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Hans-Jochen Vogel (* 3. Februar 1926 / † 26. Juli 2020) Leidenschaft und Aufrichtigkeit

Die Stimme von Hans-Jochen Vogel hatte bis zuletzt ein ganz besonderes Gewicht. Das haben auch wir in der Redaktion dieser Zeitschrift noch in den letzten Jahren, tatsächlich bis wenige Tage vor seinem Tod am 26. Juli, immer wieder erfahren können. Was er zusagte, hielt er ein, was vereinbart war, forderte er bis zur konsequenten Erfüllung oder überzeugenden Absage beharrlich ein. Was er sagte und wollte, war klar und eindeutig. Sein Wort galt, in einem für Politiker im Wechsel der Umstände und Ansprüche ungewöhnlichen Maße. Seine beständige Glaubwürdigkeit hat den hohen Respekt für das Amt des Vorsitzenden der SPD, als er es nach dem Rücktritt von Willy Brandt 1987 übernahm, ungeschmälert gewahrt. Er war nicht nur ein leidenschaftlich engagierter Anwalt der sozialdemokratischen Idee, er hat sie verkörpert.

Eindrucksvoll und ungewöhnlich für alle, die ihn aus der Nähe beobachteten und über eine längere Wegstrecke mit ihm zusammenarbeiten konnten, war es immer wieder zu erleben, dass seine intellektuelle Strenge keineswegs ein getarnter Dogmatismus war. Er war immer zu Verständigung, offener Debatte und Kompromiss fähig, wenn die Gegensätze sauber begründet und ausdiskutiert waren und die gemeinsam gefundene Lösung eine vernünftige Rechtfertigung fand. In dieser besonderen Verbindung von Konsequenz und Fähigkeit zum guten Kompromiss zeigte sich sein innerer Bezug zu Idee und Praxis der Sozialdemokratie. Das zeigte er beispielgebend, als er 1988 die faktische Leitung der Kommission übernahm, die seit 1984 am Entwurf für das Berliner Grundsatzprogramm (1989) arbeitete. Für die Sozialdemokratie ein besonders bedeutsames Projekt der Orientierung und der Selbstbestimmung drei Jahrzehnte nach ihrem epochalen Godesberger Programm in einer grundlegend veränderten Zeit, als die Neuen Sozialen Bewegungen und die Partei Die Grünen sie existenziell herausforderten.

Das Berliner Grundsatzprogramm der SPD erstrebte nichts Geringeres als eine politische und kulturelle Synthese zwischen den miteinander verträglichen und sich ergänzenden Werten und Zielen der klassischen Arbeiterbewegung und der Neuen Sozialen Bewegungen: eine Synthese von Ökologie und Sozialstaat. Daran wurde mit namhaften Vertretern der beiden Seiten, anfänglich unter der Leitung von Willy Brandt, fünf Jahre intensiv gearbeitet. Als Hans-Jochen Vogel Parteivorsitzender wurde, übernahm er auch die Leitung der Programmkommission, überließ aber einem seiner programmatisch ehrgeizigen Stellvertreter kommissarisch die Ausübung dieser Funktion. Die schwierigen Verhandlungen in der Kommission zwischen Ökologen und Gewerkschaftsführern, sehr linken und betont gemäßigten Sozialdemokraten drohten sich bald bedrohlich festzufressen, das historische Vorhaben hätte scheitern können. Da ergriff Vogel 1988 selbst die Zügel, wie immer bestens über alles informiert, kenntnisreich, engagiert, respekt- und verständnisvoll gegenüber den kontroversen Positionen und Personen, mit genauem Verständnis der Differenzen und der Chancen für einen neuartigen sozial-ökologischen Konsens – und vor allem geduldig. Erhard Eppler hat dann bei vielen Textstücken die Feder geführt, es war aber Hans-Jochen Vogel, der das historische Berliner Grundsatzprogramm zum Erfolg führte. Es wurde leider nie ausgeschöpft und enthält auch für die heutige Zeit noch viele ungehobene Schätze, voran seinen Vorschlag für ein soziales Bodeneigentum, worüber wir noch vor wenigen Wochen mit ihm berieten.

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