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Über Konsequenzen des Hamas-Terrorangriffs auf Israel Konkrete Solidarität

Die Berichte waren schrecklich, die Bilder unvorstellbar, die Dimension der Gewalt unmenschlich. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat sich tief in unser Bewusstsein gebohrt. Dort schmerzt er uns noch immer.

Die Hamas hat unermessliches Leid über viele jüdische Familien nicht nur in Israel gebracht. Auch in Deutschland gehen uns die Morde, die Geiselnahmen und ihre Konsequenzen nahe. Roh pulsieren die Bilder in uns, nicht analysiert oder abstrahiert – und damit auf Abstand gebracht. Unmittelbar und schrecklich, nicht rational zu umfassen.

Die derzeit viel verwendete Chiffre von einer Zeitenwende will nicht so recht passen. Denn vermutlich ist uns am 7. Oktober zum wiederholten Male eben nur brutal ins Gedächtnis gerufen worden, dass heutzutage nichts mehr selbstverständlich ist. Nichts ist von Dauer: weder der Frieden noch die Menschlichkeit, weder die Freundschaft noch die Liebe. Alles muss täglich neu errungen werden. Diese Erkenntnis markiert keine Zeitenwende, sondern die einzige Gewissheit der Moderne: Alles ist möglich – im Guten, wie im Schlechten.

Daran haben uns die Morde des 7. Oktober erinnert. Sie waren ein Angriff auf Israel und seine jüdische Bevölkerung. Sie sollten die Gewissheit erschüttern, dass Israel ein sicherer Ort für Jüdinnen und Juden ist. Sie sollten die immer noch unerfüllte Hoffnung auf Frieden in der Region endgültig zerstören. Und sie sollten wohl auch eine Warnung an uns alle sein, die wir überall auf der Welt in Freiheit und in Vielfalt gemeinsam leben wollen.

»Antisemitische und menschenfeindliche Einstellungen und Ideologien sind nichts Impor­tiertes.«

Das mörderische Symbol wurde verstanden. Nur kurze Zeit nach dem Hamas-Angriff auf Israel wurden die Morde auch auf deutschen Straßen gefeiert. Diese Bilder waren und sind unerträglich. Und sie fordern uns besonders heraus. Denn machen wir uns nichts vor: Antisemitische und menschenfeindliche Einstellungen und Ideologien sind nichts Importiertes. Es waren Deutsche, die während der NS-Zeit Millionen Jüdinnen und Juden ermordeten und im Wahn der nationalsozialistischen Ideologie den Humanismus aus Europa vertrieben. Wir müssen erleben, dass politische Kräfte, die die kulturelle und religiöse Vielfalt unserer Gesellschaft für einen Fehler halten, in unserem Land wieder Zuspruch finden. Auch das beunruhigt zutiefst.

Jedes Jahr am 9. November gedenken wir der Pogromnacht von 1938, stellen Kerzen auf, polieren Stolpersteine und kommen zusammen, um uns zu vergewissern, dass solche Verbrechen »nie wieder« geschehen werden. Wir versprechen, Antisemitismus, Rassismus und Menschenhass entschieden entgegenzutreten. Überall und immer wieder. Um zu verhindern, dass sich Geschichte wiederholt. Aber Antisemitismus und Menschenhass geschehen. Auch heute. Jeden Tag. Aus dem Bekenntnis »nie wieder« muss deshalb ganz praktische Solidarität werden. Die Aussage ist nichts wert, wenn wir nicht begreifen, vor welcher Aufgabe wir nicht erst seit den furchtbaren Verbrechen des 7. Oktober 2023 stehen. Nie wieder ist jetzt.

Die Hamas will keinen Frieden

Die Unterstützung für Israel ist konkret. Der Schutz jüdischen Lebens bei uns und überall auf der Welt auch. Und ebenso die Herausforderung, den Fundamentalisten und Terroristen nicht die Macht zuzugestehen, die überwiegende Mehrheit derjenigen, die friedvoll zusammenleben wollen, auseinanderzutreiben. Denn klar ist doch: Hamas will keinen Frieden, darauf hat der israelische Historiker Yuval Harari anlässlich des unvorstellbar brutalen Angriffs auf Israel erneut hingewiesen.

Die Konsequenzen für die eigene palästinensische Bevölkerung scheinen für Hamas keine Rolle zu spielen. Die Fundamentalisten nehmen die zivilen Opfer willentlich in Kauf, ja kalkulieren regelrecht mit ihnen. Es geht ihnen nicht wirklich um irgendeinen Freiheitskampf, den manche derzeit zynisch herbeiromantisieren. Wer junge Leute, die bei einem Festival feiern, umbringt, wer Babys und Alte ermordet, wer versucht, ganze Kibbuzim auszulöschen, der kämpft nicht für die Freiheit, sondern der will Terror – im Wortsinne: Angst und Schrecken – verbreiten. Wer das rechtfertigt, will nicht verstehen, worum es geht, welche Denk- und Handlungsmuster hier wirken und was eine offene Gesellschaft ausmacht: der Respekt vor den Anderen und der Wunsch in Frieden und Freiheit zu leben.

Die Bestimmung der Hamas ist der Konflikt mit Israel. Deshalb wird er zur absoluten, nicht auflösbaren Frage stilisiert, die dann in deren Augen nur mit der Vernichtung des jüdischen Staates beantwortet werden kann. Diese unerbittliche Fixierung auf die Gewalt ist es, die schaudern lässt, weil sie sich den in den letzten acht Jahrzehnten hart erarbeiteten Friedenslogiken entzieht.

Fragen, die nur mit umfassendem Wahrheitsanspruch beantwortet werden können, lassen dann keinen Raum mehr für Verhandlungen, für Kompromisse, für Ausgleich oder Frieden. Wer die eigene Ideologie absolut setzt, will Gewalt um jeden Preis – und damit das Ende des großen zivilisatorischen Projekts der Moderne. Nicht eine einzelne Religion oder Kultur steht dahinter, sondern ein fundamentalistischer Umgang mit Ideen, der sich in beinahe jedem Umfeld finden lässt, in dem die Akzeptanz des Anderen nicht mehr denkbar ist, sondern nur noch dessen Auslöschung gewollt wird.

Die konkret einzige Antwort auf diesen Fundamentalismus ist das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels als Teil der deutschen Staatsräson. Ihm liegt jene konkrete Solidarität zugrunde, die es braucht, um globale Vielfalt auch tatsächlich zu leben.

»Es ist möglich, zueinander zu finden, selbst nach den denkbar größten Katastrophen. «

Wir dürfen uns aber vom Terror der Hamas auch in unserer Gesellschaft nicht in Kulturkämpfe hineintreiben lassen. »Der Mensch wird am Du zum Ich«, hat der jüdische Philosoph Martin Buber geschrieben. Wir werden erst in all unserer Unterschiedlichkeit zu uns selbst – und zur Gesellschaft. Das setzt den Schutz dieser Vielfalt voraus. Es ist möglich, zueinander zu finden, selbst nach den denkbar größten Katastrophen. Das zeigt unsere eigene Erfahrung. Wir haben es in Deutschland mit unserer zuletzt viel diskutierten Erinnerungskultur geschafft, nach der Shoah wieder zu einem Gespräch über eine gemeinsame Zukunft zu gelangen. In den vergangenen Jahren hat jüdisches Leben in Deutschland wieder an Sichtbarkeit und an Selbstverständlichkeit gewonnen. Diese Entwicklung macht uns dankbar. Und sie kann Ansporn sein, nicht zu verzweifeln, sondern für genau diese Sichtbarkeit aus der ganzen Gesellschaft heraus immer wieder einzutreten.

