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© picture alliance / Westend61 | Josep Suria

»Lieber in Präsenz treffen als digital?«

Ja, weil persönliche Begegnungen intensiver und offener sind als Bildschirmkontakte.

Richard Meng


Es hat sich da etwas eingeschlichen in den zurückliegenden Jahren – und dahinter steht mehr als nur die Frage danach, was praktischer ist, wenn sowieso alle Terminstress haben. Es begann notgedrungen wegen der Corona-Kontaktverbote. Aber es hat inzwischen die Kultur der Zusammenarbeit, in gewisser Weise des Zusammenlebens insgesamt verändert.
Es ist nahezu egal geworden, wo genau sich Leute aufhalten, die miteinander kommunizieren: Über den Bildschirm findet man von überall her zusammen. Ein Klick auf den Link und schon steht die Schalte.
Wenn der Eindruck nicht täuscht, ist das vielen sogar lieber geworden als die alte Art, sich persönlich auf den Weg zu machen. Aber es ist dann Kommunikation nur aus der eigenen, der privaten Welt heraus. Sogar mit einem gewissen Terminsuchtfaktor: Weil die Anfahrtszeit wegfällt, lässt sich leicht immer noch die eine oder andere Schalte zusätzlich unterbringen. So oft getagt wurde früher nie. Es ist ein Effekt wie geschaffen für die schöne neue Homeoffice-Welt.


Es soll Studierende geben, die ihre Uni nur noch selten von innen gesehen haben – und Chefs, die ihre Mitarbeitenden vorwiegend vom Bildschirm her kennen, beginnend beim Bewerbungsgespräch.

Und Mitarbeitende, die es sich so bequem im Zuhauseoffice samt neuem Haustier eingerichtet haben, dass sie kaum mehr Interesse daran entwickeln, häufiger als unbedingt nötig dort aufzutauchen, wo man früher ausschließlich die Arbeit verortet hatte.
Es ist dies ein weiteres Element in einem Wandlungsprozess, über den zu wenig geredet wird. Was dagegen spricht? Reale menschliche Begegnungen über Entfernungen hinweg werden seltener. Wenn man einander sowieso gut kennt und die Videoschalte nur an die Stelle früherer Telefongespräche tritt: geschenkt. Aber wenn sie zum Kernelement aller Zusammenarbeit aufsteigt, ohne dass Menschen sich noch ganzheitlich begegnen, geht etwas verloren – von kommunikativer Offenheit ganz zu schweigen. 
Und selten waren die Rollen so unverrückbar verteilt wie in diesen virtuellen Schalten, in denen Chefs, die jetzt Administratoren heißen, schon rein technisch die Zügel in der Hand behalten und alle anderen vor irgendeiner Äußerung brav die virtuelle Hand zu heben haben. Falls sie nicht sowieso lieber nebenbei Mails bearbeiten oder Games spielen, mit oder ohne angeschaltete Kamera.
Nennen wir es romantisch Kreativität, was da leicht verloren geht. Wohl wahr: Garantiert war sie nie. Die langweiligen Schweigespiralen, wenn in Präsenzsitzungen die Vielredner sich nur selbst spiegeln und alle anderen hoffen, dass diese öde Runde bald vorbei sein möge, muss niemand vermissen. Aber so etwas wie eine gemeinsame Ideenentwicklung, ein kreativer Prozess durch Einwürfe und Gegeneinwürfe, bis irgendwo für alle spürbar ein Groschen fällt: Das hat von zu Hause und vom Bildschirm aus denn doch noch mehr Seltenheitswert bekommen.
Man kann es auch so ausdrücken: So wie viele Videositzungen ablaufen, braucht es dazu tatsächlich nur Videositzungen. Und wo es kein Nebenbei mehr gibt, schon gar kein persönliches Gespräch am Rande, wird es schnell so seelenlos-funktional, wie rein technische Klärungsprozesse nun einmal sind. Wenn es tatsächlich nicht mehr als das braucht, dann soll's so sein. Schlimm wird es aber, wenn erst niemand mehr das Mehr vermisst. Wenn auch in der täglichen Kooperation schon jene virtuelle Selbstbezogenheit alles überschattet, die bislang nur in der Blasenbildung der Kommunikation allseits zum Problem erklärt wird.
Ist das eine zu skeptisch überhöhte, eine zu kulturpessimistische Sicht auf eine bequeme neue Möglichkeit? Die Antwort hängt in jedem Einzelfall vom Blick aufs Ganze ab. Davon, was fehlt und was nicht. Was bei gängig gewordener, vorwiegend subjektiver Betrachtung bedeutet: davon, was vermisst wird – und was schon nicht mehr. Wobei gerade das Nichtvermissen auch Teil des Problems sein könnte statt der Lösung.
Auf eine gewisse Janusköpfigkeit all der Argumente pro und kontra sei hingewiesen, sowohl unter Freiheits- als auch unter Umweltgesichtspunkten (Ressourcenverbrauch). Die Beschleunigungswirkung der neuen virtuellen Formate im verfahrenstechnischen Sinn ist unbestreitbar, während die Erlebnisbreite durch Präsenztermine zumindest vergrößert würde, soweit dann bei dieser Gelegenheit auch mal rechts und links des Wegs geschaut werden kann, was sich so tut. Und sich daraus Anregungen ergeben, die  vorher niemand im Kopf hatte.


Die Beschleunigungswirkung der neuen virtuellen Formate im verfahrenstechnischen Sinn ist unbestreitbar, während die Erlebnisbreite durch Präsenztermine zumindest vergrößert würde.


Der richtige Weg wird am Ende immer von der Mischung abhängen. Aber wer diskutiert sie überhaupt, diese Mischung? Zu viele wägen vor allem von der eigenen, der persönlichen Terminbalance her ab. Mit der Gefahr, dass ein Gefühl fürs Ganze schwieriger wird, dass es vielleicht sogar kaum mehr interessiert. Arbeitsteiligkeit und Selbstbezogenheit werden zu digitalen Geschwistern: Auch da ist sie wieder, die Janusköpfigkeit des Themas.
Vielleicht muss man in Zukunft ja nicht mehr persönlich gut miteinander auskommen, wenn man gut zusammenarbeiten soll. Vielleicht wird es immer unwichtiger, ob und wie ein gemeinsamer Spirit zustandekommt. Vielleicht reicht es dann, wenn sich all die kommunikativen Inseln regelmäßig zusammenschalten und bei dieser virtuellen Gelegenheit abgesprochen (beziehungsweise angesagt) wird, was bevorsteht.
Wer sich lieber nicht in so eine Richtung bewegen will, sollte sich aber öfter mal für Präsenztreffen einsetzen.

 

Nein, denn wir müssen Arbeit heute klimaneutraler und selbstständiger denken.

Nora Bossong

Die Pandemie liegt nun auch offiziell hinter uns, ein großes Glück. Den meisten Einschnitten werden wir nicht nachtrauern. Einige Neuerungen aber wären auch ohne Pandemie längst überfällig gewesen. Die Vorzüge digitaler Konferenzen etwa verbinden familienfreundlicheres Arbeiten mit klimaschonender Kommunikation und enttarnen zudem den eingetretenen Konferenztrott. Viel Nebensächliches bekam nämlich lange dadurch den Anschein von Wichtigkeit, dass man sich in einem Büroraum bei Industriekeksen zusammen darüber den Mund fusselig redete. Dass manche alles gern weiter so hätten wie gehabt, hat vor allem etwas mit ihrer Angst vor Arbeitsfreiräumen und vor der Emanzipation der Arbeitnehmer zu tun.

Ohne Digitalkonferenzen wäre für viele Berufsgruppen Homeoffice gar nicht möglich. Dass Arbeiten von zuhause so lange verpönt war und bis zum Pandemiebeginn in den meisten Personalleitungsetagen geradezu erbittert das Vorurteil aufrechterhalten wurde, Menschen brächten nur an ihrem angestammten Arbeitsplatz gute Leistungen, unter der Aufsicht des Chefs oder der stetigen sozialen Kontrolle der Kollegen, zeigt, wie arbeitnehmerunfreundlich man auf dem deutschen Arbeitsmarkt auch im 21. Jahrhundert noch dachte.

Frei nach der preußischen Tugend: Der Mensch ist für die Arbeit da, nicht die Arbeit für den Menschen. Das ist nichts anderes als das Relikt einer Epoche, in der Selbstständigkeit noch unerwünscht war und Paternalismus kein despektierlicher Begriff. Wollen wir wirklich dahin zurück? Trauen wir Arbeitnehmern so wenig über den Weg, dass wir sie keine drei Schritte alleine machen lassen wollen? Familienfreundliche Arbeitsbedingungen werden mit dem alten Misstrauen jedenfalls schwer umsetzbar sein.

