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Der Europawahlkampf braucht eine Zuspitzung auf die großen Fragen Licht oder Finsternis

Wozu überhaupt Europa? Diese Frage muss man sich nicht wünschen, aber sie ist da – so deutlich wie seit Jahrzehnten nicht mehr. So wie die nationalen Wahlkämpfe laufen, wird sie ins Zentrum gerückt von Leuten, die nichts anderes im Sinn haben, als aus politischen Trümmern ihre Renditen zu ziehen. Umso dringender wird es, den beginnenden Europawahlkampf als Richtungsentscheidung zuzuspitzen, als Weichenstellung Europas in einer unruhigen, gefährlich gewordenen Welt. Und nicht nur, wie üblich geworden, als Ansammlung nationaler Testwahlen.

Dazu werden dringend neue inhaltliche Projekte auf europäischer Ebene benötigt, wie sie jetzt in Form eines sozialdemokratischen Strategiepapiers (siehe den vorangegangenen Beitrag) vorliegen – während auf Unionsseite viel Halbherzigkeit, Schweigen oder sogar Blockade zu erkennen sind. Dazu braucht es aber auch einen neuen emotionalen Anlauf. Eine aktualisierte europäische Erzählung, die zwei alte große Fehler vermeidet: mehr Europa mit weniger Deutschland zu übersetzen und Europa nur innereuropäisch zu betrachten.

Ein handlungsfähigeres, nach außen blickendes Europa ist geradezu die Voraussetzung dafür, dass die Nationalstaaten ihre Aufgaben künftig wahrnehmen können: Nur das kann die Botschaft sein. Es geht um die Sicherung von Demokratie und Wohlstand, die nur durch die Weiterentwicklung Europas möglich ist und nicht durch den Rückfall in nationale Abschottung. Sicherung und zugleich Weiterentwicklung als gemeinsame europäische Strategie, deren Kern die gemeinsamen europäischen Werte sind: Gegen all die finsteren Potentaten und Populisten, die mit ihrer »Ich-zuerst-Politik« Frieden und Wohlstand aufs Spiel setzen. Europa oder Rückschritt, das ist die Alternative – besonders für Deutschland.

CDU und CSU sind zu einer solch klaren positiven Strategie schon lange nicht mehr in der Lage. Sie sind tief gespalten zwischen denen, die den rechten Populistinnen und Populisten hinterherlaufen und den Weltoffeneren, die aber nur noch Abwehrkämpfe führen. Die Kanzlerin verkörpert diese Selbstblockade. Zögern, abwarten, abtauchen: Damit stärkt sie letztlich diejenigen, denen die ganze Richtung nicht passt. Aber mehr ist von Angela Merkel nicht mehr zu erwarten. Mehr will die Union als Ganzes auch nicht haben. Das muss laut ausgesprochen werden, damit die Menschen merken, mit wie viel Kraftlosigkeit sie es da zu tun haben.

Mag in den europäischen Medien auch wieder viel vom Niedergang der Parteien der klassischen Sozialdemokratie die Rede sein: Bei genauerer Betrachtung – siehe Frankreich, auch Spanien oder Großbritannien – zeigt sich ein komplexeres Bild. Wenn in international so unsicheren Zeiten wirklich die Frage neu aufgeworfen wird, wer in vielfältigen, offenen Gesellschaften die Führungsrolle übernehmen kann, ist die Sehnsucht nach einem neuen Aufbruch im weltoffenen Kern dieser Gesellschaften mit Händen zu greifen. Verbunden zugleich mit dem Wunsch nach echter Führung angesichts all der realen Bedrohungen.

Das muss verkörpert werden, mit großer Klarheit und einem Programm, das nicht von den realen Problemen der wachsenden Ungleichheit an der Basis der europäischen Gesellschaften abhebt, sondern sie ausspricht und angeht – das Themen wie Heimat und lokale Identität nicht den Rechten überlässt. Diese Erdung ist zentral. Denn es geht um eine gute Zukunft für Deutschland, aber zugleich um die europäische Absicherung für den lokalen und regionalen Zusammenhalt.

Das muss dann aber ohne den ständigen Reflex auf die Fragestellungen der Populist/innen erfolgen, wie er sich inzwischen nicht nur in den meisten Talkshows, sondern auch in so mancher Parteidebatte diesseits der Union eingeschlichen hat. Die banalen Schuldzuweisungen an Migrant/innen für Probleme der sozialen Disparität, die Angstmache beim Thema innere Sicherheit, die ständigen überzogenen Unterstellungen von staatlichem Kontrollverlust: So einfach jedenfalls stellen sich die realen Probleme nicht dar und so dürfen sie deshalb auch nicht aufgeblättert werden. Zur politischen Klarheit gehört vor allem, immer zu verdeutlichen, was wirklich wichtig und was nur Stimmungsmache ist, nicht selten im unheimlichen Zusammenspiel zwischen Rechtspopulist/innen und öffentlicher Aufregungsspirale. Der immanente Populismus der Medien, die aus sehr profanen Gründen zur professionellen Vereinfachung und nationalen Sicht neigen, lässt sich nur durch Deutlichkeit und Zuspitzung überspielen – aber seriös und weg von den Symboldebatten, als sei zum Beispiel die Aufnahme von Geflüchteten Europas größtes Problem. Wir Europäer/innen, solide und wertebewusst, sichern unsere Zukunft. Durch Gemeinsamkeit bei aller bewahrenswerten Vielfalt – gegen die rechten Blender und Gaukler: Das ist, das muss die Kampfaufstellung werden.

Nicht wir Europäer/innen gegeneinander, nicht im nationalen Ausdifferenzieren kleiner und kleinster Interessenunterschiede, schräger Neiddebatten. In den großen Fragen geht es nur gemeinsam: Das wissen die meisten Leute auch. Sie zweifeln nur – manchmal nicht ganz zu Unrecht –, ob die Bereitschaft zur Gemeinsamkeit auf europäischer Ebene so stark ausgeprägt ist, dass man es verantworten kann, dort die Entscheidungen treffen zu lassen. Und sie sehen nicht deutlich genug die große kulturelle Klammer, die Europa eint. Die gemeinsame kulturelle Identität eines weltoffenen Europas der Vaterländer, verkörpert durch viele Künstler/innen und Kulturschaffende, die sich im Anti-Trump-Bündnis endlich wieder engagieren: Ist das nicht ein Projekt, das Anziehungskraft entwickeln kann?

Europas Rolle nach außen ist viel zu oft profillos und deren Wirkung schwach. Auf der Ebene der Institutionen mit ihren Kompromisszwängen im Alltag ist das wahrlich schwer zu verändern. In einem Wahlkampf, wenn er von den großen Parteien engagiert geführt und auch finanziert wird, statt Ressourcen für den nächsten Bundestagswahlkampf zu sparen, lässt sich diese Debatte aber drehen: Die Diskussion darum, was Europas Rolle in der Welt sein soll, wofür es steht, wen es unterstützt und wen nicht, gehört ins Zentrum. Mindestens so stark wie die nach innen gerichteten Themen von der Währungs- bis zur Sozialpolitik, die bei fundierter inhaltlicher Beschäftigung so komplex und unübersichtlich werden.

Europa blickt nahezu ausschließlich auf die internen Klärungsprozesse und Dissonanzen, zumal auch in der Brüsseler Medienberichterstattung. Die größeren Herausforderungen kommen aber von außen. Was für ein Europa brauchen wir dafür? Ein Europa, das Donald Trump und seiner Ego-Ideologie hart entgegentritt. Ein Europa, das Freiheitseinschränkungen wie in der Türkei oder in Russland beim Namen nennt und moralisch eindeutig bleibt. Ein Europa, das beim Klimaschutz vorangeht, unabhängig davon wie andere handeln oder nicht handeln. Ein Europa, das statt neuer gefälliger Rüstungsprogramme gegenüber dem US-amerikanischen Präsidenten endlich sichtbar und gemeinsam die Entwicklungspolitik vorantreibt, die Floskel »Fluchtursachen bekämpfen« mit konkreten, sichtbaren Projekten unterlegt. Ein Europa, das neue Wege beim weltweiten Wertedialog geht, zum Beispiel angesichts des emotionalen Auseinanderdriftens zwischen christlich und islamisch geprägten Kulturen. All das sind große Themen, bei denen von den Konservativen nicht viel zu sehen ist.

Für die aktuelle Zuspitzung werden die vielen Trumps der Welt genügend Anlässe liefern. Ihnen gegenüber macht es keinen Sinn, aus Rücksicht auf die vielen Einzelinteressen klein beizugeben. Denn die Glaubwürdigkeit der weltoffenen Demokratien und damit auch die Politik Europas hängen davon ab, ob deren Profil erkennbar und in schwierigen Situationen auch durchgehalten wird. Mehr Rüstung oder mehr Entwicklungspolitik? Es ist nur eine von vielen konkreten Alternativen, bei denen es auf eine klare Antwort ankommt, um durchzudringen. Mit denen dann aber auch etwas bewegt werden kann.

Es geht darum, endlich wieder Identifikationsmöglichkeiten mit Europa anzubieten: Im Brüsseler Klein-Klein ist das nachrangig – erklärbar gewiss, nachvollziehbar sogar. Aber genau deshalb erodiert das Europagefühl. Die Probleme der Welt zeigen, warum es ein gemeinsames Europa geben muss. Manchmal ist es wirklich so einfach: Europapolitisch geht es jetzt um Licht oder Finsternis.

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