Menü

Frankreich steht nach den Parlamentswahlen vor einer unsicheren Zukunft Macrons Ritt auf der Rasierklinge

Emmanuel Macron ist geschwächt – und damit hatte er nicht gerechnet. 2017 mit gerade einmal 39 Jahren ins Amt gekommen, hatte er bis dato nur eine Richtung gekannt: nach oben. Es folgten, nach triumphalem Einzug in den Elysée, schwierige Jahre: Gelbwesten, Gewerkschaftsstreiks, Coronapandemie. Er hat sie nicht schlecht gemeistert.

Im Mai dieses Jahres ist er mit einem überzeugenden Ergebnis wiedergewählt worden. Eine zweite Amtszeit, das haben vor ihm nur zwei Präsidenten geschafft: Jacques Chirac und François Mitterand. Macron wähnte sich – gegen seine ewige Herausforderin, die Rechtspopulistin Marine Le Pen ­–, von den Franzosen und Französinnen deutlich im Amt bestätigt und mit einem klaren Regierungsauftrag für die nächsten fünf Jahre ausgestattet: Fortsetzung seines Reformkurses, in Frankreich und Europa.

Doch dann kamen die Parlamentswahlen im Juni – und damit die von Macron nicht erwartete Niederlage. Ein Schock für den Präsidenten und seine gesamte Equipe. Sie waren sich ihrer Sache zu sicher gewesen. Einen Wahlkampf hatten sie kaum für nötig befunden. Macron hoffte, vom Präsidentenbonus und seinem Image als internationaler Krisenmanager zu profitieren. Fatale Fehleinschätzung. Die Quittung kam prompt: große Zugewinne für die Rechts- und Linksaußenparteien, empfindliche Verluste für die Etablierten, von Sozialisten bis Republikanern. Das Regierungsbündnis »Renaissance« – ein Zusammenschluss dreier Parteien – verlor die absolute Mehrheit in der Assemblée national. Macron, der bislang nur den Erfolg kannte, wirkte wochenlang wie gelähmt. Ernennung der Premierministerin, Umbildung des Kabinetts, das alles dauerte.

Hinter den Kulissen begannen Sondierungen und Verhandlungen mit den Oppositionsparteien. Denn eines war klar: Ohne sie wird nichts mehr gehen, rien ne va plus, die politische Klasse muss umdenken lernen: vor allem Kompromisse, Koalitionen lernen. In Frankreich bislang ein Unding, denn im französischen Selbstverständnis kompromittieren Kompromisse, sie erscheinen als Eingeständnis der Schwäche und beschädigen den, der sie eingeht.

Dennoch: Im Macron-Lager richteten die Pragmatiker den Blick nach Deutschland. Die Ampel in Berlin funktioniere ja auch, irgendwie. Da müsste doch auch etwas für Frankreich zu machen sein. Mühsam aber nicht ausgeschlossen. Doch bereits nach einer Woche der Sondierungsgespräche war in Paris jedoch klar: Eine Koalition unter Führung von Macrons Premierministerin, Élisabeth Borne, wird es nicht geben: Die nach den Parlamentswahlen gestärkten Rechtsextremen und Linksradikalen – le Pens Rassemblement National und das Bündnis um den Ex-Trotzkisten Jean-Luc Mélenchon – schloss Macron selbst kategorisch als Partner aus. Die Republikaner, die nunmehr äußerst geschwächten, bürgerlichen Rechten, ließen Macron kühl abblitzen. Offenbar hatte er ihnen kein ernsthaft überzeugendes Angebot gemacht.

Wie also geht es jetzt weiter in Frankreich? Regieren mit wechselnden Mehrheiten, hofft der Präsident. Der erste Anlauf ist allerdings schon mal krachend gescheitert, ausgerechnet in der Coronapolitik. Die erhoffte Wiedereinführung des Pass sanitaire, des Gesundheitspasses, wurde von der Opposition zerpflückt. Eine beispiellose, ideologie- und parteiübergreifende Oppositionsfront von Rechtsaußen über Bürgerliche bis Linksaußen brachten die Coronamaßnahmen zu Fall. Und Macrons Leute waren zur entscheidenden Abstimmung in der Assemblée national nicht mal vollständig angetreten – Fraktionsdisziplin sieht anders aus.

