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Marx auf Feministisch

 

und falls ich mein frausein eine zeitlang vergessen hab /

um eine gute sozialistin zu werden /

hol ich es wieder hervor / und bringe es ein /

Dorothee Sölle (»Schwierigkeiten mit chuck ’n’ freddy«)

 

Marxistische Schwestern und feministische Genossinnen sitzen nicht selten »zwischen den Stühlen« und führen ein politisches Doppelleben. Als Marxistinnen sollen sie ihr feministisches Freiheitsbegehren vertagen bis nach der Revolution, vertrauend darauf, dass sich die »Frauenfrage« von selbst lösen wird. Diese gilt manch männlichen Genossen als Anhängsel und weniger dringlich – ein Luxus für bessere Zeiten oder pflichtschuldig ans Programm angestückelt. Dabei ist offenkundig: Vermeintliche »Frauenfragen« wie Sorgearbeit, Frieden, Ökologie usw. sind Menschheitsfragen – sie gehen alle an. Was als »frauenfreundliche« Arbeitszeiten, Innenstädte, Diskussionsstile usw. verhandelt wird, ist in der Regel schlichtweg »menschenfreundlich«. Oft nimmt feministische Kritik ihren Anfang bei der Einsicht, nicht mitgemeint zu sein – selbst wenn vom Menschen die Rede ist. Feministinnen sind daher im Übersetzen geübt. Wir werden »alle eure begriffe erweitern müssen wie röcke, weil wir pausenlos in anderen umständen sind«, so Dorothee Sölle in ihrem Gedicht. Die wohl gravierendste Zumutung, über die (nicht nur) Frau sich erst hinwegheben muss, um marxistische Theorie zu gebrauchen, ist die klaffende Lücke, wenn es um die Arbeit der individuellen wie gesellschaftlichen Reproduktion geht – um die lebensentwickelnden und lebenserhaltenden Tätigkeiten, wie Frigga Haug als Sprechweise vorschlägt.

 

warum manches produktiv anderes nur reproduktiv war /

konnt ich mit meinen drei kindern nicht einsehn /

ich fand sie neu und hatte nichts wiederholt / was es schon immer gab /

was sollte das blöde re / bei den wichtigsten sachen der welt

 

Seit den 70er Jahren rangen Generationen von Feministinnen darum, in Theorie und Bewegungspraxis das Fehlende, Unsichtbare, von interessierter Seite Übersehene einzuschreiben, zu politisieren und den Arbeitsbegriff weiter zu fassen. In der sogenannten »Hausarbeitsdebatte« wurde die Forderung »Lohn für Hausarbeit« laut und zugleich auch infrage gestellt: Lässt sich so die geschlechtliche Arbeitsteilung aufheben? Führt es uns weiter, die Hege und Pflege von Mensch und Natur in die entfremdete und entfremdende Form der Lohnarbeit einzugemeinden? Über den Arbeiter schrieb Karl Marx, er sei zu Hause, »wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus«. Heißt das, zu Hause wird nicht gearbeitet? Schon gar nicht vom männlichen Arbeiter? Es gilt, den Absatz in Gänze zu lesen, in dem es Marx um das Moment der Entfremdung geht, und ihn dann feministisch zu übersetzen: Auch zu Hause findet Ausbeutung statt und wird Arbeit geleistet, die der Arbeitenden »äußerlich ist«, in der sie sich »nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt, sondern ihre Physis abkasteit und ihren Geist ruiniert« (Ökonomisch-philosophische Manuskripte, 1844). Erinnert sei an die Hausfrau im Fordismus, sozial isoliert in der Funktionsküche der 50er Jahre, allein mit dem »Lenorgewissen« – jenes blasse Alter Ego, das im Werbespot aus der Hausfrau heraustritt und bekümmert fragt, ob die Wäsche nicht noch weißer und weicher sein könnte. Betraut ob vermeintlich biologischer Berufung mit der Aufgabe, die kalte, schlechte Welt da draußen fernzuhalten und optimal verwertbare Kinder zu produzieren, die heute nicht nur gesund und sauber, sondern auch »sozialkompetent« sowie psychisch und emotional belastbar zu sein haben. Was wir gemeinhin als Arbeit der Reproduktion bzw. Produktion begreifen, hat vieles gemeinsam: Nicht alles, aber vieles Tun ist überaus sinnvoll. Trotz aller Widrigkeiten schauen wir mit Produzentinnenstolz auf unser Werk, in das unsere Fertigkeiten, Erfahrungen und Liebe eingegangen sind. Die Form und die Bedingungen, unter denen wir arbeiten, gilt es zu problematisieren. Die Frage, ob und wie Arbeit entlohnt wird, ist überaus wichtig, greift jedoch nicht weit genug ins Utopische. Der alte Traum von Aristoteles, aufgenommen von Teilen der Arbeiterbewegung, die Arbeit ganz und gar abzuschaffen und vollständig an Maschinen zu delegieren, ist in Sachen Reproduktion kaum eine Option. Marx hatte vielmehr die Befreiung der Lohnarbeit im Sinn. Er stellte ihre herrschende Form zur Diskussion und die Frage danach, wer über die Produktionsmittel verfügt. Auch hier gelingt die Übersetzung ins Feministische: Gabriele Winker, Ideengeberin der »Care Revolution«, analysiert anschaulich und eindringlich die sich verschärfende Krise der sozialen Reproduktion. Die darum entstandene Bewegung fordert keinesfalls die Abschaffung aller Sorge um sich und andere, sondern deren radikale Demokratisierung durch »Care-Räte«, Umverteilung der Arbeit und Bedingungen, die ein solidarisches, sorgsames Miteinander für alle erst möglich machen.

Es geht um nicht weniger als eine menschlich-solidarische Gesellschaft, »eine Assoziation, in der die freie Entfaltung eines jeden die Bedingung für die freie Entfaltung aller ist« (Marx). Dies lässt sich vorsichtig als ein gemeinsamer Nenner der vielfältigen und kontroversen marxistisch-feministischen Debatten formulieren: Unabdingbar ist, den allzu lang untergeordneten Bereich der Reproduktion des Lebens, also das Leben selbst, in den Mittelpunkt zu stellen, anstatt es allein in die Hände von Frauen zu legen, die sich dieses so wenig profitablen Bereichs nebenbei schon noch annehmen werden, stets darum ringend, die Folgen der Krisen zu mildern. Als sei das Leben ein zufälliges Bei- oder Abfallprodukt. Eingehegt in der Familie und überwiegend an Frauen delegiert, trägt all das Sorgen, Lieben, Pflegen so dazu bei, die Verhältnisse mehr schlecht als recht am Laufen zu halten. Höchste Zeit, stattdessen die Welt zu einem wohnlichen Ort zu machen, damit wir allesamt und allerorts zu Hause sind, jetzt und in Zukunft noch.

Das Unbehagen mit den Verhältnissen wächst. Der Kapitalismus und insbesondere der Neoliberalismus, das Regime der Profitlogik, werden als Ursachen zahlreicher »Krisen« ausgemacht, als Bedrohung für Umwelt und Klima, für ein gutes Leben für alle, für Demokratie und sozialen Frieden. Es schlägt die Stunde der autoritär-faschistischen »Lösungen«, aber auch Begriffe wie »Sozialismus« oder »Klasse« können hierzulande (und sogar in den USA!) wieder im Munde geführt werden. In emanzipatorischen sozialen Bewegungen, nicht nur der Frauen, werden Politiken, die vorrangig auf Gleichstellung und Repräsentation zielen, zunehmend kritisch reflektiert. Denn diese sind in den herrschenden Verhältnissen meist nur für wenige und auf Kosten anderer möglich. Kritisch reflektiert werden neoliberale Anrufungen, ganz im Trend individueller und individualisierender Erfolgs- und Überlebensstrategien: Sich richtig »reinhängen«, rät Sheryl Sandberg, Geschäftsführerin von Facebook. Empowerment ist das neue Zauberwort, mit der neuerdings T-Shirts und Gesichtscremes an die selbstbewusste Frau gebracht werden sollen. Es braucht nur etwas mehr Einsatz, mehr Resilienz, etwas mehr Yoga … Teile der Frauenbewegung haben schon lange zurückgewiesen, um einen »Fensterplatz auf der Titanic« oder »die Hälfte vom verschimmelten Kuchen« zu kämpfen. Die Bäckerei selbst muss eine andere sein. In diesen Zeiten scheint das Interesse an marxistisch-feministischer Theorie und Praxis erneut zu erstarken, gibt es Versuche, an schon Gedachtes und Geschriebenes anzuknüpfen, und weltweit neue Suchbewegungen, deren Vielfalt und Reichtum dieser Aufsatz und seine westlich begrenzte Perspektive nicht gerecht werden können. Zwangsläufig exemplarisch: 2015 kamen in Berlin und 2017 in Wien jeweils mehr als 600 marxistische Feministinnen aus rund 20 Ländern zusammen, um das marxistisch-feministische Feld zu sichten und den Austausch zu verstetigen. Die nächste Konferenz ist für 2018 im schwedischen Lund geplant. In Berlin zum Beispiel ging es einmal mehr um die Frage, inwiefern Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse zu fassen seien, eine zentrale These von Frigga Haug: Reproduktion und Produktion bedingen einander, sie stellen einen Trennungszusammenhang dar. Um eine Gesellschaft zu erfassen, müssen beide Bereiche in ihrer historisch-spezifischen Form und ihrem Zusammenwirken untersucht werden. »Der Kapitalismus bedarf zu seiner Aufrechterhaltung des kontinuierlichen Einsatzes tätiger Menschen, die nach anderen Formen als denen des Lohns tätig sind.« Allenfalls »abstrakt lassen sich Modelle denken, in denen nicht Frauen, sondern andere Gruppen diese Rolle übernehmen«, so Haug. In Wahrheit habe der Kapitalismus jedoch im Patriarchat eine bestens geeignete Auftreffstruktur gefunden. Patriarchat und Kapitalismus sind daher nicht als isoliert existierende Systeme zu verstehen, sondern als Gesamtheit zu analysieren. Saskia Sassen nahm in Berlin Prozesse der Globalisierung, internationale Arbeitsteilungen und die »Feminisierung des Überlebens« in den Blick: Frauen gestalten Ökonomien – wenn auch nicht aus freien Stücken und unter Umständen, die sie nicht selbst gewählt haben, ließe sich mit Marx ergänzen. Diskutiert wurde über das Regime der Arbeitsteilungen, die so verfasst sind, »dass Ausbeutung und Unterdrückung dazwischen bestehen kann, als wäre sie auch eine Arbeit, die einige zu besorgen hätten« (Brecht) – zwischen Geschlecht und Klasse, entlang von Hautfarbe/Kaste/Staatsbürgerschaft. Es ging um die Frage der Gewalt und ob diese als Ausdruck alter, traditioneller bzw. »vormoderner« Verhältnisse zu begreifen sei oder in Ausmaß und Form durch aktuelle Verhältnisse bedingt wird. Die Soziologin Raewyn Connell steuerte dem im Nachgang zur Tagung erschienenen Argument-Band einen Aufsatz bei, in dem sie die Hegemonie des Nordens in der globalen Wissensökonomie problematisiert und Begriffe und Prämissen marxistisch-feministischer Theorie grundlegend neu formuliert.

Ausgelöst durch den »Trump-Schock« und hierzulande durch Erfolge der AfD, wird im weiten Feld der gesellschaftlichen Linken über eine »Rückkehr zur Klassenpolitik« diskutiert. Manche plädieren für eine Besinnung auf »den Arbeiter« und scheinen dabei allein den »kleinen (weißen) Mann«, der schwitzend am Fließband steht, vor Augen zu haben. Zu sehr habe man sich auf Frauen und andere »Minderheiten« wie LGBTIQ, Migrant/innen, People of Colour usw. konzentriert und lediglich »Identitätspolitik« betrieben. Dabei gehören sie alle seit jeher zur Klasse dazu: Frauen, Migrant/innen, Geflüchtete, Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen, mit und ohne Lohnarbeit, die Näherin in Bangladesch ebenso wie die beim Subunternehmen angestellte Reinigungskraft ohne Wahlrecht, die Kreativen und ewigen Praktikant/innen oder der aus einer überkommenen Industrie entlassene Malocher – all jene, deren Arbeit und Leben prekär sind. »Eine neue Klassenpolitik als verbindender Antagonismus«, schlägt der Politikwissenschaftler Mario Candeias vor, welche die wichtigen Kämpfe um Anerkennung nicht aufgibt: »Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist« (Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie), lautet der marxistische Imperativ. Verfolgen verschiedene Befreiungsbewegungen auch dasselbe Ziel, so existiert der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Kämpfen doch nur, wenn er »von den Beteiligten hergestellt wird«, so Frigga Haug. Die Aufzählung alleine genügt nicht: Selbstverständlich sind wir feministisch, antikapitalistisch, antirassistisch, internationalistisch und vieles mehr – die Kommata und Bindestriche sind unbedacht leicht aneinandergereiht. Eine Klassenpolitik, die wirklich alle meint und von allen gemacht wird, damit die Klasse »an sich« zu einer »für sich« werden kann, ist immer »im Werden«. Sie entsteht in unermüdlicher Arbeit, braucht Konfliktfreude und gemeinsame Kämpfe. Es gilt zu analysieren, wie der »Herrschaftsknoten« (Haug) geknüpft ist: Wenn die einen an ihren Ketten zerren, wird es für die anderen enger. Als Frauen begannen, gegen das fordistische Geschlechtermodell – jedem Arbeiter einen »Ernährerlohn« und eine Hausfrau – aufzubegehren, stellten sie damit eine zentrale Errungenschaft der Arbeiterbewegung infrage, die lange Jahre dazu beigetragen hatte, Klassenkonflikte zu befrieden. Selbst innerhalb eines Unternehmens sind die einzelnen Standorte in Konkurrenz zueinander gestellt. Streiken die Mitarbeiterinnen in der Kita, wissen die Alleinerziehenden nicht, wohin mit ihren Kindern. Menschenwürdige, ökologisch vertretbare Arbeitsbedingungen im globalen Süden würden im Norden die Waren verteuern. Das macht Solidarität so schwer wie notwendig.

Das Ringen um ein gemeinsames Projekt – und vieles spricht dafür, es ein sozialistisches zu nennen – bedarf der Einmischung aller. Das Projekt selbst wäre ein radikal demokratisches, so wie auch der Weg dahin. Es könnte nicht durch Stellvertreter entworfen werden, mögen sie auch noch so »fürsorglich« agieren. Dass die Befreiung der Arbeiter nur das Werk der Arbeiter selbst sein kann, ist eine wichtige, aus der Marx-Lektüre zu gewinnende, Einsicht. Auch sie lässt sich in andere Befreiungsbegehren übersetzen. Für politische Einmischung braucht es Zeit und Ressourcen. Nützlich könnte die Vier-in-Einem-Perspektive sein, vorgeschlagen von Frigga Haug als »Kompass für revolutionäre Realpolitik« und »Utopie von Frauen, die eine Utopie für alle ist«. Sie trifft ins Mark kapitalistischer Ausbeutung, die stets auch Aneignung und Verfügung über die (Arbeits-)Zeit anderer ist. Alles gesellschaftlich notwendige Tun wäre auf alle zu verteilen, als Recht in die Verantwortung aller gegeben, vorstellbar als 16-Stunden-Tag mit vier Stunden Zeit für die Produktion, vier Stunden Zeit, um für sich und andere zu sorgen, vier Stunden Zeit um zu lernen, für Kunst und Kultur und die notwendige Muße, vier Stunden Zeit für politische Einmischung. Diese vier Bereiche zu demokratisieren und damit zwangsläufig zu verändern – und wir uns darin – untergräbt die herrschenden und herrschaftssichernden Arbeitsteilungen zwischen den Geschlechtern, zwischen arm und reich, entlang von Hautfarbe und Staatsbürgerschaft. Eine solche Politik zielt auf eine ferne Utopie, in der die Geschlechter aufgehoben sind wie die Klassen und Minderheitenrechte obsolet werden – weil in ihr alle gleichermaßen Platz als Menschen haben.

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