Zwar erreicht sie viel, wenn es um die Emanzipation von Frauen oder etwa ethnischen Minderheiten geht, sie driftet aber zuweilen in den Dünkel des Statuskampfes ab und sehnt sich nicht selten nach der Wärme des Stammesfeuers.
»Der Kulturkampf macht aus politischen Fragen kulturelle.«
Der Kulturkampf macht aus politischen Fragen kulturelle; er lenkt nicht nur die Aufmerksamkeit von materiellen Fragen wie nach dem Lohn, dem sozialen Netz, der Miete und der öffentlichen Infrastruktur auf kulturelle Fragen, sondern er schafft es auch, eigentlich materielle Fragen zu kulturalisieren. Das jüngste Opfer dessen ist der Arbeiter. Eine soziale Gruppe, die man eigentlich nur materiell greifen kann, ist auf einmal ein stolzer Stamm. Die Kategorie erlebt dadurch eine Renaissance, die wiedererlangte Prominenz erzeugt Aufmerksamkeit und Anerkennung. Doch sie führt nicht zu dem, was eigentlich nötig wäre: einem politisch potenten Klassenbewusstsein.
Kulturelle und materielle Definition
Es stehen sich zwei Interpretationen des Arbeiters gegenüber: eine kulturelle, die vor allem in den USA genutzt wird, und eine materielle, die einmal ihren Platz in der europäischen Debatte hatte und nun zunehmend verdrängt wird. Die kulturelle Interpretation unterscheidet nach Kragenfarbe, zwischen Blue-Collar- und White-Collar-Worker, also zwischen Angestellten, die mit den Händen arbeiten, und Angestellten, die bürokratische Aufgaben erledigen. In diesem Konzept kann ein Arbeiter dann auch ein Kleinunternehmer sein und ein neoliberaler, ungehobelter Milliardär in den USA ein Arbeiterführer.
In Europa wird oft von der materiellen, marxistischen Definition ausgegangen, dass ein Arbeiter jemand ist, der nichts als seine Arbeitskraft zu Markte tragen kann und dadurch in nicht ganz freiwillige, von Marx »Produktionsbeziehungen« genannte, Verbindungen mit den Besitzern der Produktionsmittel treten muss. Laut Marx ist dieser Arbeiter dadurch doppelt frei, sowohl frei von äußerlichem Zwang, arbeiten zu müssen (wobei die CDU diese Freiheit begonnen hat infrage zu stellen), aber eben auch frei von Besitz an den für sein Überleben notwendigen Produktionsmitteln. Diese Beziehungen, die für den Arbeiter oft unvermeidlich sind, machen ihn unfrei und abhängig. Der Arbeiter ist also jemand, dem die liberale Demokratie das Freiheitsversprechen noch nicht voll einlösen konnte. Die Gruppe der Arbeiter ist hier keine habituelle, identitäre oder kulturelle, sie ist eine rein strukturelle Gruppe, und ihre Probleme müssen strukturell angegangen werden.
Marx' Unterscheidung muss man nicht rein binär verstehen. Die Abhängigkeit eines angestellten Professors unterscheidet sich natürlich fundamental von der eines Uberfahrers. Das strukturell herauszuarbeiten, lohnt sich sicherlich; man muss nur Acht geben, dass man nicht habituell unterscheidet, sondern in Struktur und Dependenz denkt. Auch Arbeitslose sind Arbeiter, da sie nichts als ihre Arbeit zu Markte tragen können, umso schlimmer, wenn diese keinen Abnehmer findet. Die beiden Kragenfarben unterscheiden sich eigentlich kaum. Das Gehalt, die Macht im Unternehmen, auch das gesellschaftliche Prestige sind zwar durchaus unterschiedlich, am Ende aber sind beide abhängig von den Besitzern der Produktionsmittel und sitzen damit strukturell im selben Boot.
