Menü

Wie Sport zum Motor für Teilhabe und Integration werden kann Mit Bällen die Welt retten?

»Wirf auf einem Fußballplatz einen Ball in einen Kreis von Jugendlichen, und schon bricht der Weltfrieden aus.« So ein überspitzt formuliertes Narrativ, das gern bemüht wird. Oft gefolgt von Begriffen wie »Integrationsmotor« oder »Fußball verbindet!«. Sicher, der Fußball hat viel Kraft, wenn es um Teilhabe, Respekt, Miteinander oder Solidarität geht. Doch kann er sie auch umsetzen? Es gibt in Vereinen quer durch die Republik lobenswerte Beispiele. Oft sind es wenige Personen, die viel bewegen. Doch sie wirken zunehmend erschöpft. Die immer ruppigere Gesellschaft, der Rechtsruck, problematische Social-Media-Trends, verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche – all das macht vor dem Fußballplatz und den Sporthallen nicht halt.

Der Fußball, die mit Abstand beliebteste Sportart, könnte tatsächlich ein Vorbild für ein vielfältiges und funktionierendes Zusammenleben sein. Der DFB hat mehr als 2,2 Millionen junge Mitglieder bis 18 Jahre, insgesamt fast 7,4 Millionen, wobei längst nicht alle aktiv sind. SPD und CDU haben jeweils rund 365.000. Tendenz sinkend. Wie viele Menschen unter den Vereinsmitgliedern eine familiäre Zuwanderungsgeschichte haben, erhebt der DFB nicht. Es sollte eigentlich auch keine Rolle spielen. Tut es aber doch, gerade bei den Aktiven. Selbst in den Zentren der Ballungsräume schaffen es nicht allzu viele Vereine, echte Vielfalt herzustellen. Vor allem internationale Coaches können dabei helfen. Viele Vereine wollen aber kaum Diversität. Auch in der Multikulti-Metropole Berlin gibt es immer noch viele Teams, in denen vor allem Meiers, Müllers oder Schultzes spielen. Andere Clubs weisen schon im Namen auf den Familienhintergrund der meisten Akteure hin. In ganz Deutschland heißen Vereine Türkspor, Croatia, Hellas oder Italia.

Neben dem Vereinsfußball setzen eine Reihe von Organisationen Projekte um. Oft kommen diese aus der Flüchtlingshilfe. Aber es gibt auch Versuche, in sogenannten »Brennpunkten« den Sport als Mittel der sozialen Arbeit zu nutzen, zwar häufig leider mit zu wenig Expertise, aber man versucht, Strukturen aufzubauen, in denen die Geflüchteten oder benachteiligten Jugendlichen Raum für Bewegung und Begegnung erhalten. Eine fachkundige sportliche Betreuung wäre trotzdem hilfreich. Diese findet man aber vor allem in den Vereinen, nicht in den Projekten. Das Berliner Netzwerk Fußball und Gesellschaft versucht hier eine Verbindung herzustellen. Gleichwohl sind starke Vereine hoffnungslos überlaufen, fallen daher als Integrationsinstrument aus.

Es fehlt an Kontinuität, an Kooperation, vor allem aber an Geld. Die berüchtigte deutsche »Projektitis« ist der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Gefördert werden Einmalevents wie sogenannte »Integrationsturniere«, etwas Ausstattung, manchmal auch schlechte Honorare. Hingegen tun sich öffentliche Förderstellen als auch Stiftungen schwer, langfristige Strukturen in den Sportvereinen zu unterstützen. Immer noch wird für den Überbau wenig Geld bewilligt. Ohne diesen geht aber fast nichts. Am Ende bleibt häufig ehrenamtliches Engagement, welches so wenig stabil wie die Finanzierung für den Rest ist.

