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Auch KI kann im Unterricht sinnvoll eingesetzt werden Klassenkamerad Chatbot

Dem humanistischen Bildungsideal entsprechend sollte es in den Schulen vor allem um die Herausbildung eines kritischen Bewusstseins und bestmögliche Persönlichkeitsentfaltung gehen. Im Schulalltag findet sich davon meist wenig. Die Debatten drehen sich hier dann meist um die reine Wissensvermittlung, die sicherlich auch Bestandteil von Bildung sein sollte, zunehmend aber um technische Rahmenbedingungen. So wird seit einiger Zeit etwa kontrovers über die Frage gestritten, ob Smartphones an Schulen verboten werden sollten oder nicht. Eine aktuelle Überblicksstudie der Universität Augsburg mit dem prägnanten Titel To Ban or Not to Ban?, die Studienergebnisse aus Norwegen, Spanien, Tschechien, England und Schweden vergleicht, resümiert: Ein Handyverbot verbessert das soziale Klima an Schulen und damit auch die Lernleistungen. Daneben gibt es aber auch gegenläufige Untersuchungen.

Traditioneller Unterricht wird keinen Bestand haben

Doch müsste die Frage nach dem Handyverbot mittlerweile nicht in einen viel größeren Zusammenhang gestellt werden? Denn jede Lehrkraft, die heute Chatbots wie ChatGPT nutzt, spürt sofort, dass traditioneller Unterricht künftig keinen Bestand haben wird. Traditioneller Unterricht ist nämlich aufgabenbasiert: Wenn Aufgaben sinnvoll bearbeitet werden, gilt ein Thema als hinreichend verstanden. So funktioniert(e) ein großer Teil des Unterrichts, aber auch jede Klassenarbeit.

Aus diesem Grund wird bis heute auch krampfhaft versucht zu verhindern, dass Hausaufgaben von Eltern erledigt oder im Bus abgeschrieben werden – oder Klassenarbeiten vom Nachbarn. Dabei ist doch eigentlich allen Beteiligten schon länger klar, dass wir auch darüber reden sollten, warum (und ob) Aufgaben lösen eine sinnvolle Art des Lernens ist. Aber mittlerweile wird deutlich: Wenn ein Chatbot solche Aufgaben in Sekunden lösen kann, wieso sollten Kinder das dann überhaupt aufwändig üben? Wenn Taschenrechner inzwischen im Mathematikunterricht erlaubt sind, sollten dann nicht auch Chatbots Teil des Unterrichts sein?

»Die grundsätzliche Frage sollte zunächst lauten: Wozu brauchen wir Bildung?«

Die grundsätzliche Frage sollte zunächst lauten: Wozu brauchen wir Bildung? Nur die Frage nach dem Sinn von Bildung hilft, Schule und andere Bildungseinrichtungen so zu denken, dass Lernen auch und besonders mit KI als zeitgemäß erlebt wird. Diese Frage nach dem Sinn wird in den Schulgesetzen der Länder mit entsprechenden Werten beantwortet. Das Niedersächsische Schulgesetz nennt als erstes Ziel von persönlicher Entwicklung die »demokratische Gestaltung der Gesellschaft«, danach auch Solidarität und Toleranz, Umweltschutz, Konfliktfähigkeit und die Mitgestaltung des sozialen Lebens sowie selbstständiges, individuelles und gemeinsames Lernen. Bildung ist nicht wertneutral. Jede Schule, aber auch jede Lehrkraft kann und muss eigene Prioritäten setzen. Schulen entwickeln dafür Leitbilder, innerhalb derer sich Lehrkräfte bewegen.

KI als Verstärker 

Chatbots können bei der Unterrichtsvorbereitung helfen, indem Arbeitsblätter mit wenigen Klicks individualisiert, aber auch im Hinblick auf das Sprach- und Leistungsniveau binnendifferenziert gestaltet werden können. Der Unterricht mit Arbeitsblättern und Aufgaben kann somit verstärkt, also weiter optimiert werden. Zusätzlich könnte eine KI sogar Lernverläufe analysieren und perfekt individualisieren. Dies wäre aber aktuell rechtlich problematisch, schließlich »beschreibt der AI-Act den Einsatz von künstlicher Intelligenz in den wichtigsten Bildungsszenarien als Hochrisikotechnologie«, so die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung.

Der Schweizer Informatik-Didaktiker Beat Honegger bezeichnet diese Variante als Datadaktik oder personalisierten Unterricht: »Der Unterricht fördert das effiziente Erreichen von zumeist automatisiert messbaren Fertigkeiten.« Diese Form von Unterricht allerdings zielt weder auf einen der genannten Werte noch auf persönliche Entwicklung ab. Stattdessen droht ein Szenario, in dem nicht mehr Aufgaben aus dem Buch von Eltern gelöst oder Mitschüler:innen abgeschrieben, sondern von der KI der Lehrkraft erstellt und von der KI der Schüler:innen gelöst werden. An diesem Gipfel der Distributionslogik, Lernenden stets passende nächste Aufgaben zu stellen, würde Lernen vollständig entfallen. Schule beschult nur, indem sie dafür sorgt, dass alle ihre Aufgaben machen.

Honegger plädiert vielmehr für Digidaktik oder persönlichen Unterricht als Gegenentwurf: »Der Unterricht fördert den individuellen und gemeinsamen Wissensaufbau durch vielfältige offene Lehr- und Lernprozesse. Digitale Medien dienen dabei primär zum Recherchieren, Verarbeiten, Austauschen von Information und dem Erschaffen neuer digitaler Artefakte.« Bereits beim gemeinsamen Handeln geht es um demokratisches Miteinander und Konfliktfähigkeit; digitale Artefakte öffnen in Verbindung mit Projekten, die unsere Welt mitgestalten, die Schule für Umweltschutz, Solidarität und Toleranz.

Bildung wird mit KI wie folgt verstärkt werteorientiert gestaltet: Ein Chatbot kann so zu einem ko-aktiven Teil der Teams werden. Dessen Aussagen und Produkte sind wie bei anderen Teammitgliedern zu hinterfragen und zu überprüfen. Dabei lassen sich Chatbots auch als Werkzeug zur Förderung selbstregulierten Lernens nutzen. So kann der Chatbot einerseits individuell unterstützen, andererseits wird Autonomie gefördert, da Schüler/innen die Freiheit haben, mit dem Chatbot auf ihre eigene Weise zu lernen, etwa durch das Erstellen eigener Fragen und Problemlösungen.

»Lernen mit und durch, aber auch über, trotz und ohne KI.«

In diesem Kontext bekommen Aufgaben einen anderen Eigenwert, wenn sich Lernende eigenständig für einen »Kompetenzaufbau durch interaktive Übungsmöglichkeiten« (Jennifer Knellesen/Kristin van der Meer: ChatGPT im Unterricht) entscheiden. Aufgaben können beispielsweise vom Chatbot vorgeschlagen werden, variiert oder beispielsweise im Schwierigkeitsgrad verändert, ebenso können sie Musterlösungen erstellen, Lösungen erklären, überprüfen und korrigieren. Dennoch müssen Lernende immer mitdenken, da Chatbots halluzinieren. Aber dafür ist eben entsprechendes Wissen bei den Schüler:innen aufzubauen. Das hat Joscha Falk in den fünf Dimensionen für den Unterricht zu Lernen und KI skizziert: Lernen mit und durch, aber auch über, trotz und ohne KI. Schüler:innen müssen lernen, wo die Grenzen und Chancen des Einsatzes liegen. »Letztlich sollten KI-Methoden dabei helfen, die menschliche Autonomie in der Bildung zu fördern, statt zu mindern. KI-Technologien sollten als Werkzeuge dienen, um Emanzipation durch Bildung zu erreichen – der aufklärerische Wert Europas.« (Christian Kellermann)

Lernen in einer sinnvollen Aufgabenkultur

Für zeitgemäße Bildung ist also auch angesichts von mächtigen Chatbots keine neue Bildung notwendig, aber ein Paradigmenwechsel: Die Distribution von Aufgaben ist noch weniger sinnvoll, solange sie nicht in ein zeitgemäßes Konzept von Lernen und Entwicklung eingebunden ist. Da die Fragen nach den entscheidenden Werten im Rahmen der Schulgesetze sowie der schulischen Leitbilder unterschiedlich ausfallen, beschrieb der Psychologe Klaus Holzkamp als zentralen Eckpfeiler für das Lernen und die persönliche Entwicklung das expansive Lernen, ein »systematisches, intentionales Lernen«, was er vom defensiven Lernen abgrenzte, und was er als »zur Bedrohungsabwehr unerlässlich« bezeichnete. Er trennte damit das (durch Aufgaben) erzwungene vom interessengeleiteten Lernen.

Ein letzter Blick auf die Aufgabenkultur verdeutlicht, dass sich nicht nur Lern-, sondern auch Prüfungsaufgaben wandeln werden. Nicht nur Anpassung an Digitalität und KI ist notwendig, auch die Kultur dahinter wird sich wandeln. Aufgaben könnten selbst mitbestimmt werden, aber auch der Prozess der Entstehung rückt in den Fokus.

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