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Literarisches Schreiben kann man auch studieren

Wie wird man Künstler? Oder etwas enger gefasst: Wie wird man Schriftsteller? In den allermeisten Sparten beinhalten die Biografien der Künstler/innen auch zumindest einige Semester an einer Kunsthochschule. Sicher, die Wege zur Kunst sind unerfindlich. Zugleich erscheint es eher unwahrscheinlich, dass jemand ein Klavierkonzert von Rachmaninow ohne formale Ausbildung spielt. Auch würde kaum jemand einem Goldschmied ohne Ausbildung einen 24-Karat-Diamanten zur Bearbeitung überlassen.

Konservatorien, Kunsthochschulen, Design-Hochschulen, Ausbildungen etwa zum Steinmetz, zum Schmied, zur Maskenbildnerin oder auch Filmhochschulen demokratisierten die Techniken und das Wissen rund um künstlerische Expressivität seit dem 19. Jahrhundert nachhaltig. Dies führte nicht nur zu einer vielfältigen Kulturlandschaft, sondern brachte auch wirtschaftliche Wettbewerbsvorteile im globalen Markt der Ideen.

Während sich zum Beispiel der Tanz oder die Malerei relativ früh in Form von Studiengängen institutionalisierten, scheint die Literatur zumindest im deutschsprachigen Raum eine Kunstform zu sein, die noch immer stark von Autodidakten, Amateuren und professionellen Dilettanten geprägt wird beziehungsweise von Literaten, die nach einem philologischen Studium »irgendwie zum Schreiben« kamen. Von allen Buchhändlern verlangt die Branche eine Ausbildung, während die Schriftsteller offenbar ihr urwüchsiges Naturtalent – oft ahnungslos und ineffizient – zu Markte tragen sollen.

Das Verfassen von Literatur scheint immer noch allenfalls unsystematisch in die Architektur der Hochschul- und Ausbildungslandschaft einbezogen. Während der Journalismus oder auch die Übersetzungswissenschaften eine vielfältige Ausbildungskultur vorweisen können, scheint die Ausbildung zum literarischen Schreiben im Land der Dichter und Denker wenig Raum einzunehmen.

Die Zahl der Studienplätze ist gering, in einer Epoche, in der kreative Kommunikationsformen für Wissenschaft und Wirtschaft dringend geboten sind, und in dem eine Ökonomie der Aufmerksamkeit den Unterhaltungssektor zu einem hochprofessionalisierten, auch lukrativen Markt für künstlerische Sprachprodukte gemacht hat.

Trotzdem klebt die deutschsprachige Literatur in einer didaktischen, fad experimentellen oder konventionellen Erzähl- und Dichtungssprache fest. Kein Wunder also, dass deutschsprachige Literatur jenseits der Speckgürtel der Goethe-Institute international keinerlei Widerhall findet. Durch mehr professionelle Reflexionsräume könnte sich das ändern.

Reflexionsräume der Gegenwartsliteratur

Workshops zum literarischen Schreiben, Übersetzer- und Textwerkstätten, Schreibseminare, aber insbesondere Studiengänge für literarisches Schreiben bilden wichtige Reflexionsräume für die Gegenwartsliteratur. Die Literaturinstitute in Wien, Hildesheim, Leipzig, Köln oder Biel erhalten zwischen 250 und 500 Bewerbungen, sodass an den Standorten nach den Auswahlverfahren Klassen von 15–30 Studierenden zusammenkommen. Jedes Literaturinstitut bietet sein eigenes Profil. Einige Kunsthochschulen, wie etwa in Düsseldorf oder Kiel, kombinieren die Disziplin Sprachkunst mit anderen Kunstsparten. Das Leipziger Literaturinstitut ist an die Universität angebunden, das schweizerische Literaturinstitut in Biel unter dem Dach der Kunsthochschule organisiert. Daraus ergeben sich institutionell andere Bezugsrahmen und Ausrichtungen.

