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Rot-Rot-Grün muss eine Zukunftsoption bleiben Links jenseits der Ampel?

Erinnert sich noch jemand an die »Erfurter Erklärung«? Das war das erste offizielle Papier, aus dem Jahr 1997, in dem ein rot-rot-grünes Bündnis offensiv angedacht wurde. Schon drei Jahre zuvor war es unter dem sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten Reinhard Höppner (SPD) zum Magdeburger Modell gekommen, einer rot-grünen Minderheitsregierung, die von der PDS toleriert wurde.

Dem vorausgegangen waren diverse Crossover-Projekte, in denen von linken Sozialdemokraten und Grünen mit Vordenkern der damaligen PDS gemeinsam über Alternativen zum scheinbar ewig regierenden Helmut Kohl nachgedacht wurde – damals noch ein ziemlicher Tabubruch.

Heute hingegen, angesichts mancher Kakophonie in der Ampel-Koalition, taucht durchaus die Frage nach möglichen Alternativen auf. Von Jamaika und sogar einer Neuauflage der Großen Koalition ist die Rede. Insofern böte es sich an, wieder einmal über jene linke Alternative mit dem schlichten Kürzel R2G – für Rot-Rot-Grün – nachzudenken.

Zur Erinnerung: Noch 2005 und 2013 war dieses Modell bereits auf Bundesebene rechnerisch mehrheitsfähig. Es scheiterte damals primär an der Unverträglichkeit einer Schröder-SPD und einer Lafontaine-Linkspartei. Nun aber, nach dem ruhmlosen Abgang der beiden einstigen Alphatiere, böte die problematische Performance der Ampel doch eigentlich optimale Voraussetzungen für den Entwurf einer progressiven linken Alternative.

Doch weit gefehlt. Denn wenn es nach dem neuen Wahlgesetz der Ampel geht, wird es »Die Linke« nach der nächsten Wahl nicht mehr geben. Wollen hier SPD und Grüne ganz bewusst die günstige Gelegenheit nutzen, die um das gleiche Wählersegment konkurrierende Linkspartei final aus dem Parlament zu bugsieren? Sollte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz nicht doch noch verwerfen, endet damit jedenfalls auf Bundesebene bis auf Weiteres auch das Modell R2G.

Ein Bruch beim Wahlrecht

Tatsächlich bedeutet die am 17. März mit den Stimmen der Ampelkoalition beschlossene Reform des Wahlgesetzes einen radikalen Bruch mit den bisherigen Wahlrechtsprinzipien der Republik. Faktisch wird man daher nicht von einer Wahlrechtsreform, sondern eher von einer Wahlrechtsdeformation sprechen müssen, welche die Tektonik des deutschen Parteiensystems fundamental verändern würde.

Bisher zeichnete sich das Wahlgesetz vor allem durch das angestrebte Gleichgewicht von direkt, qua Erststimme, und über die Liste, qua Zweitstimme, gewählten Abgeordneten aus. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht 2012 entschieden, dass »die gesamte Sitzverteilung unter angemessener Gewichtung der Direktmandate« erfolgen muss. Durch das neue Gesetz gerät dieses Verhältnis nun völlig aus dem Lot.

»Die Streichung der Grundmandatsklausel konterkariert das Anliegen des personalisierten Verhältniswahlrechts.«

Der entscheidende Fehler liegt in der erst kurz vor Verabschiedung des neuen Wahlgesetzes erfolgten Streichung der sogenannten Grundmandatsklausel. Danach ziehen Parteien auch dann in den Bundestag ein, wenn sie die Fünfprozenthürde zwar verfehlen, aber dafür drei Direktmandate erobern. Dass diese Klausel ersatzlos gestrichen wurde, jetzt also allein das Erreichen von fünf Prozent der Zweitstimmen über den Einzug ins Parlament entscheidet, konterkariert das ursprüngliche Anliegen des personalisierten Verhältniswahlrechts, die Sitze des Parlaments gleichmäßig auf Direkt- und Listenmandate zu verteilen.

Ironischerweise sind davon vor allem CSU und Linkspartei betroffen. Sollte die CSU, die 2021 noch 5,2 Prozent der bundesweiten Zweitstimmen erzielte, beim nächsten Mal unter die Fünfprozenthürde fallen, würde kein einziger ihrer Wahlkreisgewinner in den Bundestag einziehen – selbst wenn die Partei wie bisher mehr als 40 Direktmandate erreicht.

Noch wahrscheinlicher trifft es allerdings die Linkspartei: Schließlich war »Die Linke« bereits bei der vergangenen Wahl auf die Grundmandatsklausel angewiesen, um überhaupt in den Bundestag zu kommen – und mit Blick auf 2025 stellt sich die Lage nicht besser dar, im Gegenteil: Die Entscheidung der Ampel trifft die Linkspartei zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt.

Seit Jahren ist die Partei hoch zerstritten und in einem desolaten Zustand. Bei den jüngsten Landtagswahlen fuhr sie denn auch eine Niederlage nach der anderen ein (mit einer Ausnahme, der Wahl in Bremen am 14. Mai, bei der sie mit 10,9 Prozent ihr Ergebnis fast halten konnte).

»Mit dem angekündigten Abgang von Sahra Wagenknecht steht die Existenz der Linkspartei endgültig auf dem Spiel.«

Und mit dem bereits angekündigten – und aufgrund der massiven Konflikte auch dringend erforderlichen – Abgang von Sahra Wagenknecht steht die Existenz der Partei endgültig auf dem Spiel. Nachdem Wagenknecht einer weiteren Bundestagskandidatur für die Linkspartei eine Absage erteilt hat, befeuert sie nun ganz gezielt die Mutmaßungen, sie könne eine eigene Partei gründen. Indem sie eine Entscheidung bis Ende des Jahres ankündigt, verstärkt sie zugleich die Agonie der Linkspartei, die seit Jahren zwischen dem wagenknechtschen Linkspopulismus und dem Reformerflügel zerrissen ist.

Wie auch immer sich die »linke Ikone« entscheidet: Für die verbliebenen Reformer in der Linkspartei wird es ganz schwer werden, sich für die kommenden wichtigen Wahlen – in Bayern und Hessen am 8. Oktober 2023 – überzeugend aufzustellen. Noch entscheidender wird es für »Die Linke« allerdings darauf ankommen, dass es ihr 2024 gelingt, ihre Ergebnisse in Brandenburg, Sachsen und Thüringen zu halten. Früher waren dies einmal Erbhöfe der Linkspartei, doch aufgrund des enormen Anwachsens der AfD kann davon heute keine Rede mehr sein.

Das Berliner Signal

Für die Linkspartei ist die Lage also hochdramatisch. Hinzu kommt, dass ein weiteres Ereignis ihre Chancen massiv verringert hat, nämlich die Entscheidung der Berliner SPD, nach der jüngsten Abgeordnetenhauswahl nicht die Koalition mit Grünen und Linkspartei fortzusetzen, sondern eine Allianz mit der CDU einzugehen.

Diese Entscheidung ist von erheblicher Bedeutung für die politische Lage in der gesamten Republik. Denn während erst im Herbst 2022 in Niedersachsen die letzte Große Koalition im Lande ein Ende fand, kehrte damit dieses vermeintlich längst überholte Modell nun ausgerechnet in Berlin als dem vormaligen Vorzeigeort politischer Experimente zurück – ein denkbar rückwärtsgewandtes Signal.

Es ist eine absurde Situation: Berlin bleibt eine eindeutig links dominierte Stadt – so links immerhin, dass ein Volksentscheid zur Enteignung der großen Immobilienkonzernen eine Mehrheit fand; in welcher anderen Großstadt wäre dergleichen auch nur denkbar?

»Rot-Grün-Rot verfügt in Berlin weiter über eine klare Mehrheit.«

Hinzu kommt, dass Rot-Grün-Rot weiter über eine klare Mehrheit verfügt, die deutlich über jener von Schwarz-Rot liegt. Und dennoch stellt jetzt eine CDU mit ihren immer noch dürftigen 28 Prozent den Regierenden Bürgermeister – und zwar nur deshalb, weil sich die Berliner Linke auf drei Parteien verteilt. Denn addiert man die Prozentpunkte der historisch schwachen SPD (18,4 Prozent) mit denen der allenfalls links-sozialdemokratischen Linkspartei (12,2) stellen bereits diese das CDU-Ergebnis klar in den Schatten, von den zusätzlichen 18,4 Prozent der linken Berliner Grünen ganz zu schweigen.

Doch am Ende war es nicht zuletzt der massive mediale Druck, der die Berliner SPD veranlasste, einer linken Koalition eine Absage zu erteilen. Letztlich scheiterte R2G am Kleinmut der Berliner SPD-Spitze, die sich nicht mehr in der Lage sah, gegen den medialen Gegenwind an einem linken Reformprojekt festzuhalten. Oder genauer gesagt: Es war die Entscheidung Franziska Giffeys, auf bessere Chancen bei der Wahl 2026 zu spekulieren. Deshalb wurden alle möglichen Brücken zu Grünen und Linken brutal abgebrochen – auch gegen den Widerstand in den Reihen der Berliner SPD selbst.

Das Ende einer linken Alternative

Für die Linke in Deutschland ist das ein erheblicher Einschnitt – und zwar in einem doppelten Sinne, für die Linkspartei, aber auch für die Linke insgesamt. Denn damit gibt es heute nur noch zwei rot-grün-rote Konstellationen: die von Bodo Ramelow geführte Minderheitsregierung in Thüringen und das Sondermodell Bremen mit seinem linken Biotop. Beide sind jedoch von so singulärer Natur, dass ihnen eine über das eigene Bundesland hinausgehende Ausstrahlung fehlt.

»Die FDP verteidigt mit aller Härte die Gegenwartsinteressen ihrer Klientel.«

Die Situation ist bundespolitisch auch deshalb dramatisch, weil das Ende von R2G die Ampel im links-mittigen Spektrum faktisch alternativlos macht, schon ob der prozentualen Schwäche von Rot-Grün. Dabei hat sich in den letzten eineinhalb Jahren gezeigt, wie wenig es sich bei der vermeintlichen Fortschrittskoalition bisher um eine echte Reformalternative handelt. Während sich die Grünen für die Interessen zukünftiger Generationen einsetzen, verteidigt die FDP mit aller Härte die Gegenwartsinteressen ihrer Klientel – und die Scholz-SPD hält sich bei alledem zumeist fein heraus, getreu der Devise: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.

Die Folge ist eine blockierte Koalition, deren Werte immer mehr in den Keller sausen. Angesichts dessen würde eine progressive Regierungsalternative die Zustimmung zur Demokratie erhöhen. Doch mit dem neuen Wahlgesetz droht die Linkspartei auf Bundesebene in der Versenkung zu verschwinden; eine linke Reformkoalition wäre damit perdu.

Schon einmal stand die SPD vor einer solch schwerwiegenden Entscheidung, nämlich 1966, zu Beginn der ersten Großen Koalition. Damals hatten Union und SPD die Umstellung auf das reine Mehrheitswahlrecht bereits beschlossen. Doch am Ende zogen Willy Brandt und Herbert Wehner diese Entscheidung zurück, weil sie wussten, dass sie die FDP noch brauchen würden. Nur drei Jahre später war dies der Fall und die erste sozial-liberale Koalition konnte beginnen.

Heute scheinen sich SPD und Grüne nicht nur des durchaus schwierigen linken Konkurrenten entledigen zu wollen, sondern auch einer tatsächliche Reformalternative jenseits der Ampel. Das aber ist, wie die Geschichte zeigt, politisch ausgesprochen kurzsichtig.

Eine Formation würde sich dagegen über das Ende der Linkspartei sicherlich am meisten freuen: die AfD. Diese könnte sich dann – so nicht die Wagenknecht-Partei doch noch kommt – als die letzte Proteststimme gerieren und so zahlreiche Wählerinnen und Wähler von links nach ganz rechts mitnehmen. Schon in einem Jahr, bei den dann anstehenden Landtagswahlen im Osten, könnte es die Republik teuer zu stehen kommen.

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