Die Generation ist zu einem führenden soziokulturellen Deutungsmuster geworden. Damit strukturieren wir, wie auch mit Klasse, Schicht, Milieu, Ethnie oder Geschlecht, unsere Gesellschaft und beschreiben unterschiedliche Identitäten von Menschengruppen.
»Kollektive geschichtliche Prägungen sowie ein gemeinsames kulturelles und politisches Agieren.«
Definieren kann man sie wie folgt: Eine Generation ist, quantitative und qualitative Faktoren miteinander verbindend, die Summe aller ungefähr Gleichaltrigen eines Kulturraumes, die aufgrund ihrer gemeinsam historisch-sozialen Situation über ähnliche Einstellungen, Motive, Orientierungen und Wertvorstellungen verfügen. Entscheidend ist, dass eine Generation nicht einfach die Altersgruppe der zu einem bestimmten Zeitraum Geborenen ist, sondern was sie ausmacht, sind kollektive geschichtliche Prägungen sowie ein gemeinsames kulturelles und politisches Agieren. Doch auch eine Jugendkultur, die nur von einer kleinen »Avantgarde« gelebt wird, kann auf viele andere der jungen Generation, konsumgesellschaftlich und medial vermittelt, ausstrahlen. Oder es wird gar eine in sich gespaltene Generation festgestellt, so wie in den 80er Jahren die grün-alternative Jugend auf der einen und die »Generation Golf« (Florian Illies) auf der anderen Seite.
Der bis heute geläufige wissenschaftliche Generationenbegriff geht auf den Soziologen Karl Mannheim zurück, der ihn 1928 entwickelte. Vormals war üblicherweise die Rede davon, dass »alle 30 Jahre« eine neue Generation daherkomme. Demgegenüber unterschied Mannheim drei Dimensionen des Generationenbegriffs: Generationslagerung, Generationszusammenhang und Generationseinheit. Unter Generationslagerung versteht er die Zugehörigkeit zu einem bestimmten historisch-sozialen Raum, also die Geburt innerhalb einer ungefähr gleichen Zeit in einer Nation oder einem Kulturkreis. Als Angehörige derselben Alterskohorte gleichalt zu sein, das ist die gewissermaßen objektive, notwendige Voraussetzung dafür, dass sich eine Generation überhaupt konstituieren kann.
Verbindende Erlebnisse können ein gemeinsames Schicksal oder eine »dominierende geistige Situation« (K. Jaspers) sein.
Ein Generationszusammenhang meint dann die Partizipation an geistigen und sozialen Wechselwirkungen, es muss also verbindende Erlebnisse geben. Das kann ein gemeinsames Schicksal sein, etwa ein disruptives historisches Geschehen wie Zusammenbruch und Befreiung vor 80 Jahren. Oder eine dominierende »geistige Situation der Zeit« (Karl Jaspers), die die junge Generation weltanschaulich sozialisiert: so die totalitäre Verführung der Jugendlichen in den 30er Jahren oder die popkulturelle und demokratische »Fundamentalliberalisierung« (Jürgen Habermas) der 68er-Generation. Der Generationenzusammenhang kann enger oder lockerer sein, er ist von unterschiedlicher Intensität. Eine Zeitenwende kann dramatisch sein, ein Zeitgeist kann absolute Macht entfalten. Die generationelle Prägung dürfte bei denen, die sich wenig mit den »Sozialisationsinstanzen« anlegen, die keinen traumatischen Umbruch erleben, die sich wenig beunruhigt fühlen, schwächer ausfallen – unwillkürlich denkt man an die Generation westdeutscher Jugend der 90er Jahre.
Schließlich definiert Mannheim die Generationseinheit als die tatsächliche gemeinsame Verarbeitung von Erfahrungen und Erlebnissen. Es bilden sich aus einer gleichen oder ähnlichen Grundintention heraus eine generationsspezifische Kommunikation, kollektive Interpretation und einheitliche Reaktion auf die Strömungen der Zeit. Dies besonders in Peergroups und Cliquen, also informellen sozialen Gruppen, wie sie von Jugendlichen meist gebildet werden, die ähnliche Interessen, Werte und Verhaltensweisen teilen. Diese selbstorganisierten Lern- und Bildungsprozesse reduzieren oder konterkarieren den Einfluss der Sozialisationsinstanzen von Schule und Eltern.
Generationseinheiten gibt es als handelnde Kollektive meist im Plural. Auf der Basis gemeinsamer Gestaltungsprinzipien aktivieren sich schließlich Teile der jungen Generation kulturell und politisch – meist im Namen der gesamten Jugend, vor Kurzem noch als »Fridays for future« oder als radikalisierte »Letzte Generation (vor den Kipppunkten)«. Für das 20. Jahrhundert haben die Sozialwissenschaften diesen engen Zusammenhang zwischen Jugend und sozialer Bewegung im rechten, linken oder alternativen Kontext nachgewiesen. Heute ist vieles diffuser, auch soziale Bewegungen sind teilweise ins Internet abgewandert. Doch werden bis heute Protestbewegungen, trotz der »Omas gegen rechts«, besonders von der Aktivierung aus jüngeren Generationen getragen.
In einem großen Bogen kann man drei Hauptzyklen politischer Jugendgenerationen ausmachen: Erstens dominierte seit etwa 1900 ein idealistischer Jugendmythos, die Vorstellung, Jugend sei die entscheidende Erneuerungskraft der Welt. Das einst freiheitliche »Mit uns zieht die neue Zeit« (Hermann Claudius) wurde dann, völkisch und kriegerisch uminterpretiert – vom Wandervogel und der bündischen Jugend über die Frontgemeinschaft »In Stahlgewittern« (Ernst Jünger) bis hin zum Jugendkult der Nazis. Jugend wurde, obwohl es auch die Arbeiterjugendbewegung gab, zu einem normativen Begriff der antidemokratischen, antiliberalen und antibürgerlichen sozialen Erneuerung.
Es sei Die Sendung der Jungen Generation, so 1932 der Buchtitel von Ernst Günther Gründel, sich gegen die »herrschende Clique der neun Millionen Alten« in Stellung zu bringen. Die entschiedene deutsche Jugend, der die Zukunft gehöre, überwinde die »Altparteien« der Republik. Einer jungen deutschen Generation, die »flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl« (Adolf Hitler) sein sollte, wurde revolutionäre Verantwortung und Macht übertragen. Auch die Nazis trugen Züge einer Jugendbewegung.
Ein tiefer Generationenbruch wie der links-alternative Bewegungszyklus der 60er bis 80er Jahre kommt selten vor.
Zweitens erwies sich der links-alternative Bewegungszyklus aus den 60er Jahren bis in die 80er reichend als ein tiefer Generationenbruch, wie er selten in der Geschichte vorkommt. Diese antiautoritäre Jugendrevolte, mit ihrem 1964 im kalifornischen Berkeley erstmals aufgetauchten Slogan »Trau keinem über 30«, wurde zu einer fast weltweit erfolgreichen Bewegung für Demokratisierung, Modernisierung und Wertewandel und mündete in sozialer Reformpolitik, kultureller Transformation und ökologischer Sensibilität. Charakteristisch für die Bundesrepublik war, dass diese Jugendrevolte im Wesentlichen ein später Aufstand gegen die ihre Schuld beschweigenden Nazi-Väter war. Aus diesem Grund war die Gegensozialisation in bestimmten Generationseinheiten hierzulande besonders radikal und unerbittlich, von leninistisch-maoistischen K-Gruppen bis zu den Sympathisantenszenen der RAF.
Drittens ist spätestens im 21. Jahrhundert das Bild postmodern diffus geworden. Heute werden Generationen als eher flüchtige Identitätskonstruktionen aufgefasst, die bestimmte Alterskohorten in der Gesellschaft sichtbar machen. Sie bieten Individuen die Möglichkeit, ihre eigene Lebensgeschichte vor diesem Hintergrund zu deuten und zu reflektieren. Dabei spielen Klamotten, Körperkult, Musikszenen, Massenmedien und Social Media eine immer wichtigere Rolle bei der Bedeutungssteigerung des Besonderen und Singulären.
Weiterhin werden regelmäßig Jugendgenerationen, aufgrund des beschleunigten sozialen Wandels jetzt rund alle 15 Jahre, ausgerufen. Doch von früherer Eindeutigkeit, wie der Kriegsgeneration des Zweiten Weltkrieges, die ihre jugendlichen Traumata als Täter und Opfer sogar an ihre Kinder und Enkel weitergab und zur »skeptischen Generation« (Helmut Schelsky 1957) wurde, kann da keine Rede mehr sein. Eher begegnen uns Generationenporträts des Einerseits/Andererseits. Typisch dafür die Shell-Jugendstudie von 2024: »Obwohl sich Jugendliche in Deutschland etwa um einen möglichen Krieg oder eine denkbare Wirtschaftskrise Sorgen machen, blicken sie überwiegend optimistisch in die Zukunft: Sie geben sich überzeugt, dass sie ihren Wunschberuf erreichen, sind mit den politischen Parteien unzufrieden, aber vertrauen stabil Staat und Demokratie«. Die Lage ist uneindeutig, wohl deshalb spricht man seit dem Roman Generation X von Douglas Coupland (1991) nur noch unspezifisch von den Generationen X, Y, Z – und jetzt Alpha, den nach 2010 geborenen.
Einerseits waren es Jüngere, die die großen Massenproteste gegen Rechtsextremismus im Frühjahr 2024 trugen; und bei der Bundestagswahl 2025 wurde die Linke unter den 18–25-Jährigen mit 25 Prozent stärkste Partei. Andererseits dicht gefolgt von der AfD mit 21 Prozent, die in Ostdeutschland bei jungen Männern mit Werten um die 30–40 Prozent deutlich vorne lag. Mehr denn je ist alles im Fluss, so Uwe Jun, Trierer Politikwissenschaftler: »Das Umfeld von jungen Leuten ist sehr wichtig für deren politische Prägung. Die Meinungen sind hier noch nicht so gefestigt, sie sind leichter zu beeinflussen. Die politischen Haltungen und damit einhergehend Parteineigung sind bei jungen Leuten unsteter«.
Um das Ganze noch zu verkomplizieren: Es gibt auch die Betrachtung des Lebenslaufs einer Generation. Zwar kann Jugendsozialisation ein Leben lang halten. So war für viele der heute 70-Jährigen die Ära Brandt derart beeindruckend, dass die SPD heute noch in dieser Altersgruppe den höchsten Stimmenanteil erhält. Doch Jugendsozialisation wird auch permanent überschrieben, das ganze Leben ist ein Lernprozess. Neue historisch-soziale Einschnitte, gemeinschaftliche Erlebnisse und nicht zuletzt eigene Reflexionen verändern im Prozess des Alterns eine Generationseinheit.
In diesem Sinne soll Winston Churchill gesagt haben, wer mit 20 Jahren kein Kommunist ist, hat kein Herz; wer mit 40 noch Kommunist ist, hat keinen Verstand. Dass die Jugend eher progressiv und unangepasst, also auf Fortschritt und Veränderung aus ist, während Ältere vor allem bewahren wollen, nach Sicherheit und Kontinuität streben, ist empirisch jedoch nicht eindeutig nachweisbar. Es gibt viele Gegenbeispiele, wie Menschen im Alter endlich ohne die Zwänge von Realpolitik und beruflicher Einbindung ihre neue Freiheit nutzen. Die Erfahrung des Alters kann differenzierter, milder und konservativer machen, dann ist von der Altersweisheit die Rede. Sie kann aber angesichts der ablaufenden Zeit auch kompromissloser und konsequenter machen, zu neuer Altersradikalität führen, um den Enkeln, die ihre Zukunft vor sich haben, noch so richtig was mit auf den Weg zu geben.
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