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Gespräch mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze über die globale Perspektive und Gerechtigkeit in der Klimakrise »Klimapolitik ist immer auch Sozialpolitik«

Svenja Schulze war zunächst Umweltministerin und leitet jetzt das Ressortfür Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit. NG|FH-Chefredakteur Richard Meng sprach mit ihr über die Bedeutung der Klimapolitik als weltweites Entwicklungsthema, über grüne Märkte und die Eigeninteressen des globalen Nordens.

NG|FH:Frau Schulze, Entwicklungspolitik ist klassisch Armutsbekämpfung. Wie groß ist dabei jetzt der Anteil des Klimaschutzes?

Schulze: Der Anteil ist massiv gewachsen – denn Klimaschutz ist heute auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Wir sehen, dass diejenigen, die am wenigsten zur Entstehung des Klimawandels beigetragen haben, am meisten darunter leiden. Der Globale Süden ist besonders stark von den Auswirkungen betroffen. Also geht es darum, dass möglichst allen auf der Welt die Anpassung an die Klimaveränderungen gelingt. Vor allem aber, dass wir den Klimawandel zurückdrängen.

Verändert das den Ansatz der Entwicklungspolitik?

Man kann heute jedenfalls Armut und Hunger nicht mehr bekämpfen, ohne über Klimawandel zu reden. Es fängt bei der simplen Frage an, was sich in den Ländern des Globalen Südens unter den veränderten Klimabedingungen anbauen lässt. Probleme mit der Bodenstruktur, mit Hitzewellen und Dürren, auch Überflutungen haben enorm zugenommen. Die Landwirtschaft in vielen besonders betroffenen Ländern muss sich stark verändern.

Hat der Norden dazu wirklich Rezepte? Mit Wärmepumpen wird da nicht viel auszurichten sein...

Es gibt natürlich Konzepte – aber auch falsche Rezepte. Mit dem Kolonialismus sind Anbaumethoden und Produkte zum Beispiel nach Afrika gekommen, die dort manches Problem eher verschärft haben. Lokale, ans Klima angepasste Sorten, etwa bei der Gerste, sind zurückgedrängt worden. Traditionelles Wissen ist verloren gegangen, speziell auch Wissen der Frauen. Jetzt wieder regionaler zu denken ist deutlich erfolgreicher als die Pauschalkonzepte, mit denen die Länder des Globalen Nordens lange aufgetreten sind. Das ist übrigens auch ein zentraler Grund dafür, warum ich betone, dass speziell die Frauen besonders einbezogen werden müssen. Feministische Entwicklungspolitik bedeutet, dass wirklich alle Menschen erreicht werden, auch im Globalen Süden.

Gibt es eine feministische Klimaschutzpolitik?

Man kann Klimaschutz so machen, dass er allen hilft. In der Verkehrspolitik zum Beispiel ist es ein Unterschied, ob ich Mobilität in Städten auch aus der Sicht von Frauen betrachte oder nur aus der Sicht von Männern. Da gibt es ein völlig unterschiedliches Mobilitätsverhalten. Das ist wichtig auch für Klimaschutzstrategien.

Was bedeutet das am Beispiel Afrika?

Dort sind die Frauen diejenigen, die oft große Strecken zu Fuß zurücklegen, oft mit schweren Lasten. Wenn es da um den Transport von Wasser geht, führen die Klimaveränderungen dazu, dass oft nochmal längere Strecken zurückgelegt werden müssen. Also ist es eine wichtige Frage, wenn ich Wasserversorgung plane, ob ich Frauen an diesen Planungen beteilige. Vielleicht ist es sogar die entscheidende Frage dafür, ob es am Ende funktioniert. Ob Wasser da ankommt, wo es hin soll. Ob Lösungen sowohl klimafreundlich sind als auch den Menschen in der Region nutzen.

Das bedeutet dann aber generell, dass mit den neuen Technologien der Länder des Nordens im Süden nicht unbedingt etwas anzufangen ist.

Wir reden in Deutschland über die Frage, welche Technologien uns in Deutschland weiterhelfen. Im Süden wird teilweise mit völlig anderen Techniken am selben Thema Klimaschutz gearbeitet. Es würde überhaupt nichts bringen, da jetzt wieder mal mit dem eigenen Ingenieurswissen überheblich zu glauben, dass wir schon wissen, was dem Süden hilft.

Ist das in der deutschen Debatte schon angekommen?

Ja. Es gibt auch schon den einen oder anderen, der sich darüber beschwert.

