Menü

Sklaverei und Rassismus in den USA Lange Schatten

Schien es nicht ausgemacht, dass nach Barack Obama, dem ersten schwarzen Präsidenten der USA, mit Hillary Clinton die erste Präsidentin ins Weiße Haus einziehen würde? Statt ihrer kam Donald Trump als Rache des weißen Mannes. Beim anspielungsreichen Titel von Ta-Nehisi Coates’ Essaysammlung We were eight years in power handelt es sich aber um ein Zitat aus dem Jahre 1895. Der schwarze Kongressabgeordnete Thomas Miller aus South Carolina beklagte damals den Rückschlag von egalitären Ansätzen nach dem Bürgerkrieg hin zu einer Politik der Unterdrückung. »Wir waren acht Jahre an der Macht«, sagte Miller: »Wir haben Schulen gebaut, Wohltätigkeitseinrichtungen gegründet, das Strafvollzugssystem errichtet und unterhalten, für die Bildung von Taubstummen gesorgt, die Fähren wieder in Betrieb genommen. Kurzum, wir haben den Staat wiederaufgerichtet und den Weg zu neuer Blüte bereitet.«

Doch so wenig die Leistung schwarzer Sklaven für den Aufbau der USA gewürdigt worden ist, so wenig auch die Bemühungen der aus der Sklaverei Entlassenen, das Land demokratischer und gerechter zu machen. Was jene acht Jahre der ersten »Negerherrschaft« angeht, zitiert Coates den Bürgerrechtler W. E. B. Du Bois (1868–1963) mit der Feststellung, wenn es etwas gab, das South Carolina mehr fürchtete als »eine schlechte Negerregierung«, dann sei es »eine gute Negerregierung« gewesen. Was wäre für einen ehemaligen Sklavenhalter auch verheerender als der Gedanke, die Menschen, die er missbraucht habe, seien ihm nicht nur ebenbürtig, sondern sogar überlegen? Damals sorgten die sogenannten »Jim Crow Laws« dafür, dass Schwarze aus der weißen Öffentlichkeit ausgeschlossen und wegen Bagatelldelikten zu Zwangsarbeit verurteilt werden konnten. Douglas A. Blackmon hat dies in dem 2008 erschienenen Buch Slavery by Another Name zutreffend beschrieben.

Die tiefe Spur des Rassismus

Zwar war Lynchjustiz nicht explizit legalisiert, aber wo die Jim-Crow-Gesetze angewendet wurden, fand man immer einen Grund, um gewaltsam gegen Schwarze vorzugehen. 1946 wurde der Kriegsveteran Isaac Woodward, der seine Uniform trug und gewagt hatte, während einer Busfahrt durch South Carolina die Toilette einer Raststation zu benutzen, beim nächsten Halt vom dortigen Polizeichef zusammengeschlagen und wegen ungebührlichen Verhaltens in Haft genommen. Später setzte der Polizist die Misshandlung fort und drückte ihm beide Augen aus. Schon erblindet wurde der einst wegen guter Führung ausgezeichnete Ex-Soldat vom örtlichen Richter noch zu einer Geldstrafe von 50 Dollar verurteilt.

Dies berichtet die Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison in ihren Harvard-Vorlesungen »Über Rasse, Rassismus und Literatur«, die unter dem Titel Die Herkunft der anderen erschienen sind. Woodwards fatale Reise ähnelt der des Helden ihres Romans Heimkehr, der nach Jahren in Uniform in eine gespaltene Gesellschaft zurückkehrt. Dass er nichts Ähnliches erleidet, verdankt er auch einem Buch, dessen Vorbild von 1936 bis 1966 unter Titeln wie The Negro Motorist Green-Book erschien. Der Postangestellte Victor Hugo Green hatte darin Gast- und Raststätten aufgeführt, in denen man als Afroamerikaner hoffen durfte, bedient zu werden.

Dass sich Greens Reiseführer an Autofahrer und zunehmend an Urlauber wandte, spricht von der Entwicklung eines schwarzen Mittelstandes, aber auch davon dass ein eigener Wagen einem die Rassentrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln ersparte. So hat mit dem Helden von Matt Ruffs Roman Lovecraft Country noch ein weiterer Kriegsveteran eine literarische Version dieses Buchs dabei, als er 1954 nach Chicago fährt. Dabei wird dieser Atticus Turner von einem weißen Bundespolizisten angehalten und entwürdigend behandelt; sein Reiseführer wird konfisziert. Den brauche er nicht mehr, meint der Polizist, denn »zwischen hier und Chicago gibt es keinen einzigen Ort, wo Sie halten wollen«.