»Das Zerrbild der Rechten als Arbeitervertreter ist die Verwirrung, die aus der kulturellen Definition hervorgeht.«
Das Zerrbild der Rechten als Arbeitervertreter ist die Verwirrung, die aus der kulturellen Definition hervorgeht. Wenn die Unterscheidung identitär ist, dann ist die Politik schlicht eine der Anerkennung. Dass der Begriff »Arbeiter« eigentlich eine Problematisierung einer strukturellen Stellung ist, die oft noch mit einer Kultur des Mangels einhergeht, geht so in der seichten Wärme des Stammesfeuers unter. Der Unterschied zwischen Besitz und Arbeit ist derjenige zwischen abhängig machen und abhängig sein. Der Unterschied zwischen Blue und White Collar ist wenig mehr als ein habitueller Unterschied. Dieser absurde Arbeiterbegriff ist der Irrtum a priori der Rechten als Arbeitervertreter.
Die Gruppe der Arbeiter wurde im Neoliberalismus erst ignoriert, dann negiert. Aus Klassen wurden erst Schichten und kurz darauf noch-erfolglose Teilnehmer an der sozialen Aufstiegslotterie. Den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit gibt es im Neoliberalismus nicht. Die rechte Neuschöpfung führt den Arbeiter zwar wieder als politische Kategorie ein, allerdings in Form eines politisch zahnlosen Tribalismus. Politik als game of competing interests, als Klassenkampf oder Konflikt – das ist ein linkes Konzept. Die neue Rechte verändert diesen gesellschaftlichen Widerspruch zu einem Kulturkampf.
Der Arbeiter im Diskurs der Rechten ist nicht nur kulturalisiert und dadurch seiner politischen Potenz beraubt, er fungiert auch als rhetorische Figur gegen die vermeintlich verweichlichten liberalen Eliten. Der Arbeiter ist der ehrliche, konservative, religiöse, von links-liberalen Eliten verachtete, oft auf dem Land lebende, in den meisten Fällen Mann, der Blaumann tragend und Bier trinkend voller Stolz nicht gendert. Die nostalgisch, identitäre Inszenierung des »kleinen Mannes«. Diese Kulturalisierung fungiert hier als Verunmöglichung materieller Interessenpolitik. Sie ist so etwas wie das marxsche Opium, ein Agent der politischen Impotenz und Vernebelung.
Für US-Vizepräsident J.D. Vance ist der Kulturkampf eigentlich ein Klassenkampf. Es sei notwendig, so Vance, sich gegen die kulturellen Werte der fortschrittlichen Eliten zu wehren, um die wirtschaftlichen und politischen Interessen der Arbeiterklasse zu fördern. Was diese Interessen sein sollen, bleibt er und seine Bewegung uns schuldig. Sicher ist: Was der materiellen Gruppe der Arbeiter helfen würde, sind hohe Löhne durch starke Gewerkschaften, gute Regulierung im Arbeitsschutz und etwa durch Mindestlöhne, eine gute öffentliche Infrastruktur und universelle Arbeitslosenversicherungen, die dem Arbeiter ermöglichen, auch mal Nein sagen zu können, und Lohndruck nach oben kreieren. Vance bietet nicht mehr an als den leeren Handschlag der Anerkennung.
Kulturelle Identifikation verdeckt materielle Interessen
Die Allianz zwischen den reaktionären Kräften und der Arbeiterklasse basiert nicht auf gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen, sondern auf einer vagen kulturellen Identifikation, die geschickt genutzt wird, um materielle Interessen zu verdecken. Politisch lässt sie das materielle Interesse an weniger Steuern und geringerem Sozialnetz des Kapitals als das kulturelle Interesse der Arbeiterschaft wirken, vor allem indem ein Keil zwischen die arbeitslosen Arbeiter und die angestellten Arbeiter, den heimischen und den migrierten Arbeitern getrieben wird. Ein zu einer performativen Habitus-Kritik reduzierter Anti-Elitismus, durch den keine brauchbare politische Reformkraft im Sinne der Vielen entstehen kann.
