprozess kann aber durchaus neue Möglichkeiten eröffnen und die menschliche Kreativität in vielfältiger Weise unterstützen und bereichern. Im Umgang mit KI plädiere ich daher immer wieder dafür, KI als Werkzeug zu begreifen, das Künstler:innen sowie Kreativ- und Kulturschaffende in ihrer Arbeit unterstützen kann.

Nicht zuletzt können KI-Tools für Künstler:innen neue Möglichkeiten der Innovation eröffnen, indem sie Inspirationen geben, sie darin unterstützen, Ideen zu generieren, repetitive Aufgaben automatisieren oder gar als kollaborative Partner agieren. (3.) Fragen betreffend Ethik und Bias sowie damit zusammenhängende Aspekte wie Fairness, Urheberrecht oder Kontrollverlust: Haben Kunst und Kultur hier überhaupt Gestaltungsspielraum? Ja, davon bin ich überzeugt, denn an Antworten wird bereits gearbeitet. Wir haben im Bereich der Kunst und Kultur – und hier beziehe ich die Kultur- und Geisteswissenschaft, aber auch die Kreativwirtschaft bewusst mit ein – schon heute vielfältige Akteur:innen und Institutionen, die sich mit dem Thema KI beschäftigen, oder bereit sind und Lust haben, sich damit umfangreich auseinanderzusetzen und damit zu experimentieren. Sie alle sind prädistiniert dafür, sowohl die mit KI verbundenen Ängste abzubauen, indem sie ihre Arbeit dazu nutzen, ein so komplexes Thema verständlich für eine breitere Öffentlichkeit zu machen oder es durch erlebbares Entertainment zu vermitteln. Gleichzeitig können sie kritische Debatten über (ethische) Herausforderungen, Grenzziehungen oder erforderliche Regulierungen sowohl initiieren als auch sichtbar machen.

Kulturelle Akteur:innen müssen ein kritisches, analytisches Verständnis für KI entwickeln.

Die Arbeit mit dieser Technologie bringt allerdings auch (neue) Herausforderungen mit sich, denen sich der Kultursektor stellen muss. Dazu ist Bildung und Vernetzung nötig: Denn natürlich müssen kulturelle Akteur:innen und Institutionen ein kritisches, analytisches und tiefgreifendes Verständnis für KI-Werkzeuge entwickeln. Was die Vernetzung betrifft: Ein in meinen Augen sehr positiver Nebeneffekt der Beschäftigung mit KI seitens der Kultur besteht darin, dass es für betroffene Akteur:innen oft essenziell ist, sich den jeweils anderen Bereichen (Kultur, Wissenschaft, Kreativwirtschaft) zu öffnen, sich (noch stärker) zu vernetzen und inter- wie transdisziplinär zusammenzuarbeiten. Durch derartige Kollaborationen können gewinnbringende Bildungseffekte erzielt werden – einerseits natürlich für die Kulturschaffenden selbst, weil sie voneinander lernen und sich austauschen können. Andererseits aber auch für die Rezipient:innen: Insgesamt können viel mehr Menschen erreicht werden, wenn die angesprochenen unterschiedlichen Bereiche näher zusammenarbeiten und in Projekten zusammenwirken. 

Noch haben wir die Möglichkeit, uns dem Thema KI zu stellen und aktiv daran mitzuarbeiten, mit welchen Maschinen wir es in Zukunft zu tun haben werden, statt am Status quo festzuhalten oder sich dem Transformationsprozess entgegenzustellen. KI kann der Kultur dann sogar als Vehikel dienen, in gesamtgesellschaftlichen Diskursen lauter und wahrnehmbarer zu werden. Angst und Verharren in Untätigkeit hingegen münden höchstens in einer self-fulfilling prophecy.

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