Menü

Baukräne ragen an einer Baustelle für ein neues Wohnquartier in den Himmel , aufgenommen im Stadtteil Schöneberg in Berlin am 20.09.2017. © picture alliance / Wolfram Steinberg | Wolfram Steinberg

Wir brauchen eine völlig neue Wohnungswirtschaft Mehr Mut!

Wer hätte das für möglich gehalten? Am 26. September 2021 hat sich eine deutliche Mehrheit der Berliner Wahlberechtigten mit Bezug auf Artikel 15 Grundgesetz für die Vergesellschaftung großer profitorientierter Wohnungsunternehmen ausgesprochen. Dies zeigt, dass die Wohnungsfrage (wieder) in der Öffentlichkeit angekommen ist und die Bevölkerung Lösungen herbeisehnt. Dabei ist Vergesellschaftung nicht mit Verstaatlichung zu verwechseln, sondern es geht um das Austarieren neuer Wege einer demokratischen Verwaltung von Wohnungen. Auch international wird dieser Prozess mit großem Interesse verfolgt.

Aus der Perspektive der Berliner/innen, die zu 85 % zur Miete wohnen (deutschlandweit beträgt der Mieteranteil knapp 50 %), ist dieser hohe Zuspruch keineswegs überraschend. Innerhalb kurzer Zeit ist die Stadt deutlich gewachsen – allein in den letzten zehn Jahren um ca. 344.000 Menschen. Gleichzeitig stiegen die Angebotsmieten seit 2012 um 55 %. Auch in Leipzig und München erhöhten sich die Angebotsmieten in den letzten fünf Jahren um mehr als 25 %; in Köln um 19 %, durchweg also weit über der Inflationsrate.

Um die Spekulation mit Wohnraum und Boden einzudämmen und den Wohnungsmarkt in Deutschland wieder in ein gewisses Gleichgewicht zu bringen, brauchen wir eine neue gemeinwohlorientierte Wohnungswirtschaft. Zentral sind hier im Grunde folgende vier Handlungswege:

Erstens: Mehr Wohnungen in den Händen der Kommunen. Nach teils umfassenden Privatisierungen von Wohnungen (in Berlin wurden von 1995 bis 2009 mit ca. 220.000 Wohnungen 47 % der Wohnungen in kommunaler Hand privatisiert) müssen sich die Kommunen und Länder um die Ausweitung öffentlicher Wohnungsbestände bemühen, und zwar durch Ankauf, die Wahrnehmung von Vorkaufsrechten und geförderten Neubau.

Auch wenn etwa in Berlin die zu beobachtenden Ankaufkosten sehr hoch sind, wird sich der Zuwachs an Wohnungen und Boden langfristig auszahlen. Auf diesen Wegen ist der öffentliche Bestand in der Hauptstadt bis Ende 2020 immerhin wieder auf 333.000 Wohnungen angewachsen, obgleich die Neubauzahlen und der Anteil neuer Sozialwohnungen weit unter den Zielzahlen liegen.

Damit ist es jedoch noch nicht getan. Die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, deren Handlungslogiken sich seit dem Wegfall der Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland im Jahr 1990 weitgehend an diejenigen privatwirtschaftlicher Unternehmen angeglichen haben, müssen verpflichtet und unterstützt werden, ihre Handlungsspielräume zur Gewährleistung einer mieterfreundlichen Politik tatsächlich zu nutzen. Denn bis vor Kurzem reizten die öffentlichen Unternehmen, beispielsweise in Frankfurt, Hamburg und Berlin, Mietsteigerungspotenziale umfassend aus, und erst seit einigen Jahren – meist angeregt durch breite Proteste von Mietern – beschlossen viele Kommunen u. a. Limits für Mietpreiserhöhungen und eine Stärkung der Mieterbeteiligung.

Zweitens: Eine neue Bodenpolitik. Die Wohnungsfrage hat ihren Ursprung immer in der Bodenfrage. Daher empfiehlt sich hier eine konservative Strategie, wie es beispielsweise Ulm praktiziert. Die Kommunen dürfen keine Grundstücke mehr veräußern und müssen Boden nach und nach zurückkaufen. Stattdessen sollten Grundstücke nur noch in Erbbaurecht vergeben und das Erbbaurecht ausgeweitet werden. Dies erfordert eine bessere Ausgestaltung desselben.

Um diese Schritte zu ermöglichen, muss der Grundstückserwerb durch niedrigschwellige und preislimitierte Vorkaufsrechte weiter erleichtert werden. Zwar wurde das kommunale Vorkaufsrecht durch das in diesem Jahr in Kraft getretene Baulandmobilisierungsgesetz ausgeweitet, aber statt dem nun zu zahlenden Verkehrswert, mit dem sich in Städten wie München keine sozialverträglichen Mieten erzielen lassen, ist ein Vorkaufsrecht zum Ertragswert der Ist-Miete nötig (Aktuell jedoch zeigt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. November, dass die neue Regierung dringend bestehende Gesetzeslücken im Baugesetzbuch beseitigen muss. Andernfalls haben die Kommunen faktisch nicht mehr die Möglichkeit, das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten auszuüben). Aber auch über Vorkäufe hinaus könnten ertragswertorientierte Verfahren die Realisierung von spekulativen Wertsteigerungen und eingepreisten Mieterhöhungen verhindern.

Dringend notwendig ist auch, Share Deals, mit denen heute tagtäglich Vorkaufsrechte und Grundsteuerzahlungen umgegangen werden, zu regulieren. Des Weiteren sollten unbebaute und bebaute Grundstücke gleichbehandelt und damit die Grundsteuer als Bodenwertsteuer (d. h. eine Grundsteuer ohne Gebäudekomponenten, gegebenenfalls kombiniert mit einer Flächensteuer) ausgestaltet werden, um der Spekulation mit Grund und Boden entgegenzuwirken und bauliche Investitionen zu ermutigen. Das im Herbst 2019 reformierte Gesetz beinhaltet allerdings noch immer eine kombinierte Bemessungsgrundlage aus Grundstück und Bebauung. Die Länder sind aber nunmehr befugt, das Bundesrecht durch landeseigene Regelungen zu ersetzen. Als erstes Bundesland kündigte Baden-Württemberg im November 2020 an, die Einheitsbewertung ab 2025 durch eine Bodenwertsteuer abzulösen. Zudem ließen sich durch geeignete Steuern hohe leistungslose Gewinne abschöpfen (Stichwort: Bodenwertzuwachssteuer). Schließlich brauchen wir mehr Transparenz. In Städten wie Berlin mit extrem hohen Preissteigerungen im Immobilienbestand ist der Anteil internationaler, finanzmarktorientierter und anonymer Investor*innen besonders hoch. Wohnungs- und Mietenkataster mit Eigentümerinformationen werden also dringend gebraucht. Nur so lässt sich Missbrauch aufdecken und lassen sich Maßnahmen zur politischen Regulierung entwickeln.

Zwar wurde durch die Umsetzung der 5. Anti-Geldwäscherichtlinie der EU in deutsches Recht 2020 nicht nur das 2017 eingeführte Transparenzregister öffentlich, und Deutschland verpflichtete ausländische Immobilienkäufer, sich einzutragen. Aber diverse Gesetzeslücken und die schlechte Umsetzung machen das Register bis jetzt weitgehend wirkungslos. Laut Untersuchungen von Stephan K. Ohme (Finanzexperte von Transparency Deutschland) und Christoph Trautvetter (wissenschaftlicher Referent des Netzwerks Steuergerechtigkeit) war Mitte 2020 – nach fast vier Jahren – nur ca. ein Zehntel der Firmen registriert.

Drittens: Mehr Raum für gemeinwohlorientierte Träger. Darüber hinaus sollten gemeinwohlorientierte Wohnungsmarktakteure stärker gefördert werden. Zunächst wäre es naheliegend, die traditionellen Genossenschaften, die in vielen deutschen Großstädten über 10 bis 20 % des Wohnungsbestands verfügen, mehr in die Pflicht zu nehmen. Denn sie sind es, die aufgrund ihrer Flächenreserven und finanziellen Spielräume am ehesten in der Lage wären, neuen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen oder sich an Vorkaufsrechtsfällen zu beteiligen, d. h. nicht nur im Sinne ihrer Bestandsmitglieder, sondern auch des Gemeinwohls zu handeln.

Ähnlich wie bei vielen öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften besteht die Herausforderung jedoch darin, diese gemeinwirtschaftlichen Partner, die gegenwärtig in Regionalverbänden mit profitorientierten Anbietern verankert sind, zu einem politischen Richtungswechsel zu bewegen.

Die seit den 80er Jahren entstandenen bzw. entstehenden »jungen« Wohnungsgenossenschaften verstehen sich hingegen als tatsächliche Alternative zur Vermietung am Markt. Gleiches gilt für die wachsende Zahl von alternativen zivilgesellschaftlichen Boden- und Eigentumsmodellen, die eine langfristige Vergesellschaftung von Boden und Immobilien garantieren: Das Mietshäuser Syndikat, Stiftungen wie Trias oder die Stiftung Edith Maryon oder sogenannte Community Land Trusts.

Diese Modelle spielen quantitativ bislang nur eine untergeordnete Rolle, diskursiv sind sie allerdings längst in aller Munde. Denn: Diese Rechtsformen funktionieren wirtschaftlich und sozial, und sie schaffen einen gesellschaftlichen Mehrwert. Wird Boden beispielsweise in das Eigentum von gemeinnützigen Stiftungen übertragen, die diesen in Erbbaurecht vergeben, kann die Bodenrente wieder in die Gesellschaft zurückfließen. Hier sind also umfassende(re) Fördermaßnahmen und die Einbindung solcher Akteure in kommunale Verwaltungsprozesse gefragt.

Viertens: Konsequente Mietenregulierung. Schließlich brauchen wir eine mutigere Mietenregulierung. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom April, den Berliner Mietendeckel – als temporäres Notfallinstrument – für nichtig zu erklären, und dabei lediglich auf die fehlende Länderkompetenz zu verweisen ohne Stellung zur sozialen Frage unserer Zeit zu beziehen, war enttäuschend. Nun ist es an der Zeit für echte bundespolitische Lösungen. Die neue Regierung muss die soziale Notlage in unseren Städten endlich ernst nehmen und einen nationalen Mietenstopp einführen.

Zudem muss der Mietspiegel weiter reformiert werden: Zielführend wäre es, einen nationalen Mietspiegel zu schaffen und durch eine grundlegende Reform der Vergleichsmiete einen realitätsnahen Anknüpfungspunkt für Mietpreiserhöhungen zu generieren. Konsequentere Entscheidungen sind auch in anderen Fragen nötig: So reicht die Reduzierung der Modernisierungsumlage von 12 auf 9 % nicht aus.

Begrüßenswert ist die in neue bundesweit geltende Einschränkung von Eigentumsumwandlungen und Eigenbedarfskündigungen (auch wenn gewisse Schlupflöcher offengeblieben sind). Denn jüngste Studien haben bestätigt, dass die Umwandlung in Eigentumswohnungen und Eigenbedarfskündigungen zu den zentralen Ursachen der Verdrängung von Mietern zählen. Damit gilt fortan in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt (Berlin z. B. stadtweit) für bestehende Wohngebäude mit mehr als fünf Wohnungen eine Genehmigungspflicht für die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen.

Die Umsetzung dieser Maßnahmen wird nicht einfach. Tief verankerte Diskurse (»Bauen, bauen, bauen« etc.), denen sich marktnahe Interessenkoalitionen bedienen, müssen aufgebrochen werden. So sei abschließend noch einmal auf die Initiative »Deutsche Wohnen enteignen« verwiesen: Der Erfolg der Initiative und der mietenpolitischen Bewegung in Deutschland insgesamt zeigt, dass diese in der Lage sind, gesellschaftliche Diskurse zu verschieben und neue politische Handlungsspielräume zu eröffnen. Diese Spielräume müssen jetzt ausgeschöpft werden.

Kommentare (1)

  • Räbiger
    Räbiger
    am 03.12.2021
    Der Artikel referiert Meinungen, zeigt Defizite auf, bringt keine notwendigen Lösungsansätze.
    Grund und Boden ist nicht vermehrbar und muss der Spekulation entzogen werden. Was nutzen Gesetze, die nicht mit Sanktionen belegt sind. SHARE DEALS und andere Vergünstigung für Investoren sind durch klare Formulierungen in den Gesetzen zu verhindern. (Spekulations-)Gewinne auf Grund und Boden sind dauerhaft mindestens in der Höhe der Inflation gesetzlich zum Vorteil der Kommune abzuschöpfen.

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben