In einer Demokratie gehört es zu den fundamentalen Aufgaben der Öffentlichkeit, die gewählten Repräsentanten und das Regierungshandeln zu kontrollieren und darüber kritisch zu reflektieren. Dabei spielen die Medien eine zentrale Rolle. Sie sollten in allen Phasen des politischen Prozesses aufklären, die Entscheidungsträger zur Rechenschaft ziehen und Skandale, Versäumnisse und Lügen der Machthaber zutage fördern. Dabei muss ein Gleichgewicht von Nähe und Distanz zu den politischen Amtsinhabern gewahrt bleiben. Die Medien müssen ihnen nahe genug sein, um an Informationen zu gelangen, jedoch hinreichend Distanz bewahren, um die Widersprüche zwischen Rhetorik und Wirklichkeit offenzulegen. In einer Demokratie sollte das Medienspektrum die Bandbreite der Meinungen und Interessen der Gesamtgesellschaft widerspiegeln. Solange die kritische Funktion des Journalismus erfüllt bleibt, kann die Öffentlichkeit die Handlungen und Entscheidungen von Beamten und Politikern beurteilen und sie entsprechend zur Verantwortung ziehen. Von den Medien wird also gerade das ermöglicht, was Jürgen Habermas als das wesentliche Merkmal der Öffentlichkeit ansieht: das öffentliche Räsonnement.
Bis vor einiger Zeit bezogen die meisten US-Amerikaner ihre Informationen aus den klassischen Medien. Heute ist die Medienlandschaft ungleich vielfältiger und weitläufiger. Das ganze politische Spektrum ist durch zahlreiche Webportale, Blogs, Nachrichtenkanäle und Twitterkommentare in der gegenwärtigen demokratischen Öffentlichkeit repräsentiert. Das politisch engagierte Publikum kann sich daher ausschließlich die jeweils genehmen Meinungen auswählen. In einer Demokratie muss das nicht unbedingt problematisch sein, solange die Journalisten sich ihre Unabhängigkeit und kritische Distanz bewahren. Ganz offenkundig gilt das aber nicht mehr für die rechtsorientierten US-Medien, denn sie lassen Donald Trump seine Lügen durchgehen, ohne sie als solche zu entlarven (Die Washington Post hat in den ersten drei Jahren seiner Präsidentschaft bereits mehr als 16.000 »falsche oder irreführende Aussagen« registriert).
In den USA funktionieren die rechtsorientierten Medien heute innerhalb eines »Medien-Ökosystems« (so der Kolumnist Ezra Klein) mit inneren Verkettungen und engen Verbindungen zur Trump-Regierung. Sie sind gewissermaßen Rivalen, denn sie buhlen um dieselben Leser bzw. Zuschauer und gleichzeitig um die Gunst des Präsidenten. Aber sie dienen sich wechselseitig auch als Quellen, wobei die weniger bekannten, oft rechtsextremeren Medien versuchen, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. An oberster Stelle in der Nahrungskette steht hierbei Fox News, der US-Nachrichtenkanal mit den meisten Zuschauern (über 3,6 Millionen), weit vor den Nebenbuhlern, dem gemäßigten CNN und der eher linken MSNBC. Heute wählen 34 % der Erwachsenen, die Nachrichten via Kabelfernsehen verfolgen, Fox. Am Rande stehende rechte Medien, die sich auf Verschwörungstheorien und Verleumdungen der Demokraten spezialisiert haben, hoffen, dass Fox News oder Donald Trump selbst ihre Artikel oder Kommentare zitieren, was ihren Leser-/Zuschauerkreis erweitern würde.
Man kann den Einfluss von Fox auf diese Regierung und die rechte öffentliche Meinung im Allgemeinen kaum überbewerten. In seinen ersten knapp 15 Monaten im Amt trat Trump bereits 44 mal bei Fox News auf. Angeblich spricht Sean Hannity, der bekannteste Fox-Kommentator, nahezu jeden Tag mit ihm und hat ihn bei Wahlkampfveranstaltungen begleitet. Hinzu kommt, dass fast 30 Fox-Angestellte zu verschiedenen Zeiten Posten in der Trump-Regierung innehatten. Selbst der rechte Intellektuelle Bill Kristol beschreibt Fox News als »reine Propaganda« für Trump und seine Politik. Aber auch Fox hat keine Garantie, dass Trump ihm auf Dauer wohlgesonnen bleiben wird. Erbost über eine von Fox durchgeführte Umfrage während seines Amtsenthebungsverfahrens entzog Trump dem Sender einen Teil seiner Sympathien und bevorzugt jetzt das neue, weiter rechts stehende One American News Network (OANN).
Wenn er Alternativen zu Fox sucht, kann Trump auch auf die Unterstützung des rechtsnationalistischen Webportals Breitbart News Network zählen, ein Medienunternehmen, das sich als objektiv inszeniert, jedoch des Öfteren Kommentare von Trump-Befürwortern aus den Reihen der evangelikalen Rechten wie Ryan Helfenbein von der Liberty University sendet. Dieser behauptete zum Beispiel, dass die Covid-19-Pandemie durch die chinesische KP und die WHO verursacht worden sei (ein weitverbreiteter Topos im rechten Lager), dass die vorbeugenden Maßnahmen nicht so streng sein sollten, da sie die »freie« US-Wirtschaft zerstörten, und dass Trump dabei unsere »bedingungslose Unterstützung« verdiene. Seine Leserschaft legte diese Worte so aus, dass »schmutzige, verpestete, von Demokraten regierte« Städte wie New York ummauert werden sollten, um sie vom »gesunden Amerika« abzuriegeln.
Heute besteht die Hauptaufgabe der rechten Medien darin – neben der traditionellen Verteufelung der Demokraten –, Trump zu vergöttern und kritische Urteile über ihn abzuwehren. Rechtsextremistische Quellen wie InfoWars (betrieben von dem Radiomoderator Alex Jones) unterbreiten immer bizarrere Verschwörungstheorien, die – so hoffen sie – entweder von Fox oder Trump aufgenommen werden. So waren unlängst bei InfoWars folgende Schlagzeilen zu lesen: »Deep State (also grundsätzlich das Beamtentum) nutzt die Angst (…) vor dem Coronavirus aus, um der Neuen Weltordnung Tür und Tor zu öffnen und unser Land zu zerstören«, oder: »Pandemische Krise schafft einzigartige Möglichkeit für eine Machtergreifung durch die Befürworter der Globalisierung«. Derartige »Berichte« sollen die Vorstellung bekräftigen, dass – wie von Trump schon früher vorgeschlagen – wir einfach »zur Arbeit zurückgehen« und die Zahl der Corona zum Opfer gefallenen Toten ignorieren sollten. Zum Glück hat Trump diese Empfehlung zurückgenommen und ernsthafte Vorbeugungsmaßnahmen verordnet. Dennoch beharrt das rechte Ökosystem auf der Überzeugung, dass die Epidemie irgendwie doch eine Verschwörung gegen Trump sein muss, und legt ihm daher nahe, die Empfehlungen der Experten abzulehnen.
Der neueste Angriff der rechten Medien richtet sich gegen einen solchen Experten, Anthony Fauci, ein renommierter Immunologe und Mitglied der Coronavirus-Arbeitsgruppe im Weißen Haus. Fast jeden Tag tritt er neben Trump im Fernsehen auf, um über die Pandemie zu berichten. Ein rechtsstehender Blogger, Peter Chowka, hat Fauci als Hillary Clinton liebenden Handlanger des »deep state« gebrandmarkt, ein Vorwurf, der sofort von anderen Teilen des rechtsextremen Ökosystems übernommen wurde. Seit 1984 ist Fauci, der nie als Parteigänger wahrgenommen worden ist, Direktor des prestigeträchtigen staatlichen Instituts NIAID (National Institute of Allergy and Infectious Diseases). Aber jetzt, da er manchmal Trump widerspricht und härtere Maßnahmen gegen die Pandemie befürwortet, ist er zur Zielscheibe von Verleumdungen nicht nur des rechtsextremen Randes sondern auch des aufstrebenden Fox-Rivalen OANN geworden. Als Resultat der Hetzkampagne gegen ihn erhält Fauci seit einiger Zeit Morddrohungen.
