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Künstliche Intelligenz – zwischen sinnvollem Fortschritt und zeitgeistiger Torheit

Künstliche Intelligenz (KI), das Stichwort elektrisiert Wissenschaftler, Unternehmer und Politiker gleichermaßen. Die USA sind auf diesem Feld Vorreiter, China ist dabei, die USA einzuholen und womöglich zu überholen. In Israel wird an KI seit Längerem geforscht und erfolgreich experimentiert, ebenso in Indien und kleineren Ländern Asiens. Und wo bleibt Europa? Wo bleibt Deutschland? Seit Kurzem schlagen die Parteien in Berlin Alarm, alle bekennen sie sich mittlerweile zur Förderung der Digitalisierung als eines Schwerpunkts der Technik- und Wirtschaftsentwicklung. Sogar eine Digitalisierungsbeauftrage leistet sich die Große Koalition, die aber bisher hauptsächlich durch ihre schrille Begeisterung für Flugtaxen und selbstfahrende Autos aufgefallen ist.

Nun hat sich auch der SPD-Generalsekretär mit einem Appell zu Wort gemeldet, den Der Tagesspiegel vom 3. November 2018 mit der ein wenig irreführenden Überschrift versehen hat: »Schluss mit der Angst vor Künstlicher Intelligenz!« Lars Klingbeil betont zwar zu Recht die mithilfe von KI möglich werdenden großen Fortschritte in der Medizin und in vielen Sektoren von Wirtschaft und Verwaltung und fordert für die Entwicklung dieser Technik »eine konkrete Investitionsstrategie, die auf einer Milliardensumme basiert«. Aber er warnt auch davor, alles einfach abzunicken, was uns die Cleverles im Silicon Valley als Fortschritt offerieren. »Nicht alles, was technisch möglich ist, sollte auch verwirklicht werden. Es gibt Entwicklungen, die gegen unsere ethischen Grundsätze verstoßen. Es gibt Entscheidungen, die niemals von Maschinen getroffen werden dürfen. Ich möchte nicht, dass Maschinen festlegen, was Recht und was Unrecht ist. Ich möchte nicht, dass Kriegsführung digitalisiert und von Algorithmen vorangetrieben wird. Deshalb brauchen wir eine Diskussion über Grenzen, über Kontrolle, über Transparenz und über die Frage der Verantwortung bei Künstlicher Intelligenz.«

Das ist eine Position, die im Wesentlichen auch Julian Nida-Rümelin und Nathalie Weidenfeld in ihrem kürzlich erschienenen Buch Digitaler Humanismus. Eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz vertreten. In 20 informativen und gut lesbaren Kapiteln wird die Frage erörtert, wie die Digitalisierung politisch gestaltet und rechtlich eingehegt werden könnte, damit sie tatsächlich zur Humanisierung der Welt beiträgt. Dabei setzen sich die Autoren nicht nur mit der tatsächlichen Technikentwicklung auf diesem Feld, sondern auch mit der großen Zahl von Hollywood-Filmen und Science-Fiction-Romanen auseinander, in denen KI Anlass zu apokalyptischen Untergangsszenarien oder Welterlösungsfantasien gibt. Das ist insofern wichtig, als die Haltung der Menschen zu Fragen der digitalen Entwicklung nicht unwesentlich durch diese populären Produkte medialer Unterhaltung geprägt wird.

Detailliert befassen sich Nida-Rümelin und Weidenfeld mit der Robotik und den damit oft verbundenen übertriebenen Erwartungen, mit dem Internet der Dinge, das die lebensweltliche Einbettung der Menschen radikal verändern könnte, mit den möglichen Auswirkungen der Optimierung des Menschen durch Genchirurgie und Gehirnmanipulation, mit Fluch und Segen digitaler Bildung und den gesellschaftlichen Auswirkungen KI-gesteuerter Kontrollsysteme, mit der Utopie der liquid democracy und der Frage, ob die »disruptive« Technikentwicklung auf dem Gebiet der KI, wie oft befürchtet, zwangsläufig zu massenhafter Arbeitslosigkeit führen wird.

Rahmenbedingungen für den digitalen Wandel

Diese Problematik erwähnt auch Klingbeil in seinem Artikel im Tagesspiegel. Auch in diesem Punkt ist er bemüht, sowohl wohlfeile Dramatisierung als auch beschwichtigende Schönrederei zu vermeiden. Nüchtern schreibt er: »Künstliche Intelligenz wird Arbeitsplätze verändern oder sie sogar ersetzen. Es werden aber auch viele neue Arbeitsplätze entstehen, etwa im Bereich der App-Programmierer oder auch im Bereich der sozialen Dienstleistungen. Es bringt nichts, darum herumzureden: Erst mal wird es Einschnitte geben. Technischer Fortschritt hat schon in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder menschliche Arbeit durch Maschinen ersetzt. Diese Entwicklung löst Ängste bei den Betroffenen aus. Deswegen muss Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzen, um die Gesellschaft durch diesen Wandel zu führen. Soziale Absicherung und Sozialstaatlichkeit müssen neu austariert werden, um Schutz und Freiheit zu gewährleisten. Ebenso brauchen wir endlich eine Aus- und Weiterbildungspolitik in diesem Land, die Rechtsansprüche einräumt und nicht per Zufall funktioniert. Die Arbeitswelt insgesamt steht vor einem enormen Wandel. An dessen Ende stehen Chancen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – wenn wir die Chancen rechtzeitig ergreifen.«

Dies ist in der Tat eine auf angenehme Weise unaufgeregte Abwägung von Chancen und Risiken. Was er freilich nicht erwähnt, ist das, was auch Nida-Rümelin und Weidenfeld unerwähnt lassen: Die zu erwartenden erheblichen Freisetzungseffekte durch die KI-gesteuerte Automatisierung können und dürfen nicht mehr wie bisher durch die immer weitere Steigerung des Produktionsumfangs kompensiert werden, weil die mittlerweile nicht mehr übersehbaren Grenzen des Wachstums dies einfach nicht zulassen und die Hoffnung auf eine weitgehende Dematerialisierung des Wachstums sich ganz offensichtlich nicht erfüllt. Hierin aber liegt womöglich die größte Herausforderung für die SPD und die Gewerkschaften. Ohne erhebliche Anstrengungen zur Verkürzung der Erwerbsarbeitszeiten einerseits und eine weitgehende Finanzierung der nicht automatisierbaren, besonders der – bisher zumeist unterbezahlten – personenbezogenen Dienstleistungen aus der Wertschöpfung des Maschinensektors wird es wohl nicht gehen.

Gerade weil die Arbeiten, in denen das Moment der menschlichen Freiheit, der Kreativität und der Empathie eine wichtige Rolle spielt, nicht automatisiert werden können und dürfen, kann von einem »Verschwinden der Arbeit«, wie es Jeremy Rifkin und vor ihm Hannah Arendt und Ralf Dahrendorf ankündigten, nicht die Rede sein. Dennoch wird die Entwicklung wohl nicht so glatt verlaufen, wie Nida-Rümelin und Weidenfeld offenbar meinen. Die von ihnen geäußerte Erwartung, dass die durch die KI erzeugte Freisetzung von Arbeitskräften »durch neue Arbeitskapazitäten, die durch die Digitalisierung erst entstehen, kompensiert werden« wird, erscheint auch mit dem Hinweis auf die bisherige industrielle Entwicklungsgeschichte nicht plausibler. Denn auch in den letzten 150 Jahren hätte es wohl nie eine Periode annähernder Vollbeschäftigung gegeben, wenn nicht die Arbeitszeiten durch Verlängerung von Bildungs- und Ausbildungszeiten, durch die Einführung eines gesetzlichen Rentenalters, durch Urlaubs- und Elternzeiten und durch die Verkürzung der Normalarbeitszeit kontinuierlich herabgesetzt worden wären.

Die österreichische Wirtschaftswissenschaftlerin Nora S. Stampfl rechnet in ihrer Studie Homo Laborans Digitalis mit einer viel dramatischeren Veränderung der Arbeitswelt, die die herkömmlichen sozialstaatlichen Einhegungsversuche grundsätzlich infrage stellen könnte. Für die nächsten Jahrzehnte sieht sie zudem eine deutliche Abwertung der Erwerbsarbeit und eine gleichzeitige Aufwertung der Nichterwerbsarbeit voraus, wodurch Modelle einer von der Erwerbsarbeit abgekoppelten Alimentierung wie das bedingungslose Grundeinkommen und eine »Tätigkeitsgesellschaft« im Sinne von André Gorz u. a. an Plausibilität gewinnen. Aber auch dies, so Stampfl, ist möglicherweise noch zu kurz gedacht, denn ein Großteil der Wertschöpfung werde in Zukunft dadurch erfolgen, dass Digitalkonzerne Daten von Menschen abschöpfen und verarbeiten, die, ohne sich dessen im Detail bewusst zu sein, mit den Spuren ihrer Lebensfunktionen Big-Data-Netze beliefern. »Fasst man (…) die Beteiligung am Wertschöpfungsprozess durch Datenproduktion als Arbeit auf, dann führt dies in eine Welt der totalen Entgrenzung: Denn Arbeit kennt dann keine Schranken mehr, sie findet völlig losgelöst von Zeit und Raum statt: immerzu und überall.«

Kontrollverlust und Massenarbeitslosigkeit?