Gleichzeitig ist bei uns das Thema Deglobalisierung aktuell geworden, der Blick mehr auf Europa als auf die weltweite Vernetzung. Spüren Sie diese Entwicklung in den internationalen Gesprächen, zieht Europa sich wirklich stärker auf sich selbst zurück?

Es ist ein völlig falscher Ansatz, zu glauben, wir könnten uns wieder von der Welt entkoppeln. Wir sind alle viel zu sehr miteinander vernetzt, als dass dieser Gedanke Sinn machen würde. Wir können hier keine Tafel Schokolade alleine produzieren, weil wir dazu Kakaoanbau brauchen. Die Lehre aus dem Schock, der mit Corona kam, sollte aber sein, dass wir aufhören mit der Gewohnheit, immer nur auf die billigsten Lösungen zu setzen und damit Folgeprobleme gedankenlos in Kauf zu nehmen. Genau das ist doch die Haltung, die zu den fatalen Abhängigkeiten geführt hat, wie wir sie gegenüber Russland hatten und die auch gegenüber China zum Problem werden.

Zu diversifizieren ist ein Gedanke, der in vielen Ländern eine Rolle spielt, auch im Globalen Süden. Nicht abhängig zu werden von einem einzigen Lieferanten oder Partner. Gerade weil die Schockwellen des Krieges gegen die Ukraine auch im Globalen Süden ankommen, siehe Lebensmittelpreise und verschärfte Hungersnot.

Aber es gibt auch beim Klimaschutz wirtschaftliche Eigeninteressen des Nordens, Verkaufsinteressen für neue Technologie, angefangen bei den Autos. Steckt dahinter objektiv nicht letztlich doch wieder viel überheblich-imperiales Denken und Handeln? Ist ein grüner Markt wirklich automatisch nachhaltig?

Wir sollten immer im Kopf behalten, dass zum Beispiel das Pariser Klimaschutzabkommen, selbst wenn es den Namen von Paris trägt, kein westliches Abkommen ist. Es ist ein Abkommen, das die Welt insgesamt abgeschlossen hat, damit der Lebensraum der Menschen nicht immer weiter schrumpft. Also hat die Menschheit insgesamt ein Interesse daran, die Klimaveränderung zurückzudrängen. Mit unterschiedlichen Konzepten, angepasst an die regionale Situation. Wir im Globalen Norden müssen zeigen, dass wir in der Lage sind, Wohlstand ohne CO2-Ausstoß zu organisieren. Im Globalen Süden geht es oft darum, überhaupt erst einmal eine Energieversorgung für alle aufzubauen, die dann möglichst klimaverträglich sein muss. Da gibt es Länder, ich denke an Kenia, die beim Anteil der Erneuerbaren Energien weiter sind als wir.

Manche sagen dann aber auch, der erste Schritt in Indien bringe mehr als der fünfte Schritt in Deutschland.

Beides brauchen wir. Vor 30 Jahren hätte ich noch zugestimmt: Lasst uns erst mal da investieren, wo wir mit dem gleichen Geld die größten CO2-Einsparungen erreichen. Aber über viele Jahrzehnte ist der Klimaschutz viel zu langsam vorangetrieben worden. Deshalb haben wir jetzt keine Zeit mehr. Wir müssen alles gleichzeitig anpacken. Zu Hause so viel Reduktion wie irgend möglich erreichen und dabei zeigen, wie wir mit Erneuerbaren Energien den Wohlstand halten und neue Ungerechtigkeiten vermeiden können. Insofern: durchaus zeigen, wie es gehen kann. Aber eben gleichzeitig CO2-Reduktion im Globalen Süden unterstützen. Wobei ja durchaus weltweit zum Einsatz kommen kann, was anderswo entwickelt wurde und funktioniert, in beide Richtungen.

Gibt es die Gefahr, dass dies im Süden als neue Bevormundung wahrgenommen wird?

Bevormundung wird sich der Süden nicht mehr gefallen lassen. Viele Länder dort haben heute ein viel stärkeres Selbstbewusstsein. Sie wollen über ihren eigenen Weg entscheiden und suchen sich die Unterstützung auch selbst aus. Es ist ja längst nicht mehr so, als würden alle auf deutsche oder europäische Entwicklungspolitik warten. Es gibt Angebote von China. Es gibt Investitionen aus dem arabischen Raum. Es gibt inzwischen viele Pole auf der Welt und die Länder wollen sich da nicht mehr zuordnen lassen. Sie wollen die Blockkonfrontation nicht mehr.

Ist da die Chance, die China und andere erfolgreicher nutzen als der Westen?

Mit vielleicht scheinbar einfacheren Lösungen, aber erkauft durch langfristig eine umso stärkere Abhängigkeit und Bevormundung. Ich denke daran, wie zum Beispiel die Verantwortung für Häfen an China abgegeben wird. Mein Eindruck ist, dass die Länder im Globalen Süden das zunehmend als Risiko wahrnehmen.

Wenn Sie nun als Entwicklungsministerin in der Welt unterwegs sind, nachdem Sie vorher Umweltministerin waren: Sehen Sie da manche Dinge auch mit einem anderen Blick?

Viele der Veränderungen, die sich durch die Klimakrise oder den Verlust an Biodiversität ergeben, habe ich als Umweltministerin schon gesehen. In der jetzigen Rolle kann ich dazu beitragen, dass die ärmeren Länder mit diesen Entwicklungen auch klarkommen. Wobei ich da nun aber sehe: Sie sind nicht nur mit dieser einen Herausforderung konfrontiert, sondern mit vielen Herausforderungen. Hunger, Überschuldung, Corona- und Kriegsfolgen.

Sie sehen sehr deutlich, wie besonders die Folgen der Klimakrise sie massiv treffen. Wir in Deutschland hatten die Überschwemmung im Ahrtal und die Trockenheit im Sommer – aber Pakistan wurde inzwischen zum dritten Mal überflutet und dazwischen gab es eine Dürre. Dort wird das Thema stärker verknüpft mit der Gerechtigkeitsfrage. Die Menschen dort sagen uns: Ihr habt das angerichtet. Jetzt müsst ihr uns auch helfen, mit den Folgen klar zu kommen. Dieses Thema, das auch bei der letzten Weltklimakonferenz auf der Tagesordnung stand, wird bleiben.

Nun beginnt bei uns längst auch die Diskussion über das eigene Verhalten. Muss auch die Art, wie wir bisher glaubten, die Welt erleben zu können, muss unser Lebensstil auf den Prüfstand?

Da stellt sich ja schon mal die Frage, was das eigentlich ist: unser Lebensstil. Viel durch die Gegend jetten, große Autos haben, große Wohnungen: Das ist der Lebensstil einer eher reichen Schicht im Globalen Norden. Auch bei uns sind nicht die Ärmsten diejenigen, die den Klimawandel verursachen. Diejenigen, die weniger verdienen, haben auch in Deutschland nicht einen derart problematischen CO2-Fußabdruck. Früher haben wir die anderen, die Reichen, »bewusste Verschmutzer« genannt. Klimapolitik ist immer auch Sozialpolitik.

Reicht es, wenn die Leute die Welt nur noch aus dem Internet kennen?

Nein. Aber wir müssen daran arbeiten, dass Fliegen langfristig klimaneutral wird. Das geht. Ich will nicht, dass wir alle wieder in unser Dorf zurückkehren und die internationale Vernetzung aufhört – im Gegenteil. Die Vernetzung birgt unfassbar viele Möglichkeiten, auch ohne vier Fernreisen pro Jahr. Nie war es einfacher, mit anderen Menschen weltweit in Kontakt zu kommen, nie war der Austausch über Grenzen und Kontinente hinweg größer. Und das kann und muss auch klimaneutral funktionieren.

Da stellt sich die Frage, mit welchem Narrativ Sie in die Debatten rund um den Klimaschutz gehen. Verzicht predigen und/oder Zukunftsoptimismus?

Diese Frage müssen sich vor allem die zehn Prozent der Gesellschaft stellen, die sehr viel Geld haben. Der überwiegende Teil der Menschen auch im Norden hat gar nicht die Möglichkeiten eines extensiv klimaschädlichen Lebens, sondern sorgt sich, ob der eine Urlaub im Jahr noch zu finanzieren ist.

Spaltet das Klimathema zusätzlich oder führt es zusammen?

Was überall gebraucht wird, sind soziale Sicherungssysteme. 80 Prozent der Menschen in Afrika, 50 Prozent auf der Welt insgesamt haben überhaupt keine soziale Sicherung. Und für sie kommt jetzt nicht mehr eine Krise nach der anderen und dazwischen ist auch mal Pause, sondern sie haben es mit vielen Krisen gleichzeitig zu tun. Sie, die Menschen, müssen wir beim Klimaschutz ins Zentrum stellen. Sie brauchen Unterstützung, möglichst, bevor die ganz große Katastrophe da ist.

