So stellte die FDP Ende September einen Präsidiumsbeschluss zum Thema vor. Die »aktuellen Fälle von Fehlverhalten in den Führungsstrukturen« hätten einen »Mangel an Transparenz und Kontrolle« beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk offengelegt, seine »gesellschaftliche Akzeptanz« sinke, es brauche eine »Debatte um Erneuerung und Transparenz«, vor allem gehe es um die Frage, ob die historisch bedingte Sonderstellung des durch Gebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Korrektur bedürfe, bis zur ideologischen Ablehnung eines vermeintlichen »Staatsfunks« insgesamt. Die Debatte ist nun da. Sie ist laut, teils chaotisch und vor allem ist sie eines: öffentlich.
Unter dem Druck einer zusehends ungehaltenen Medienpolitik, der der Skandal den Erfolg des gerade erst zum Abschluss gebrachten Medienstaatsvertrags zu Auftrag und Struktur zu verhageln drohte, signalisierten die Sender (die zunächst vor allem damit beschäftigt waren, Brandmauern zum rbb aufzubauen) Veränderungsbereitschaft: Gremien und Geschäftsstellen sollen ertüchtigt, Transparenz-, Compliance- und Kontrollstandards vereinheitlicht werden. Für den Winter sind erste Vorschläge angekündigt.
Doch die tatsächlichen Probleme liegen tiefer. In den Skandalen um Finanzgebaren und Kontrollversagen bei den Öffentlich-Rechtlichen manifestiert sich eine weiterreichende System-, Identitäts- und Akzeptanzkrise. Mit potenziell existenziellen Folgen für den Fortbestand öffentlich-rechtlicher Medien in Deutschland. Nicht sofort, aber mittel- bis langfristig.
Denn just jene Systemfaktoren, die staatlichem Einfluss entgegenwirken sollen, beförderten auch jenen Zustand, in denen die Akteure eines weitgehend selbstreferenziellen Systems seit Jahren abwechselnd die sprichwörtliche Dose die Straße hinunter kickten. Medienpolitik in Deutschland ist hinsichtlich der Analyse und in der Operationalisierung von Veränderung tatsächlich kompliziert und umso leichter zu instrumentalisieren.
Umso wichtiger ist es, den aktuellen Moment auch dafür zu nutzen, nicht nur das unmittelbar Nötige zu tun, sondern grundsätzliche und mithin strategische Überlegungen zur Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen in der digitalen Welt anzustellen. Es gilt tragfähige Zukunftsbilder für die Beschaffenheit demokratischer Öffentlichkeit zu generieren: Welchen Auftrag haben ARD, ZDF und Deutschlandradio in der Demokratie und welche Aufgaben erfüllen sie – heute und, eingedenk technologischer und gesellschaftlicher Veränderungen, in den nächsten Jahren?
Vertikal integrierte Big-Tech-Konzerne prägen schon heute ökonomische, soziale und demokratische Zusammenhänge. Sie verfügen über die Inhalte, die Nutzerinnen- und Nutzerdaten sowie die Infrastruktur zur Distribution. Und ihre wirtschaftliche Potenz ist für keinen europäischen Player schlagbar. Google setzt jährlich gut 250 Milliarden Dollar um, Amazon fast 470 Milliarden. Daneben wirken die 8 Milliarden der Öffentlich-Rechtlichen zwergenhaft, auch RTL mit gut 2,5 Milliarden oder die Spiegel-Gruppe mit knapp 275 Millionen sind in diesem Spiel auf Dauer nicht konkurrenzfähig.
Was vor 70 Jahren galt, als sich der Rundfunk nach dem britischen Modell der BBC in Form selbstständiger Anstalten des öffentlichen Rechts organisierte, trifft auch in Zukunft zu: Der Markt allein wird es nicht richten (der Staat freilich erst recht nicht). Die Algorithmen und Inhalte der dominanten Player hinter den reichweitenstarken Apps tik tok, YouTube, Facebook, Netflix und Co sind fürs Geschäftsmodell optimiert, nicht für die demokratische Öffentlichkeit. Das ist zulässig. Nur sollten wir ihren Algorithmen nicht alle relevanten digitalen Räume überlassen. Die offene Gesellschaft wird sich langfristig nur behaupten können, wenn das gesellschaftliche Gespräch weiterhin weite Teile der Gesellschaft erreicht.
Insofern gilt Habermas’ Feststellung mehr denn je, derzufolge es »keine politische Richtungsentscheidung [ist], sondern ein verfassungsrechtliches Gebot, eine Medienstruktur aufrecht zu erhalten, die den inklusiven Charakter der Öffentlichkeit und einen deliberativen Charakter der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung ermöglicht«.
Zeitgemäße Rahmengesetzgebung vonnöten
Es spricht daher viel dafür, dass sich den aus Journalismuskrise und Medienkonzentration, Klickzahlen-Ökonomie und digitaler Propaganda ergebenden Herausforderungen nur durch eine zeitgemäße Rahmengesetzgebung begegnen lässt, die sowohl die Regulierung von Medienkonzentration – inklusive der Plattformen – als auch eine Neudefinition von Auftrag und Förderung gemeinwohlorientierter Medien umfasst.
Aber wie kann das gelingen? ARD und ZDF sind gerade dabei ihre Mediatheken zu einem Streamingangebot zu verknüpfen. Tatort oder Traumschiff – Suchmaschinen beider Mediatheken erkennen die Videos der jeweils anderen Mediathek. ARD und ZDF könnten dieses Streamingnetzwerk zukünftig für Verlage, private Sender, aber auch Theater und Museumsverbände öffnen.
Die Reichweite eines derartigen Medienökosystems wäre jedenfalls die erste publizistisch getriebene Struktur, die sich auf Augenhöhe mit Big-Tech befindet – und sich gleichzeitig eindeutig davon abgrenzt. Sicherheit, Sparsamkeit und Transparenz im Umgang mit Daten werden absehbar ein immer wichtigeres Entscheidungskriterium für die Nutzung digitaler Angebote werden. Für die öffentlich-rechtlichen Sender eröffnen sich ganz neue Perspektiven und gesellschaftliche Aufgaben. Warum sollten sie nicht Daten der Nutzerinnen und Nutzer, das jeweilige Einverständnis vorausgesetzt, dazu nutzen, Beitragszahlern unter Einhaltung der Datenschutzstandards und bei hoher Transparenz ein persönlich zugeschnittenes und doch redaktionell gestaltetes Angebot zu unterbreiten?
Ein derartiges Netzwerk lebt von der Vielfalt. Neben den bekannten Akteuren werden neue auftreten. Innovation und publizistische Qualität des Gesamtsystems könnten davon profitieren. Ein vielfältiger Markt der inhaltlichen Angebote kann entstehen, nicht zuletzt durch neue kuratorische Angebote.
Ein derartiges Medienökosystem jedoch wird Pflege, dauerhafte Innovation und entsprechende Entwicklungsmöglichkeiten benötigen – auch finanziell. Womit wir wieder beim Thema Rundfunkbeitrag wären: Digitalisierung kommt in der aktuellen Debatte wie auch im Eingangs erwähnten FDP-Beschluss nur als Hebel für »mehr Effizienz« und Einsparungen vor. Das greift angesichts der Herausforderungen, auch finanziellen Herausforderungen, vor denen die Anstalten in Anbetracht des technologischen Wandels stehen, zu kurz.
Ein zeitgemäßes und konkurrenzfähiges Medienökosystem wird dauerhaft ein Budget mindestens in den aktuell gängigen Größenordnungen benötigen. Die rund 8 Milliarden Euro im öffentlich-rechtlichen System könnten wir auch als eine Art Demokratiekapital verstehen, dass wir nur anders einsetzen müssen.
Warum trennen wir bei ARD und ZDF zu diesem Zweck nicht bereits jetzt die Inhalteproduktion von der technologischen Verbreitung? Das Budget verteilt sich dann neu: Auf der einen Seite haben wir die Konzentration auf die redaktionellen Leistungen und Produktionen der Marken ARD und ZDF, auf der anderen Seite den Fokus auf das gerade entstehende Streamingnetzwerk als Ausgangspunkt für eine große Innovation im deutschen und europäischen Raum mit dem Ziel der Erschaffung eines umfassenden Medienökosystems.
In der Konsequenz werden sich viele Fragen neu stellen: Wie verteilen sich Budgets zwischen Inhalt und Technologie? Welche Dringlichkeit geben wir zeitgemäßer Verbreitung? Wieviele Standorte welchen Zuschnitts brauchen die dann entstehenden reinen Medienmarken? Wie verhindern wir Redundanzen im Kontext technologischer Entwicklungen?
Es mag andere große Lösungen geben oder – sollte man diesen Weg beschreiten – vielfache Anpassungen und Entdeckungen. In jedem Fall aber scheint der skizzierte Entwicklungspfad zumindest die Größenordnung der nötigen Veränderung zu repräsentieren. Eine Veränderung dieser Größe wird Jahre brauchen und kann nur inkrementell erfolgen, aber sie birgt ungeheures Potenzial. Die Formulierung »Unsere Medien« könnte anstelle der fordernden, fast anklagenden Konnotation dann eher zum Ausdruck deutschen beziehungsweise europäischen Selbstbewusstseins werden.
Viel spricht in Anbetracht von Zeitungssterben und hyperkommerziellen Plattformen dafür, dass die Bedeutung solidarisch finanzierter, dem Gemeinwohl dienender Informationsräume für die Demokratie eher noch zunimmt. Wenn es sie nicht gäbe, müsste man öffentlich-rechtliche Medien erfinden, lautet ein gerne bemühter Aphorismus. Doch dann würde man sie ganz anders bauen als in der Rundfunkära, deren Ende wir gerade erleben. Einen notwendigen, zwingend verfassungsrechtlich begründeten Zusammenhang zwischen dem öffentlich-rechtlichen Gedanken und der Finanzierung eines einzigen, an linear-vertikale Technologien gekoppelten Institutionentyps, der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, gibt es jedenfalls nicht.
Es ist höchste Zeit, Daseinsvorsorge für die demokratische Öffentlichkeit neu zu denken. Auch wenn der Gesetzgeber auf halbem Wege stehengeblieben ist: Der neue Medienstaatsvertrag markiert diesbezüglich einen Paradigmenwechsel: Weg von der Fokussierung auf die bestehende Rundfunkordnung, hin zur Betrachtung der kommunikativen Öffentlichkeit unserer Gesellschaft insgesamt. Darauf gilt es aufzubauen.
Nach dem rbb-Skandal kann es keine Rückkehr zum Status quo ante geben. Er bietet eine Gelegenheit, das öffentlich-rechtliche System nicht nur vor dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit zu bewahren, sondern zu reformieren und damit zukunftsfest zu machen.
Auffällig ist die Tendenz, der handelnden Akteure, die Dinge getreu dem Motto »Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen« dann doch wieder unter sich auszumachen. Und zweitens, dass die Systemfrage plötzlich nicht nur von jener Minderheit gestellt wird, die seit jeher ARD, ZDF und Deutschlandradio kleinsparen, teilprivatisieren oder gleich ganz abschaffen wollen, sondern auch von Befürwortern öffentlich-rechtlicher Medien, die in Anbetracht (oder, passender: aus Anlass) der aktuellen Vorwürfe und des zunächst eher laschen Umgangs damit an ihrer Reformierbarkeit zweifeln. Das sollte zu Denken geben.
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