Ehrenamt braucht Hauptamt

Man kann einen Fußballverein mit zehn Mannschaften im Spielbetrieb ehrenamtlich führen. Dann ist aber nicht mehr zu erwarten als die Vorbereitung und Durchführung des Wettbewerbs. Um funktionieren zu können, braucht es das Hauptamt. In den Ballungsräumen gehen bei vielen Sportvereinen fast täglich Anfragen ein, ob sie nicht Platz für ukrainische Mädchen, syrische Jungen oder somalische Erwachsene haben. Das ist in der Praxis kompliziert. Ist ein Team mit 25 Spielern zusammengestellt, wird der Trainer nicht mal eben fünf weitere hinzunehmen. Das könnte die Dynamik des Teams stark verändern, was nichts mit der Herkunft, eher mit der Anzahl zu tun hat. Trainer haben Positionen festgelegt und machen spieltaktische Vorgaben, die gerade in der frühen Phase einer Saison trainiert werden. Mal davon abgesehen, ist eine Fußballmannschaft ein durchaus sensibles Gebilde, das vor allem im Team funktionieren muss.

»Die meisten Vereine sind auf die gewünschte Teilhabe von Zugewanderten kaum vorbereitet.«

Natürlich gibt es auch Mannschaften, wo nicht so sehr auf den sportlichen Erfolg geachtet wird, viel mehr auf den Spaß. Aber das sind weniger als die meisten Menschen glauben. Ein Wesen des Sports ist, möglichst gut abzuschneiden. Die Verklärung des Sports als Motor für Integration und Zusammenhalt wird von Praktikern oft belächelt. Die meisten Vereine sind auf die gewünschte Teilhabe von Zugewanderten kaum vorbereitet. Beim geflüchteten Wunderstürmer wird natürlich gern eine Ausnahme gemacht, sofern im Verein ein für Geflüchtete offenes Klima vorherrscht. Was längst nicht überall der Fall ist. Der Fußball ist das Spiegelbild der Gesellschaft, mit allen Vorurteilen und Klischees. Aller Kampagnen von DFB, DFL (Deutscher Fußball Liga) oder Landesverbänden zum Trotz.

Die Deutsche Stiftung Engagement und Ehrenamt hat vieles verstanden, aber natürlich auch nur begrenzte Mittel. Eine wichtige Rolle spielen die Sportverbände. Es gibt langjährige Programme wie »Integration durch Sport«, die gute Dienste geleistet haben. Gleichwohl braucht es Anpassungen, was der DOSB auch weiß. Wenn dort Podiumsdiskussionen mit fünf weißen Männern plus einer Moderatorin besetzt werden und selbst die türkische Organisation von einem Müller oder Meier vertreten wird, haben wir noch sehr viel Arbeit vor uns. Es gibt große Diskrepanzen zwischen dem, was postuliert und dem, was vor Ort von den Vorständen und Trainern gebraucht wird.

Der Sport kann eine starke Institution für Solidarität, Teamgeist und respektvollen Umgang sein. Aber viele Menschen, die ihre Teams in den Hallen und auf den Plätzen betreuen, sind an der Grenze des Leistbaren. Wir müssen mit dieser Ressource pfleglich umgehen. Trainer:innen und Vorstände brauchen dringend Unterstützung. Mancherorts haben einzelne Trainer mehr als 20 Jugendliche zu betreuen. Der Zustand junger Menschen hat sich durch die Pandemie, durch immer mehr Social Media und Streamingdienste nicht verbessert. Körperliche Defizite und Verhaltensauffälligkeiten nehmen zu. Doch niemand kommt auf die Idee, Sozialarbeiter in große Amateurvereine zu schicken.

Beim FC Internationale Berlin gibt es mehr als 650 Kinder und Jugendliche. Junge Erwachsene hinzugerechnet, sind es 850. Was für ein Potenzial für unsere nach Fachkräften lechzenden Unternehmen! Doch nutzen wir es? Wenigstens die Wirtschaft sollte es tun, indem sie die Struktur der Vereine unterstützt. Es gibt viele Sportvereine mit einer ambitionierten und respektablen Jugendarbeit. Doch die Trainer und Jugendleitungen sind nicht dafür ausgebildet, auf familiäre oder schulische Dispositionen einzugehen, geschweige denn trau­matische Ursachen zu erkennen oder Sprachbarrieren zu überwinden. Fußball ist überall auf der Welt zu Hause, die groben Regeln sind bekannt. Doch er ist kein Allheilmittel, um mit ein paar Bällen die Welt zu retten.

