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Mit den Augen der Gegenwartskunst: Vergangenheit und Zukunft der SPD

Man sollte über beendete Ausstellungen eigentlich nur schreiben, wenn sie etwas Bleibendes auszulösen vermochten. Dies könnte hier der Fall sein, möglicherweise war diese Präsentation von 33 bildenden Künstlerinnen und Künstlern von Mitte Dezember bis fast Ende Februar ein Auftakt. Vielleicht wird Sprachlosigkeit überwunden, entsteht gar wieder mehr lebhafte Auseinandersetzung zwischen Kulturschaffenden und der Sozialdemokratie. Die Gegenwartskunst muss sich nicht immer nur an Radikalität selbst übertreffen, ihre Aufmerksamkeitsökonomie nicht nur lauten, je weiter links und aktivistischer, umso besser (ein Eindruck, der bis hin zur documenta entstehen kann). Da war die Schau ein Kontrapunkt, ein kleiner Beleg dafür, dass die Reformpartei SPD der Kunstszene noch lange nicht gleichgültig geworden ist.

Betrat man nach der Jahreswende in Berlin die kleine »Zwinger Galerie« an der Grenze von Schöneberg und Kreuzberg, so wurde einem als erstes durch eine quer im Raum stehende, sehr niedrige Vitrine der Weg versperrt. Im Schaukasten drei leicht zerknitterte, seltsam verdrehte und kunstvoll verschlungene altmodisch schmale Schlipse, die die Buchstaben SPD bilden: in der Mitte ein roter Schlips mit kleinen Schneemännern, an den Seiten je ein rot-gelb und ein rot-grün gestreifter. Die SPD nur noch als Museumsstück, vergänglich wie der Schnee, verbürgerlicht auf rotem Samt? Von vergangenen Zeiten zehrend, ausfransend in beide Richtungen? Oder doch mit grünen und gelben Bündnispartnern durchaus zukunftsfähig? Auf jeden Fall führt offenbar kein Weg an der SPD vorbei und man muss den Ausstellungsrundgang damit beginnen, dass man sich vor ihr gewissermaßen verneigt.

Diese Installation von Manfred Pernice, dessen Arbeiten sonst mehr in Pappe und Holz gehalten sind, führt ein in das Ausstellungsprojekt »Die Zukunft der SPD«, zu dem der Kurator und Kritiker Hans-Jürgen Hafner und der Offenbacher Medienprofessor Gunter Reski eingeladen hatten, ohne dass die Partei oder das Kulturforum der Sozialdemokratie dahintersteckten. Die Resonanz war beachtlich, herausgekommen sind inspirierende Kunstwerke, bei denen mal nicht angesichts der aktuellen SPD-Krise die Häme alles überschattete, wie so oft in der intellektuellen und medialen Öffentlichkeit. Auch war es nicht allein Nostalgie, die die Macher umtrieb, sondern wie die Kuratoren ganz ohne jeden Kulturzynismus beschrieben, »interessiert uns die ›Sozialdemokratie‹ als durchaus achtenswertes ›Konzept‹ und in historischem Sinne als ›Errungenschaft‹ – und deshalb umso mehr nicht ohne der zweifachen, nämlich pragmatischen und operativen, Verankerung der Sozialdemokratie in der Realpolitik und im Parlamentarismus als Denke und Werkzeug eines linken Realismus«.

Die Werke sind mal mysteriös, wie manche skurril gewandelte Parole auf einer langen Plakatwand: Etwa, was wollte uns Susi Pop mit ihrem eigenartigen Slogan »Gegen die Kosten der Freiheit« sagen? Das Plakat, in den einstigen SPD-Farben Rot und Magenta (damals von der Generalsekretärin Andrea Nahles eingeführt) gehalten, zeigt nicht das Gesicht, sondern den Hinterkopf der Bundeskanzlerin. Die SPD als Dauergefangene der Großen Koalition? Die »Kosten der Einheit« hieß der Vorwurf des Westens, Freiheit war das Versprechen für den Osten, soziale Kosten des Umbruchs wurden eher verschwiegen – auch daran denkt der Betrachter.