Es ist in einer Welt, die sich der fatalen Auswirkungen CO2-intensiven Reisens endlich bewusst wird, zudem einfach nicht mehr möglich, für jede einstündige Sitzung von Berlin nach Brüssel, von Brüssel nach München, von München nach Marseille zu jetten oder gleich von Hamburg nach New York. Wenn man bedenkt, mit welch gedankenloser Selbstverständlichkeit schon mittlere Führungskräfte mal eben über den Atlantik flogen, um zwei, drei Hände zu schütteln, könnte man leicht rückwirkend zum Klimakleber werden wollen.

»Wenn man bedenkt, mit welcher Selbstverständlichkeit schon mittlere Führungskräfte mal eben über den Atlantik flogen, um zwei, drei Hände zu schütteln, könnte man rückwirkend zum Klimakleber werden wollen.«

Verfechter der Präsenzsitzung mögen einwenden, das Digitale sei keine wirkliche Begegnung. Es gäbe Aushandlungen, die nur von Angesicht zu Angesicht möglich, Zwischentöne, die nur im präsentischen Raum überhaupt hörbar sind. Die Medien ändern sich und mit ihnen unsere Art zu kommunizieren. Das ist ein Lernprozess, und es wäre nicht verwunderlich, wenn eine jüngere Generation für sich erfährt, dass sie in einer digitalen Konferenz die Zwischentöne besser versteht als in einer präsenten.

Wer es längst normal findet, sich online zu verlieben, wird kaum Verständnis dafür haben, dass für berufliche Konferenzen das Digitale zu unverbindlich sein soll. Und selbst, wenn etwas dran wäre am überlegenen Mienenspiel des Präsenten, würde man heute wohl kaum mehr durch die halbe Stadt fahren oder auch nur zwei Stockwerke im selben Gebäude wechseln, um eine Mitteilung zu machen, die man auch per Telefon oder Mail überbringen kann.

Jedes neue Kommunikationsmedium wurde zu Beginn mit Skepsis bedacht, und das ist auch gut. Natürlich gibt es andere Missverständnisse in einer Whats-App-Nachricht als im direkten Gespräch, natürlich reagiert man auf eine Mail anders als auf einen Brief, der erst am nächsten Tag von der Post geliefert wird und womöglich noch handgeschrieben wurde, und klar, auch die Kacheln auf dem Laptop wirken anders als der Kollege neben mir, der mir die Industriekekse auf die Unterlagen krümelt.

Es ist definitiv sinnvoll, durch skeptische Beobachtung die Fallstricke eines neuen Mediums zu erkennen. Es ist aber übertriebene Angst vor Veränderung, wenn aus den Fallstricken gleich eine unüberwindliche Schlangengrube wird, in der jegliche Kommunikation vergiftet, verschlungen oder erstickt wird. Es gibt im Digitalen vermutlich gar nicht mehr, sondern einfach nur andere Missverständnisse. 

Wer als digital native groß wurde, ist bei einer digitalen Konferenz im Vorteil.

Und hier wird deutlich, dass es auch um ein kommunikatives Machtgefälle zwischen den Generationen geht: Wer als digital native groß wurde, ist bei einer digitalen Konferenz im Vorteil. Wer Jahrzehnte die Zwischentöne der Präsenzsitzung zu deuten lernte, muss sich nun umstellen. Das ist nicht nur nervig, es ist auch schmerzlich. Bestimmte erlernte Kommunikationsstrategien werden künftig einfach kaum noch gebraucht. 

Wer nun meint, in einer digitalen Sitzung wären einige Teilnehmer unaufmerksam, hat sicherlich recht. Wer allerdings glaubt, das sei in einer Präsenzsitzung anders, hängt an einem verklärten Bild. Das Träumen mit offenen Augen haben die meisten schon in der Schule gelernt. Es ist ein durchaus sinnvoller Sparmodus des Geistes, der aktiviert wird, wenn man nichts Zweckmäßiges beizutragen hat. Die Gegenbewegung folgt der Maxime: Es ist alles schon gesagt, nur noch nicht von mir. Das zieht Sitzungen in quälende Längen. Das erfreut sich in analogen Sitzungen allein schon deshalb größerer Beliebtheit als in digitalen, weil die Teilnehmer ihre eigene Präsenz im Raum rechtfertigen wollen.

Wer digital dabei ist, kann sich leichter zurückhalten. Er oder sie mag jenseits der Kameralinse die Nägel feilen oder Zwiebeln fürs Mittagessen schneiden. Was ist schlimm daran? Solche Handgriffe sind nicht so komplex, dass man nicht mehr mitdenken könnte oder zurückgehalten wäre, wenn man wirklich etwas Relevantes zu sagen hat. Aber die Füllsätze und um sich selbst kreisenden Bemerkungen bleiben aus. Wer wird die schon vermissen?

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