Mitgefühl und Verständigung erfordern Haltung

Besuche von Vertreterinnen und Vertretern der muslimischen Verbände in Synagogen haben nach dem 7. Oktober gezeigt, dass Mitgefühl und Verständigung auch bei uns möglich sind. Aber sie erfordern eine Haltung. Sie verlangen, dass wir Position beziehen. Wir sollten die Kraft haben, uns selbst immer wieder daran zu erinnern, dass wir uns die Zukunft anders vorstellen können, als es uns die Geschehnisse der Gegenwart nahelegen. Bei allen Zweifeln, bei allem Grübeln darüber, ob nach den vergangenen beiden Monaten eine solche positive Zukunft tatsächlich gelingen kann.

Die Eindeutigkeit, nach der viele derzeit suchen, werden sie kaum finden. Dazu sind die Konflikte zu komplex und die Zeiten zu kompliziert. Sie verlangen, dass wir einander als Zweifelnde begegnen und gemeinsam den Weg suchen. Mit nicht viel mehr als der Gewissheit im Gepäck, dass es möglich ist, ein besseres Morgen zu schaffen, wenn wir auch denen helfen, die momentan nicht in der Lage sind, sich das vorzustellen. Wenn wir die Kräfte des universellen Mitleidens entfesseln. Wenn wir all denen Freundschaft und Liebe zeigen und denen Trost spenden, die ob des schrecklichen Terrors derzeit in Angst und Schrecken leben.

Übrigens: Gerade die Künste erinnern uns daran, dass wir es sind, die die Welt erschaffen, in der wir leben. Davon brauchen wir mehr. Die Künste imaginieren und spielen Welten, die nicht sind, aber die sein könnten. Ganz gleich ob dabei Dystopien oder Utopien entstehen – das Bewusstsein dafür, dass wir die Welt anders spielen können als sie ist, stärkt zugleich die Zuversicht, dass wir die Welt auch ganz praktisch zum Besseren verändern können. In diesem Gedanken liegt etwas gleichermaßen Tröstliches wie Herausforderndes.

Der ehemalige US-Präsident Barack Obama hat Ende Oktober sehr tastende und suchende »Gedanken zu Israel und Gaza« veröffentlicht. Er plädiert dafür, diesseits des Terrors aufeinander zuzugehen und nicht immer das Schlimmste bei denjenigen anzunehmen, mit denen wir nicht einverstanden sind. In der Tat lassen sich Differenzen ja meistens erst im Gespräch überwinden – wenn denn alle zum Gespräch bereit sind. Oder zumindest so viele, dass sie eine prägende Kraft auf ein neues Miteinander entfalten können.

Ein Gespräch beginnt oft mit einer Meinungsverschiedenheit. Wir sprechen, weil wir versuchen, uns zu verständigen. Die Zuversicht, dass das möglich ist, macht menschliches Miteinander aus. Der Terror der Hamas will genau diese Zuversicht zerstören. Er will keine Verständigung und ist auch deshalb durch nichts zu rechtfertigen. Wir stehen daher in der Verantwortung, die Grundlagen der Verständigung neu zu schaffen. Deshalb brauchen insbesondere Israel und das jüdische Leben überall auf der Welt unseren unbedingten Schutz. Deshalb verlangt jede Form von Antisemitismus, Rassismus und Menschenhass unseren Widerspruch. Deshalb wird es immer weiter darum gehen, Brücken zwischen denen zu bauen, die humanitäre Werte akzeptieren und friedlich zusammenleben wollen.

Freiheit und Vielfalt unserer Gesellschaft gibt es nicht gratis. Sie brauchen jeden Tag aufs Neue den Mut und die Entscheidungskraft, sie trotz aller Zweifel auch zu leben. Das kann gelingen. Wenn wir bereit sind, die Ideen der Freiheit notfalls robust zu verteidigen. Wenn wir in der Lage sind, miteinander als Menschen zu leiden. Und wir danach streben, gegenseitigen Respekt und den Willen zur Verständigung zur Grundlage unseres Miteinanders zu machen.

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