Potenziale des Sports

»Wir können nicht ehrenamtlich reparieren, was andere täglich hauptamtlich kaputtmachen«, lautet ein kluges Zitat. Fatalismus ändert nichts. Wir müssen stärker darüber in den Diskurs gehen, wie wir den Sport besser nutzen können. In der Regel nicken hierbei alle mit dem Kopf. Doch die Realität ist eine andere. Das Potenzial des Sports wird zu wenig erkannt. Nach den sogenannten Silvesterkrawallen in Berlin-Neukölln traten Politiker:innen höchst betroffen und erschrocken vor die Kamera. Wo haben die aber in den letzten 20 Jahren gelebt? Unter Sozialarbeitern oder Jugendtrainern war immer klar, dass etwas passieren könnte. Nur wann und wo und in welchem Ausmaß wusste man nicht. Der Sport wird die seit Jahrzehnten verfehlte Stadtentwicklungspolitik in den Ballungsräumen nicht retten. Aber er kann ein Schlüssel zu mehr Teilhabe und Zugehörigkeitsgefühl der jungen Menschen sein und Barrieren abbauen.

Dazu müsste man den Sport bei der Quartiersplanung mitdenken. In Berlin ist das kaum der Fall. Sportstätten sind in erbärmlichem Zustand, meistens aus Angst vor Vandalismus außerhalb der Vereins- oder Schulzeiten nicht zugänglich. Dabei wissen wir alle: Wenn Jugendliche einen Zaun überwinden wollen, werden sie es schaffen. Es braucht endlich neue Modelle, gleichzeitig mehr Offenheit – im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn ab 16 Uhr alle Sportanlagen belegt sind, haben Menschen aus nicht vereinsgebundenen Kontexten kaum eine Möglichkeit, sich im öffentlichen Raum zu bewegen. Gleichzeitig brauchen die Vereine die Sportanlage, um ihr Angebot durchführen zu können. Dankenswerterweise erhebt die Stadt Berlin in der Regel keine Nutzungsgebühren für Vereine, aber Fakt ist: Es gibt viel zu wenige Sportplätze und -hallen.

Es mag sonderbar klingen, aber gerade die funktionierenden Vereine brauchen Unterstützung. Auch sie stellen ein fragiles Gebilde dar. Oft haben wir gesehen, wie der Weggang von zwei engagierten Menschen eine Abwärtsspirale in Gang setzte. Hilfreich ist eine Mischung aus ehrenamtlichen und hauptamtlichen Strukturen. Es gibt Vereine mit mehr als 50 Trainer:innen. Die müssen gemanagt und geführt werden. Trainerlizenzen, Führungszeugnisse, Kinderschutzseminare, Antidiskriminierungsworkshops und mehr sollen zu niedrigen Mitgliedsbeiträgen Standard sein. Das ist nicht realistisch.

Die Sportverbände und die Verwaltungen müssen endlich die engagierten Menschen an der Vereinsbasis mit in die Prozessentwicklung nehmen. Doch noch immer bestehen riesige Ängste vor dem Verlust von Deutungshoheit und Einfluss. Nicht selten beeinflussen auch Parteibücher der Funktionäre das Handeln – und damit die mangelnde Lobbyarbeit im Sinne des Breitensports. Denn in den Parteien kennt man sich gut und verlangt einander daher nicht viel ab. Top-Down-Mentalität wird künftig nicht reichen. Es braucht ernstgemeinte Formate, mit Ehrenamtlichen und Vereinsvorständen in den Austausch zu gehen. Diese sind kaum erkennbar. Wichtige Tagungen in hauptamtlich organisierten Verbänden und Verwaltungen finden mitten am Tag statt. So kann Partizipation nicht gelingen. Welcher Ehrenamtler kann es sich leisten, an einem Mittwoch oder auch Freitag ohne Honorar und Erstattung von Fahrtkosten von Berlin nach Frankfurt zu reisen, um an einem Meeting teilzunehmen?

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben