Will der Feminismus zukunftsfähig sein, muss er sich mit jungen Männerfantasien auseinandersetzen. Geschieht dies nämlich nicht, bleiben Rechte und Konservative die einzigen politischen Vertreter, die Männer der Generation Z genau dort abholen, wo es am meisten wehtut. Und über die Gefahr, die von krisenbelasteten jungen Männern ausgehen kann, wenn sie eine Symbiose mit rechter Politik eingehen, bietet die Neuauflage von Männerphantasien einen erschauernden Einblick. Vor allem für die Gegenwart.
Klaus Theweleits »Psychoanalyse des weißen Terrors« galt Ende der 70er Jahre als Pionierarbeit und besteht als »Standardwerk zur Vorgeschichte des Nationalsozialismus« fort. Denn durch die sogenannte Freikorpsliteratur der 20er Jahre wird die stark asymmetrische Dreierbeziehung zwischen »soldatischen« Männern, »repräsentierenden« Frauen und dem Vaterland klar erkennbar.
Vom soldatischen zum Alpha-Mann
Dass sich Geschichte nicht wiederholt, ist bekannt. Zu weit auseinander liegen hierfür die historischen Umstände, allen voran die Kampferfahrung des Ersten Weltkriegs. Eher könnte die Behauptung standhalten, die 20er Jahre des letzten und des laufenden Jahrhunderts reimen sich. War 1920 noch vom »neuen, politischen Soldaten« die Rede, bildet der »Alpha-Mann«, widerlegte Theorien zur Struktur von Wolfsrudeln übernehmend, den Prototypen der Gegenwart.
Die Entwicklung der globalisierten freien Märkte der letzten 30 Jahre muss berücksichtigt werden, um das Konstrukt rund um die neue (toxische) Männlichkeit zu verstehen. Genauso die damit einhergehende gesellschaftliche Entpolitisierung und Fragmentierung. Denn angesichts liberaler Individualisierungstendenzen bilden individuelle Verantwortung und persönliche Entwicklung den ideologischen Unterbau des »Alpha-Mannes«. Weniger hingegen politische Organisation und militaristische Kameradschaft á la Weimarer Republik.
Die Entwicklung der globalisierten Märkte muss man berücksichtigen, um das Konstrukt der neuen (toxischen) Männlichkeit zu verstehen.
Verantwortungen, die »dem Mann« in der Postmoderne anscheinend verwehrt bleiben, aber einen zutiefst sinnstiftenden Zweck erfüllen, werden in der Verherrlichung traditioneller Männlichkeitsnormen, etwa Durchsetzungsvermögen, Unabhängigkeit und Härte, wiedergefunden. Wettbewerb und Überlegenheit prägen das Weltbild, ähnlich wie in der faschistischen sowie neoliberalen Idee. Eine Gemeinsamkeit, die sich nur in der Verschiebung vom Völkischen (»Die Masse als Verkörperung des eigenen Unbewussten«) zum Einzelnen (»Jeder ist seines Glückes Schmied«) unterscheidet.
Eine weitere Frage bleibt zu klären: Mit wem oder was konkurriert die Männlichkeit? Und wem gegenüber fühlt sie sich überlegen?
Flintenweiber und kastrierende Frauen
Theweleits Studie von 1977 überzeugt hier vor allem mit den Begrifflichkeiten seiner Quellen: »Die kastrierende Frau«, die »Abwehr der roten Fluten«, der »Fragmentpanzer«, oder die »Flintenweiber« sind allesamt Synonyme für Körper, die entweder eine überlegene Identität konstruieren, oder mit denen Letztere im Wettkampf steht.
Von der Semantik abgesehen, unterscheiden sich die Alpha-Fantasien kaum: »304«, was umgedreht für »Hoe« (Schlampe) steht, »Simp«, eine abwertende Bezeichnung für aufmerksame und empathische Mitmenschen, Incel (Involuntary Celibate), also Männer, denen anscheinend durch den Feminismus der Zugang zu Sex verwehrt wird, oder »SJW« (Social Justice Warrior), für soziale Gerechtigkeit engagierte Menschen, sind die in sozialen Netzwerken kursierenden Trendwörter unserer Zeit.
Im Kern geht es um nichts anderes als die Unterstützung traditioneller Geschlechterrollen und Ablehnung von Ideen der Geschlechterneutralität. Soziale Bewegungen wie #Metoo werden dabei als Bedrohung traditioneller Männlichkeit angesehen. »Läuft nicht eine Linie von der Hexe zur verführerischen Jüdin«, fragt Theweleit, »eine permanente Realität der Verfolgung der sinnlichen Frau, die sich nicht primär ökonomisch herleiten lässt, sondern aus der spezifischen Organisation des gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisses im männerrechtlichen Europa?«
#Metoo wird als Bedrohung traditioneller Männlichkeit angesehen.
In anderen Worten war und bleibt das hierarchielos »Fließende« die Bedrohung dieser Männlichkeiten in ihrem Selbstverständnis. Die obsessive Suche nach einer recycelten Ordnung sowohl im Kontext von Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft, als auch der insgesamt 173 Professuren an deutschen Hochschulen in der Frauen- oder Geschlechterforschung heute, ist Zeugnis einer Furcht voranschreitender Gesellschaften, oder eher des möglichen Verlusts geschlechtsbezogener Privilegien.
Gen Z: zwei Generationen, nicht eine
Politisch ticken GenZ–Männer dementsprechend: Daten der Financial Times aus dem Januar 2024 zufolge ist die politische Divergenz dieser Generation mit dem Geschlecht kongruent. Das ist ein Novum: Auf jedem Kontinent werden Frauen zwischen 18 und 30 zunehmend »progressiver«, während Männer derselben Altersklasse sich dem rechtskonservativen Lager zuwenden.
Diese Tendenz deckt sich allenfalls mit drastisch fallenden Hochzeits- und Geburtsraten, die auch in Deutschland Jahr um Jahr verzeichnet werden. Das Thema rund um die sexuelle Belästigung scheint acht Jahre nach #Metoo einen patriarchalen Rückschlag verursacht zu haben. Sobald Frauen das Momentum erreicht haben, um sich gegen zutiefst ungleiche Strukturen auszusprechen, verlieren sie offenbar die Solidarität vieler Männer. Die ideologische Kluft zwischen den Geschlechtern schließt sich darüber hinaus bei Fragen um Migration und sozialer Gerechtigkeit im Übrigen nicht.
Wann ist der Mann ein Mann?
»Der Trend in den meisten Ländern geht dahin, dass Frauen nach links rücken, während die Männer unbewegt bleiben.«, so Datenanalyst John Burn-Murdoch in der FT, »Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass junge Männer in Deutschland aktiv nach rechts rücken, wo die heute unter 30-Jährigen die Einwanderung stärker ablehnen als die Älteren und sich in den letzten Jahren der rechtsextremen AfD zugewandt haben.«
Björn Höcke spielt diese Entwicklung in die Hände, erinnern wir uns an seine Wortwahl beim Erfurter Parteitag 2015: »Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken, denn nur wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft.« Oder Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, der im August 2023 Dating-Tipps auf TikTok verkündete: »Schau keine Pornos. Wähle nicht die Grünen. Geh raus an die frische Luft. […] Und vor allem: Lass dir nicht einreden, dass du lieb, soft, schwach und links zu sein hast. Echte Männer sind rechts. Echte Männer haben Ideale. Echte Männer sind Patrioten. Dann klappt’s auch mit der Freundin.«
Ob Konsequenz oder Ursache, die Funktion sozialer Medien ermöglicht es jungen Männern und Frauen, ihre Weltsicht in voneinander abgekapselten Kultursphären zu formen. Wer den Modus Operandi digitaler Plattformen auch nur ansatzweise versteht, weiß, dass die Aufmerksamkeit denen gebührt, die extrem, kontrovers, laut, fundamentalistisch und einseitig argumentieren. Ein Missbrauch menschlicher Psychologie, womöglich auf Kosten der Demokratie, den auch Organisationen wie die Junge Alternative (JA), sowie die vielen Selbsthilfe-Gurus für Männer, nur zu gut für sich nutzen. Eine gegenseitige Annäherung wird dadurch jedenfalls zunehmend unwahrscheinlicher.
»Aufmerksamkeit bekommen jene, die extrem, kontrovers und laut argumentieren.«
Apropos Internet: Einer Studie der University of Indiana zufolge gab 2020 jeder dritte US-amerikanische Mann zwischen 18 und 24 an, im vergangenen Jahr, also noch vor Beginn der COVID-19-Pandemie, keinen Sex gehabt zu haben. »Der in unserer Studie beobachtete Rückgang der sexuellen Aktivität mit Partnern stimmt mit den Ergebnissen von Studien in Großbritannien, Australien, Deutschland und Japan überein«, heißt es dort.
Für die Autor/innen der Studie müssen die Gründe für diese Entwicklung noch genauer erforscht werden, doch sie stellten bereits fest, dass »eine Reihe kultureller und sozialer Veränderungen das Sexualverhalten junger Menschen beeinflussen könnte, darunter ein weit verbreiteter Internetzugang, ein geringerer Alkoholkonsum, mehr Gespräche über die sexuelle Einwilligung und mehr junge Menschen, die sich mit nicht-heterosexuellen Identitäten, einschließlich asexuellen Identitäten, identifizieren.«
Wurden Alpha-Männer bis vor Kurzem nicht wirklich ernst genommen, weil sie sich mit teuren Autos, Misogynie im Internet und persönlichem Erfolg beschäftigten, hat sich dies nun verändert. Die Debatten rund um »Genderwahn«, »Sprachverboten«, usw. der letzten Jahre haben ihren Beitrag geleistet, den Nährboden für eine Wiederentdeckung der Politik als Männersache zu legen.
Das »Fließende« wurde längst wieder – wie vor rund 100 Jahren – zur Bedrohung erklärt. Die Sehnsucht nach hierarchischer Ordnung und Struktur mehrt sich bei jungen Männern. Was im Vergleich zu den Freikorps noch fehlt, ist der militärische Aspekt. Doch auch hierfür räumt die Politik zurzeit den Weg frei. Der Schritt vom Alpha- zum soldatischen Mann dürfte dann kein großer mehr sein. Oder wie Max Helferich (AfD) es treffend ausdrückte: »Das macht mir ganz persönlich auch Hoffnung, wenn es nicht nur die alten, weißen Herren sind, die zum großen Kampf für Deutschland blasen…« Möge Klaus Theweleit uns daran erinnern, dass einem wirklichen Kampf stets eine (Männer-)Fantasie vorauseilt.
Klaus Theweleit: Männerphantasien. Matthes & Seitz, Berlin, 2019; 1.278 S., 48 €.
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