Wir sollten nicht ständig anderen großspurig erzählen, welche Ausstiege sie in welchen Zeiträumen schaffen müssen, sondern ihnen helfen, es so zu schaffen, dass damit auch Perspektiven verbunden sind. Zum Beispiel für die Beschäftigten im Energiebereich. Es kann nicht darum gehen, einfach so aus bestimmten Energien auszusteigen. Sondern es müssen gleichzeitig echte Alternativen geschaffen werden. Das bedeutet: längerfristige Partnerschaften, längerfristige Verlässlichkeit.

Bedeutet es auch, dass die großen Finanzinstitutionen wie Weltbank und Währungsfonds einen anderen Ansatz bräuchten?

Ja, sie müssen eine ganz andere Rolle wahrnehmen, deshalb ist die Reform der Weltbank so wichtig. Sie wird das, was ihr Auftrag ist – nämlich die Bekämpfung von Armut und Hunger – ohne eine konsequente Klimapolitik nicht hinbekommen. Und vor allem nicht, ohne den Aufbau von sozialen Sicherungssystemen zu unterstützen, die es im Globalen Süden für so viele Menschen überhaupt noch nicht gibt. Da brauchen wir viel mehr internationale Kooperation. Von den weltweiten Nachhaltigkeitszielen für 2030 sind wir noch meilenweit entfernt. Und für viele Menschen in den Ländern des Südens geht es dabei eben nicht nur um die Moral, es geht ums Überleben.

Wie lässt sich diese Breite der Herausforderungen besser im Inland vermitteln?

Mein Eindruck ist, dass diese Herausforderungen den meisten Menschen hier in Deutschland sehr bewusst sind. Das Problem bleibt, diese Komplexität zu managen, weil die Antwort auf das eine Problem nicht das andere Problem verschärfen darf. Das zu vermitteln, ist manchmal schwierig. Es gibt das Pariser Abkommen, es gibt auch mehr Geld für den Klimaschutz. Aber wir sind noch nicht schnell genug. Wenn wir nicht deutlich vorankommen, werden weltweit viele Menschen zusätzlich ihr Zuhause verlassen müssen und in Armut rutschen.

Besonders die Frauen werden weiterhin durch den Klimawandel betroffen sein – denn sie sind diejenigen, die oft zusammen mit den Kindern bis zum Schluss in ihrer angestammten Heimat bleiben und erst dann gehen, wenn die Situation gar nicht mehr auszuhalten oder lebensgefährlich ist. Zwar hat sich im Vergleich zu früher viel bewegt, und das wird in unserer Diskussion manchmal nicht genug betont. Dennoch: Wenn wir nicht die Schritte gehen, die wir gehen können – wie sollen wir dann von anderen verlangen, dass sie noch schneller vorangehen als wir?

Kann uns dann international das Gleiche passieren wie im Inland, dass nämlich die Zustimmung zum Klimaschutz bröckelt, sobald konkrete Kosten für die Einzelnen entstehen?

Manchmal wird so getan, als würden wir die Lösungen für uns selbst noch suchen. Aber sie liegen auf dem Tisch, wir müssen es nur machen. Nicht in dem Sinne, dass der Süden wieder einmal unsere Vorgaben übernehmen soll. Sondern so, dass wir mit dem Süden gemeinsam Wege entwickeln und umsetzen. Indem Deutschland und Europa mehr Verantwortung für die Lieferketten übernehmen – für das, was wir selbst in armen Ländern produzieren lassen. Auch indem wir dauerhafte Partnerschaften aufbauen.

Am wichtigsten: nicht zu glauben, dass wir alle Lösungen für andere haben. Die Länder im Globalen Süden wissen selber besser als wir, was sie brauchen. Ihnen von uns aus Vorschriften machen zu wollen, wäre Neokolonialismus. Nicht wir entscheiden, was in anderen Ländern getan werden muss.

Und wenn diese Länder dann sagen: Wir heizen weiter mit Gas?

Wenn sie mit Gas weitermachen, müssen sie genau wie wir nachweisen, dass sie das gemeinsam vereinbarte Pariser Klimaschutzabkommen einhalten. Aber es muss bei uns eben auch einen regulatorischen Rahmen geben, damit nicht mit unseren Produkten und unserem Konsum anderswo der Klimawandel vorangetrieben wird. Da ist der Staat gefragt, auch bei uns – aber vor allem auch mit internationalen Regeln.

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