Kurzum: Die rechten Medien haben ein symbiotisches Verhältnis zur Trump-Regierung. Der Präsident favorisiert sie bei Interviews, Beratungen und der Vergabe von Posten solange sie ihm rückhaltlose Loyalität entgegenbringen. Aber sie wissen auch, dass sie, wenn sie sich zu stark von ihm distanzieren, durch Rivalen verdrängt werden können. Deshalb fehlt es ihnen an Motivation, die kritisch distanzierte Rolle einzunehmen, die Medien in einer Demokratie auszeichnen sollte.
Es gibt zudem eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den Verleumdungen gegen Fauci, den früheren rechtsinspirierten Zweifeln an der amerikanischen Staatsbürgerschaft Barack Obamas und Trumps Leugnung des Klimawandels. Die rechten US-Medien haben stillschweigend oder explizit entschieden, dass Expertisen, Tatsachen und objektive Beweise nicht (mehr) von Bedeutung sind. Jede Stellungnahme durch einen Politiker oder Journalisten wird je nach ihrer potenziellen Wirkung auf die Rechtsagenda, die Zustimmungsquote Trumps und seine Wiederwahlchancen ausgewertet. Die Öffentlichkeit verlässt sich auf den Journalismus, um zwischen Tatsachen und Fehlinformationen, Wahrheit und Lügen zu unterscheiden. Wenn die Glaubwürdigkeit einer Person aber von ihrer politischen Gefolgschaft abhängt, dann haben Wissen und Wahrheit ihren Sinn verloren. Was zählt ist nur die persönliche Loyalität. Die rechte Medienlandschaft in den USA ähnelt immer mehr der in autoritären Systemen, aber ohne deren Zwangsapparat. Die Amerikaner dürfen freilich immer noch die New York Times lesen, aber Millionen würden diese Quellen als »zu liberal« einschätzen, um glaubwürdig zu sein. Es ist also eine tautologische Falle: Man dürfe kein Vertrauen zu den »Mainstream-Medien« haben, weil sie Trump kritisieren; und die Tatsache, dass sie ihn kritisieren, beweise, dass sie zu liberal und nicht vertrauenswürdig seien. Am Ende wird so die kritische Funktion der Medien und die öffentliche Kontrolle des Staates, die ihnen anvertraut ist, von rechts immer weiter ausgehöhlt.
Theoretisch beurteilen die von den Medien aufgeklärten Staatsbürger die Programme und Handlungen ihrer Regierung je nachdem, ob diese ihren Interessen und Werten entsprechen. In der Ära Trump aber warten umgekehrt die rechten Medien und Staatsbürger auf die Verlautbarungen des Präsidenten wie zu denken und zu handeln sei und machen sich dessen Meinungen dann zu eigen. Wenn er es sich anders überlegt, folgen sie ihm auch dann. Objektive Kriterien der Informationsbeschaffung und Politikgestaltung sind dabei weniger wichtig als Trumps angeblich unfehlbaren »Instinkte«. Diese Sachlage entspricht nicht mehr dem Demokratiebild, das wir seit etwa einem Jahrhundert kannten, weil es jenseits der offensichtlichen Notwendigkeit, jede Lust und Laune von Trump zu rechtfertigen, kein unabhängiges, öffentliches Räsonnement mehr gibt.
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