»Die Kultur der Arbeiterklasse ist eine Kultur der fehlenden Privilegien.«
Der Soziologe Pierre Bourdieu nennt die kulturellen Distinktionsmerkmale der oberen Klassen als eine weitere unsichtbare Hürde für den sozialen Aufstieg des Einzelnen und die kulturelle Anerkennung der Arbeiter als Gruppe. Die Möglichkeiten eines Menschen werden nicht nur durch seine eigenen Fähigkeiten bestimmt, sondern auch durch die Art und Weise, wie die Gesellschaft ihn wahrnimmt und einordnet. Das Sein mag das a priori zum Bewusstsein sein, also auch die kulturelle Diskriminierung hat materielle Gründe, aber dennoch muss auch sie zur Emanzipation bekämpft werden. Die Kultur der Arbeiterklasse ist eine Kultur der fehlenden Privilegien, diese abzubauen ist materiell und auch kulturell nötig, solange das eine nicht als zahnloser Ersatz des anderen fungiert. Zu erwarten ist vom rechten Arbeiterkampf der Versuch einer kulturellen (Teil-)Nivellierung, einer Umverteilung des kulturellen Kapitals. Vielleicht hat sich die Linke tatsächlich kulturell zu sehr von den Milieus entfremdet, die sie materiell zu vertreten sucht. Dadurch entsteht so etwas wie eine Repräsentationslücke der Anerkennung. Die Lösung für dieses Problem kann aber kein Kulturkampf sein, der materielle Realitäten ignoriert.
Die MAGA-Bewegung und andere populistische rechte Bewegungen unserer Zeit sind im Kern die Ablehnung der kulturellen Eliten. Nicht Machteliten oder das Kapital werden attackiert und abgelehnt, es handelt sich schlicht um die Ablehnung jener von Andreas Reckwitz als neue Mittelklasse und von Ulf Poschardt als Elfenbeinturm bezeichneten Gruppe an urbanen Akademikern. Eine Gruppe, die zwar nicht die Macht, wohl aber den Status besitzt. Die Bourgeois-Boheme aus dem Zentrum werden der Peripherie gegenübergestellt. Es ist die Revolution der Umverteilung des kulturellen Kapitals. Nicht von oben nach unten, sondern vom Zentrum auf die Peripherie.
»Der Blick der Rechten auf den Arbeiter sieht weder die Abhängigkeiten noch die Machtungleichheiten.«
Der Blick der Rechten auf den Arbeiter ist romantisierend, habituell, kulturell und in Teilen gar tribalistisch. Er geizt nicht, wenn es um den Angriff gegen »die da oben« geht. Seine Skepsis ist nicht ganz unangebracht, und seine nivellierende kulturelle Wirkung kann positive Auswirkungen mit sich bringen. Doch am Ende ist er politisch impotent, denn er sieht weder die Abhängigkeiten noch die Machtungleichheiten. Er gibt statt Gleichheit und Freiheit nur das wohlige Gefühl der Identität. Diese materiell blinde Sicht kann keine notwendige Veränderung für den Arbeiter bringen. Der Arbeiter im Diskurs der Rechten fungiert als rhetorische Figur gegen die vermeintlich verweichlichten liberalen Eliten. Aber Politik, das ist eigentlich ein Kampf sich widersprechender Machtinteressen und kein Kulturkampf. Proletariat und Bourgeoise sind letztlich keine kulturellen Gruppen, sondern strukturelle Positionen.
Was der strukturellen Gruppe der Arbeiter als Ganzes hilft, sind Maßnahmen, die ihre relative Macht gegenüber dem Arbeitgeber erhöhen. Die politische Linke mag den Arbeiter kulturell und habituell immer weniger vertreten, aber sie setzt sich nach wie vor für die strukturelle Verbesserung seiner Situation ein. Von der rechten Arbeiteridee hat die Linke nur zu lernen, dass die Statusfragen auch etwas gelten. Die Linke muss kulturell vielleicht ein bisschen mehr wie Johnny Cash werden und ein bisschen weniger wie Bob Dylan. Sich in mehr Verständnis gegenüber nicht bürgerlich-urban geprägten Biografien und Verhältnissen üben. Aber die eigentlichen Fragen bleiben materielle. Der blauhaarige Freelance-Journalist aus Berlin-Kreuzberg und der Bademeister aus Sachsen-Anhalt mögen sich kulturell unterscheiden, aber politisch sitzen sie im selben Boot und würden beide von einer klassenbewussten Politik profitieren.
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