Im Rahmen der Recherche, die auf Interviews mit Professor/innen an sogenannten Schreibschulen und Gesprächen mit Studierenden basiert, gewann ich den Eindruck, dass noch nicht sorgfältig genug darüber nachgedacht worden ist, wo diese Studiengänge stattfinden, schnürt doch die Ausrichtung einer Universität das Studienkorsett zwangsläufig anders als eine Kunsthochschule. Während einerseits an einer klassischen Universität etwa Seminare zum literarischen Übersetzen direkt von Fachexpertisen aus philologischen Disziplinen profitieren, können Lehrinhalte an Kunsthochschulen andererseits systematisch mit anderen Kunstsparten verknüpft werden, sodass man etwa an der Kunsthochschule Kiel auch ein Seminar zum »Umgang mit Gefahrenstoffen bei der künstlerischen Arbeit« belegen kann.

Studiengänge in literarischem Schreiben im deutschsprachigen Raum sind zudem wenig koordiniert mit Studiengängen in den Disziplinen Drehbuch, Schauspiel, Mediengestaltung (zum Beispiel an einer Fachhochschule), Kulturmanagement oder mit renommierten, aber privaten Hochschulen. Nicht selten sind Schreibinstitute als Fehlstellen verspätet aufgebaut worden. Marie Caffari vom schweizerischen Literaturinstitut etwa ordnet die Entstehung des Studiengangs in Biel in die Entwicklung der Kunsthochschule Bern ein, die sich 2003 neu konstituiert hatte, als eine Kunsthochschule, an der alle Sparten unter einem Dach versammelt sein sollten. Hierbei vergaß man aber »den Text« wie Caffari amüsiert betont. In Wien entstanden die Studiengänge für Sprachkunst erst, als sich Autoren wie Robert Schindel nahezu aktivistisch engagierten.

Berufsbezeichnung Autor/Autorin

Die Studiengänge mit dem Ziel Bachelor oder Master oder Doktorat im literarischen Schreiben verändern freilich herkömmliche Autor/innen: Die Autorschaft verabschiedet sich von patriarchischen Selbstkönnern und begreift die institutionelle Ausbildung von Schreibkompetenzen als eine veredelnde Erfahrung in ihrer Biografie.

»Die Studierenden haben einen großen Realismus, wenn sie hier ankommen«, sagt die Schriftstellerin und Professorin am deutschen Literaturinstitut Leipzig (DLL) Ulrike Draesner und fügt hinzu, dass viele ihrer Studierenden ein Zweitstudium aufnähmen und häufig schon aus vielfältig geprägten literaturaffinen Bezügen kämen. Sie betrachteten das Studium als einen Baustein auf ihrem Weg zur »Sprache«. Guido Graf vom Literaturinstitut Hildesheim spricht von Seminaren mit »offenem und kooperativem« Klima,

Draesner ist eine Atmosphäre des Vertrauens wichtig und Caffari verwendet sowohl für Lehrende als auch für Studierende die Bezeichnung »reflecting practitioners mit einem Fokus auf die Praxis«. Hierzu verfasste die Berner Literaturinstitutsleiterin auch einen faszinierenden Essay zum Thema Mentoring, den man online unter dem Titel In the Name of Art: Literary Mentoring as a Collaborative Process nachlesen kann. In dem von Josef Haslinger und Hans-Ulrich Treichel 2006 veröffentlichten Sammelband Schreiben lernen / Schreiben lehren (S. Fischer) macht unter anderem Ursula Krechel bedenkenswerte Beobachtungen zum doppelschneidigen Geschäft mit dem Coaching.

Insgesamt scheint bei vielen Instituten eine inhaltliche Fokussierung im Vordergrund zu stehen, denn die wirtschaftlichen Aspekte des Schreibens bleiben häufig außen vor. Auch die ethischen und gesellschaftspolitischen Settings von Literatur und Literaturschaffen im gegenwärtigen Europa, sehr stark von öffentlichen Geldern abhängig, scheinen eher konziliant und wenig kritisch.

In Gesprächen mit Absolventen wiederum wird eine mangelnde Beleuchtung berufspraktischer Aspekte im Studium beklagt. Während die Theorie des Dramoletts durchdacht und diskutiert wird, fehlt eine Einführung etwa in Projektfinanzierung, Management, Solo-Selbstständigkeit, Projektrealisierung. Und es ist eindeutig ein bisschen wohlfeil, aus professoraler Perspektive so zu tun, als müsse man die materiellen, zukunftsorientierten Sorgen der Studierenden lediglich wissend und verständnisvoll zur Kenntnis nehmen.

Sprachkapital

Gleichzeitig fand ich bei Interviewten eine Atmosphäre, die vom Engagement für Studierende sowie vom Stolz auf deren spätere Erfolge erfüllt ist. Bei einigen Instituten, wie beispielsweise in Biel, findet man auf der Webseite eine Art digitale Hall of Fame, mit Büchern und Preisen von Absolvent/innen. In Hildesheim hat man zum Institutsjubiläum viele Ehemalige versammelt und hofft darauf, eine bessere Alumni-Pflege aufzubauen. An vielen Instituten gibt es die Möglichkeit an Projekten und Einrichtungen zu partizipieren, die professionelle Erfahrungen vermitteln, die später hilfreich sein können.

Guido Graf aus Hildesheim berichtet vom institutseigenen experimentellen Verlagsprojekt der Edition Paechterhaus, das sowohl als Labor als auch als Publikationsorgan funktioniert. Er berichtet ebenfalls von dem in Hildesheim gegründeten Litradio.de, wo auditive, künstlerische wie journalistische Podcast-Formate eingeübt werden können. »Ich habe auch«, sagt Graf, »so ein Seminar gemacht, das hieß Literaturbetriebswirtschaft«.

Draesner diskutiert die Frage, wie man Studierende dazu vorbereitet, selbst literarisches Schreiben in Workshops zu unterrichten. Caffari und Ferdinand Schmatz (Wien) reflektieren, dass es auch Aufgabe des Studiums sein könne, den frühzeitigen Eingriff von Verlagen, Jurys, Medien oder Agenten in die künstlerische Entwicklung zu problematisieren, ein Bewusstsein zu schaffen, für wen, unter welchen Bedingungen, in welchem Kontext eine literarische Arbeit an die Öffentlichkeit gerät.

Es geht also ebenfalls darum, ein Sensorium dafür zu entwickeln, welche Druckpunkte bei jungen Menschen ein so existenziell grundiertes Studium wie das literarische Schreiben bildet, und diese nicht einfach als notwendige Selbstentwicklung abzutun, sondern die Turbulenzen in der ästhetischen Gefühlsprägung ernst zu nehmen. YouTube ist voll von Testimonials anglophoner Graduierter von creative-writing-Studiengängen, die wieder und wieder über eine ungute Konkurrenz zwischen den Studierenden berichten, die oft dadurch entstünde, dass Lehrende ihre literarischen Projekte nicht nur an der Universität evaluieren, sondern auch in Jurysitzungen des Literaturbetriebs. Es existiert also eine starke Vermischung von der universitären Stellung eines Schriftstellers – als Professor oder Dozent – und der Stellung jenes Schriftstellers im weiteren Literaturbetrieb (zum Beispiel als Jury-Mitglied) und Buchmarkt. Ist diese Vermischung immer okay, ist sie unproblematisch?

Studierende an den Instituten sind keine Lehramtsstudierende, keine Kulturmanager, keine philologischen Kustoden des Kanons – sie sind frisch aufgeschlagene Kapitel dessen, was Leser/innen von morgen inspirieren wird. Diese Art des Selbstentwurfs als Künstler/in institutionell zu begleiten und zu fördern ist eine große Herausforderung für künstlerische Studiengänge in der Literatur. In Deutschland steht man hier, obwohl einige Institute schon seit Jahrzehnten existieren, noch am Anfang, denn viele Potenziale dieser Institute sind noch nicht optimal koordiniert mit anderen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systemen, sodass viele künstlerische Schätze gar nicht richtig geborgen werden können.

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