Mal überwog die Erinnerung an die gute alte Zeit der SPD. Im Zentrum des ersten Raumes hing unter der Empfehlung »No Groko« eine Skulptur von Claus Föttinger von der Decke. Der Objektkünstler, Jahrgang 1960, hat eine große längliche Leuchte mit postkartengroßen Fotos beklebt, die seine sozialdemokratischen Helden aus der bundesrepublikanischen Geschichte zeigen. Man erkennt Carlo Schmid, Annemarie Renger, Käthe Strobl, Gustav Heinemann, Helmut Schmidt, Karl Schiller, Willy Brandt mit Günter Grass und Siegfried Lenz und viele mehr. Darüber gelegt ist allerdings eine Klarsichtfolie mit den Namen von SPD-Akteuren aus den letzten Jahren, verbunden mit manch aktuellen Zweifeln. Auch das nicht nur unter Bewegungsradikalen und Salonmarxisten verbreitete »FCK SPD« darf da nicht fehlen (man kann das berüchtigte Logo ja sogar im Internet bestellen, selbst als T-Shirt oder Kaffeebecher). Der Künstler verweist wohl auf eine wirklich sehr enttäuschte Liebe. Doch wenn man die Lampe auf Rot schaltet, taucht diese die SPD-Hommage in ein so wunderbar warmes Licht, dass der Liebe vielleicht doch noch eine Zukunftschance gehört.

Mal war das Ganze witzig, vermittelte eine ironisch gebrochene Sympathie. So hat Heidi Specker das bekannte Plakat des entspannten Willy Brandt mit Zigarette und Gitarre verfremdet, in einen Rockstar mit Joint und Kettchen, sowie den Film-Füßen von Stan Laurel und Oliver Hardy, die ja bekanntlich nicht nur Spaßvögel, sondern ähnlich melancholisch wie Willy waren. Mit diesen Ergänzungen wäre Brandt wohl eine perfekte Kultfigur für die Gegenwart, welch ein Hilferuf nach einer charismatischen Führungspersönlichkeit der SPD, wie sie im letzten Jahr so verzweifelt gesucht wurde.

Natürlich fehlte, wie kann es bei Künstlern anders sein, nicht so ganz die klassische Kritik des linken Radikalismus. Den Niedergang der Volkspartei symbolisiert ein kaputter, umgestürzter roter SPD-Schirm, wie man ihn von den Werbeständen in den Fußgängerzonen kennt. Auf der Innenseite des Schirms hat Lutz Braun, eigentlich bekannt durch geisterhaft-expressionistische Bilder, Porträts von Rosa Luxemburg und Rudi Dutschke skizziert. Haben nun die Revolutionäre die Reformpartei hinweggefegt (was eine ziemliche Umschreibung der Geschichte wäre)? Oder wird die SPD mal wieder angeklagt, die Revolution, die ja 1919 und 1968 wirklich nicht ihr Ding war, verraten zu haben?

Konstruktiver war der Vorschlag eines Wahlplakates von Michael Meise: »Hey Barista, Yoga-Lehrer, Putzhilfe, Babysitterin: Das Prekariat wählt SPD!« Damit hat die Zukunft der SPD tatsächlich zentral zu tun, ob es ihr gelingen wird, auch die Interessen der von der Hand in den Mund lebenden neuen Dienstleistungsberufe, im Grunde der neuen Arbeiterklasse, glaubwürdig zu vertreten.

Und in Berlin konnte natürlich auch die Empfehlung nicht fehlen, die SPD möge sich deutlicher gegen die Gentrifizierung, die in der boomenden Metropole auch den Arbeits- und Lebensraum vieler Künstler/innen angreift, stemmen. Ina Wudtke fordert auf ihrem Plakat in skandierbarer Demosprache »Rekommunalisierung plus – Mieterräte sind ein Muss« und unterstreicht dieses »Recht auf Stadt« in kurzen Agitationsvideos.

Zum verschärften Nachdenken regte das Plakat von Claudia Kugler, die auch Kommunikationsdesignerin ist, an. Es verweist auf die Gefahr des finalen Unterganges der SPD, wenn zum Niedergang jetzt auch noch Spaltung hinzukäme. In jeweils anderer Typografie – eben doch mehr Schein als Sein – kombiniert sie kreativ denkbare andere Parteikürzel, wie SPEU oder ÖSPD. Aus anderen Ländern wie Italien, wo es immer wieder zu Abspaltungen von der sozialdemokratischen PD kam (erst nach links, aktuell durch den ehemaligen Ministerpräsident Matteo Renzi), wissen wir, dass ein solcher Worst Case immer möglich ist, als ob die Grünen und die Linkspartei, beide historisch vom Fleische der SPD, nicht schon genug der Zersplitterung wären.

Zentral in der Mitte der Ausstellung hing ein kleines wahres Meisterwerk, auch dies extra gemalt für dieses Projekt, von Norbert Bisky. »Als das Bild geliefert wurde, war die Farbe noch feucht«, hieß es stolz in der Galerie. Bisky ist schließlich einer der wichtigsten zeitgenössischen deutschen Künstler, dessen Werke in der Tradition der Leipziger Schule Höchstpreise erzielen, der mit seiner figurativen Malerei weltweit Erfolge feiert. Das Bild stellt ein Porträt des Juso-Vorsitzenden und jetzt auch stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Kevin Kühnert dar. Mit seinen typisch kräftigen, hellen und leicht schrillen Farben unverkennbar ein Bisky, man sieht einen jungen, im lichten Gelb erstrahlenden Hoffnungsträger. In den häufig eigensinnigen und rätselhaften Bildern Biskys tauchen ja auch sonst gerne junge Männer auf, oft mit entblößtem Oberkörper. Kühnert schaut leicht verträumt ins Weite, auch diesen entrückten Blick am Betrachter vorbei findet man bei Bisky öfter. Aber geht der diesmal wirklich ins Leere? Oder ist es vielleicht doch ganz anders und Kevin schaut in eine bessere Zukunft, sieht gerade das Licht am Ende des Tunnels des sozialdemokratischen Leidensweges oder erkennt gar am fernen Horizont, dass die Vision des demokratischen Sozialismus lebt? Für 22.000 Euro hätte man das Bild jedenfalls mitnehmen können.

Kurator Hafner zog folgende Zwischenbilanz: »Die überdurchschnittliche Resonanz des Projekts liegt an der Kombination von Thema und der Art und Weise wie – gewissermaßen kuratorisch geframed – das Problem ›Die Zukunft der SPD‹ entwickelt wurde. Und drittens wahrscheinlich, wie dieses entwickelte Problem mit Lösungsansätzen suggestiv durch die Tür kommt. Ohne dass diese notwendigerweise eingehalten werden können, und daran scheitert dann leider der ganze Rezeptionsapparat«. Das könnte aber auch darauf verweisen, dass in der außerkünstlerischen Welt ebenfalls kaum noch jemand mit Sicherheit weiterweiß.

Insgesamt ist festzuhalten, dass sich die Künstler/innen noch Sorgen um die SPD machen. Ästhetisch ziemlich unterschiedlich unterwegs, bringen sie zum Ausdruck, dass die Partei weiterhin gebraucht wird, natürlich besser mit einem linkeren Profil. Überraschend war, wie oft die Frage nach den Spitzenleuten explizit zum Thema gemacht wurde. Nun spielt der einzelne Mensch in der Malerei, erst recht in der Bildhauerei, ja sowieso eine besondere Rolle. Doch wurden hier die bildenden Künstler/innen ihrem Ruf als Seismografen der Zeit wirklich gerecht. Denn neben Programmen und Positionen kommt es gerade in der Mediengesellschaft immer mehr auf Kommunikationsgeschick, Ausstrahlung und die glaubwürdige Verkörperung durch Spitzenpolitiker/innen an. Auch hieran wird die Zukunft der SPD hängen.

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