Zum Glück ist Atticus auf dem Weg zur Quelle, denn der »Guide« wird von seinem Onkel George herausgegeben, der in Chicago die »Safe Negro Travel Company« leitet. Auf den ersten Blick sticht Ruffs Roman hier nicht nur heraus, weil sein Autor ein Weißer ist. Er wird auch der Anspielung des Titels auf Howard Phillips Lovecraft, den Ahnherrn der Horrorliteratur, gerecht, indem er Elemente dieses Genres sowie der Fantastik, Science-Fiction und Fantasy aufgreift. Sicherlich gab es auch darin eine Rassentrennung. Neben Atticus sind weitere Familienmitglieder leidenschaftliche Leser solcher Bücher, nur tauchen darin Schwarze bestenfalls in Nebenrollen auf, weil die Helden meistens weiß und die Aliens eher grün sind. Indem Ruff sie zu Protagonisten eines Romans macht, in dem weiße Geheimbünde schwarze Magie betreiben, rückt er den Rassismus in den Bereich trivialer Phantasmen.

Ruff ist nicht der Einzige, der nun in der Literatur nachholt, was Jazz und Blues, Soul und Rap in der Musik längst getan haben, indem er das Thema Rassismus mit Elementen der Populärkultur angeht. Sein afroamerikanischer Landsmann Colson Whitehead hat 2016 mit Underground Railroad einen fantastischen historischen Roman verfasst, in dem die im 19. Jahrhundert nur sogenannte Fluchthilfeorganisation tatsächlich eine unterirdische Eisenbahn betreibt, die das Entkommen aus den Sklavenhalterstaaten der USA ermöglicht.

Mitgefühl als Schwächezeichen

Der erwähnte Lovecraft hatte einst festgestellt, dass die älteste und stärkste Angst die Angst vor dem Unbekannten sei. Doch er schrieb auch die Erzählung The Outsider, deren Erzähler ein abstoßendes Monster entdeckt und versehentlich berührt – um festzustellen, dass es sich um sein Spiegelbild handelt. Am Anderen sieht man, was man an sich selbst nicht wahrhaben will.

»Ich bin keine Bestie!«, lässt Toni Morrison in ihren Vorlesungen die Sklavenhalter schreien, die ihre Sklaven wie Vieh und bis zur eigenen Entkräftung schlagen: »Ich quäle die Hilflosen nur, um zu zeigen, dass ich kein Schwächling bin.« Man braucht den geschundenen Sklaven, die missbrauchte Sklavin, um sich zu beweisen, dass man Herr, dass man Mann ist: »Mitgefühl mit einem Fremden zu zeigen«, brächte hingegen die Gefahr mit sich, »selbst zum Fremden zu werden«: »Es bedeutet den Verlust der so geschätzten, so sorgsam bewahrten Distinktion, wenn man seinen durch Rasse definierten Rang aufs Spiel setzt.«

Zu Beginn aber erinnert sich die 1931 geborene Morrison an ihre Kindheit in einem Land der strikten Rassentrennung. Sie und ihre Schwester seien kleine Kinder gewesen, als das Verdammungsurteil über sie gesprochen wurde. Ihrer »teerschwarzen« Urgroßmutter habe ein Blick auf die »braunhäutigen« Mädchen genügt, um zu erkennen: »Diese Kinder sind verpfuscht worden.« Morrison hat solche Auswüchse eines »Kolorismus« literarisch durchgespielt. In ihrem Roman Gott, hilf dem Kind bringt eine ziemlich »hellhäutige« Mutter ein »rabenschwarzes« Baby zur Welt, dem sie angeekelt alle Liebe versagt.

Dem ließe sich eine provozierende Aussage Jesse Jacksons, des afroamerikanischen Präsidentschaftsbewerbers von 1984 und 1988, an die Seite stellen: »Es gibt in meinem Leben zurzeit nichts Schmerzlicheres, als eine Straße entlangzugehen, beim Geräusch von Schritten an einen Überfall zu denken, mich umzudrehen und dann erleichtert zur Kenntnis zu nehmen, dass es nur irgendein Weißer ist.« Coates bekräftigt, dass Jackson »eine sehr reale Angst vor Gewaltverbrechen« ansprach, die schwarze Gemeinden heimsuchte, und wendet sich dagegen, dieses Problem zu bagatellisieren: »Das Argument, dass eine hohe Kriminalität das erwartbare Ergebnis einer Reihe unterdrückerischer rassistischer Maßnahmen sei, macht die Opfer dieser Maßnahmen nicht automatisch kugelsicher.« Die Menschen, die zum ungeschützten Ziel solcher Kugeln wurden, sieht er aber nicht als Opfer konkreter Gewalttäter, sondern jener Maßnahmen, die er im Original oppressive racist policies nennt.

Rassismus und Klassenfrage

So lange die Hautfarbe als Indiz für den Grad an Gefährlichkeit empfunden wird, werden polizeiliche Übergriffe bis hin zu Todesschüssen auf Unschuldige in den USA nicht ausbleiben und das beiderseitige Misstrauen nur noch verstärken. Coates schreibt, der eigentliche Bürgerkrieg habe für Afroamerikaner nicht 1861 begonnen, »sondern 1661, als die Kolonie Virginia Amerikas erste Black Codes erließ, die Statuten einer Sklavenhaltergesellschaft«. Diese Versklavung sei nicht nur Grundlage für den weißen Wohlstand, »sondern auch für die weiße soziale Gleichheit und damit für die amerikanische Demokratie selbst«. Anschließend an Daniel Patrick Moynihans Bericht The Negro Family (1965) kommt er zum provozierendsten Punkt seines Bandes, nämlich zu der These, »dass dem Neger Schadensersatz sowie eine Vorzugsbehandlung zusteht«.

Coates selbst nennt das »politischen Sprengstoff«, aber dessen Brisanz geht über die Rassenfrage hinaus. Der Gleichheitsgrundsatz der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (all men are created equal) ist durch Sklaverei verletzt worden und steht im Widerspruch zum pursuit of happyness, der den gleich geschaffenen Menschen als unveräußerliches Recht zugesprochen wird. Die USA haben sich damit zu einer Gesellschaft erklärt, die zugleich egalitär und kompetitiv sein will. Das führte zu zynischen Paradoxien, die skrupellosen Egoismus als Quelle allgemeinen Wohlstandes feiern. Toni Morrison zitiert »medizinische« Gutachten, die Schwarzen eine »›Dysaesthesia aethiopica‹ – eine Art mentale Lethargie« nachsagten, die nur unter weißer Anleitung durch Leibesübungen wie dem Anbau von Baumwolle, Zuckerrohr und Tabak kurierbar sei. Daraus hätten beide Seiten »ihren Vorteil«.

Vor solchem Hintergrund wird verständlich, wie verblüfft Coates war, als er Michelle Obama zum ersten Mal direkt erlebte. Die Frau des damaligen Präsidentschaftskandidaten habe sich an eine »idyllische Kindheit« erinnert. Ihr Vater habe als Arbeiter genug Geld verdient, »um eine vierköpfige Familie zu ernähren, während meine Mutter mit mir und meinem Bruder zu Hause blieb«. Nun ist Michelle Obama in Chicagos South Side aufgewachsen, einem Ballungsraum weitgehend schwarzer Stadtteile. Außerhalb dieser Idylle ging es oft anders zu.

Gleichwohl widerspricht ihre Darstellung der These, dass Afroamerikaner die einzigen Menschen seien, »die keine gute alte Zeit haben«. Wenn Coates die überproportional hohe Armutsrate schwarzer Familien in den USA mit der überproportional hohen Wahrscheinlichkeit für Schwarze in Beziehung setzt, in der »grauen Ödnis« des amerikanischen Gefängnissystems zu landen, dann kann man das als Ausdruck rassistischer Politik sehen. Und zugleich konstatieren, dass der amerikanische Rassismus auch ein Mittel ist, um die soziale Frage zu kaschieren. Vor diesem Hintergrund lassen sich Rassismus und Klassenfrage nicht unabhängig voneinander verstehen. Michelle Obamas Erinnerungen an ihre Kindheit erinnern auch an das, was sich viele weiße Arbeiter oder ehemalige Arbeiter von Trump und dessen Schutzzöllen versprechen: Ein Land, in dem man von seinem Lohn eine Familie ernähren kann.

Ta-Nehisi Coates: We were eight years in power. Eine amerikanische Tragödie. Hanser, München 2018, 416 S., 25 €. Toni Morrison: Die Herkunft der anderen. Über Rasse, Rassismus und Literatur. Rowohlt, Reinbek 2018, 112 S., 16 €. Toni Morrison: Heimkehr. Rowohlt, Reinbek 2014, 160 S., 18,95 €. Toni Morrison: Gott, hilf dem Kind. Rowohlt, Reinbek 2017, 208 S., 19,95 €. Matt Ruff: Lovecraft Country. Hanser, München 2018, 432 S., 24 €.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben