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© picture alliance/KEYSTONE | NIELS ACKERMANN

Wie der russische Angriffskrieg medial erleichtert wird Medienspiegel: Bequemer Mainstream

Die Berichterstattung des überwiegenden Teils der deutschen Medien über den Angriffskrieg der Russischen Föderation auf die Ukraine – in der immer wieder eine tiefgreifende Überraschung über diesen brutalen Schritt zum Ausdruck kommt – wird oftmals mit Zweifeln am Geisteszustand Wladimir Putins angereichert. So titelte etwa die Hessische Allgemeinen Zeitung am 2. März: »Offensichtlich, dass etwas nicht stimmt ­– Neue Details zu Putins Gesundheit« und die Neue Westfälische gleichen Datums fragte: »Wie steht es um die geistige Gesundheit des Machthabers im Kreml?« Zahlreiche andere Berichterstatter:innen erklären den russischen Machthaber nicht für verrückt, sondern suchen eine Erklärung eher in dessen persönlicher KGB-Geschichte.

Die Beurteilung und Einordnung des aktuellen Überfalls auf die Ukraine endet unter Beachtung historischer Ereignisse oftmals mit der Erinnerung an die Annexion der Krim und den Beginn des Krieges im Donbass im Zuge der Maidan-Revolution im Jahr 2014. Schon seltener finden die Tschetschenienkriege 1994 und 1999 oder der Krieg Russlands mit Georgien 2008 um die Provinzen Abchasien und Südossetien als wegbereitende Ereignisse Erwähnung. Dies gilt auch für den Eintritt Russlands in den Syrienkrieg 2015, der offenbar ebenfalls dem Test von Waffen und internationalen Reaktionen diente. Dieser Zusammenhang wurde z. B. vom Berliner Tagesspiegel am 27. Februar (!) in den Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg gestellt.

Da zunehmend deutlicher wird, dass der Krieg gegen die demokratische Ukraine von langer Hand von Seiten der Russischen Förderation vorbereitet wurde, erstaunt es, dass die kriegerischen Ereignisse der vergangenen Jahre im postsowjetischen Raum nicht in den aktuellen Zusammenhang gestellt werden.

Dies gilt insbesondere für die brutale Niederschlagung der Proteste gegen die gefälschten Präsidentenwahlen in Belarus und den kurz darauf erfolgenden Angriff der Türkei und Aserbaidschan auf Armenien im Zuge des Konflikts um die Region Bergkarabach. Dieser fand in der Berichterstattung der deutschen Medien kaum Beachtung, wurde als Regionalkonflikt behandelt und es wurde eher Verständnis für die Position Aserbaidschans gezeigt. Mitunter schimmerte in den Medienberichten die Überraschung durch, wie zurückhaltend sich Russland – als Schutzmacht Armeniens – verhalten hat und damit die verheerende Niederlage Armeniens erst möglich machte.

Das Freund-Feind-Schema passte perfekt

Im Mittelpunkt der medialen Ursachenforschung stand vor allem der Drohneneinsatz durch die Türkei und Aserbaidschan, der als Krieg des 21. Jahrhunderts gegen die im 20. Jahrhundert verbliebene armenische Armee dargestellt wurde. In diesem Zusammenhang spielten beim Blick auf diese kriegerische Auseinandersetzung zudem Bündniszugehörigkeiten eine zentrale Rolle – das Freund-Feind-Schema passte perfekt und die sogenannten westlichen Interessen am Gas und Erdöl Aserbaidschans vereinfachten diesen medialen Blick auf die Ereignisse.

Die massiven Menschenrechtsverletzungen unter anderem durch den Einsatz von Streumunition und Phosphorbomben in Kombination mit der Rekrutierung von Al-Quaida- und IS-Kämpfern durch die Türkei wurde ebenfalls in der westlichen Berichterstattung an den Rand gedrängt. Zudem spielte die Tatsache, dass die mit Terrormethoden regierten autokratisch-kleptokratisch geführten Länder Türkei und Aserbaidschan gegen ein Armenien kämpften, das sich nach der »Samtenen Revolution 2018« auf den Weg der Demokratie begeben hatte, in der Berichterstattung kaum eine Rolle. Übrigens stand auch die Ukraine 2020 aufseiten Aserbaidschans und der Türkei, war doch die russische Förderation auf diesen ersten Blick der gemeinsame Feind.

Dies alles muss mit Blick auf den Überfall Russlands auf die Ukraine umso mehr überraschen und wird erst im Kontext der Vorbereitungen auf diesen Krieg verständlich, dessen Ergebnisse gerade für Russland vorteilhaft waren. So gestattete Russland der Türkei einen gewissen Einflussgewinn im östlichen Kaukasus, Aserbaidschan konnte sich als kleiner Sieger fühlen und Armenien wurde für seinen Demokratisierungsprozess abgestraft. Gleichzeitig stehen jetzt russische »Friedenstruppen« in Bergkarabach und Russlands Einfluss im Kaukasusgebiet erhöhte sich kampflos erheblich.

Armenien stimmte – mit dem Rücken an der Wand – als einziges Land neben Russland jetzt folgsam für den Verbleib der Russischen Föderation im Europarat (aus dem sie jetzt dann doch endgültig ausgetreten ist bzw. ausgeschlossen wurde). Es kann daher auch nicht verwundern, dass der aserbaidschanische Diktator Ilham Aliyev am Tag des Kriegsbeginns dem russischen Präsidenten im Kreml seine Aufwartung machte, während die Türkei kurz darauf mit symbolischer Schließung des Bosporus lediglich opportunistisch den Eindruck zu erwecken versuchte, sich gegen Russland zu positionieren.

Somit hatte sich Russland im Kaukasus den Rücken freigehalten um ohne größeres Störfeuer aus diesem Gebiet die Vorbereitungen für den Feldzug gegen die Ukraine weiterführen zu können. Mit einer rasanten Entscheidung zur Entsendung russischer Truppen nach Kasachstan zur Niederschlagung der dortigen Aufstände wurde auch dieser mögliche Störfaktor ausgeschaltet.

In einem anderen Licht erscheinen jetzt auch die brutalen Methoden des Lukaschenko-Regimes in Belarus bei der Niederschlagung der Protestbewegung gegen die Wahlfälschungen. Die massive Wucht dieser Proteste der belarussischen Bevölkerung bot der Russischen Föderation die Chance, Lukaschenko endgültig zum willfährigen Vasallen zu degradieren und Belarus als ruhiges Aufmarschgebiet für den Ukrainefeldzug in völliger Abhängigkeit nutzen zu können. Zudem stellt die belarussische Armee für Putin eine willkommene weitere Kriegsressource dar.

Sicherheit durch Wegschauen?

Die Berichterstattung der deutschen Medien über die Entwicklung in den ehemaligen Sowjetrepubliken ist bis heute in hohem Maße von Unkenntnis über die tatsächlichen Vorgänge im postsowjetischen Raum im Vorfeld des Ukraine-Krieges bestimmt. Gleichzeitig ordneten sich die Berichte in den westlichen Massenmedien oftmals bequem der politökonomischen Interessenslage der USA und im Gefolge der anderen westlichen Länder unter – Mainstream eben.

Die journalistische Arbeit in den Ländern der östlichen Partnerschaft, die sich auf demokratische Entwicklungspfade begeben haben, stellt sich zudem als noch wesentlich schwieriger dar, wenn es um die Vermittlung von Zusammenhängen und damit einhergehender drohender Entwicklungen geht. Medien, die sich entweder in staatlicher oder in der Hand von Oligarchen befinden, sind trotz einer größeren vorhandenen Freiheit der Berichterstattung kaum in der Lage ein zudem nur eingeschränkt aufgeklärtes Publikum medial politisch wirksam über komplexe Sachverhalte zu informieren.

Das mangelnde Interesse westlicher Medien, die komplexe Gegenwart postsowjetischer Gesellschaften zu durchdringen und die strukturell erst am Beginn der Entwicklung funktionierender demokratischer Prinzipien stehenden Mediensysteme in den postsowjetischen Gesellschaften machten es möglich, dass Europa sehr lange glaubte, sich in Sicherheit durch Wegschauen wiegen zu können.

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