Der israelische Historiker Yuval Noah Harari, der in seinem Bestseller Homo Deus die Heraufkunft eines technoiden Übermenschen und damit das Ende des Humanismus voraussagt, ist offenbar der Meinung, dass es Grenzen der KI-gesteuerten Automatisierung nicht gibt. Jedenfalls scheint er davon auszugehen, dass auch die kreative Arbeit und die personenbezogenen Dienstleistungen im Gesundheits-, Pflege- und Bildungsbereich im Zuge der Digitalisierung automatisiert werden. Entsprechend erwartet er in seinem neuen Buch 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert eine durch die Digitalisierung ausgelöste massenhafte Arbeitslosigkeit mit der Folge gewaltiger und gewaltsamer politischer Unruhen. »Die technologische Revolution«, schreibt er, »könnte schon bald Milliarden Menschen aus dem Arbeitsmarkt drängen und eine massenhafte neue Klasse der Nutzlosen schaffen, mit der Folge von gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen, für die keine der bestehenden Ideologien ein Rezept hat.« Wenige Seiten weiter scheint er dann aber doch ein wirksames Rezept gegen die sich ankündigende Katastrophe gefunden zu haben. Denn nun erklärt er sehr viel zuversichtlicher: »Wenn es uns gelingt, ein allgemeines wirtschaftliches Sicherungsnetz mit starken Gemeinschaften und sinnvollen Tätigkeiten zu verknüpfen, könnte sich die Tatsache, dass wir unsere Arbeit an Algorithmen verlieren in Wirklichkeit als Segen erweisen.«

Dafür sieht er nun eine viel größere Gefahr auf uns zukommen, nämlich die, »dass wir die Kontrolle über unser Leben verlieren«. Die zu erwartende Massenarbeitslosigkeit durch KI-gesteuerte Automation sei durchaus politisch zu bewältigen. Es scheint, dass auch er in einer Art sozial abgesicherter Tätigkeitsgesellschaft eine mögliche Lösung sieht. Statt dem Verlust von Arbeitsplätzen nachzutrauern, so heißt es nun, sollten wir uns lieber Gedanken darüber machen, wie wir Freiheit und Menschlichkeit in einer digitalisierten Welt erhalten könnten. Denn die eigentliche Gefahr sei, »dass sich die Macht von den Menschen auf die Algorithmen verlagert, was den noch verbliebenen Glauben an die liberale Erzählung endgültig zerstören und dem Aufstieg digitaler Diktaturen Tür und Tor öffnen könnte«.

Eine auch nur kursorische Durchsicht von Büchern, die sich mit unserer digitalen Zukunft befassen, zeigt, dass die oft mit viel Pathos vorgetragenen Prognosen in Wahrheit immer noch äußerst unsicher und in großen Teilen auch in sich widersprüchlich sind. Nur technikgläubige Ideologen geben schon heute vor, ganz genau zu wissen, wie unsere Welt in 20, 50 oder 100 Jahren aussehen wird, und vergessen, dass die Menschen, statt sich ins angeblich Unvermeidliche zu fügen, auch in die Prozesse lenkend eingreifen können. Aus diesem Grund ist der Ansatz, den Nida-Rümelin und Weidenfeld in ihrem Buch wählen, nämlich nicht nur zu fragen, was da auf uns zukommt, sondern auch, was davon mit unseren Werten und Hoffnungen, mit unserer Sicht des Menschen und unserer Vorstellung einer menschlichen Welt kompatibel ist und was nicht.

Ihre Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz liefert Kriterien, zwischen sinnvollem Fortschritt und zeitgeistiger Torheit zu unterscheiden. Und sie erlaubt es auch, deutlich zu machen, was wir nicht akzeptieren sollten. »Die Silicon-Valley-Ideologie«, schreiben sie, »nimmt humanistische Impulse als Ausgangspunkt, um sie dann – nicht zum ersten Mal in der Kulturgeschichte der Menschheit – zu antihumanistischen Utopien zu transformieren. Sie beginnt bei der Verbesserung des Humanen und endet in seiner finalen Überwindung. Sie will das menschliche Leben auf dem Planeten verbessern und stellt die Bedingungen der Humanität infrage. Sie überführt den Humanismus zum Transhumanismus und zur technizistischen Utopie, in der das Menschliche auf der Strecke bleibt. Dem stellt sich der digitale Humanismus als eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz entgegen.«

Yuval Noah Harari: 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert. C.H.Beck, München 2018, 459 S., 24,95 €. – Julian Nida-Rümelin/Nathalie Weidenfeld: Digitaler Humanismus. Eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. Piper, München 2018, 224 S., 24 €. – Nora S. Stampfl: Homo Laborans Digitalis. Reflexionen über neue digitale Arbeitswelten. Die Graue Edition, Dietzenbach 2018, 324 S., 28 €.

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