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© Markus Spiske/Unsplash

Klimaschutz – Politik des Widerspruchs

In Deutschland gibt es klar gesteckte Klimaschutzziele – sowohl für 2020, 2030 als auch bis 2050. Bis 2020 soll eine CO2-Reduktion von 40 % im Vergleich zu 1990 erreicht werden. Verbindlich wurde dies zuletzt im Koalitionsvertrag 2013 bekräftigt. Das Ziel selbst stammt aus dem Jahr 2007. Je näher aber ein Zieldatum rückt, desto gefährdeter erscheint die Erreichbarkeit. So enthält der 2018 zwischen CDU/CSU und SPD ausgehandelte Koalitionsvertrag zwar ein Bekenntnis zum Klimaschutzziel 2020. Zugleich heißt es aber, man werde »Ergänzungen vornehmen, um die Handlungslücke zur Erreichung des Klimaziels 2020 so schnell wie möglich zu schließen. Das Minderungsziel 2030 wollen wir auf jeden Fall erreichen«. Jedenfalls verdeutlicht der damit angelegte Umkehrschluss eine Einschränkung an Verbindlichkeit in Bezug auf das Ziel für 2020. Ferner erfolgen maßnahmenseitige Bezugnahmen, die ihrerseits eine Zielerreichbarkeit fraglich erscheinen lassen. Als solche sind sowohl das »Aktionsprogramm Klimaschutz 2020« als auch der »Klimaschutzplan 2050« zu nennen. Ein ebenfalls im Koalitionsvertrag verankertes Klimaschutzgesetz soll »auf dieser Grundlage« die Einhaltung der Klimaschutzziele 2030 gewährleisten. Hierbei bleibt aber das 2020er-Ziel unberücksichtigt.

Die Erreichbarkeit der gesteckten Ziele sieht sich über den Koalitionsvertrag mit verdeckten und versteckten Widersprüchen oder gar kalkulierten Diskrepanzen konfrontiert.

In Betrachtung des »Aktionsprogramms Klimaschutz« werden Maßnahmen genannt, die bis 2020 zu einer Minderung von 62–78 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten führen sollen. Auffällig ist, dass der mit 40 % benannte emissionsstärkste Bereich der Energiewirtschaft in einem Ausblick für 2020 eine Minderung auf 306 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten (von insgesamt anvisierten 837 Millionen Tonnen) erbringen soll. Umsetzungsseitig werden hierzu aber nur Minderungsmöglichkeiten benannt, die wiederum unter Verweis auf den von Deutschland nicht allein zu regelnden europäischen Zertifikatehandel (Emissionshandel) unkonkret bleiben. Ein konkreter Emissionsminderungsumfang für die Kohleverstromung lässt sich daraus jedoch nicht ableiten, obwohl hier die verhältnismäßig größten Einsparpotenziale liegen. 52,9 % aller Emissionen des Stromsektors resultieren aus Braunkohle.

Im »Klimaschutzplan 2050« werden CO2-Minderungsziele auf verschiedene Sektoren verteilt, etwa die Energiewirtschaft, den Gebäudesektor, den Verkehrssektor, die Industrie und den Landwirtschaftssektor. Auch hier fehlt eine klare Fokussierung auf den besonders emissionsintensiven Bereich der Energiewirtschaft bzw. Braunkohleverstromung, womit ein Braunkohleausstieg sektorbezogen nicht zwingend beabsichtigt ist.

Ein weiterer versteckter Widerspruch verbirgt sich im Koalitionsvertrag 2018 hinsichtlich der Ausbauziele für erneuerbare Energien. Hier wird einerseits und richtigerweise eine Korrektur hinsichtlich der Mengenbegrenzung vorgenommen. Während mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2016 jährlich limitierte Ausschreibungsmengen eingeführt wurden, die sich an Zwischenzielen orientierten: 40–45 % Strom aus erneuerbaren Energien bis 2025 und 55–60 % bis 2035, heißt es im Koalitionsvertrag nun: »Der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss deutlich erhöht werden, auch um den zusätzlichen Strombedarf zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehr, in Gebäuden und in der Industrie zu decken«. Insofern werden ein »Anteil von etwa 65 % Erneuerbarer Energien bis 2030« und »entsprechende Anpassungen« angestrebt. Mit »etwa« wird dabei keine Maximalausbaugrenze benannt.

Andererseits wird an die genannte Zielsetzung eine »Voraussetzung« geknüpft, wonach der Ausbau erneuerbarer Energien ein »effizienter, netzsynchroner und zunehmend marktorientierter« zu sein hat. Dies bedeutet, dass der Ausbau erneuerbarer Energien zukünftig u. a. vom Netzausbau abhängig wird. Bereits mit dem EEG 2016 wurden sogenannte Netzausbaugebiete eingeführt. Mit diesen wird der jährliche Windzubau eben für solche Gebiete eingeschränkt, in denen ein großes Ausbaupotenzial (und damit ein unterstellter Netzengpass) besteht – und zwar auf 902 Megawatt pro Jahr. Für Schleswig-Holstein, nun Netzausbaugebiet, gilt allerdings, dass die Verteilnetzebene sehr gut ausgebaut ist. Statt den Energieausbau einzuschränken, wäre es für die Energiewende förderlicher, verstärkt auf eine sektorübergreifende Vor-Ort-Nutzung des Stroms zu setzen. Hier stehen aber bislang die regulatorischen Rahmenbedingungen sowie die Entgeltstruktur im Weg.

Wird der Netzausbau (aus welchen Gründen auch immer) verschleppt, könnte mit der Maßgabe eines netzsynchronisierten Ausbaus erneuerbarer Energien dieser verzögert oder gar gestoppt werden. Zudem werden Fehlinvestitionen riskiert. Gerade angesichts der langen Planungszeit von Netzen ist es unabdingbar, diese dem real gelingenden Ausbau erneuerbarer Energien anzupassen und nicht umgekehrt, zumal nur dann nachfrageseitige Anreize zur optimierten Netzauslastung und zum Einsatz von Speichertechnologien gegeben werden. Andernfalls wird ein Netzausbau ohne oder mit minderem Bedarf riskiert. Dies gilt es sowohl ökonomisch als auch mit Blick auf die Akzeptanz von Infrastrukturprojekten zu vermeiden.

Auch Bedingungen zur Effizienz sowie Marktorientiertheit könnten für die Energiewende hinderlich ausgelegt werden bzw. wirken. Zudem findet sich der Begriff »Efficiency First« im Koalitionsvertrag, der sich als Energiewendehemmnis entwickeln und dem Prinzip der Technologieoffenheit widersprechen könnte. Denn letztlich zielt er darauf ab, Effizienz vorrangig gegenüber anderen Maßnahmen zu behandeln. So könnte der Austausch eines alten fossilen Heizsystems durch ein effizienteres fossiles unter Umständen vorrangig gegenüber dem Einsatz erneuerbarer Energien gesehen werden. Dies wäre für die Energiewende kontraproduktiv.

An eben diese Betrachtung knüpft sich eine grundsätzliche Frage, die mit der Unterscheidung zwischen Effektivität und Effizienz aufgegriffen werden kann: Wenn es rein physikalisch betrachtet effizient ist, Energie über einen möglichst großen Netzverbund einzusetzen, so kann es nach Maßgabe von Effektivität dennoch zu bevorzugen sein, ein Weniger an Netzen durch Speicher und entsprechende Umwandlungsverluste zu kompensieren. Eine solche Effektivität vermittelt unter Einbeziehung etwa der Akteursebene, sektorübergreifender Verwendung, aber etwa auch mit Blick auf regionale Wertschöpfung in der Gesamtbetrachtung einen Mehrwert, der sich zugleich in dezentralen Systemen abzeichnet. So war der bisherige Ausbau erneuerbarer Energien durch eine Akteursvielfalt in der Fläche geprägt – auf Grundlage des anreizbasierten und dezentral wirkenden Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Mit dem 2016 eingeführten Ausschreibungsmodell wurde hingegen eine systemische Kehrtwende eingeleitet, die unter anderem eine Verengung der Akteure und damit Effektivitätseinbußen zur Folge hatte.

Die skizzierten Konflikte stehen exemplarisch für – teilweise semantisch versteckte – Interessengegensätze, wie im Kampf um energiewirtschaftliche Geschäftsfelder, von denen die herkömmliche Energiewirtschaft im Zuge der Energiewende unweigerlich verdrängt wird.

Klimaschutz und Energiewende, verschiedenste Speicher- und Netzoptimierungstechnologien stehen für Hunderttausende neue Arbeitsplätze, die wir in Deutschland und Europa sichern und schaffen sollten – mit Ausstrahlungswirkung auf Entwicklungs- und Schwellenländer. Für die Kohlereviere bedeutet dies gleichzeitig einen massiven Strukturwandel. Heute sind noch rund 20.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer direkt in der Braunkohleindustrie beschäftigt. Den Beschäftigten und ihren Regionen gilt es bereits im Zuge der Energiewende Perspektiven zu geben, die nur über einen unmissverständlichen und greifbaren Ausstieg aus der Kohleverstromung entstehen können. Weltweit werden inzwischen Investitionen aus fossilen Energien herausgezogen. Deutschland sollte sich auch als Technologieentwicklungs- und Exportnation hierbei nicht abhängen lassen.

Aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit und der Solidarität gegenüber nachfolgenden Generationen, des Gesundheits- und Ressourcenschutzes, aber auch zur Erreichung unserer nationalen, europäischen wie internationalen Klimaschutzziele sowie zur Schaffung zukunftsfester Arbeitsplätze ist eine originäre Aufgabe der Sozialdemokratie, den Erhalt von Lebensraum, die Vermeidung des Klimawandels und damit auch den Umstieg auf erneuerbare Energien zu vollziehen. Auch die Klimakonferenz COP 23 im November 2017 in Bonn ermahnte erneut zu beschleunigten und weiterreichenden Klimaschutz- und Energiewendeschritten.

Angesichts der rapide sinkenden Erzeugungskosten für erneuerbare Energien von absehbar etwa 3,82 bis 4,91 Cent je Kilowattstunde Strom wird deutlich, dass die Marktteilnahme fossiler Energien von der Querfinanzierung externer Effekte abhängt. Die so entstehende Marktverzerrung liegt bei jährlich 57 Milliarden Euro klimaschädlichen Subventionen, wie das Umweltbundesamt ermittelt hat. Emissionen und Schadstoffe müssen daher einen reellen Preis bekommen, etwa in Form einer Schadstoffbepreisung und das Streichen klimaschädlicher Subventionen. So kann Klimaschutz zu einer chancengebenden Politik werden, an der die Menschen teilhaben möchten – um Anspruch und Wirklichkeit miteinander zu vereinen.

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