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Akteure und Kooperationen der Auswärtigen Kulturpolitik Künstler als Transformationsagenten

Nationalstaatlichkeit zeigt sich nicht nur anhand politischer Strukturen im Inneren, sondern vor allem durch Abgrenzung nach außen und Koexistenz mit anderen Staaten, sie manifestiert sich in ökonomischen und geopolitischen Interessen internationaler Beziehungen sowie im besten Falle in Friedenssicherung und Kulturdiplomatie. Auswärtige Kulturpolitik (AKP) ist spätestens seit der Einrichtung einer Kulturabteilung 1920 im Auswärtigen Amt Instrument der Außenpolitik Deutschlands. Die Tradition verpflichtet bis heute, es ging und geht um Einflussnahme mittels Kunstpräsentation und Kulturarbeit, um sogenannte »Soft Power« und »Cultural Diplomacy«, aber auch um Dialog und Austausch. AKP ist im Zuge der Etablierung der Europäischen Union, im Prozess europäischer Identitätsbildung und als Politikfeld in bi- und multilateralen Kooperationen dritte Säule des staatlichen Auftrags geworden.

Die deutsch-französische Zusammenarbeit gilt als Garantin für die demokratische Gestaltung staatlichen und zivilgesellschaftlichen Lebens. Mit der Vereinbarung beider Länder aus dem Jahre 2019, Jahrzehnte nach dem Élysée-Vertrag als erste Referenz zwischenstaatlicher Vereinbarung, sollen die Kooperationen vor allem auch in der AKP gestärkt und ausgebaut, sollen neue Modelle zwischen dem Institute français (IF) und dem Goethe-Institut (GI), den beiden außenpolitischen Mittlerorganisationen, entwickelt und institutionalisiert werden. Als Best-Practice-Beispiel gilt das deutsch-französische Kulturzentrum im palästinensischen Ramallah. Anlass und Ausgangspunkt genug, um Anspruch und Wirklichkeit dieser liason culturelle zu untersuchen.

Machtasymmetrien im Kulturaustausch

Die damit einhergehende größere Auseinandersetzung formuliert Antonia Blau in einer der Forschungsfragen zu ihrer Dissertation unter dem Titel Die Kunst der Dekolonisierung: »Es stellt sich die Frage, ob eine auf nationalstaatliche Tradition referierende AKP auf aktuelle Herausforderungen gleichzeitig stattfindender Internationalisierungsprozesse noch adäquat reagieren kann.« Sie analysiert das französisch-deutsche Gespann von beiden Seiten und am dritten Ort, nämlich in Palästina, sie rekurriert dabei auf die inhaltliche, organisatorische und finanzielle Neuausrichtung kulturpolitischen Handelns und stellt die Akteure der Künste als Transformationsagenten (»Agents of Change«) in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Von der nationalen über die bilaterale AKP beschäftigt sie sich insbesondere mit dem Transnationalen als Perspektive. »Palästina kann als Laboratorium für eine konstruktive Auseinandersetzung mit den Anforderungen an internationale (Kultur-)Beziehungen dienen, da sich dort ungleiche Machtverhältnisse verdichten«, lautet eine ihrer Thesen.

Eine weitere These konkretisiert die theoretische Herangehensweise außenkulturpolitischen Handelns: »Transnationale Kulturbeziehungen können Machtasymmetrien, die sich in der geopolitischen Nutzung von Bildern niederschlagen, thematisieren und hinterfragen, um konstruktive und kreative Umgangsformen damit zu finden.« Dieses Ziel vor Augen, gestaltet Antonia Blau den Aufbau ihrer Untersuchung stringent, um einen »Bausteinkasten für eine Neukonzeption« zu erarbeiten. »Die vorliegende Forschungsarbeit will die Konstituierung und anhaltende Relevanz des Nationalstaates als die relevante Referenzgröße für AKP hinterfragen und anregen, grenzüberschreitende Kulturbeziehungen als transnationale Phänomene zu beschreiben.«

Dialog auf Augenhöhe?

Mit der European Union of National Institutions for Culture (EUNIC) sei ein Dachverband europäischer Kulturinstitute geschaffen worden, der ebenso in den arabischen Ländern mit gemeinsamen Projekten den interkulturellen Dialog zu pflegen sich anschickt wie die Außenpolitik der EU für die südliche Nachbarschaft sowie die euro-mediterrane Zusammenarbeit, die Antonia Blau aber eher kritisch bewertet: »Obwohl seit 2016 ein Vorschlag für eine Gesamtstrategie von Kultur in den EU-Außenbeziehungen vorliegt, fehlt bisher ein regionaler Ansatz für den Mittelmeerraum, der nach wie vor eher unter sicherheitspolitischen Aspekten betrachtet wird.« Kurzfristige humanitäre Hilfen stünden im Vordergrund anstelle von langfristigem Aufbau funktionierender Institutionen.

Antonia Blau gewährt neben der politischen Einordnung der Akteure von außen auch Einblicke in die Entwicklung palästinensischer Kunst im Innern. Aber: »Der Kultursektor wird quasi vollkommen abhängig von westlichen Geldgebern.« Die internationalen Förderer würden nicht genug über den spezifischen lokalen Kontext wissen, von einer fairen Kooperation könne keine Rede sein, Asymmetrien auf struktureller, ökonomischer und ethischer Ebene seien festzustellen.

Besonders augenfällig wird dies am Beispiel des Cinema Jenin, einem offensichtlich gescheiterten Projekt deutscher AKP. Antonia Blaus finale Erkenntnis: »Dialog auf Augenhöhe, die Förderung der Zivilgesellschaft und Koproduktionen bzw. Ko-Kreationen bleiben vollkommen unberücksichtigt, wenn das Ministerium eines Staates die kulturelle Infrastruktur eines Nichtstaates direkt gestaltet.« Anders stelle sich die Unterstützung palästinensischen Künstler durch das IF dar, das sich vor allem für deren Mobilität nach und ihrer Sichtbarkeit in Frankreich engagiere. Zudem böte sich bei diesem Austausch der Zweigleisigkeit ein Zusammenwirken von Innen und Außen an, da zusätzliche Mittel den französischen Gebietskörperschaften zur Verfügung stünden. Lokale Vereine und Initiativen spielten dabei eine wichtige Rolle, die in der Einwanderungsgesellschaft Frankreichs nicht selten die Perspektiven von Migranten aufnehmen.

Antonia Blau plädiert für die Schaffung von Konzeptionen und Strukturen im internationalen Austausch, propagiert Mobilität und Vernetzung im transnationalen Raum und erwartet insbesondere von einer deutsch-französischen AKP das Hinterfragen der Hierarchien sowie die Ermöglichung von kultureller Teilhabe, um sich als Lerngemeinschaften zu verstehen und zur Dekolonisierung beizutragen.

Kulturaktivisten in Transformationsprozessen

Welche Rolle spielen Künste und Künstler in der Gesellschaft, insbesondere in Prozessen der Transformation? Sind sie »Seismografen« im politischen Raum, sind sie »Watch dogs« für die Zivilgesellschaft oder gar »Change Agents« für die Umbrüche des Zusammenlebens? Und was können diese dazu beitragen, um Frieden und Freiheit, Demokratie und Partizipation zu stärken, zu sichern, nachhaltig zu gestalten? Der Diskurs darüber ist geprägt von zwei Antworten: Ja, Künste und Künstler reflektieren in ihren Werken, was ist und was sein könnte und nehmen so durchaus auch Einfluss auf Entwicklung. Und nein, Künste und Künstler lassen sich ungern vereinnahmen und sollten vor einer Instrumentalisierung eher geschützt werden.

In ihrem Promotionsprojekt »Künstler als Agents of Change« beschäftigt sich Meike Lettau mit der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Tunesien, im Kontext der arabischen Revolution und mit besonderem Augenmerk auf »Aufgaben, Herausforderungen und Chancen auf dem Gebiet deutscher auswärtiger Kulturpolitik und internationaler Zusammenarbeit«. Ihre Ausgangsthese ist, »dass auswärtige Kulturpolitik in Transformationsprozessen reformbedürftig ist und neue Konzepte benötigt werden, um auf lokale Bedürfnisse adäquat zu reagieren«. Sie fragt nach dem notwendigen Paradigmenwechsel von der Vermittlung eines Deutschlandbildes zur Selbstdarstellung und Repräsentation hin zur Förderung von demokratischer Teilhabe, dem Aufbau von Gemeinschaften (Community Building) und »Ownership« (Eigentümerschaft). Am Beispiel der sogenannten Transformationspartnerschaft zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Tunesien nach 2014 und dem Beitrag des GI werden Fallbeispiele erörtert und Akteure befragt sowie Korrelationen zwischen künstlerischem Handeln und gesellschaftlichen Transformationsprozessen reflektiert.

Meike Lettau beschäftigt sich mit Kunstfestivals als Format von Kulturaktivismus, mit der Kontextualisierung durch die politische Entwicklung, mit den Methoden und Impulsen demokratischer Partizipation. Sie äußert sich zum Paradigmenwechsel in der AKP und nimmt die strategische Ausrichtung, die Kriterien, aber auch Dekonstruktionsprozesse in den Blick.

Kulturpolitik für die Freiheit der Kreativität

Sehr überzeugend werden die theoretischen und praktischen Schritte der Demokratisierung Tunesiens offengelegt: Von der Liberalisierung über die Übergangsphase hin zur Konsolidierung. Das komplexe Gebilde von Volkes Wille, Regierungshandeln und Kunstaktionen wird klug auseinandergenommen und zur Diskussion gestellt. Es beginnt mit der Opposition gegen die Diktatur und endet mit dem Aufbau demokratischer Strukturen. Gut, dass auch im globalen Kontext gedacht wird; denn Transformationsprozesse in Tunesien haben auch die Kolonialzeiten zu berücksichtigen, die vieles an Machtmissbrauch und Unfreiheiten zu verantworten haben. Zudem war Kulturpolitik bisher wesentlich geprägt durch staatliche Förderung der Zielgruppe von Eliten. Die Parallelen von Kultur und Politik sind evident und werden von Meike Lettau sinnvoll herausgearbeitet: Kultur als Faktor der Nationenbildung, Kultur als Bestandteil wirtschaftlicher Entwicklung, seit 2011 Kultur für die Freiheit der Kreativität und zur Stärkung kultureller Rechte.

Kunstfestivals seien die Blaupause für demokratische Entwicklungen im politischen System; sie haben sich nachweisbar Freiräume erobert, den öffentlichen Raum genutzt und Räume gestaltet, die bisher für die Bevölkerung verloren gegangen waren. Die Beispiele der Kunstaktion auf den Hügeln im ländlichen Raum und die Beispiele jener künstlerischen Aktionen in der Altstadt von Tunis zeugen davon, dass es mehr als um Ästhetik und Ereignis geht.

»Mit der Entstehung von Kunstfestivals findet eine Politisierung der Akteure in Transformationsprozessen statt«. Sie nehmen eine aktive Rolle ein, gewähren Teilhabe und sind durchaus auch subversiv. Und sie können auch Plattformen der Begegnung von Künstlern aus aller Welt sein. »Internationaler Austausch ist als Katalysator und Vehikel für die Entstehung kultureller Formate in Transformationsprozessen sehr relevant«.

Dekonstruktionen der Dominanz europäischer Kulturmittler

Und was erfahren wir über die AKP in dieser Untersuchung? Zunächst einmal, dass Künste und Künstler keine große Rolle bei den Transformationspartnerschaften gespielt haben. Aber auch, dass insbesondere das GI seine Chance mit zusätzlichen Mitteln genutzt hat, um sich mit Projekten und Programmen in die gesellschaftlichen Prozesse einzubringen, vom »Sponsor« über den »Ermöglicher« hin zum »Partner«. Die Kooperationen mit dem GI waren hilfreich, zunächst zur Stärkung lokaler Kulturakteure, dann als physischer Ort in der Hauptstadt, an dem Kultur frei zugänglich war, und schließlich als Impulsgeber, der auch schon einmal den Wandel des Projektcharakters, »vom ausstellungsdominierten zum bürgernahen interaktiven Projekt« beeinflusste.

Es gelte, Zielgruppen strategisch zu definieren, eine Diversifizierung der Partnerlandschaft vorzunehmen und dezentrale Regionen als neue Orte von Kulturvermittlung zu kreieren. Außerdem formuliert Meike Lettau eine ganz grundsätzliche Überlegung: »Mehr Kooperationen zwischen den einzelnen ausländischen Kulturinstitutionen in multi- statt nationalen Ansätzen umzusetzen, könnte zur schrittweisen Dekonstruktion der Dominanz einzelner europäischer Kulturmittler und einer postnationalen auswärtigen Kulturpolitik beitragen.«

Die Forschungsarbeit schließt mit einer unerwarteten Wendung hinsichtlich des Gegenstands. »Agents of Change« sei eine Fremdzuschreibung und sollte im Kontext von Transformationsprozessen eher kritisch Verwendung finden. Dafür habe aber die Untersuchung gezeigt, dass sich der klassische Künstlerbegriff erweitert und Kulturaktivisten als neue Selbstbezeichnung Anwendung finden kann. Denn es gehe nach wie vor um die Schaffung von Freiräumen, um die Aneignung der öffentlichen Räume, um Methoden der demokratischen Partizipation und deshalb brauche es Künste und Künstler als Akteure der Zivilgesellschaft.

Antonia Blau: Die Kunst der Dekolonisierung. Deutsch-französische Auswärtige Kulturarbeit in Palästina. Springer VS, Wiesbaden 2021, 311 S., 54,99 €. – Meike Lettau: Künstler als Agents of Change. Auswärtige Kulturpolitik und zivilgesellschaftliches Engagement in Transformationsprozessen. Springer VS, Wiesbaden 2020, 209 S., 64,99 €.

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