Macrons Fahrplan

Trotzdem beteuert Macron, er werde an seiner Reformpolitik festhalten. Am Nationalfeiertag gab er erstmals wieder ein ausführliches Fernsehinterview. Dort entwarf er seinen Fahrplan bis zum Winter: Angesichts der drohenden Energiekrise will er den Franzosen ein Energiesparprogramm verordnen, verbunden mit einem weiteren Ausbau der Atomkraft und der Erneuerbaren Energien. Kohlekraftwerke sollen, ebenso wie alte Atommeiler, länger laufen. Neue Erdgaslieferanten aus Algerien und Katar müssten gewonnen werden. Ein gemeinsamer europäischer Strommarkt soll forciert werden. Darin stimmt er auch mit Kanzler Olaf Scholz überein.

National will er die Arbeitslosequote auf fünf Prozent senken, durch eine weitere Reform der Arbeitslosenversicherung und mehr Aus- und Weiterbildungsangebote. Auch die umstrittene Rentenreform durch die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 65 Jahre ist nicht vom Tisch. Macrons Credo: Nahezu kein Land in Europa gibt so viel Geld für Sozialleistungen aus, in keinem Land wird so wenig gearbeitet wie in Frankreich. Damit macht er sich derzeit wenig Freunde. Er ist ein Wirtschaftsliberaler in einem System, dass die staatliche Alimentation breiter Gesellschaftsschichten sowie der wichtigsten Wirtschaftszweige von jeher für selbstverständlich hält.

Gleichzeitig will er noch in diesem Sommer ein Gesetz zur Abfederung der Inflation auf den Weg bringen, mit neuen Milliardenhilfen für bedürftige Haushalte.

In der Außenpolitik hat er weitgehend freie Hand. An seinem proeuropäischen Kurs dürfte sich nichts ändern. Ebenso wenig wie an seiner Überzeugung der Unabdingbarkeit einer engen deutsch-französischen Zusammenarbeit. Mit Kanzler Scholz hat er ein solides Arbeitsverhältnis. Allerdings strahlt Macrons Stern auf den internationalen Bühnen nach der Wahlniederlage zu Hause längst nicht mehr so hell wie zuvor. Auch das ist ein empfindlicher Rückschlag für den erfolgsverwöhnten und selbstbewussten Staatschef.

Das gilt erst recht für die französische Innenpolitik: Egal um welches Themenfeld oder Reformpaket es geht: Für alle seine Vorhaben wird Macron ab jetzt Stimmen der Opposition brauchen. Nachdem Sozialisten, Kommunisten und Grüne bislang klar gemacht haben, dass sie auf Konfrontationskurs bleiben, hat Macron zuletzt zunehmend Signale an die politische Rechte ausgesandt. Das ist nicht ungefährlich. Denn dort lauert Marine Le Pen schon lange darauf, endlich salonfähig zu werden. Mit großer Zähigkeit hat sie am Imagewandel der vom antisemitisch-rechtsextremen Vater ererbten Partei gearbeitet. Mit Erfolg. Ihr Rassemblement Nation – früher Front National – ist inzwischen für weite Teile der französischen Gesellschaft, bis hinein in die bürgerlichen Schichten, wählbar geworden.

Und der Erfolg gibt Le Pen weiter Auftrieb: Die ewige Widersacherin und dreimal gescheiterte Herausforderin Macrons hat jüngst eine bemerkenswerte Volte hingelegt: Sie bietet dem Präsidenten eine »konstruktive Opposition« an. Das würde bedeuten: Regieren nach Le Pens Gnaden und Geschmack. Darauf kann sich Macron nicht einlassen. Aber der Verdacht ist gestreut. Denn schon sitzen die Rechtsradikalen in einflussreichen Positionen, zum Beispiel im Präsidium der Assemblée national – gewählt auch mit Stimmen aus dem Macron-Lager. Frankreich steht jetzt am Scheideweg: Entweder gelingt es Macron, auf den demokratisch-gemäßigten Teil der Opposition zuzugehen und neue Wege der parlamentarischen Zusammenarbeit in Frankreich zu etablieren. Das wäre auch eine Chance. Denn so könnte er auch neue Impulse, neue Hoffnungen für die tief gespaltene französische Gesellschaft ebenso wie für ihre politische Klasse geben – oder aber, er muss über kurz oder lang die Französinnen und Franzosen erneut vor die Wahl stellen: seine Reformversprechen gegen den antieuropäischen Nationalismus der beiden nunmehr dominierenden Parteien rechts- und linkaußen. Das hieße, Neuwahlen in Frankreich. Mit ungewissem Ausgang, mehr denn je.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben